Amoklauf von Jugendlichen

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Alles_Klaro
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 01:32

Ok, @Eleven
jetzt kann ich deine Absicht hier etwas besser nachvollziehen - obwohl eben angesichts der aktuellen Geschehnisse doch Vorsicht geboten sein sollte: fühlen doch momentan viele mit den Leidtragenden, was doch wohl zutiefst menschlich ist, oder?

Ich bitte zu bedenken, daß dies ein öffentlich zugängliches Forum ist, dh. per Suchmaschine auch einzelne Wortgrupen zu diesem Thread führen können. Sollte zufällig ein Betoffener des Massakers dann hier lesen, daß hier jemand "kein Mitleid mit den Opfern" habe ... ich weiß nicht bzw. vermute, dies könnte mißverstanden werden, das Forum und dessen User in ungünstiges Licht rücken.
So wäre es gut, wenn Eleven dies in den richtigen zeitlichen Kontext setzt usw.

Und so möchte ich meine Bedenken auch verstanden wissen - das heißt nicht, daß meinerseits nicht "zugehört" würde, liebe Frau Rilke, ok?

Nenne es Pietät oder Rücksicht vor dem unsäglichen Leid, was die Menschen nun durchleiden müssen, deren Angehörige eiskalt erschossen wurden - das ist leider die traurige 'Tatsache'.
Es werden doch die meisten nicht in der Lage sein, sich in die Innenwelt odre gar Abgründe des Täters begeben zu wollen oder gar zu können.

Ist das verstehbar?

Ich versuche, mich nicht in Spekulationen zu ergehen, sondern halte das ähnlich wie Hawi: tiefergehend Fragen zu stellen und weiträumiger zu beleuchten.

Denn ich vertrete - in bewußt rationaler Näherung - eher die Meinung, daß dieses schreckliche Ereignis auch ein Symptom unserer gesellschaftlichen Zustände darstellt: mit brachialer Gewalt uns auf uns selbst zurückwirft (würden wir uns alle dem ehrlich stellen?).

Außerdem bitte ich zu bedenken, daß zum jetzigen Zeitpunkt nicht erwiesen ist, daß Tim K. gemobbt worden ist - woher beziehen wir denn unsere Informationen dazu?

Ohje,
das ist ein weites Feld, liebe Nachdenker.
Zuletzt geändert von Alles_Klaro am Sa., 14.03.2009, 02:19, insgesamt 1-mal geändert.

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Hamna
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 01:57

Trotzdem kann ich keinen Menschen soo hassen, das ich über ihn drüber steige, wenn der vor mir verletzt liegt. Und schon garnicht jemanden töten!
Ich hab in meinem Leben durchaus solche Gedanken schon gehabt! Besonders einen gibt es, da würd ich gerne mal drüber steigen im o. g. Sinne

Warum ich es nicht mache? Weil meine Tochter nicht als Tochter einer inhaftierten Mörderin aufwachsen soll. Und das ist schon der einzige Grund. Würde mir jetzt jemand garantieren, dass ich unerkannt davon komme, würde ich mich sofort auf den Weg machen! Aber das sind eben sehr personenbezogene Gedanken. Ich würde nicht jemand unbeteiligten abknallen, der mir auf dem Weg dahin zufällig vor die Mündung läuft.

Der Grundgedanke dabei ist eigentlich: warum soll ich ein Gutmensch sein mit Respekt vor der Existenz anderer, wenn der das auch nicht ist? Mir persönlichen Schaden zugefügt hat, weil ich am kürzeren Hebel saß, das schwächste Glied war in einer Kette von Leuten, die er hätte abzocken können. Und das nur, um sich materiell an einer alleinerziehenden Mutter mit damals minimalem Einkommen zu bereichern, um seinen Scheiß-Haufen Geld noch größer werden zu lassen. Ein paar Tausend DM damals, für ihn ein winziger Bruchteil seines Vermögens, für mich das finanzielle und gesellschaftliche Aus, und nicht mal gerechtfertigt, und trotzdem hat er vor Gericht gewonnen, weil der Richter mit ihm per Du war und mein Anwalt den Mund nicht aufbekommen hat vor den beiden alten Herren. Sogar aufs Tiefste demütigen und beleidigen durfte er mich vor Gericht, der Richter fand's noch amüsant. Ach, wo ich gerade dabei bin... der Richter, der Anwalt...

Ich weiß, dass ich mich um Kopf und Kragen schreibe gerade, ihr könnt den Beitrag auch gerne melden, aber Tatsache ist, ich werde mich heute genauso wenig wehren wie damals - aus dem o. g. Grund. Aber was Hass ist und Ungerechtigkeit - das weiß ich auch!

So, fertig

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Hamna
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 02:03

Und so möchte ich meine Bedenken auch vertanden wissen - das heißt nicht, daß meinerseits nicht "zugehört" würde, liebe Frau Rilke, ok?
Alles klaro

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Alles_Klaro
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 02:12

Noch eine Ergänzung,
so wie Röschen es schrieb: da ist die Hemmschwelle, da unterscheidet es sich.
Dornröschen Dorn hat geschrieben:
... Trotzdem kann ich keinen Menschen soo hassen, das ich über ihn drüber steige, wenn der vor mir verletzt liegt. Und schon garnicht jemanden töten!
Und zu der Frage, ob bzw. warum solche Amokläufe von Jugendlichen vorwiegend hat neben dem Argument der "Überschaubarkeit" usw., was Tdp vorhin schrieb, auch den Aspekt, daß Schule als erstes festes soziales System (neben der Familie) in der Pubertätsphase oder auch -krise einen wichtigen/prägenden Bezugsrahmen darstellen. Hier gibt es auch entscheidene soziale Beziehungen, die für Jugendliche in dem Alter für ihre Entwicklung von großer Bedeutung sind.
Wenn es hier zu Störungen oder massiven Kränkungen kommt, die z.B. nicht adäquat verarbeitet werden können, dann wird in diesen Rahmen zurückgekehrt, um dieses übermächtige System zur 'Bühne' für die gewalttätige Lösung zu machen, es zu bekämpfen, zu bestrafen ...

Das ist anhand der vorangegangenen Amokläufe von Fachleuten analysiert worden - gibt auch einen guten Artikel dazu. Die Quelle mal suchen muß.

Ich muß gompert an der Stelle widersprechen, daß es mit Rache an Lehrern nichts zu tun habe.
Mal davon abgesehen, daß bei solchen Taten mehrere Faktoren schließlich zur Explosion der Gewalt führen - der Täter in Erfurt (vor 7 Jahren) hat sich sehr wohl an ehemaligen Lehrern gerächt und sie gezielt erschossen.

So,
nun kann ich gleich auch nicht schlafen ...

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Una
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 02:25

Der junge Mann brach wohl eine Therapie wegen Deppressionen ab.
Woher kamen die Deppressionen?
Vom Mobbing? Wieso ging er zum Amoklaufen in die alte Schule?
Dafür gibt es einen Grund.

Sein Vater sammelte Waffen.

Auch ein Bild für die Sicht von der Welt, die dem Jungen gezeigt wurde.

Dann brach er die Thera ab und entschied sich zu den Mitteln zu greifen, die greifbar nahe lagen.
Die stille Persönlichkeit war wohl eine schwer verletzte Seele in Wahrheit.
Ich habe Mitgefühl für den Täter und für die Opfer.
Wieviel Leid muß er wohl erlebt haben um sich letztlich für den Selbstmord und den davor stehenden Amoklauf entschieden zu haben?

Da ich auch gemobbt worden bin, aber dafür kein Worte hatte in meiner Schulzeit, weiß ich wie groß der Schaden und die Frustration durch
Mobbing ist. Warum mobben Kinder so gnadenlos?

Auch mir wurde nicht geglaubt und "petzen gibt's nicht" an den Kopf gepackt, obwohl 20 Kinder hinter mir her waren.
Aufgehetzt durch eine einzelne Schülerin.
Kinder mit denen ich befreundet war, sprachen plötzlich nicht mehr mit mir.
Was laufen da für Mechanismen ab?
Spaß am Quälen oder was ist das?
Meine Eltern ignorierten das Problem, mein Vater gab mir sogar ein Gefühl, als ob er die Kinder verstehen könne.
Später hieß es, man habe halt nicht gedacht, dass es so schlimm sei...
Ich hatte ja nur vier Jahre abends und morgens Angst in die Schule zu gehen und keinerlei Unterstützung von den Eltern oder Lehrern.
Ich habe heute noch manchmal Rachephantasien.
Es hat mein Leben geprägt.
Ich kann bis heute kaum jemand um Hilfe bitten, meide Gruppen wegen der Angst vor ihrer Dynamik und weil ich da Platzangst bekomme.
Ich neige bis heute zur Selbstisolation unter der ich gleichzeitig leide.
Das tiefe Gefühl nicht gewollt zu sein sitzt drin.

Warum dann nicht die Macht einmal in den Händen halten, zeigen wer einem weh getan hat und Vergeltung üben, bevor man sich selbst auslöscht, weil vor einem nur Jahre der Dunkelheit liegen?
Vor allem wenn man 17 Jahre alt ist und ein junger Mann, der an die Waffe von seinem Vater kam- der imho mit die meiste Schuld trägt, da er seine Waffen nicht ordungsgemäß verschlossen hat und ungeheuer viel Munition in eine frei zugängliche Schrank aufbewahrte. Vor allem aber, weil ihn sein Sohn nicht genug interessiert hat um seine tiefe Verzweiflung zu begreifen.

Natürlich hat niemand das Recht andere umzubringen und die Opfer haben es nicht verdient, so jung zu sterben oder traumatisiert zu werden.
Aber da zeigt sich das Problem: Erst wenn noch mehr Leid entstanden ist, bewegt sich was in den Köpfen, für viele Änderungen reicht es aber trotzdem noch nicht.... wie Erfurt gezeigt hat.
Neue Gesetze ja, aber Schulungen für Lehrer im Umgang mit Mobbing an Schulen? Eine andere Priorität in der Erziehung?
Statt im Kindergarten schon Englisch zu lernen, das soziale Vermögen von Kindern zu mehren... nein wir sind eine Leistungsgesellschaft, da muß man halt mit Colateralschäden rechnen.
In Erfurt gibt es jetzt zwei Schulpsychologen für 26 000 Schüler mit einem halben Jahr Wartezeit. Wirklich nicht sehr hilfreich!
Leben heißt, langsam geboren zu werden. Es wäre auch zu bequem, wenn man sich fertige Seelen besorgen könnte.“

Antoine de Saint-Exupéry (1900-44).

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gompert
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 14:19

Una hat geschrieben: Warum mobben Kinder so gnadenlos?
Meine jüngere Tochter, sieben Jahre alt damals, wurde in der Schule jede Pause von einem älteren Jungen quasi-liebkosend umarmt, in Wirklichkeit aber geschubst und gekniffen. Seine Freunde halfen ihn dabei. Die Klassenlehrer verharmlosten es als zarte Verliebtheit, sein Vater sagte er weigere sich seinem Kind seine Gefühle zu verbieten. Ich sah ihn jeden Tag seine zwei Söhne zur Schule bringen, der ältere freudig vorne auf dem Fahhrrad, der jüngere hinten. Ich schäumte vor Wut.

Dann habe ich mal spioniert. Als der Junge sie wieder anfasste, rannte ich auf ihn zu und flüsterte: Wenn du sie noch einmal belästigst, dann lass ich dich abholen, dann kommst du nie wieder. Hast du mich gehört? Er nickte. Und verstanden? Er nickte wieder.

Als der Vater wütend anrief, antwortete ich ruhig er solle seinem Sohn mal Wahrheitsliebe beibringen. Nix dergleichen sei geschehen.

Es funktionierte. Zwar nahm der Junge sich nun ein anderes Mädchen vor, aber meine Tochter ging wieder gerne zur Schule.

Wie gesagt: stolz bin ich nicht. Ich würde es aber sofort wieder machen. Klar, die Schule hätte das Problem zuvorkommen sollen. Aber wenn die Sicherheit in der Schule nun mal mangelhaft ist? Wie wohl überall? Dann muss man sich was ausdenken. Endverantwortlich für das Wohl des Kindes sind die Eltern. Warum mobben Kinder so gnadenlos? Sie tun es und man muss es verhindern. Genauso gnadenlos.

Aus dem freundlichen Holland,
euer sympathischer
Gompert
Staunend liest's der anbetroffne Chef......

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Una
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 17:31

Hallo Gompert,

ich find es klasse, das Du Dich hinter Dein Kind gestellt hast.
Ich würde es genau so machen, ich greife auch ein wenn ich Mobbing unter Kindern erlebe.
Ich würde sagen in dem Fall heiligt der Erfolg das Mittel, was willst Du tun, wenn der Vater eines solchen Kindes solche Antworten gibt und den Sohn dadurch unterstützt in seinem miesen Verhalten?
Du kommst solchen Menschen mit politischer Korrektheit nicht bei,
da es nicht ihr Ziel und Interesse ist, sich anständig zu verhalten.

Ich hatte damals leider das Pech, dass mein Vater sich auch nicht einmischen wollte. Er zwang mich einmal (selbst ein Pädagoge!) die Mutter der Mobberin anzurufen und dieser zu sagen sie solle ihrer Tochter sagen....
das war eine einzige Qual und es wurde natürlich überhaupt nicht ernst genommen, im Gegenteil, die Mobberin holte danach erst recht aus.
Klar, wenn sie sich sicher sein kann, das sie die Stärkere ist, sprich auch Eltern hat, die ihr immer recht geben und ihrem Opfer glaubt keiner.
Leben heißt, langsam geboren zu werden. Es wäre auch zu bequem, wenn man sich fertige Seelen besorgen könnte.“

Antoine de Saint-Exupéry (1900-44).

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Torsade_de_pointes
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 18:27

ich habe das selbst erlebt, aufgewachsen in einem kuhdorf am land, pädagogisch wertvoll war da gar nix - wie kinder von kindern gemobbt wurden. auch ich habe eine kammeradin heftig mit anderen ausgespottet - wegen ihrem übergewicht, wegen ihrem körpergeruch und ihrer ärmlichen herkunft von einem bergbauernhof.

ich kann euch nur sagen, ich schäme mich auch heute noch zutiefst dafür, es tut mir sogar richtig weh, weil ich mir sicher bin, sie hatte nicht nur damals ihr leid, sondern vermutlich auch heute noch damit irgendwie zu tun. mir wäre es aus heutiger sicht sehr recht gewesen, wenn die lehrerin oder irgendjemand da eingegriffen hätte, und zwar mal ordentlich. tat leider niemand.
mit einem täglichen "hörts doch endlich auf" hat die lehrerin genau gar nix erreicht. einfach schlimm. mir tut das wahnsinnig leid. meine mutter hat auch gesagt ich soll das nicht tun, das gehört sich nicht.

aber eines ist mir klar, das alles hat nichts genützt. es ist nicht angekommen - weder bei mir, noch bei den anderen mobbern. das waren für uns als kinder nichts als phloskeln.

ich sehe meine eltern und auch die lehrer als mittäter - denn sie wußten es was da lief - und sie wußten daß es immer so weiterging.
so eine richtige auseinandersetzung gab es nicht, das thema wurde für uns alle nicht spürbar, nicht klar. der einzige mensch der die gesamte last hat tragen müssen, war dieses gemobbte kind.

und ich glaube, daß auch heute noch die augen verschlossen werden - und zwar aus anstrengungsvermeidung heraus! hier liegt der hauptpunkt, warum es keine aktive und sinnvolle auseinandersetzung gibt. ist zu mühsam, hauptsache a ruh is.
und umso besser, wenn einer ruhig und angepaßt ist. bitte solche kinder sind doch das beste was den gruppenleitern passieren kann!!
die werden immer übersehen, in allen belangen...

@gompert, ich finds richtig was du gemacht hast. er wird deshalb keinen schaden davon tragen, bestimmt aber hat er - auch wenn er es nicht einhält - erfahren dürfen, daß dies nicht richtig ist. daß er dennoch nun andere mädls mobbt ist schlimm. aber noch schlimmer ist, so wie in meinem fall, daß es mir oder uns allen niemals verdeutlicht wurde, was das mobben für ein anderes kind bedeutet.

@una

das schlimmste dran ist ja auch noch, wenn die eltern die dinge verharmlosen und nicht wahr oder ernst nehmen. ich sags ja - anstrengungsvermeidung. darin liegt dann die doppelte kränkung. denn wo ist man denn dann überhaupt noch geschützt?
ist mir auch bekannt - wenn auch aus innerfamiliärer sicht. u know.
und diese prägungen wie du ja selbst schreibst, kriegt man sehr schwer wieder weg. in dieser zeit wo man noch so biegsam ist, passiert alles das, was man später ist oder zu sein glaubt. bis man selbst beginnt zu reativieren und korrigieren - aber ist halt mit viel anstrengung und schmerz verbunden.

wenn ein jugendlicher = kind in meinen augen - sich so derart in die enge getrieben fühlt, daß er keinen anderen weg mehr sieht als einen amoklauf zu tätigen - kann man auch ohne genaueres wissen sagen, daß das umliegende system weggeschaut hat. und zwar familie, lehrer, verwandte etc....
ich sehe so etwas als kollektives verbrechen, ausgeführt von einem verlängerten arm - dem symptomträger einer asozialen gesellschaft - und zwar so global, daß jeder ein mittäter ist - gewissermaßen.

soviel zu meiner meinung.

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Saul
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 19:26

Torsade_de_pointes hat geschrieben:auch ich habe eine kammeradin heftig mit anderen ausgespottet - wegen ihrem übergewicht, wegen ihrem körpergeruch und ihrer ärmlichen herkunft von einem bergbauernhof.
Ja, ja - Kinder und Jugendliche können grausam sein. Aber ich bin sicher, daß es "Mobbing" schon gibt, seitdem es Menschen gibt.

Auch ich habe gemobbt und wurde gemobbt. Ich habe es damals selbst erfahren und konnte den Frust gleich wieder an anderen ablassen. Das waren teilweise sehr unschöne Worte und Taten, die ich mir da - zusammen mit anderen - erlaubt hatte.

Irgendwann, aber erst Jahre später, wurde mir klar, wie verletzend ich war. Und ich entwickelte so ein schlechtes Gewissen, daß ich diese drei früheren Schulkameraden angerufen habe (ein Junge, zwei Mädchen; und es war nicht leicht sie zu finden, weil sie weggezogen waren). Wir trafen uns - und an diesen Abenden konnte ich Vieles wieder gutmachen. Ich habe mich entschuldigt und sie haben mir verziehen.

Tdp: Liegt dir dieser Schritt zu fern?

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Torsade_de_pointes
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 21:44

Tdp: Liegt dir dieser Schritt zu fern?
das ist bereits vor vielen jahren geschehen, als ich sie einmal im krankenhaus getroffen habe. sie hat gemeint, naja, war ja nicht so schlimm. es war überhaupt eine eigenartige begegnung mit ihr dort. sie ist voller freude auf mich zugekommen. gut ok, sie war frische mami, wohl auch deshalb. jedoch war sie so erfreut mich zu sehen, ganz komisch. hat sie wohl schon eher gewußt als ich, welch ein trottel ich damals war, oder wie unerzogen und unreflektiert....
jedenfalls hab ich mich sehr für sie gefreut und sie war auch total happy. so hab ich sie jetzt in erinnerung, denn wir sahen uns nie wieder. ich weiß nicht wo sie lebt, wie sie jetzt heißt usw....

aber es ändert alles nichts an den fakten, daß es damals jahrelang so geschehen ist. und mit meinem heutigen bewußtsein würde auch mein um verzeihung bitten ganz anders aussehen............

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Aditi
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 22:13

MinaM hat geschrieben: Dass mitreißen anderer Menschen in den Tod nennt man erweiterten Selbstmord.
um verwirrung zu verhindern: erweiterter selbstmord nennt man, wenn jemand ihm nahestehende personen mit in den tod nimmt, weil er den menschen, die er liebt, diese für ihn grausame welt ersparen möchte (eigene kinder, partner)
das, was hier geschah, nennt man amok. der täter tötet menschen, die er nicht kennt, die ihm nicht nahe stehen, zu denen er keine persönliche beziehung hat.
zwei voneinander völlig verschiedene motivationen, wie ich meine.

mlg
aditi

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Pitt
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 22:48

Auch mal ein wenig problematische Gedanken von mir.
Zum Thema "Rache".
Ich denke, jeder Mensch hat den legitimen Wunsch auf "Rache".
Aber kein Mensch hat das Recht "illegal" zu handeln.
Die körperliche Unversehrtheit ist das höchste Gut, die Unversehrheit des Eigentums das zweithöchste.
Wer illegal handelt, setzt sich automatisch ins Unrecht.
Bei jedem empfundenen Unrecht bleibt einem nur der Rechtsweg.
Die Möglichkeiten eines "Mobbingopfers" sind insofern "limitiert".
Hochproblematisch wird die Angelegenheit, wenn ein "Traumatisierter" seinen Tod oder seine gesetzliche Strafe billigend in Kauf nimmt.
Ich denke da jetzt nicht nur an "Amokläufer", sondern auch an "Selbstmordattentäter".
Ich denke, dass die "niedrigschwelligen Anlaufstellen" für "gehänselte" Schüler ausgebaut werden sollten.
Vielleicht ist dieser ganze "Psychokram" hier auch nur ein Schrei nach "Wertschätzung", nicht mehr und nicht weniger.
Abendliche Gedanken
Pitt

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Rezna
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Beitrag So., 15.03.2009, 00:26

Also ich bin auch gemobbt worden und weiß, wie endgültig alleine man sich fühlen kann in seiner Verzweiflung. Es ist der pure Hohn, so jemandem zu sagen er solle sich Hilfe holen. Jeder Versuch, jeder dieser naiven Ratschläge verschlimmerte die Situation.
Noch schlimmer, wenn die Eltern auch zu den Mobbern gehören, sich aber zugleich als Beschützer geben. Das Gefühl des Ausgeliefert seins, der Hoffnungslosigkeit, dies Wissen, dass es einfach keinen Ausweg gibt, jeder Schritt nur noch größere (soziale) Probleme hervorruft. "Gespräche"... das war reine Heuchelei. "Du kannst uns alles sagen" nur eine Gewissensberuhigung für die Menschen die sich Zuständig fühlten irgendwie. Sie wollten eine Bestätigung dass alles Ok ist, mehr nicht. Wenn ich das Problem nannte, waren sie überfordert, fühlten sich unangenehm berührt und spielten letztlich alles herunter. Oder aber es gab Gespräche mit den "Mobbern" die nur eines auslösten: wenn ich dann mit den Mobbern alleine war, ging es erst richtig los. Damit wird gelernt: Hilfe suchen verschlimmert es. Es gibt keinen Ausweg...

Somit war mein Ausweg ein jahrelang geplanter Suizid. Es war der einzige Ausweg den ich sah. Das war erlernt. Durchaus auch durch Pseudobetroffenheit und geheuchelte Hilfe. Helfer wollten sich allenfalls Profilieren - sie hatten dann das Gefühl etwas bewirkt zu haben, ich musste es ausbaden weil alles schlimmer wurde.

Zynisch, so jemandem dann vorzuwerfen, er könne ja andere Lösungsstrategien in Anspruch nehmen. Zynisch, diesem Menschen auch noch vorzuwerfen, dass er keine Perspektive sah. Ich habe Kistenweise Abschiedsbriefe verfasst - ich wollte, dass man nach meinem Tod genau versteht warum ich das tat. Wie verletzt ich war. Wer ich war. Ich hatte das Bedürfnis, durch meinen Tod zu zeigen, was passiert wenn man Menschen systematisch ruiniert, als hätte man ein System ausgetüftelt, das das Ziel der totalen Vernichtung optimal und effizient umsetzt. Ein System, das eines deutlich macht: Bitte helft mir nicht, eure Hilfe vernichtet mich. es war sehr effizient. Und es verbrennt die Seele für immer.

Ich wollte auch große Taten setzen. Aber an Amoklauf indem andere draufgehen dachte ich nicht. Ich hätte eher mit großem Sachschaden, mit großem Tamtam schocken wollen...

Ich tat es nicht, weil es kippte und ich begann zu erkennen, dass kein Mensch es wert ist. Ich legte mir einen Menschenhass zu. Ich kam zu dem Schluss, dass alle Menschen zu minder seien, um irgend etwas von mir genießen zu dürfen. Egal wie positiv oder negativ.

Wenn Hilfe einmal mehr wäre, als der Versuch jemanden anzupassen, sondern jemanden so zu sehen wie er ist. Wenn sie mehr wäre, als jemanden zu verbiegen der vermeintlich falsch ist, sondern sich tatsächlich auf das Gegenüber focussiert ohne als Lohn die Assimilation zu sehen.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]

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MinaM
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Beiträge: 461

Beitrag So., 15.03.2009, 07:43

@Aditi,
Erweiterter Suizid [Bearbeiten]
In selteneren Fällen geht einem Suizid die Tötung Dritter (meist Partner und Kinder) voraus; in diesen Fällen spricht man oft von einem erweiterten Suizid. Dieser Begriff ist jedoch umstritten, da die Tötung anderer kein Suizid ist. Auch der Amoklauf mit abschließender Selbsttötung ist als spezieller Fall eines erweiterten Suizids zu sehen, bei dem oft auch zufällige, dem Täter nicht bekannte Menschen Opfer sein können.
Quelle: Wikipedia

Hi Pitt,
Wer illegal handelt, setzt sich automatisch ins Unrecht.
Ich stimme dir voll zu. Bei allem Mitgefühl für Gemobbte, es bleibt dennoch eine Unrechtstat.

lg
MinaM
Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang.
- Ludwig Börne

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Entwurf
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Beitrag So., 15.03.2009, 12:22

hallo pitt!
Pitt hat geschrieben: Aber kein Mensch hat das Recht "illegal" zu handeln.
[...]
Wer illegal handelt, setzt sich automatisch ins Unrecht.
kann ich in dieser allgemeinheit nicht unterschreiben. denk mal an menschen wie sophie scholl.
Pitt hat geschrieben:Die körperliche Unversehrtheit ist das höchste Gut, die Unversehrheit des Eigentums das zweithöchste.
zur körperlichen unversehrtheit: im wesentlichen ja. dennoch klingelt mir der 20. juli im ohr... aber auch der artikel 20, abs. 4 gg:
Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
wobei "widerstand" nicht weiter umrissen ist.

das bundesland hessen scheint mit der körperlichen unversehrtheit auch seine probleme zu haben:
Artikel 21
Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der
Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder
beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden.
Die Strafe richtet sich nach der Schwere der Tat.
Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln.
(zitiert nach der verfassung des landes hessen in der fassung vom 18. oktober 2002, die bis heute gültigkeit hat)
glücklicherweise bricht bundesrecht das landesrecht.

zum eigentum: nein. jedenfalls denke, ich, dass es wichtigeres gibt als eigentum, speziell: materielles eigentum. ich finde, dass unser grundgesetz das auch ganz gut abbildet: eigentum kommt da erst in §14.
Pitt hat geschrieben:Bei jedem empfundenen Unrecht bleibt einem nur der Rechtsweg.
nö. wenn du denkst, dein vorgesetzter hat dich falsch eingeschätzt und du wirst nicht abteilungsleiter, klagst du dir das dann ein? wenn deine frau von dir behauptet, du würdest nicht ausreichend im haushalt helfen, gehst du dann vor gericht?

den rechtsweg gibt es auch nur dann, wenn es entsprechende gesetze gibt. und hängt oft von der bereitschaft ab, sich zu verschulden oder anderes in kauf zu nehmen.
Pitt hat geschrieben:Die Möglichkeiten eines "Mobbingopfers" sind insofern "limitiert".
der, der seine möglichkeiten nicht kennt oder bekannte möglichkeiten für sich ausschließt, ist in seinen handlungsoptionen sicher eingeschränkt.
Pitt hat geschrieben:Hochproblematisch wird die Angelegenheit, wenn ein "Traumatisierter" seinen Tod oder seine gesetzliche Strafe billigend in Kauf nimmt.
Ich denke da jetzt nicht nur an "Amokläufer", sondern auch an "Selbstmordattentäter".
ja, da ist ja nun wirklich nichts mehr, was ihn zurückhalten kann. außer man fängt ihn vor der tat ein.
Pitt hat geschrieben:Ich denke, dass die "niedrigschwelligen Anlaufstellen" für "gehänselte" Schüler ausgebaut werden sollten.
und zwar in erheblichem maße.
Pitt hat geschrieben:Vielleicht ist dieser ganze "Psychokram" hier auch nur ein Schrei nach "Wertschätzung", nicht mehr und nicht weniger.
so ist es.

grüße
entwurf

(edit: fehler beseitigt)
Zuletzt geändert von Entwurf am So., 15.03.2009, 13:23, insgesamt 1-mal geändert.

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