Gesundes Essverhalten lernen

Bulimie, Anorexie, Adipositas, EDNOS (mehr zur Unterscheidung finden Sie in meinen themenbezogenen Artikeln im Archiv, darüber hinaus finden Sie auf der Website auch Selbsttests zum Thema)
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Leyndin
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Gesundes Essverhalten lernen

Beitrag Mo., 06.03.2023, 09:35

Ich habe Angst wieder eine Esstörung zu entwickeln/oder schon tief da drin zu stecken.

Vorgeschichte:
Als Jugendliche hatte ich Binge Eating Disorder mit Fressanfällen und vor allem heimlichem Essen, da Essen im familiären Kontext sehr restriktiv gehandhabt wurde, mit sehr vielen zT absurden Regeln.
Auch mein Körperbild entwickelte sich nicht entspannt, mir wurde früh gesagt, ich sei zu dick. Wenn ich heute, mit meinem heutigen Wissen Bilder ansehe, dann war ich das keineswegs, eher kräftig gebaut ja, aber ich war nicht adipös.
Die Adipositas kam dann schleichend. Wirklich schlimm wurde es, als ich in den Kreislauf von Diäten und Jojo Effekt geriet. Ernährung grundsätzlich umstellen ging bis zu einem gewissen Mass, dann war was ich esse, definitiv nicht mehr das Problem, sondern mehr das wieviel. Mir fehlte ein Sättigungsgefühl, ein Gefühl für Portionsgrössen und auch ein Hungergefühl.
Ich bin autistisch, schlechte Körperwahrnehmung gehört da oft dazu. Dazu gehört auch, dass ich durchaus Grundsätze habe, was ich essen kann. Die gefallen meiner Ernährungsberatung zwar grundsätzlich, aber später mehr. Ich bin sensorisch sehr empfindlich - mein Nervensystem reagiert stark auf die Eigenschaften von Essen, als Kind wurde mir jedoch mit Gewalt aberzogen, etwas nicht zu essen. Gegessen wurde was auf den Tisch kommt und zwar vollständig. Notfalls an den Geschmacksnerven vorbeigewürgt.
Davon konnte ich mich weitgehend mit der Zeit lösen nachdem ich auszog, auch von weiteren negativen Glaubenssätzen, aber das Adipositasproblem bestand. Und wurde beim Versuch der Bekämpfung schlimmer. Also suchte ich mir Hilfe.
Ich bekam sie in einem Adipositaszentrum, heute lebe ich mit Magenbypass. Vorgängig wurde auch ernährungspsychologisch hingeschaut, leidernwar mein Draht zur Therapeutin dort nicht all zu gut, aber ich war sehr ehrlich. Ich war damals in einer stabilen Phase was meine Traumageschichte angeht, primär der Leidensdruck wegen des Gewichts war sehr hoch. Ich habe mich immer gerne bewegt, mein Sport, mein Spezialinteresse, mein Leben ist aber der Reitsport, der hat Gewichtsgrenzen. Den nicht mehr ausüben zu können war die Hölle - psychisch und physisch.
Ich ging fit und sehr gut informiert in den OP.
Begleitend fing ich eine Therapie (bei einer Therapeutin, die mir zusagte) an, um meine psychische Stabilität zu erhalten, angesichts der herausfordernden Zeit.
Op verlief gut, die Angst zuzunehmen war wie weggeblasen. Ich vertrage nahezu alles was ich mag, die Ernährungsregeln gaben mir Halt, ich habe mich bezüglich Essen noch nie so frei gefühlt wie letzten Sommer.
Dann passierten unvorhergesehene Dinge, die mich psychisch destabilisierten und retraumatisierten. Es gab Tage, da konnte ich kaum essen, weil gar nichts hineinpasste, alles wieder hochkam.
Mein Gewicht raste nach unten. Die Ernährungsberatung und die nachsorgenden Mediziner klatschten noch Beifall ob des grossen Erfolgs. Aber 6 Monate p OP hatte ich mein gesamtes Übergewicht abgenommen und einen normalen BMI erreicht. An sich geht es mir körperlich prächtig - nur psychisch ganz und gar nicht.
Jetzt muss ich Gewicht halten. Bloss stehen dem zwei Jahrzehnte von 'eigentlich müsstest du abnehmen' gegenüber.
Ich kann nicht endlos essen, d.h. nach 100-200g ist Schluss. Eigentlich soll ich zwecks Gefühlsschulung beim kleinsten Magendrücken aufhören zu essen. Und eigentlich soll ich dann nicht warten, bis wieder etwas reinpasst, sondern die Mahlzeit beenden. Eigentlich soll ich ohne jede Ablenkung essen, darauf spüren wann es genug ist.
Aber wenn ich das penibel befolge, esse ich kaum was. Obwohl es mir schmeckt. Also registriere ich, wie ich beginne schon etwas in mich hineinzuzwingen, am Gefühl vorbei. Kalorien zu zählen aus der Angst, zu wenig schadet mir.
Gleichzeitig merke ich an sehr destruktiven Tagen, dass mit das schaden dann egal ist. Ich bin nicht nett zu mir selbst.

Wo fängt Esstörung an? Und wie ist die Definition von gesundem Essverhalten?

Ich gehe alle 3 Monate zur Ernährungsberatung, aber bis jetzt war die da nicht so hilfreich. Hat mir im Herbst nicht zugehört, als ich mir Sorgen machte, dass das Gewicht so sehr schnell runter geht. Da war das ja an sich noch erwünscht. Ich weiss sehr viel über gesunde Ernährung. Doch das hilft mir nicht weiter, sondern stürzt mich eher in zwanghaftes Verhalten. Aber keinen Gedanken ans Essen zu verschwenden liesse mich verhungern.

Wie kann ich die Balance finden? Wenn ich Suchmaschinen mit den Suchbegriffen "gesundes Essverhalten" o.ä. füttere kommen im wesentlichen Informationen über gesunde Ernährung. Abnehmen, Ernährungspyramide usw. Das brauche ich nicht. Ich muss halten, nicht weiter abrutschen. Und das möglichst ohne gänzlich ein Gefühl dafür zu verlieren was ich essen mag und was nicht.

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caduta
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Beitrag Mo., 06.03.2023, 12:35

Hallo Leyndin,
Mein erster Gedanke bei deinem Post war, ob du es vielleicht mit einem Punktesystem (z.B. Weight Watcher) probieren möchtest? Da gibt es ja verschiedene auch kostenfreie Modelle im Internet. Klar sind die in erster Linie zum abnehmen gedacht, aber man könnte sie auch gut dazu nutzen herauszufinden, wie man sein Gewicht langfristig halten kann? Also mit Hilfe der Punkte experimentieren ohne gleich extrem in die eine oder andere Richtung zu rutschen.
caduta

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Louna
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Beitrag Mo., 06.03.2023, 13:05

Hallo Leyndin,

wäre es eine Möglichkeit die Ernährungsberatung zu wechseln? Wenn sie Dir nur mittelmäßig oder gar nicht hilft (was ich so heraus lese), bringt es doch eigentlich keine Punkte da immer wieder hin zu gehen?!

Essgestörte wissen normalerweise genau was gesund oder ungesund ist, was sie essen können und was nicht oder was es nicht gibt. Das ist nur meine Erfahrung, nicht allgemein gültig.

Wenn Du jetzt in das ganze andere Extrem abzurutschen drohst, wird es höchste Eisenbahn, dagegen vorzugehen. Was sagt denn Deine Therapeutin dazu? Besprichst Du mit ihr dieses Essverhalten?

Beim Lesen denke ich, dass Du großen Leidensdruck hast und Du nicht ernst genommen wirst.
Natürlich ist es von Vorteil wenn es von stark übergewichtig zu Normalgewicht kommt, aber nicht um jeden Preis. Und die Gesundheit und Deine Psyche leiden ja darunter.

Ich selbst bin auch essgestört, kenne also das Prozedere, wenn auch in anderer Weise.
Ich wünsche Dir sehr dass Du "gehört" wirst und Du ernst genommen wirst.

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Leyndin
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Beitrag Di., 07.03.2023, 08:03

Vielen Dank für eure Antworten.

Ich werde mal versuchen, mich nach so einem Punktesystem umzusehen. Mein Eindruck ist bei meinem jetzigen Stand der Recherchen aber, dass sich die Punkte auf normale Portionsgrössen beziehen. Die gelten aber für mich als Operierte Person nicht, muss schauen, wie ich das umrechnen kann. Vorallem ohne wiegen zu müssen, denn je stärker ich zahlenfixiert bin, umso schlechter geht es mir damit - weil ich dann die Zahlen erfüllen 'muss'.

Ja und nein. Ich muss tatsächlich als Teil der OP Nachsorge zur EB, das ist Pflicht und von der KK so vorgeschrieben. Mein Problem ist etwas, dass der EB kein Verständnis für meine (ich vermute das gehört zum Autismus) sensorischen und prinzipiellen Einschränkungen beim Essen hat. Er findet es z.B. unverständlich, dass ich keine mit Maltit gesüssten Produkte essen kann (ist in den meisten HighProtein/LowCarb Produkten enthalten) und eher Dumping riskiere indem ich zuckerhaltiges Esse. Ich schmecke das auch in sehr kleinen Mengen raus und dann würgt es mich und ich kann gar nichts mehr essen. Mich selbst zu zwingen führt zu starker Abwehr bis in Flashback und Dissoziation, denn ich wurde früher mit Gewalt gezwungen alles zu essen. Notfalls schnell schnell an den Geschmacksnerven vorbei, das geht aber nicht mehr, ich muss jetzt sehr gut kauen, sonst gibt es Bauchschmerzen.
Dass ich auf die Zuverlässigkeit von Nahrungsmitteln angewiesen bin. Dass ich keinen fettreduzierten Import-Industriescheibenkäse kaufen kann sondern nur Käse aus der Umgebung esse, der ist nunmal selten Viertelfett. (Fett ist nicht ein Problem wegen der Kalorien sondern wegen der Gefahr der Steatorrhoe)

Vielleicht kann ich aber nach dem nächsten Termin zu einer anderen Person dort wechseln. Zu einer Beratung am Adipositaszentrum muss ich, da führt kein Weg dran vorbei. Vielleicht hilft mir das Schreiben in diesem Thread auch, sortierter und gefasster in die nächste Beratung zu gehen umd konkretere Fragen zu stellen statt nur diffus das Gefühl zu haben ich laufe aus dem Ruder.

Ja, meiner Therapeutin erzähle ich davon, aber mehr am Rande, weil oft andere Dinge noch akuter sind. Sie sagt eben, sie kenne sich mit dem Bypass nicht aus. An den destruktiven Momenten arbeiten wir. Und auch, dass ich tolerable Produkte gefunden habe, die eine minimale (Protein, das ist am wichtigsten um die Muskulatur zu schützen) Versorgung auch an schwierigen Tagen garantieren.

Mich stört dann aber wieder die Abhängigkeit davon, es ist schier ein Weltuntergang, wenn die benötigten Produkte nicht im Laden verfügbar sind.

Trotz allem bereue ich den Bypass ganz und gar nicht. Ich bin froh, diese Last nicht mehr mitzutragen und mich sooo viel besser bewegen zu können. Ich kann seitdem wieder so viel Freude an meinem Sport erleben, das gibt mir unheimlich viel.

Danke.

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Louna
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Beitrag Di., 07.03.2023, 11:54

Schau wirklich mal ob Du eine andere Ernährungsberatung bekommst, denn das macht ja was mit Dir, wenn Du Dich nicht verstanden fühlst. Auch wenn es bei Dir anders ist, als bei den Personen die nicht zahlenfixiert sind, muss es doch möglich sein, dass Du kompetente Unterstützung bekommst.

Auch wenn Du sagst, dass in der Therapie akutere Probleme wichtiger erscheinen, mag ich Dir nahe legen, das dort doch noch einmal anzusprechen oder aufzuschreiben. Ich empfinde es schon als sehr akut, denn Essen braucht man zum Leben und das Essen oder Nicht Essen sind enorm wichtig, damit Du weiter lebst und auch Kraft für den Alltag hast. Sicher weißt Du das selbst, aber es ist schon enorm wichtig sich das auch vor Augen zu halten.

Wenn Du bei bestimmten Zusatzstoffen Würgereiz bekommst, dann ist das total verständlich dass Du das nicht möchtest. Ich mag Dir gern da lassen, dass ich mich total in Dich rein versetzen kann und es verstehe dass es eben überhaupt nicht geht und auch durch einen Zwang es trotzdem zu Essen, würdest Du vieles kaputt machen....bitte tue das nicht.

Gibt es eventuell Ersatzprodukte wenn Deine Lebensmittel nicht beim Einkauf da sind? Sowas wie Trinknahrung? Das Du übergangsweise, und ich meine wirklich nur übergangsweise, versorgt bist mit den wichtigsten Nährstoffen?

Ja OK, auch wenn sich Deine Therapeutin nicht mit diesem Thema auskennt, so würde ich, also ICH würde trotzdem erwarten dass sie mich ernst nimmt und meinen Leidensdruck (den Du absolut hast) wahr nimmt und versucht Lösungen zu finden.

Zusammen lernen hat auch etwas Gutes. Ich habe das selbst so erlebt und wünsche Dir das auch.
Schön wenn Du Deinen Sport wieder mit Freude ausführen kannst.

Herzlich liebe Grüße an Dich!

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