Abstract
Unsere Welt und unsere KlientInnen verändern sich. Zunehmende Globalisierung ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht zu beobachten, sondern findet – teils als Folgewirkung intensiverer wirtschaftlicher Vernetzung, teils als eigenständiger Prozess - auch auf gesellschaftlicher Ebene statt. Eine besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich einer Intensivierung und Verschiebung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Einflüsse verdient beim Anbruch des neuen Jahrtausends Asien. Die Hälfte der weltweiten Immigranten und die meisten internationalen Arbeitsmigranten kommen aus diesem größten, bevölkerungsreichsten und historisch einzigartigen Kontinent. Gleichzeitig ist heute bereits jede 3. Partnerschaft eine bikulturelle, und der schon jetzt große Anteil an asiatisch-westlichen Partnerschaften wird aller Voraussicht nach noch weiter zunehmen – nur wenige bikulturelle Partnerschaftsformen aber sehen sich mit so vielen Vorurteilen belastet wie asiatisch-westliche.
Gerade in der bikulturellen Einzel- und Paartherapie und -beratung ist ein gewisses Grundwissen über die Mentalität und Werte, welche die asiatische Kultur bestimmen, von Nutzen, um im Beratungsprozess einerseits möglichst frei von ethnozentrischen Konstrukten lösungsneutral agieren zu können, zum anderen, um möglichst effizient zu unterstützen.
Nach der mit eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen in der bikulturellen Psycho- und Paartherapie angereicherte Darstellung traditioneller und moderner asiatischer Kultur, Werte und sozialen Regeln widmet sich der Autor im Hauptteil dieses Buches den Stärken und spezifischen Herausforderungen von bikulturellen Partnerschaften zwischen AsiatInnen und EuropäerInnen, um sodann systemtherapeutische Ansätze für die bikulturelle Therapie aufzuzeigen.
Artikelbezogene Themenbereiche:
Bikulturalität – Binationalität – Multikulturalität – Kultur – Partnerschaft – Asien – Europa – USA
Multicultural relationships – Transcultural Relationships - Binational relationships – Intercultural relationships
Inhalt
Zunahme bikultureller Partnerschaften
„Kultur“ – was ist das überhaupt?
Kulturstandards und Kulturdimensionen
Wertorientierungen
Verhaltensmuster
Soziale Regulation - Kollektivismus vs. Individualismus
Nationale und regionale Identität
Kognitive Prozesse
Emotionalität und Rationalität
Sprache und Kontextualität
Zeit- und Raumdimensionen
Maskulinität vs. Feminität
Risikobereitschaft vs. Unsicherheitsvermeidung
Kultur und Verortung
Interkulturelle Kompetenz - Kulturelle Intelligenz (CQ)
Bikulturalität – Binationalität - Multikulturalität
Beziehung oder Partnerschaft
Gender-spezifische Notation
„Westen“ – „Osten“
Warum verlassen Menschen ihre Heimat?
Grenzziehungen
Eine Standortbestimmung: Rollenbilder im Umbruch
Europa
Asien
Grundlegende Konzepte der traditionellen asiatischen Gesellschaft
Konfuzianismus - das Ideal von Besonnenheit und Mitgefühl
Die 5 Tugenden
Die 3 sozialen Pflichten
Die 5 Beziehungen
Daoismus - die Lehre des Weges
Ti-Yong – das Primat des Nützlichen
Die „36 Strategeme“ - Umgehung der Monolinearität
Reinkarnation - das Konzept der Wiedergeburt
Das Konzept des „Gesichts“ als 2. Persönlichkeit
Die kleine Freude: Sanuuk
Die Nichtexistenz von Konflikten
Wenn zwei Welten aufeinander treffen
Antizipation und Selbstwahrnehmung von Asiaten in Europa
Kulturelle Unterschiede in der Sozialisation
Funktion von Partnerschaft im Westen und im Osten
Partnerwahl: warum gerade er – und warum gerade sie?
Anbahnung von Partnerschaft und Ehe in Asien
Entstehung westlich–asiatischer Partnerschaften
Beziehungen mit MigrantInnen der 1. Generation im Westen
Beziehungen mit Angehörigen der Zweiten und Dritten Generation
Fragmentierte kulturelle Identität
Arbeitseinsätze im Ausland
Auswanderung
Tourismus und Prostitution
"Sextourismus" vs. "Reiseromanzen"
Freelancer-Prostitution und institutionalisierter Romanzen-Tourismus
Gender-Aspekte beim Stereotyp der Prostitution
Partnervermittlung und transnationale Kontaktbörsen
Bindungskräfte in asiatisch – westlichen Partnerschaften
Wir gegen die Welt
Klarere Beziehungsstrukturen
Emotionale Dramen statt rationalisierender Verflachung
Herausforderung und Unterhaltung
Symbiotische Versorgungsleistungen
Rechtliche Hürden für die bikulturelle Partnerschaft
Rechtliche Rahmenbedingungen bei einer binationalen Heirat – am Beispiel Österreichs und Thailands
Verdachtsmoment „Scheinehe“
Schwule und lesbische Paare: doppelt benachteiligt
Die visumsrechtliche Abhängigkeit des ausländischen Partners
Aufenthaltsberechtigung des asiatischen Partners in Europa
Spezifische Herausforderungen in asiatisch – europäischen Paarbeziehungen
Das Image westlich – asiatischer Beziehungen
Ethnozentrismus und Rassismus
„High-Context“-Kommunikation versus „Low-Context“-Kommunikation
Brücken schlagen: Konfliktlösungsmodelle
Rollenidentität des Mannes in der bikulturellen Partnerschaft
Rollenidentität der Frau in der bikulturellen Partnerschaft
Asiatische Frauen nach gescheiterter Partnerschaft
Asiatische Gelassenheit und Komplexität
Normorientierung vs. Beliebigkeit
Kultureller Stress - Coping-Strategien für den Umgang mit der Fremdkultur
Normal statt abweichend: Betonung der Normalität
Anders- und Besonders-sein: Distinguierung
Flexibel statt festgefahren: Anpassung
Abgrenzung und Gegenhandeln
Integration beider Kultureinflüsse
Ablehnung und Distanzierung
Familie und Gesellschaft als Einflussfaktor auf Denken und Handeln
Ideal und Realität: Gemeindebau & Aldi-Job statt Dallas & Swimming Pools
Religion
Hinduismus
Christentum
Buddhismus
Islam
Christentum und Buddhismus als häufigste Kombination in westlich/asiatischen Partnerschaften
Attraktivität des Partners: wechselhaft.
Status ist sexy
Werde ich geliebt - und wenn ja, wofür?
Der Reiz der Exotik
Venus und Fliegenfallen
Einstellungen zu sexueller Treue
Kinder in der bikulturellen Partnerschaft
Die gemeinsamen Kinder
Klärung der Zuständigkeiten
Gute Väter, gute Mütter
Kinder aus früheren Partnerschaften
Vater- und Mutterrollen
Die Rolle des Kindes in der bikulturellen Partnerschaft
Sprachprobleme
Altersunterschied
Berufliche Herausforderungen
Soziale Vernetzung des Paares
Westliche Frau, asiatischer Mann
Ein Systemischer Methodenpool im bikulturellen Einsatz
Die Rolle des Therapeuten für Asiaten
Entwicklung einer kooperativen Arbeitsbeziehung
Überkulturalisierung – Die Gefahr der Überbewertung kultureller Aspekte in der Kommunikation durch den Berater
Sprachliche Probleme in der Therapie: – Dolmetscher ja oder nein?
Dolmetscher ja oder nein?
Die 3 Subsysteme bikultureller Paare
Struktur und Setting bikultureller Beratung und Therapie
Systemische Hypothesenbildung
Zirkuläre Fragen
„Sowohl – als auch“-Lösungen vs. dialektische Entscheidungen
Genogramm: die Familie als Kulturen- und Geschichtsexperte
Skulpturen und Kulturgegenstände
„Der kulturelle Traum“
„Die Zauberfrage“
Kommunikationspsychologische Modelle im bikulturellen Kontext
Das Kommunikationsquadrat
Das Wertequadrat
Das Riemann-Thomann-Modell
Das Innere Team
Das Situationsmodell
Ressourcen für Paare, Therapeuten und Berater
Tipps zur kulturellen Adaptation
10 Leitgedanken für das Gelingen bikultureller Partnerschaften
10 Leitgedanken für das Scheitern bikultureller Paartherapie
APA-Leitlinien für Multikulturelle Ausbildung, Training, Praxis, Forschung und Organisation
Etikette-Knigge für einen kultursensiblen Umgang mit AsiatInnen
Die 36 Strategeme - eine Übersicht
Zahlen und Fakten
Regionen und Länder Asiens
Größenverhältnisse asiatischer Communities
Anteil binationaler Eheschließungen in Österreich
Entwicklung binationaler Eheschließungen
Binationale Eheschließungen nach Geschlechtern
Binationale Eheschließungen nach Kontinenten
Scheidungsraten
Aufenthaltsverbote wegen „Scheinehe“ in Österreich
Binationale Paare in der Ehe- und Familienberatung
Geburtenraten
Wanderungssaldo in der EU
Quellen
Zum Autor
Excerpt - Einleitende Gedanken
Zunahme bikultureller Partnerschaften
Unsere Welt und unsere KlientInnen verändern sich. Zunehmende Globalisierung ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht zu beobachten, sondern geschieht – teils als Folgewirkung intensiverer wirtschaftlicher Vernetzung, teils als eigenständiger Prozess - auch auf gesellschaftlicher Ebene. Menschen werden mobiler und vernetzter, nicht nur physisch, auch mental und hinsichtlich ihres Interesses an bisher noch fremden kulturellen Ressourcen, Stärken und Potenzialen.
Eine besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich einer Intensivierung und Verschiebung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Einflüsse verdient beim Anbruch des neuen Jahrtausends Asien, das 2004 bereits für ein Drittel des gesamten globalen Wachstums verantwortlich war – eine Tendenz, die sich in nächster Zeit nicht ändern dürfte. Die Hälfte der weltweiten Immigranten und die meisten internationalen Arbeitsmigranten kommen aus diesem größten, bevölkerungsreichsten1 und historisch einzigartigen Kontinent2. Bereits im Jahre 2000 lebten 16,8 Millionen Asiaten in OECD-Staaten – eine bemerkenswerte Zahl aus den Volkszählungsdaten, in die eine vermutlich beträchtliche Dunkelziffer noch gar nicht eingerechnet ist. Gleichzeitig ist in Europa seit mehreren Jahrzehnten eine deutliche Zunahme von bikulturellen Partnerschaften festzustellen (siehe Kapitel „Zahlen und Fakten“, S.146), und es darf erwartet werden, dass mit einer weiter zunehmenden weltweiten wirtschaftlichen Vernetzung sowie in Folge einer deutlich verbesserten wirtschaftlichen Situation, in der sich eine immer größere Gruppe auch von Asiaten befindet, dieser Anteil besonders im Bereich der asiatisch-westlichen Partnerschaften noch weiter zunehmen wird. Insgesamt scheint es heute angemessen, von bikulturellen Partnerschaften als der Beziehungsform der Zukunft zu sprechen, innerhalb der westlich-asiatische Partnerschaften einen weiter steigenden Anteil einnehmen dürften3.
Obwohl diesbezüglich noch keine genaueren Untersuchungen vorliegen, liegt die Vermutung nahe, dass für diese Zunahme weniger Migrantenströme auf der Suche nach politischem Asyl und Arbeit verantwortlich sind, als vielmehr die immer stärker vernetzte und noch mobiler werdende Weltwirtschaft, in der westliche Konzerne enorme finanzielle Mittel, aber auch Arbeitskräfte in Asien einsetzen, sowie als nicht zu unterschätzender Faktor auch kostengünstige Flüge und Reisearrangements, welche es westlichen Menschen ermöglichen, große Distanzen selbst für Kurzurlaube zurückzulegen. Auch die wachsende Schicht an einkommensstarken Asiaten wird mobiler, wie etwa die Zunahme der entsprechenden Touristenzahlen, aber auch von Immatrikulationen asiatischer StudentInnen an australischen, europäischen, und amerikanischen Universitäten zeigt. Medien wie das Internet ermöglichen es zudem Angehörigen beider Kulturkreise, direkt vom Wohnzimmer aus mit Menschen der ganzen Welt in Kontakt zu treten, und potenzielle Partner aus aller Welt (zunächst einmal virtuell) kennenzulernen. Ferner gehört die so genannte "2. und 3. Generation" (die Kinder von Immigrantenfamilien oder bereits gemischt kulturellen Partnerschaften) bereits auf ganz natürliche Weise zum sozialen Umfeld und damit zum Pool von möglichen Partnern der Einheimischen. Immigranten erreichen diesen Status dagegen nur sehr selten, bleiben größtenteils ein Leben lang "Aliens", obwohl seit einiger Zeit ein gewisser politischer Trend zu bemerken ist, der Immigranten mit einem gewissen Nachdruck zur (zumindest landeskundlichen und sprachlichen) "Integration" anspornen will.
Weitere Grunde für das Zunehmen gemischt kultureller Partnerschaften sind spezifische Angebote, welche die zunehmende Vereinsamung des postindustriellen Menschen berücksichtigen: etwa spezielle Urlaubsangebote für Singles, deren Bandbreite von Pauschalreisen für Single-Gruppen bis zu mehr oder weniger explizit beworbenen "Sex-Reisen" für Männer und Frauen reicht, mit Destinationen vor allem in die Dritte-Welt-Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas.
Hinzu kommt die weitaus größere Mobilität der Bevölkerung: von seinerzeitigen Kriegsflüchtlingen bis hin zu modernen Arbeitskräften, die von weltweit agierenden Konzernen in die entlegensten Regionen der Welt entsandt werden, überlastete Berufstätige im "Sabbatical" - die meisten jener Menschen suchen im Ausland irgendwann auch Partnerschaft und gesellschaftlichen Anschluss, es entstehen Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationalität und Kultur.
Als Folge dieser Entwicklung wirken besonders in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern Europas, der USA und der Region Australiens Beziehungen zwischen "Locals" und Angehörigen mit anderer Hautfarbe heute kaum mehr 'exotisch', sondern gehören regelrecht zum Stadtbild4. "Multi-Kulturalität", das ist heute etwas, auf das liberale Kreise stolz sind, und das mitunter regelrecht gesucht wird (etwa, wenn empfundene „Normalität“ als defizitär empfunden und im eigenen Lebenskonzept vermieden werden will). Mitunter aber wird sie auch aus ganz anderen Gründen gesucht: eine in Bezug auf Beziehungsgestaltung und Partnersuche höchst komplex gewordene westliche Gesellschaft hat auch viele Verlierer. Eine Vielzahl von Männern tut sich schwer mit der "neuen Frau", sei sie selbstbewusst, beruflich erfolgreich oder so orientierungslos wie ihre männlichen Gegenüber, viele Frauen wiederum haben Probleme, einen Lebensstil zu entwickeln, in den ein Mann dauerhaft 'hinein passt'. Zahlreiche Menschen können heute eine ganze Liste an gescheiterten Beziehungen mehr oder weniger langer Dauer vorweisen, sind zutiefst enttäuscht und unsicher, was ihre eigene Beziehungsfähigkeit betrifft. Unter diesen Umständen kann als Abschluss eines Prozesses der inneren Auseinandersetzung oder auch nach Erzählungen im sozialen Netzwerk die Teilnahme an "Single-Urlauben" als Alternative angedacht, oder über das Internet erste Schritte gesetzt werden, um den erhofften Traumpartner zu suchen - selbst, wenn dieser am anderen Ende der Welt leben sollte. Vielleicht versteckt er sich ja gerade da, wenn er offenbar nicht in der eigenen Stadt zu finden ist? Der Rest der Welt wird damit gewissermaßen zu einer letzten Hoffnung für die enttäuschten, überarbeiteten und mit Partnerschaftsidealen überfrachteten Singles der westlichen Kultur. Irgendwo muss es ihn doch geben, den idealen Partner, die ideale Freundin und Ehefrau?
Wenn bikulturelle Paare im Westen auch kaum mehr auffallen mögen - "normal" oder gar einfach sind derartige Beziehungen deshalb keineswegs. Das Eingehen einer Paarbeziehung mit einem Angehörigen einer anderen Kultur birgt ein nicht zu unterschätzendes Maß an Herausforderungen - und zwar, wie die folgende Arbeit zeigen wird, Herausforderungen, welche im Krisenfall zunächst einmal schwieriger zu „decodieren“ sind als solche mit Angehörigen des gleichen Kulturkreises. Meine Erfahrungen mit bikulturellen Paaren zeigten, dass die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Kulturen am Beginn fast immer unterschätzt wird, und die Ideen bezüglich dessen, was "Partnerschaft" überhaupt bedeutet, sich fallweise zwischen den Partnern sogar exorbitant unterscheiden. Was am Beginn einer solchen Beziehung fasziniert, weicht mit zunehmender Beziehungsdauer dann häufig mehr oder weniger starker Ernüchterung bis Verbitterung, es kommt - oft unbewusst und völlig unbeabsichtigt - zu teils erheblichen emotionalen Verletzungen, und plötzlich werden Probleme virulent, die vorher gar nicht absehbar waren. Wobei es für diese Paare i.d.R. eine ganz besondere Schwierigkeit darstellt, dass für die entstehenden Differenzen und Herausforderungen in der sozialen Umgebung noch kaum positive Lösungsmodelle existieren: beide Partner fungieren dann häufig zwangsläufig gewissermaßen als Pioniere für die Lösung bikulturell mitverursachter Beziehungskonflikte, wenn sie feststellen, dass ihnen ausschließlich westliche oder östliche Ideen über gelingende Partnerschaft nur sehr beschränkt weiterhelfen. Auch der Austausch mit Freunden und Verwandten ist für sie nur begrenzt hilfreich, da dieser eben vorrangig ausschließlich westliche oder östliche Ansätze anbieten wird. Häufig erhöhen sich durch den Austausch im vertrauten Kreis die zentrifugalen Kräfte auf das Paar sogar noch - denn jeder der beiden Partner ist dadurch ja kontinuierlich Vorschlägen und Ratschlägen ausgesetzt, die nicht selten einer gemeinsamen Lösung eher abträglich wirken. So begleiten mitunter immense Spannungen mit einer oder beiden Herkunftsfamilien die ohnehin schon schwierigen ersten Monate und Jahre.
Es verwundert angesichts all dessen nicht, dass viele der gemischt-kulturellen Partnerschaften nach anfänglicher Euphorie und großen Glücksgefühlen ein dickes Ende finden. Dennoch ist die Scheidungsrate binationaler Ehen eine signifikant geringere (39%) als die von Ehepartnern gleicher Nationalität (45%), wie einschlägige Statistiken aus Deutschland, der Schweiz und Österreich zeigen. Dies bestätigt tendenziell die weiter unten von mir aufgeworfene These, dass bikulturellen Partnerschaften offenbar ein überdurchschnittliches Potenzial zum Gelingen innewohnt – sofern jedenfalls die latenten „Fallen“ von vornherein umgangen und die unausweichlichen Konflikte von beiden Partnern gemeistert werden können.
Die veränderten Partnerschaftsformen und fremdkulturellen Einflüsse müssten dafür aber in der Medizin und Psychotherapie verstärkt Berücksichtigung finden, von einer monokulturellen Betrachtungsweise menschlicher und insbesondere beziehungsspezifischer Probleme hin zu einer multikulturellen. Peseschkian (1998) spricht bereits von einem Ende der Ära monokultureller Psychotherapien – dennoch haben bis heute kulturelle Faktoren noch wenig Eingang in Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie gefunden (vgl. DSM-IV und ICD-10). Als Vorreiter können im deutschen Sprachraum Peseschkian, von Schlippe und Schulz von Thun gelten (siehe Literaturverweise im Anhang). „Multicultural Counseling“ wird in den USA seit den 90er-Jahren neben den klassischen Hauptrichtungen Psychoanalyse, Behaviorismus und humanistische Psychologie als „vierte Kraft“ (fourth force) (vgl. Pedersen, 1991; Ponterotto, 1995) in der Psychologie propagiert. Reynolds (1995) fordert, dass „..multikulturelle Kompetenz so zentral für das Gebiet der Psychotherapie [Counseling] werden sollte, wie Empathie und andere grundlegende Kommunikationsfähigkeiten.“
Ziel dieser Arbeit ist eine Kontexterweiterung für die Arbeit mit bikulturellen Paaren, die Erhöhung der „kulturellen Sensibilität“ in der Therapie (vgl. Kleinman, 1996), im speziellen Fall dieser Arbeit die Entwicklung einer transkulturellen Kompetenz, also eines tieferen Verständnisses, ja Gefühls für Einstellungen von Asiaten bezüglich Partnerschaft und Ehe über eine Darstellung und Erklärung derer Lebenswelt und Kultur und der spezifischen Herausforderungen, die derartige Verbindungen mit sich bringen. Hier selbst größere Sicherheit zu gewinnen, ein Gefühl für die andere Kultur zu entwickeln, waren für den Autor selbst langfristige Aufenthalte in Asien im Gesamtzeitraum von bisher über 2,5 Jahren, teils ergänzt durch phasenweise dortige Tätigkeit in der Paarberatung und Therapie hilfreich. Für die Zusammenfassung der Essenz meiner dortigen Wahrnehmungen habe ich eine eher fließende Form gewählt, in der ich einzelne Aspekte kultureller Unterschiede darstelle und mit Beispielen für beraterische und therapeutische Interventionen und Fragen ergänze. Im Zuge dessen werden die häufigsten Entstehungsmöglichkeiten sowie die angesprochenen typischen "Fallen“ für bikulturelle Partnerschaften beschrieben und schließlich mögliche Lösungsansätze für die in dieser Kombination typischsten Konflikte aufgezeigt. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf westlich5-asiatische Partnerschaften, um die Hintergründe dieser Verbindungen, ohne den Rahmen zu sprengen, möglichst gut und eingehend beleuchten zu können. Bezüglich des Westens liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf Europa, da dieser Kontinent nicht nur über eine unterschiedliche Geschichte asiatischer Einwanderung verfügt (in den USA etwa finden sich deutlich mehr Einwandererfamilien bereits der 2. und 3.Generation6 und über diese hinaus, welche kulturell kaum mehr Gemeinsamkeiten mit ihrer „Urheimat“ aufweisen als irischstämmige Familien in den USA oder jene früherer portugiesischer Einwanderer in Südamerika), sondern in Zeiten des amerikanischen Neokonservativismus sich auch der kulturelle und religiöse Zugang zu Sexualität, Ehe und Partnerschaft verschiebt. In Bezug auf die Einflüsse des Feminismus habe ich dagegen aus den USA kommende Trends bewusst aufgegriffen, da die Entwicklung dieser Bewegung noch nicht abgeschlossen sein dürfte und davon auszugehen ist, dass einige dieser Trends zumindest teilweise auch in Europa nachvollzogen werden.
In den meisten Fällen sind auch rechtliche Fragen untrennbar mit der Thematik bikultureller Partnerschaften verbunden – sofern diese auch binational sind7. Binationale Partnerschaften haben sich sowohl in Europa, aber auch in Asien, schwierigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu stellen, die mit jenen „traditioneller“ Ehen nicht verglichen werden können. Obwohl der quantitative Anteil nationaler Eheschließungen seit Jahrzehnten sukzessive abnimmt8, bleibt rechtliche Unsicherheit mehrere Monate bis zu jahrelang ständiger Begleiter der binationalen – hinsichtlich Fragen rund um Visa-Genehmigungen, Aufenthaltsbewilligungen, der rechtlichen Aufteilung von Besitz und Vermögen und einigen mehr. In dieser Arbeit kann aufgrund der Komplexität der Materie und der Unterschiedlichkeit der Rechtssituation in den einzelnen Ländern jedoch nur auf die wichtigsten Rechtsfragen eingegangen werden. Das Hauptaugenmerk wird vielmehr auf die sozialen und interkulturellen Fragen gerichtet sein, die bikulturelle Paarbeziehungen prägen und während ihrer Beziehung begleiten. Und sie stellen die Basis für zielgerichtete Beratung oder Therapie, in welchem rechtlichen Status ein Paar auch stehen mag, dar.
(..)
x: (Auszug enthält keine Fußnoten und Quellenhinweise)
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