Gibt es Depressive, die krank sein wollen?

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dumbhead
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Beitrag Mi., 30.11.2016, 23:28

Broken Wing hat geschrieben:@ Dumbhead: Den Fatalismus kann ich gut nachvollziehen. Ich wäre nicht mal zum Arzt gegangen. Zaubern kann er nicht und wenn es gut wird, dann auch ohne ihn. Wenn nicht, kann er sowieso nichts machen.
Ehrlich gesagt ging ich hin, weil das Ding riesengroß auf meinem Glatzkopf prangte und ich im bescheidenen Rahmen meiner Möglichkeiten ziemlich eitel bin

Sehr schön und entlarvend auch die Beiträge von Eremit und inlines! Wenn ich sonst schon nix auf die Reihe kriege und drohe im Mittelmaß unterzugehen, so kann ich mich immer noch als kapitaler Absturzkandidat vom verhassten Mittelmaß abgrenzen und mein Scheitern zelebrieren. Und ja, identitätsstiftend triffts da ganz gut.

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Kimba&Blacky
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Beitrag Do., 01.12.2016, 14:08

candle. hat geschrieben:
stern hat geschrieben: Renten, Krankengeld, Fürsorge, wenn man krank ist UND SO WEITER.
Ich kann daran jetzt keinen Vorteil erkennen, das ist ja mein Problem.
Ich auch nicht.
Gesunde Menschen wollen doch arbeiten, zwar nicht jeden Tag und sie wollen auch nicht immer so früh aufstehen, aber in der Regel wollen sie es.
Zwar habe ich die Ironie in stern's Beitrag bemerkt, aber es gibt ja trotzdem Menschen, die denken, ein Leben als psychisch Kranker sei es gar nicht so schlimm.
Ich würde ein gesundes Leben mit allen anstrengenden Verpflichtungen, inklusive nervigen Arbeitskollegen (eventuell sogar leichtem Mobbing) einem Leben mit depressiver Erkrankung egal ob in oder außerhalb der Psychiatrie vorziehen.

Deshalb glaube ich, dass es sowas wie Krankheitsgewinn nicht gibt. Wenn jemand nicht gesund wird, liegt es vermutlich wirklich an der Krankheit.
Aber wissen tue ich es nicht.


dumbhead hat geschrieben:Wenn ich sonst schon nix auf die Reihe kriege und drohe im Mittelmaß unterzugehen, so kann ich mich immer noch als kapitaler Absturzkandidat vom verhassten Mittelmaß abgrenzen und mein Scheitern zelebrieren. Und ja, identitätsstiftend triffts da ganz gut.


Da hätte ich viel zu viel Angst, dann erst recht schlecht behandelt zu werde.
Krank sein ist doch ein Zustand, keine Identität. Es ist weder etwas, für das man sich schämen muss, noch etwas, auf das man stolz sein kann.
Es macht ja den Menschen nicht besser.
Dass Psychiater einen dafür "anerkennen", habe ich auch noch nie erlebt, wenn dann passiert das eher von Psychologen, aber dann auch nur, wenn ihre Patienten Fortschritte machen.
Meistens wird man doch eher als "Versager" behandelt, auch von Fachleuten.


Liebe Grüße, Kimba&Blacky

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dumbhead
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Beitrag Do., 01.12.2016, 15:01

Ich hab früher durchaus mit meinen Zwängen kokettiert und mich damit als "Anders" dargestellt. Das war zumindest Teil meiner Identität.
Auf den jetzigen Zustand könnte ich gut verzichten, und dennoch hat selbst das für mich eine gewisse Ästhetik. Stolz ist das falsche Wort, mir fällt aber auch nicht ein wie man das benennen könnte.

Es fällt auch auf, dass die ganzen Gruppen zum Thema Depression und Suizid für viele eine Art Gemeinschaftsgefühl erzeugen, das sie vorher so nicht kannten. Plötzlich hat auch der Außenseiter eine peer Group und wird darin bestätigt und bestärkt, wofür ihn andere abwerten.

Ich merke seit es mir eben etwas besser geht, dass ich immer weniger Verständnis für das dortige Attention seeking aufbringe und aus dem bequemen Pool dort, in dem sich jeder mal so richtig auskotzen kann, zurück in die deutlich unbequemere Realität zurückgeworfen werde. Dafür hab ich auch wieder so etwas wie ein real life. Aber es ist anstrengend. Ich vermisse fast ein wenig dieses sich ganz ungeniert im Selbstmitleid suhlen.

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Kimba&Blacky
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Beitrag Do., 01.12.2016, 16:01

Es ist ja so, dass es einem weder durch Selbstmitleid noch durch Anerkennung durch Außenstehende besser geht.
Die Aufmerksamkeit lenkt zwar kurzfristig von dem Leiden ab, aber das hilft einem nicht weiter.

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inlines
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Beitrag Do., 01.12.2016, 17:32

@Kimba: es geht nicht darum, ob es einem dadurch besser geht (dass man dadurch gesund wird). Diese Aufmerksamkeit (Wertschätzung) erhält in diesen bestimmten Fällen eher die Krankeit (wobei dies meist auf der unbewußten Ebene geschieht). Gefällt es dir nicht, wenn die anderen dich wertschätzen? Dich schonen?

Krankheitsgewinn besteht und wird in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt (je nach Art des postiven Nutzens). Darüber hinaus gibt es hierzu Studien und Literatur. Siehe z.B.: https://books.google.de/books?id=lR1cAQ ... nn&f=false auf Seite 72

Vorsicht! Was die Dame schreibt ist teils starker Tobak (Unfallbereitschaft usw.).

Vielleicht noch so viel: Es kommt beim Krankheitsgewinn im Allgemeinen wohl nicht darauf an, ob es sich um etwas bewußt ausgenutztes oder verwerfliches handelt. Vielmehr werden darunter alle positiven Aspekte des Krankseins verstanden (ob diese nun gerechtfertigt sind oder auch nicht). Schlecht sieht es erst dann aus, wenn der Krankheitsgewinn die postiven Aspekte des Gesundseins überwiegt.

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candle.
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Beitrag Do., 01.12.2016, 18:07

Interessant fand ich nun, dass ich angenommen hatte, das den Menschen in der Kindheit etwas gefehlt hat, aber überraschend das Gegenteil, dass die Fürsorge so schön war, dass sie nun beibehalten werden soll.

Und krass diese Selbstverletzungen oder man kann das wohl auch als Realitätsflucht bezeichnen. Und was hier fehlt sind die psychisch kranken Menschen.

candle
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lauli
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 22:57

Hallo an alle!
Ich habe die Beiträge gelesen und fühle mich davon sebst ziemlich betroffen.
Ich bin auf Grund meiner Depressionen und Kreuzschmerzen seit über 2 Jahren in befristeter Pension. die Befristung endet mit 30. April 2018.
In meiner letzten Terapie meinte meine Thera zu mir, dass ich meinen Krankheitsstatus aufrechterhalte weil ich im Hinterkopf immer die mögliche Weitergewährung der Pens. hätte.
Das wäre möglich, aber mache ich das jetzt tatsächlich bewusst?
Das gute Gelingen ist zwar nichts Kleines, fängt aber mit Kleinigkeiten an.

Sokrates

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lauli
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 23:01

Ich hoffe, dass mein Beitrag noch von jemandem gelesen wird- eure sind ja schon eine Weile her. Mich würde eure Meinung dazu echt interresieren.
Das gute Gelingen ist zwar nichts Kleines, fängt aber mit Kleinigkeiten an.

Sokrates

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Pianolullaby
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 23:03

die gibt es definitiv und nennt sich sekundärer Krankheitsgewinn
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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lauli
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 23:13

Ja, dass habe ich weiter oben auch schon mal gelesen. Aber ist das tatsächlich bewusst herbeigeführt, dass ich sowohl zu Hause als uch in der Terapie stundenlang weine?
Das gute Gelingen ist zwar nichts Kleines, fängt aber mit Kleinigkeiten an.

Sokrates

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Pianolullaby
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 23:15

vllt, das kannst nur Du beantworten! Bei mir ist es definitiv nicht bewusst herbei geführt. Es gibt es aber.
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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inlines
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 23:42

Hallo Lauri,

aus der Ferne wird dir niemand sicher sagen können, wie genau es sich bei dir verhält. Dass deine Therapeutin so etwas mutmaßt ist aber natürlich schon ein Hinweis.

Die Frage ist, und die muss jeder für sich beantworten: Wäre ich lieber wieder gesund und müsste mein Leben selber verantworten, oder bin ich lieber noch ein wenig länger krank, und damit behandlungs- und versorgungsbedürftig - aber eben auch abhängig?

Da gibt es Vor- und Nachteile auf beiden Seiten, wobei der Krebspatient vermutlich nur Nachteile erkennen kann, während so mancher ausgiebig Geschohnte möglicherweise vieles Positive verspürt (unbewußt).

Schwierig stelle ich mir es vor, wenn man sehr lange behandelt wurde, und dann plötzlich in die Eigenverantwortung entlassen wird. Schwierig kann auch sein, sich ein Leben ohne Krankheit vorzustellen, wenn man sonst nichts anderes kennt. Da erfordert es dann schon auch Mut das "Vertraute" loszulassen.

Dass du dir Gedanken darüber machst, finde ich auf jeden Fall gut.

FG

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lauli
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Beitrag Sa., 21.01.2017, 23:50

ich glaube auch nicht, dass ich mich bewusst in diese beschissene Gemütslage bringe. Ich hatte im vergangenen Jahr nicht nur eine große Wirbelsäulen OP sondern auch die Scheidung und 2 Todesfälle in der engsten Familie zu verkraften.
- was mir offensichtlich noch längst nicht gelungen ist.
Das gute Gelingen ist zwar nichts Kleines, fängt aber mit Kleinigkeiten an.

Sokrates

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Kaonashi
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Beitrag So., 22.01.2017, 10:28

Meine persönliche Meinung ist, dass es den sekundären Krankheitsgewinn zwar gibt als Tatsache, und dass man den gerne "mitnimmt", dass er aber nicht dazu führt, dass Leute absichtlich krank bleiben (sich auch weiter krank fühlen, sich krank darstellen). Ich glaube eher, wenn es jemand nötig hat, so etwas zu tun (also sich krank fühlen oder darstellen), er auch tatsächlich nicht gesund ist.
Vielleicht ist es so, dass jemand, solange er noch das Gefühl hat, Zuwendung zu brauchen (und vielleicht alles dafür tut, diese zu bekommen), auch einfach noch nicht gesund ist. Wenn jemand gesättigt ist an Zuwendung und Aufmerksamkeit, dann hat er keinen Grund mehr, zum Arzt oder Therapeuten zu gehen.

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inlines
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Beitrag So., 22.01.2017, 11:38

Ich glaube eher, wenn es jemand nötig hat, so etwas zu tun (also sich krank fühlen oder darstellen), er auch tatsächlich nicht gesund ist. -- Quelle: viewtopic.php?p=913238#p913238
Naja, das ist aber auch Charaktersache... Die meisten Menschen haben ihre Zipperlein, wobei einige aus jedem Pubs ein Riesentheater machen, während andere das realistischer Einordnen. Der eine fühlt sich totkrank und der andere vorübergehend geschwächt. Ich finde nicht, das man sowas unterstützen sollte, und als krank bezeichnen sollte ("Der ist krank, weil er lieber krank ist"), wenn es das offensichtlich in dem Ausmaß nicht ist. Da darf der Staat aus meiner Sicht dann auch gerne nachhelfen, dass die Leute aus ihrem übergroßen Selbstmitleid entkommen. Gerade wenn sich da die Chance auf Frührente ergibt, geht es manchen auf einmal besonders schlecht.

Wenn man es drauf anlegt, kann wahrscheinlich jeder eine Ausrede finden, warum man ganz arg arm dran ist, und einem nichts mehr zugemutet werden kann. Dürfen die dann alle in Behandlung?

Ich glaube, es gibt viele Leute, die augenscheinlich ziemlich gesund sind, sich aber, weil sie den Arsch nicht hochkriegen, mit Gewalt und Hysterie an ihren Kranken (Opfer)-Status klammern.

FG

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