Hochsensibilität und Therapie

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Kellerkind
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Beitrag Mi., 09.03.2022, 21:44

Hi,

ich hab nicht verstanden, was das Thema "Gedankenandrang" und nicht genug Zeit zu verarbeiten mit Hochsensiblität zu tun haben soll. Das sind für mich zwei Paar verschiedene Schuh.

Wenn ich mir überlege, wie viel Gedankenandrang ich bisweilen habe und einen sehr, sehr ausgeprägten Grübelwahn, und ja, ich muss mir alles erst mal x-Mal durch den Kopf gehen lassen... aber das hat nichts mit Hochsensibität zu tun.

Wenn etwas "zu viel" ist, dann ist es schlichtweg zu viel. Ich glaube nicht, dass man dafür eine neue Erkrankung als Rechtfertigung heranführen muss. Das darf auch unabhängig sein. Es braucht nicht mal ein Grund. Wichtig ist nur, wie du damit umgehst.

Die Gefahr an einer (Selbst-)Diagnose auf Hochsensiblität ist die, dass man damit unverzüglich die Macht und Eigenverantwortung abgibt und von sich weiß. Überspitzt gesagt:"Ich kann nichts dafür, ich bin halt hochsensibel und das lässt sich ändern." . Dabei spielt es bei der aktuellen Fragestellung doch gar keine Rolle. Es ist zu viel. Punkt. Warum, weshalb, wieso sollte nebensächlich sein, sondern jetzt gilt es ganz pragmatisch das Setting anzupassen.
"Auch andere Wege haben schöne Steine. "

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candle.
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Beitrag Do., 10.03.2022, 14:47

Saly hat geschrieben: Mi., 09.03.2022, 17:42 Es war sehr nützlich für mich, diese Sensibilität zu haben. Oder entwickelt zu haben. Ich konnte/kann kleinste Änderungen in der Stimmung meiner Mutter (oder anderer Menschen) feststellen. Als Kind habe ich sofort darauf reagieren können und mein Verhalten angepasst. Ob das nun „naturgegeben“ war oder aufgrund der Behandlung meiner Mutter entstanden ist, kann ich schwer sagen.
Ja, eben, das ist schwer zu sagen.
Es gab aber mal, meine ich vor Jahren gelesen zu haben, dass z. B. Kinder alkoholkranker Menschen- ich hoffe, ich bringe das nicht durcheinander- um sich zu schützen sehr auf die Mimik der Eltern geachtet haben. Das wäre also eher aus Schutz antrainiert.
Ich habe immer Schwierigkeiten mit dem sich Anpassen, weil ich das für mich gar nicht sagen kann. "Anpassen" würde ja bedeuten, dass man dann geschützt ist oder du geschützt warst? Das kann ich aus meiner Erinnerung leider nicht sagen, dass es was genützt hätte oder dass ich mich bewußt angepaßt hätte, weil es eh nix half.
Ein paar mal habe ich sie drauf angesprochen, also auf ihren plötzlichen Stimmungswechsel. Sie meinte immer, das wär nicht so und was ich mir da einbilde. Ob das nun ein Schutzreflex war, weil sie sich natürlich immer gleich angegriffen fühlte oder ob sie es wirklich nicht gemerkt hat, das weiß ich nicht. sensibel ist SIE jedenfalls gar nicht.
Also "vererbt" ist es dann offenbar nicht.
Die Frage des Therapeuten ging mehr in die Richtung, ob diese Reizüberflutung immer so ist oder hauptsächlich, wenn ich in Stress gerate. Ich weiß nicht ob es mir leichter fallen würde, mich wohlwollender zu betrachten, wenn ich die HS „diagnostiziert“ bekommen würde. Vermutlich würde ich es doch eher als „Schwäche“ betrachten. Ich denke, ob nun HS oder nicht, ich sollte grundsätzlich lernen, milder mit mir umzugehen.
Das kannst du nur selber wissen, wenn DAS deine Antwort ist. Ich war da etwas verblüfft und hätte bei der Anspannung eher auf Entspannungsübungen gesetzt. Oder beim Arzt das Herzkreislaufsystem untersuchen lassen um dich da ggf. behandeln zu lassen, denn es schlägt sich eben dieser Stress immer auch auf den Körper nieder und das ist ungesund!

LG candle
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Saly
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 08:49

Kellerkind hat geschrieben: Mi., 09.03.2022, 21:44 ich hab nicht verstanden, was das Thema "Gedankenandrang" und nicht genug Zeit zu verarbeiten mit Hochsensiblität zu tun haben soll. Das sind für mich zwei Paar verschiedene Schuh.
Hallo Kellerkind,

ja im Endeffekt hast du Recht. Man versucht ja gerne, die Dinge, die man für sich als "Makel" betrachtet zu erklären. Wo das herkommt etc. Weniger um es vor anderen, sondern vor mir selbst zu "rechtfertigen". So nach dem Motto "Ich muss das nicht können, ich bin da eben anders als andere". Ich sehe das wie gesagt auch nicht als Erkrankung, sondern eher sowas wie ein Temperament. Und ich merke eben, dass viele Dinge bei mir zur HS passen. Aber es stimmt schon, das ist unabhängig davon dass es eben zum Teil zu viel ist in Therapie.

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Saly
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 08:56

candle. hat geschrieben: Do., 10.03.2022, 14:47 Das kannst du nur selber wissen, wenn DAS deine Antwort ist. Ich war da etwas verblüfft und hätte bei der Anspannung eher auf Entspannungsübungen gesetzt. Oder beim Arzt das Herzkreislaufsystem untersuchen lassen um dich da ggf. behandeln zu lassen, denn es schlägt sich eben dieser Stress immer auch auf den Körper nieder und das ist ungesund!
Liebe candle,

Naja ja, das mit den Entspannungsübungen müsste ich einfach mehr üben und manchmal fehlt mir dafür einfach die Zeit. Ich versuche es immer abends im Bett und schlafe dabei aber meistens ein ;) Ich denke die Anspannung kommt von meiner hohen Grundanspannung. Evtl ist auch das AD zu hoch dosiert. Ich hab verkürzte Muskeln. Das alles geh ich gerade an (Dosisanpassung, Physiotherapie, Behandlung der Kopfschmerzen) und dann werde ich sehen, ob sich da was tut.

ja wie Kellerkind schon gesagt hat. Am Ende ist es ja auch egal, ob's nun angeboren oder entwickelt wurde im Laufe der Zeit. Genutzt hat es in der Zeit für mich schon. Ich konnte den einen oder anderen Anfall von tagelangem "Liebesentzug" verhindern. Am Ende haben ja alle Bewältigungsmechanismen so eine "Überlebensfunktion". Geschützt war ich dadurch nicht, aber es hat eben meine kindliche Psyche "am Leben gehalten".

LG, Saly

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Scars
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 10:18

Hey saly, habe nur den Eingangspost gelesen. Bei mir war es so, dass von ich sage mal „typischen“ Personen, die Annahme vom Hochsensibilität bei mir an mich herangetragen wurde. Ich selbst konnte mir das nicht bescheinigen, auch wenn laut Internet einige Dinge auch mich zugetroffen hätten. Letztlich war es so (wie ich selbst schon vorher mehr vermutet hatte), dass ich quasi in einem chronischen hyperarousal gelebt habe. Seitdem ich mein vegetatives Nervensystems beruhigt habe, ist auch die „Hochsensibilität“ weg und das Leben als Solches angenehmer. LG scars
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Saly
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 11:51

Danke scars, das klingt total gut. Ich werd mich mit diesem Hyperarousel mal näher beschäftigen. Klingt als könnte das zutreffen! Ich versuche echt „entspannter“ zu sein und ruhiger zu werden. Aber ich glaube dass sich mein Nervensystem da irgendwie verselbstständigt hat. Deshalb ist es wohl auch „vegetativ“ ;)
Wie hast du es denn geschafft dein veg Nervensystem zu beruhigen, also was hat bei dir besonders gut geklappt?

Vielen Dank.

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Scars
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 12:25

Über den Körper. Parasympatikus aktivieren. Mmn kann man das nicht mit „psychischer Arbeit“ leisten im Sinne von „entspannter sein“, wenn der Körper gar nicht weis, wie Entspannung geht.
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lisbeth
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 17:56

Ich kann das mit dem Parasympathikus nur unterstreichen.
Die Kunsttherapeutin hat mir immer gesagt: Wenn Sie so aktiviert sind, dann ist das, als ob sie sich in einer Wasseroberfläche spiegeln wollen, die sich andauernd bewegt und kräuselt oder sogar hin und her schwappt.
Ein Teil ist sicher der Wind (von außen), aber ein anderer Teil kommt aber sicher auch von innen heraus.
Und genau daran kann man arbeiten.

Und wenn du gelernt hast, besser mit der Aktivierung umzugehen, wirst du vielleicht feststellen, dass deine Antennen immer noch außergewöhnlich fein sind und alle möglichen Signale aufschnappen, die bei anderen gar nicht ankommen. Aber es macht trotzdem einen riesen Unterschied, ob diese "Extra"-Reize auf ein schon sowieso aktiviertes System treffen, läufts ganz schnell über, oder ob es dein Wasserglas mal kurz durchschüttelt, aber du dann in der Lage bist, da wieder (mehr) Ruhe reinzubringen....
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Scars
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 20:19

Ja, oder materielle Sachen wie licht-/lärmempfindlich. Ich bin immer noch empfindlich aber nicht mehr überreizt und kann es viel besser aushalten. Ist dann vielleicht laut und störend aber nicht unerträglich vernichtend.
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Sydney-b
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Beitrag Sa., 12.03.2022, 21:20

Und wie aktiviert man über den Körper den Parasympathikus ?


Waldschratin
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Beitrag So., 13.03.2022, 06:18

Sydney hat geschrieben:Und wie aktiviert man über den Körper den Parasympathikus ?
Guck mal hier:

https://www.digestio.de/de/korper-und-g ... v-uebungen

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Kellerkind
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Beitrag So., 13.03.2022, 07:33

@Waldschratin

Danke für den sehr guten Link. Ich zähle mich zwar definiiv NICHT zu den Hochsensiblen, stehe aber seit Monaten mal wieder unter Daueranspannung.
Letztendlich sind es exakt dieselben Tipps, die man schon tausendmal gehört hat, nur mit einer neuen Begründung, trotzdem gut geschrieben und zusammengefasst.

--

Hochsensibel oder nicht, man muss halt den Popo hochkriegen und Eigenverantwortung übernehmen. Was tun. Statt sich auf der Diagnose oder einer vermeintlichen Selbstdiagnose auszuruhen.
Schön, wenn man eine ERKLÄRUNG hat, wieso etwas so ist, wie es ist, aber allzu oft verkommt dies zu einer Rechtfertigung a la "Ich kann nix dafür, ich bin halt so!".

Bei der Fragestellung hier im Thread möchte ich erneut betonen, dass dies zwei paar verschiedene Schuhe sind. Wenn die Therapie die TE überfordert, ist es erst mal völlig egal, wieso weshalb, wieso. Statt nach Mode-Diagnosen zu suchen, könnte man ja auch mal schauen bzw. fragen, welche Tonus bei Patienten normal ist, wie die damit umgehen, etcpp. Es gibt sooo viele potenzielle Erklärungen, vielleicht sind 150 Minuten die Woche auch einfach zu viel. Punkt. Ich denke, den MEISTEN wäre es zu viel... (sofern man nicht gerade in einer Klinik ist).
Vielleicht liegt ein Abgrenzungproblem vor.Vieleicht dies, vielleicht jenes. Aber da gleich mit einer vorgefertigen "Mode-Diagnose" ranzugehen, kann einem mMn auch was verbauen...
"Auch andere Wege haben schöne Steine. "

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Sydney-b
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Beitrag So., 13.03.2022, 10:10

@Waldschratin: Danke für deine schnelle Antwort.
Deine neue Signatur stimmt mich fröhlich. :-P

@ Kellerkind: die TE sucht nach einer Erklärung für sich.
Ich habe nicht einmal hier von ihr den Eindruck bekommen, dass sie sich auf einer Selbstdiagnose ausruhen möchte.
Sie sucht für sich nach einer Erklärung. Ihr ist es also nicht völlig egal, ihr Therapeut hat sogar an ADHS gedacht. (Was es nicht sein muss)

Irgendwie scheinst du die TE ganz anders zu verstehen/lesen als ich.

Sie geht doch gar nicht mit einer vorgefertigten "Mode-Diagnose" (dich scheint das sehr zu triggern) an ihre Therapie!

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lisbeth
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Beitrag So., 13.03.2022, 10:22

Sydney-b hat geschrieben: Sa., 12.03.2022, 21:20 Und wie aktiviert man über den Körper den Parasympathikus ?
Es gibt ein Buch von Stanley Rosenberg "Der Selbstheilungsnerv". Ist gruselig übersetzt, aber hat eine Menge Übungen, die hilfreich sind. Ich würde es nicht zum Kauf empfehlen, aber gut sortierte Stadtbibliotheken sollten das auch im Sortiment haben.

Online gibt es auch viele hilfreiche Tipps und Erklärungen:
https://www.avogel.ch/de/ihre-gesundhei ... gsnerv.php Hier wird auch nochmal gut erklärt, warum der Parasympathikus so wichtig ist für die Stressregulierung und wie man den Nerv aktivieren kann (ok, das mit dem Würgereflex würde ich weglassen.... :anonym: )

und das hier ist die "Grundübung" aus dem Buch von Rosenberg:
https://www.annarobic.de/aktuell/grundu ... lungsnerv/
Das ist für mich eigentlich schon mehr als die halbe Miete, wenn ich mir in aufwühlenden Situationen mal 2-3 Minuten Zeit nehme, um diese Übung zu machen, geht auch mal zwischendurch auf dem Klo ;-)
Ich hab das auch schon gemeinsam mit der Analytikerin gemacht, also hab ihr die Übung erklärt und dann haben wir es gemeinsam gemacht. Ich hab sie auch schon mal für 5 Minuten aus dem Zimmer geschickt, weil ich die Übung alleine machen wollte. Und in den meisten Fällen (nicht immer) gelang es hinterher deutlich besser, dass wir wieder "geordnet" miteinander in Kontakt gekommen sind.

Ich glaube, wichtig ist auch, diese Übungen nicht als etwas "Magisches" zu betrachten, im Sinne von "ich mach jetzt Übung xyz und alles löst sich in Wohlgefallen auf". Das ist wie mit Achtsamkeit, wie mit Selbstmitgefühl. Es geht darum, eine andere Haltung zu finden, aufmerksamer hinzuspüren, Veränderungen im Körper und in der Psyche (wohlwollend) wahrzunehmen und auch wohlwollend darauf zu reagieren. Das ist ein Lern- und Übungsprozess, der Zeit braucht. Wichtig ist Regelmäßigkeit, da reichen jeden Tag ein paar Minuten.
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― Anne Lamott

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Sydney-b
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Beitrag So., 13.03.2022, 10:32

Danke auch dir, lisbeth. :->
Da werde ich mich reinlesen.
Es ist ein sehr interessantes Thema. :-D

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