Widow hat geschrieben:
Das tun wir alle, die wir trauern, ein Stückchen, weil mit dem nun Toten auch etwas von uns gestorben ist, doch jemand, der dem Toten vorwirft (- und wie blödsinnig ist allein das denn schon!), dass er ihm etwas angetan habe mit seinem Tod, der trauert nur um sich selbst. Der Tote war ihm auch im Leben immer nur ein Selbstbestätigungsinstrument.
Mag sein. Aber wäre das nicht auch legitim?
Ich frage mich auch gerade, ob Menschen nicht letztlich immer vor allem um sich selbst trauern? Um die Liebe, die Zuwendung des anderen, die Beziehung zum anderen, die man nun nicht mehr hat, auch um die Selbstbestätigung, die einem der andere gab, das ganz sein, das nicht allein sein, um all das, was jetzt ohne diesen Menschen im eigenen Leben fehlt? Um die verlorene Zeit ohne ihn? Wegen der zeit des Mit-Leidens vorher?
Der Tote selbst spürt ja nichts mehr, ist von jeglichem Leiden erlöst.
Ich muss angesichts der aktuellen Diskussionen wieder öfters an die Geschichte eines Mädchens aus meiner Klasse denken.
Vater war schon lange tot, sie Einzelkind, Mutter schwer depressiv, hatte nur ihre Tochter -meine Klassenkameradin- als einzigen Sozialkontakt.
In dieser Wohnung herrschte immer eine absolut bedrückende, schreckliche Stimmung. Meine Klassenkameradin muss ganz schön gelitten haben.
Als sie mit 15 begann zu versuchen, sich etwas von ihrer Mutter abzunabeln und eigene Wege zu gehen, drohte die Mutter immer häufiger mit Suizid.
Wir ermutigten unsere KLassenkameradin, trotzdem mit uns feiern zu gehen. Ab und an traute sie sich zaghaft. Immer kam es dann zum Streit mit der Mutter in dessen Verlauf diese dann oft mit Suizid drohte. Ich erinnere mich noch, wie wir unsere Klassenkameradin an ihrem Geburtstag überredeten, mit uns feiern zu gehen. Sie saß die ganze Zeit stumm und traurig herum, konnte nichts von dem Abend genießen, da ihre Mutter mal wieder aufgedreht hatte, weil sie nicht alleine sein wollte (sie hatte Panikattacken, wenn man sie allein ließ, weigerte sich aber in Therapie zu gehen.
Ca. ein Jahr später hat die Mutter es dann (nach wohl schon mehrfachen Versuchen) an einem Wochenende, dass ihre Tochter mit ihrem Freund verbrachte, getan. Sie hat sich im gemeinsamen Haus erhängt. Es war klar, dass unsere Freundin sie auffinden würde.
Unsere Freundin fand sie auf. Sie war zu dem Zeitpunkt gerade 17 geworden. Danach war sie lange in einer Klinik, irgendwann verschwand sie ganz von der Bildfläche. Keiner aus dem damaligen Freundeskreis hat je wieder etwas von ihr gehört.
Ich denke, das ist so eine Geschichte, wo man schon sagen könnte, dass diese Mutter ihrer Tochter etwas Schlimmes angetan hat. Und wo diese Tochter allen Grund der Welt hätte, vor allem wütend auf die Mutter zu sein. Allein schon jemand aufzufinden, der sich erhängt hat, ist traumatisch. Wenn man diese Methode wählt, kann man zumindest einen Ort wählen, an dem einen nicht jemand auffindet, der einem nahesteht.
Einen Jugendlichen, der in einem ganz normalen Ablösungsprozess eigene Wege geht auf diese Weise zu bestrafen ist dessen Entwicklung sicher auch nicht gerade dienlich.
ich weiß zwar nicht, was aus dieser Freundin geworden ist, aber ein langer Klinikaufenthalt, der Abbruch aller bisheriger Sozialkontakte und der Abbruch der Schule kurz vor dem Abi sprechen ja nicht unbedingt für eine weitere positive Entwicklung unserer Freundin.