Amoklauf von Jugendlichen

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Rezna
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 21:00

Das wäre wirklich einmal eine interessante Information. Treten Amokläufe wirklich gehäuft an Schulen auf? Oder ist dort nur einfach das Medieninteresse so intensiv, dass man tagelang Sondersendungen macht und es so breittreten kann, dass es uns häufiger erscheint als Amokläufe in anderer Umgebung. Ich habe nicht danach gesucht, aber vielleicht weiß jemand, ob es da eine Statistik oder so etwas gibt.

Angenommen, Amokläufe würden tatsächlich vermehrt in Schulen auftreten, dann vielleicht, weil die Schule das erste System ist, in das der Mensch kommt und sich einer Hirachie unterwerfen muss, die Individualität und deren Bedürfnisse nicht anerkennt, sondern jeden über Leistung definiert und wertet. Hier gibt es kein Geld gegen Leistung, sondern nur Noten, aber immerhin ist die Schule jene Institution, die den Menschen damit konfrontiert, als Individuum wertlos zu sein und nur über die Leistung definiert zu werden. Vermutlich würden sich Amokläufe dann mehr in Firmen verlagern, wenn die Schule nicht die erste solcherart Druck ausübende Instanz (nach den Eltern) wäre. Oder aber, bis dahin wären die Menschen gefestigt genug, sich nicht mehr für Profit unter Druck setzen zu lassen... wir kennen es nicht anders, müsste man versuchen.
Doch nicht nur die Schule als System (ich will da die Lehrer nicht angreifen, sie sind ja ebenso gezwungen in diesem System zu funktionieren), ist wohl ein guter Nährboden. Der Kontakt mit anderen Menschen, die Zeit sich zu etablieren, JEMAND zu werden, und sei es nur man SELBST, und dies gegenüber der anderen aufrecht leben können - das entwickelt sich hier doch, das lernt man doch in diesem Umfeld, dem Alter. Eine Gesellschaft die auf Leistungsdruck baut und allerlei andere unnatürliche Skalen aufstellt, nach denen andere bemessen werden, erzeugt da einen immensen Druck. Also auch die Mitmenschen die lernen, andere zu bewerten, sich dadurch vielleicht abzugrenzen, sind schon "Opfer" einer desolaten Struktur.

Wie auch immer, mich wundert das wundern. Mich wundert, warum es solche Amokläufe nicht in Firmen gibt, wo manchmal noch ein ganz anderer Druck herrscht. Kaufen sich Firmen von den Medien frei um nicht als "schlechter Betrieb" dazustehen? Oder sind die Menschen bis dahin wirklich gefestigt genug? Letzteres glaube ich eher weniger. Aber vielleicht gibt es genug Amokläufe in der Arbeitswelt - nur sind sie weniger interessant.

Ein Punkteprogramm das potentielle Amokläufer erkennen soll? Ich wette, jeder der tatsächlich solch eine Tat plant, hat das Zeug, diesen Test ohne Auffälligkeiten zu bestehen. Ja wer will denn schon als "Amokverdacht" weggeschleust werden? Gerade wenn jemand eh schon unter sozialem Druck steht? Das verschlimmert doch alles nur noch? Müssen sich nun tausende schüchterne Schüler neuem Mobbing ausgesetzt sehen, weil nun ihre Mitschüler auf sie zeigen? Das alles nimmt eine gefährliche Wendung. Ich halte es für völlig absurd, dass nun wieder Diskussionen über Computerspiele in Gang kommen. Dass man dort allenfalls Pixel tötet (und nicht einmal das, genaugenommen) wird jedem klar sein. Auch einem Kind. Wenn in den Nachrichten aber jeden Tag Leichen aus Kriegsgebieten gezeigt werden, echte Menschen in echten Krisen die echt tot sind, auf die die Kamera gehalten wird... ob das nicht wesentlich mehr desensibilisiert? Wenn die Medien draufhalten - warum die Kinder nicht dann mit ihren Handykameras? Lieber Filmen und ins Internet stellen, wenn einer gemobbt wird, anstatt zu helfen. Das ist die Botschaft der Medien. Mache dich durch den Konflikt dritter zum Star.

Es wird nichts anderes übrig bleiben, als mit den Kindern zu reden, so, ja fast so als wären sie richtige Menschen.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]

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Entwurf
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 21:02

hawi hat geschrieben:„Wir verstehen diese Tat nicht“! [...] Denn für mich ist so ein Satz die einzig mögliche Form, offen für Verstehen zu sein! Er ist nicht Abwehr sondern Bereitschaft, zu verstehen, wenigstens den Versuch unternehmen zu wollen, nach Ursachen zu suchen.
der satz klingt eher wie eine abschließende feststellung, mit der man sich der sache leichter hand entledigt. da schaltet einer sein gehirn aus, um nicht nachdenken zu müssen. so klingt es jedenfalls.

und jedesmal dieselben worte: wir verstehen nicht. wie oft muss es eigentlich noch passieren, damit man verstehen lernt?

es gibt viel zu verstehen an einer solchen tat, z.b. was es an randbedingungen dafür braucht. und man kann versuchen, diese randbedingungen zu ändern.

was springt dabei raus? frühwarnsysteme für verzweiflungstaten? und wenn diese frühwarnsysteme alarm schlagen, was dann? ab in die geschlossene?
hawi hat geschrieben:Worte, Worte, Worte, das was du anderen vorwirfst, machst du selber.
in einem forum wie diesem bleibt einem wohl nichts anderes übrig, o held.

und ich profitiere nicht von diesen worten. mir zahlt niemand etwas dafür, und ich hoffe auch nicht an ansehen zu gewinnen. und wenn eine ansehenssteigerung dabei herausspringt: ich will sie nicht. behalte sie, wer auch immer vorhat, besser von mir zu denken.
hawi hat geschrieben:Wenn schon alle möglichen anscheinend nach deiner Meinung schuldig und verantwortlich sind, natürlich nicht du selber, dann benenne es wenigstens direkt, deute nicht nur etwas an, produziere nicht nur Worte!
aber ich werde dir doch nicht die köstlichkeit des nachdenkens rauben.

wer profitiert von dem unglück in form von texten, bildern, filmen, auftritten? welche personen haben nichts außer diesen dingen zu bieten, wirkungsvolle maßnahmen zum beispiel? jetzt klarer?

grüße
entwurf

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Eleven
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 21:53

Mich berührt dieses Thema auf eine andere Weise, als es die meisten anderen hier berührt. Vor ungefähr 9 Jahren wollte ich auch in meiner (ehemaligen) Schule Amok laufen - mit einer Schrotflinte und 20 Patronen, die ich zuvor legal erworben habe. Es gab sogar eine schwarze Liste mit Prioritäten, auf der ausschließlich ehemalige Mitschülerinnen und Lehrerinnen standen. Priorität 1 war ein Mädchen, in das ich verliebt war, aber keine Gegenliebe hervorgerufen habe. Als ich in den letzten zwei Tagen die Zeitungen gelesen habe, habe ich sehr viele Parallelen zu Tim erkannt - der Typ sah sogar so aus wie ich in etwa ausgesehen haben - oder ich bilde mir das nur ein... Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings: damals hat es einen Punkt gegeben, an dem ich bewusst umgekehrt bin, weil mich der Mut verlassen hat (das war kurz nach 8 Uhr, als die Show losgehen hätte sollen), aber warum schreibe ich das eigentlich? Was ich ausdrücken will ist, dass ich Tim sehr gut verstehen kann, und auch fehlt mir bis heute jegliches Mitleid für Opfer, weil ich genau weiß, wie es ist, zu etwas gemacht zu werden. Damals haben mindestens 10 Menschen so ein Schwein gehabt, und wissen es bis heute nicht, und soweit ich mir das vorstelle, ist aus denen allen etwas geworden, während ich auf der Strecke geblieben bin. Sinn hätte es keinen gemacht...damals wollte ich mich eigentlich selbst umbringen und habe mir nur gedacht, dass im Sinne einer gewissen Gerechtigkeit ein paar der Leute, welche mir das Leben schwer gemacht haben, auch daran glauben sollten. Hier ist, was mich wirklich bedrückt: ich glaube, dass Tim durchaus in der Lage war, sich den Verlauf seines restlichen Lebens vorzustellen. Das habe ich jedenfalls damals gemacht und zu dem Ergebnis gekommen, dass aus mir nichts mehr werden wird. Heute muss ich mir zugestehen, dass ich damals absolut Recht gehabt habe. Was wäre, wenn ich Tim vor der Tat gekannt hätte? Wäre ich ein "gutes" Vorbild gewesen, was aus jemanden werden kann, der sich im entscheidenden Moment gegen Amok entschieden hat? Wohl kaum, und deswegen kann ich nicht behaupten, dass Tim's Weg sinnlos war. Wer weiß, welch' unglücklicher Mensch aus ihm geworden wäre?
Hail to the king, baby

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Hiob
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 21:58

Ich würde ein paar Schritte zurückgehen und noch einen unpopulären Gedanken anregen.

Gegenwärtig fragt man viele viele Psychologen um Rat. Man klebt an ihren Lippen und vertraut ihnen die Kinder an. Sicher, es mögen in unserer Vorstellung im Moment die sein, die am nähesten an die Gefühlswelt, das Innere der Kinder herankommen. Die uns etwas besser erklären, was wir nicht sehen und nicht verstehen. In Form von Vertrauenslehrern, Schulpsychologen, Seelsorgern oder Therapeuten treten sie nun endlich den Kindern in unserer Vorstellung so liebevoll und verständnisvoll gegenüber, wie es die übrige Gesellschaft ihrer Meinung nach, nicht kann. Die Psychologen sollen in Verbindung mit verwandten Berufsgruppen nun nach solchen Ereignissen für uns die Brücke zum Menschlichen bauen, sie werden mit unserer Wunschvorstellung beladen (einem Wunsch, dem wir uns durch das, was wir Realitätsbezug nennen, trennten), uns erklären und uns hinübertragen, in eine liebevollere Welt. Soweit die gegenwärtige Stimmung.

Wenn man sich jedoch anschaut, wie diese Fachleute den vorliegenden Fall betrachten, merkt man folgendes. Der Psychologe analysiert den Täter. Er schätzt ihn ein. Er ordnet ihn in seinem Denken ein. Er kann dabei auf einen etwas verfeinerten Schemenkatalog zurückgreifen, deshalb bewundern wir ihn.

Genau das, hat er jedoch in der vorangegangenen Therapie des Täters bereits getan. Und nun, nach dessen Tod, fällt uns als Gesellschaft nichts besseres ein, als auch den Toten zu analysieren?

Ihn mit unseren Normvorstellungen abzugleichen, Defizite „festzustellen“, Defizite in der Wutverarbeitung, Defizite bei der Frustrationstoleranz.. Ja der Psychologe beschreibt die Täterverhaltensweisen als kindlichen Umgang mit Wut. Er bescheinigt ihm eine kindliche Vorstellung in seinem Verhältnis zur Außenwelt, zur Bedürfnisbefriedigung. Und das Publikum staunt über diese weisen Worte.

Ich sehe niemanden, der diese Art mit dem Kind umzugehen sehen kann. Die Art ist „ich kann dich einschätzen und weiß, was für dich gut ist“. Diese Art durchzieht das gesamte Gesellschaftssystem, also auch die Psychiatrie. Defizite sollen der Norm angenähert werden. Der Tatort ist meist eine Schule oder der Arbeitsplatz. Ja warum? Weil sich dort Zwangsgemeinschaften unter genau diesen Denkschemen versammeln?

Ob nicht genau solche unsichtbaren Umgangsweisen unser Zusammenleben entscheidend vergiften? Sicher, es währe furchtbar, wenn wir unser Verständnis vom Lernen überdenken müssten, vom Lehrer-Schüler-Verhältnis, von Menschengruppen, die sich vor dem Hintergrund eines Zieles mehr oder weniger freiwillig versammeln und ihre Lebendigkeit opfern. Ist der Platz eines jungen Menschen der Arbeitsplatz, der Platz an dem er ausgenutzt wird? Soll seine Kindheit und Jugend genau darauf ausgerichtet sein? Ich glaube nicht, dass wir darüber nachdenken wollen. Ist der junge Mensch voll entwickelt, wenn er unseren Vorstellungen entspricht? Voll funktionsfähig und unauffällig ist?

Und wenn man all diese Schubkästen in einem Schrank unterbringt, den man dann das Gesundheitswesen nennt , was auch im Bereich der Psychiatrie offenkundige "technische Mängel" hat und eher einem Verwahrsystem gleicht, was soll dann dabei herauskommen.

Ist es wirklich Entsetzen? Ein depressiver Mensch bekommt in Deutschland mitunter erst nach 8 Monaten einen Therapieplatz. Und da sitzt er dann, in der oben beschriebenen Schublade (des Denkens der Helfer). Wenn er denn noch da ist.



Montag noch, dann wird man ein neues Thema finden.
Wie wärs mit den Bauern, die schütten derzeit wieder ihre Milch in die Biogasanlagen, weil der Milchpreis bei 25Ct. /Liter liegt, daran zerbrechen gerade Existenzen. Als die Medien dieses Thema im Sommer ausschlachteten, lag er bei 35Ct.. Aber ein Bauer, dem die Milch bis zum Halse steht, dessen Leid ist uns offenbar noch zu fern, dessen Leid bedroht uns nicht so, wie ein Amokläufer.

Denn das Leide des Bauern ist berechenbar, ein Amokläufer ist es nicht.

Hiob

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Hamna
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 22:06

Eleven, es war also nur fehlender "Mut", keine Einsicht, was dich damals umkehren ließ?

Zunächst: ich bin froh, dass du es nicht getan hast. Du nicht auch?

Du schreibst von einem Mädchen auf Platz 1 deiner Liste. Glaubtest du / glaubst du noch immer, dieses Mädchen hat(te) den Tod verdient, weil sie dich nicht geliebt hat?

Und im Falle von Tim K.: unbeteiligte Passanten zu erschießen, Schüler(innen) die eigentlich zu jung waren, um die zu sein, die ihn (vielleicht) drangsaliert haben zu seiner Schulzeit - das soll nicht sinnlos sein?

Hut ab vor deinem Mut, dich hier zu outen!
Aber verstehen kann ich dich nicht.

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Pitt
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 22:21

gompert hat geschrieben: Seltsam wie sich hier die Geister scheiden. Ich habe mich damals an diese Worte von Rau geärgert: Wir verstehen diese Tat nicht.
Ich möchte Gompert beipflichten.
Mich ärgern diese Worte auch.
Die Kommentare in der Presse sind nicht alle schlecht.
Folgender hat mir besonders gut gefallen:
Die Versuche, Amokläufern nicht zu verstehen:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/888/461514/text/
Lg
Pitt

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Gast
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 23:01

Zwar schon 1981 erschienen, aber wie mir scheint, immer oder mehr noch aktuell. Der Autor Wolfgang Pohrt (Soziologe) zum Thema Jugendkriminalität. Nicht, dass ich alles unterschriebe, und nur beschränkt den sarkastischen Tonfall. Aber wie ich finde, dennoch anregend.

W. Pohrt in: Ausverkauf
"Die Medien unterscheiden zwei Tätertypen: das Monster und den Sozialfall. Die Tat des Monsters, der scheibar grundlos begangene sadistische Exzess auf der Titelseite sorgt für den Adrenalinstoß der die dösigen Pendler morgens mit einem Tritt ins vegetative Nervensystem auf Touren bringt. Auf wundersame Weise regt der Balken im Dreckblatt gleichzeitig an und beruhigt. ( . . .) Die Bestätigung der durch sinnlose Unterdrückung verstümmelten Triebe bestätigt die Notwendigkeit ihrer Unterdrückung. (. . .) Wer im Vorortzug die Story vom Halbwüchsigen las, der wegen drei Mark die Rentnerin erdorsselte, um anschließend auch noch den Hund zu erschlagen und die Leiche zu schänden, der weiß, warum er so früh aufstehen muß und geht beruhigt zu Arbeit. (. . .)

Der Sozialfall ist ein Fall, dem man helfen kann. Er ist der von allen herbeigesehnte Beweis für die Illusion, es wäre unter den bestehenden Verhältnissen noch jemand zu helfen. (. . .) Während das Monster das unverbesserliche ewige Böse war, ist der Sozialfall die durch äußere Widrigkeiten verhinderte Tugend. (. . .) Während die Betrachtung des Kriminellen als Monster ihn dämonisiert, entmündigt ihn seine Rubrizierung unter die Sozialfälle."

Gruß
Anastasius
Zuletzt geändert von Gast am Fr., 13.03.2009, 23:26, insgesamt 1-mal geändert.

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Alles_Klaro
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 23:06

Och,
es ist schon schwierig beim Thema zu bleiben - denn viele nachdenkenswerte Statements regen hier zum Nachdenken an. Ernst genug und schwer zu bewältigen ist die ausgelöste Erschütterung (auch quer durchs Land) durch die Tat schon - soviel zum Aspekt: wo ist der Sinn?

Doch wenn ich sowas hier lese, dann finde ich ein solches Outing von Eleven höchst fragwürdig und nicht nur mutig - respekt, wie moderat das Rilke hier behandelte.

Was heißt zu "etwas" gemacht zu werden?

Und anhand der vielen Todesopfer in Winnenden und den Auswirkungen für alle Beteiligten halte ich Eleven's Äußerung von wegen "kein Mitleid mit den Opfern" schlichtweg für unangebracht und verachtend.
Eleven hat geschrieben: ... habe ich sehr viele Parallelen zu Tim erkannt - der Typ sah sogar so aus wie ich in etwa ausgesehen haben - oder ich bilde mir das nur ein...

... auch fehlt mir bis heute jegliches Mitleid für Opfer, weil ich genau weiß, wie es ist, zu etwas gemacht zu werden. Damals haben mindestens 10 Menschen so ein Schwein gehabt, und wissen es bis heute nicht ...
Was bitte möchtest du mit deinem Post bezwecken?

Mir fehlen eben die Worte,
Klaro.
Zuletzt geändert von Alles_Klaro am Fr., 13.03.2009, 23:07, insgesamt 1-mal geändert.

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Eleven
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 23:06

Rilke hat geschrieben:es war also nur fehlender "Mut"
Woran ich mich noch erinnern kann, ist, dass Littleton erst kürzlich davor passiert ist. Ich wäre demnach "nur" ein Nachahmungstäter gewesen, aber es war mir wichtig mehr Leute umzubringen, als es diese zwei Typen (Eric Harris und Dylan Klebold) zu zweit geschafft haben. Dafür hat es einen Plan gegeben, inkl. sich selbst in den Kopf zu schießen, bevor die Polizei eintrifft. Ich habe Zweifel gehabt, ob mein Plan aufgehen würde (eben weil mindestens 10 Leute eingeplant waren), UND wie ich reagieren würde, wenn Ziel 1 vor mir zusammenklappt. Ja, mich hat der Mut verlassen. Ich habe geglaubt, dass ich das nicht durchziehen könnte.
Rilke hat geschrieben:Glaubtest du / glaubst du noch immer, dieses Mädchen hat(te) den Tod verdient, weil sie dich nicht geliebt hat?
Irgendwie denke ich, dass ich damals nicht einmal geglaubt habe, dass sie es verdient. Damals war ich ganz allgemein unzufrieden und wollte Suizid begehen. In mir hat sich eine gewisse Einstellung manifestiert, die gelautet hat:"wenn ich nichts vom Leben haben darf, dürfen auch andere (so viele wie möglich) nichts davon haben" (mir ging es sehr wohl um das mediale Interesse, welches ich hervorgerufen hätte, und wie erreicht man dies? Indem man viele Menschen umbringt...) und im Falle von diesem Mädchen:"Wenn ich dich nicht haben kann, darf dich keiner haben". Heute ist sie mir aber sowas von total egal - mehr noch: heute denke ich, dass wir gar nicht zusammengepasst hätten, wenn wir zusammengekommen wären.
Rilke hat geschrieben:das soll nicht sinnlos sein?

Wenn man so argumentiert, könnte man sich auch fragen, wie sinnvoll das Leben an sich ist. Es ist auch sinnlos, aber auch wenn wir es Motivation nennen würden, würde ich Tim nicht verstehen, außer eben, dass ich mir vorstellen kann, dass man sich seinen Weg freischießt und wenn man schon schlechte Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht hat, könnte man es undifferenzierten Hass auf Frauen/Mädchen nennen.
Alles_Klaro hat geschrieben:Was heißt zu "etwas gemacht zu werden"?
Was hier nicht nur von meiner Seite geschrieben wurde (allerdings nicht mit so viel Verständnis untermauert wurde). Ein Mobber wird etwas im Opfer bewirken und dass es der dumme Gemobbte immer so auffassen wird, dass er klein beigibt, liegt im Wunschdenken des Mobbers, aber wie man unschwer erkennen kann, können sich auch die vermeintlich Schwachen zur Wehr setzen. Wir verstehen uns hier ganz gut, Alles_Klaro, deswegen brauche ich das hier wohl nicht zu erwähnen: man kann nicht den Aggressor spielen und glauben, dass das nie Konsequenzen für einen selbst haben wird, weil man dem Dummen dann doch noch so viel Intelligenz zutraut, dass er sich dagegen anders wehren kann oder wehren will, als mit Gegengewalt.
Alles_Klaro hat geschrieben:unangebracht und verachtend.
Unangebracht in einem Psychotherapieforum, wenn ich einen persönlichen Bezug zum Thema habe? Das sehe ich anders. Verachtend - ja, genau deswegen, weil ich einen Bezug zum Thema habe.
Alles_Klaro hat geschrieben:Was bitte möchtest du mit deinem Post bezwecken?
Ich möchte mir etwas von der Seele schreiben, was mich belastet.
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Hamna
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 23:36

Woran ich mich noch erinnern kann, ist, dass Littleton erst kürzlich davor passiert ist. Ich wäre demnach "nur" ein Nachahmungstäter gewesen
Aber Littleton hat dich nicht zu deinem Vorhaben inspiriert, habe ich das richtig verstanden?
mir ging es sehr wohl um das mediale Interesse, welches ich hervorgerufen hätte, und wie erreicht man dies? Indem man viele Menschen umbringt.
Aber davon hättest du selbst doch letztendlich nichts gehabt, wenn dein Plan war, dich selbst zu richten?

@Klaro - ja, ich finde es tatsächlich eher mutig als fragwürdig. Schreien wir nicht alle (auch hier!) nach Erklärungen, und spekulieren seitenweise, wie es zu einer solchen Tat kommt, was im Täter vorgeht? Jetzt meldet sich ein Mensch, der fast selbst einmal eine solche Tat begangen hat. Also sollten wir ihm auch zuhören, wenn er diesen Schritt geht, sich hier zu outen. Es sei denn, wir wollen alle nicht beim Spekulieren gestört werden

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Eleven
Helferlein
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Beitrag Fr., 13.03.2009, 23:55

Rilke hat geschrieben:Aber Littleton hat dich nicht zu deinem Vorhaben inspiriert
Definitiv doch, aber es wären andere Motivationen gewesen, weil ich (als Person) wenig Parallelen zu Eric und Dylan aufgewiesen habe, aber erschütternd viele zu Tim. Das macht mich so fertig! Fast zehn Jahre, nachdem ich mich dagegen entschieden habe, erscheint in den Zeitungen ein Typ, der mir aber sowas von verdammt ähnlich ist/war, wie ich es mit 18 war. Es könnte demnach sein, dass ich es wirklich durchgezogen hättte, wenn es Tim vor zehn Jahren gegeben hätte. Heute ist für mich die Idee mit Amoklauf nämlich gestorben.
Rilke hat geschrieben:Aber davon hättest du selbst doch letztendlich nichts gehabt, wenn dein Plan war, dich selbst zu richten?
Ich habe mir vorgestellt, dass ich im letzten Moment Genugtuung gehabt hätte. (Mehrere Tote als Genugtuung für mein Leid und mediales Interesse gestützt durch einen erklärenden Abschiedsbrief). Ich habe mir vorgestellt, dass mir erst jemand zuhören wird, wenn es bereits zu spät ist bzw. etwas passiert ist, dass mir jemand zuhört. Vielleicht hätte ich selbst nichts mehr davon gehabt, aber vielleicht andere, die so sind wie ich (hier könnte man ev. meine Motivation sehen, mich eher auf Tim's Seite zu stellen, als auf die seiner Opfer).
PS: mir ist eine Motivation eingefallen, die ich hatte, als ich umgekehrt bin: ich habe geglaubt, dass ich dadurch alle meine Sympathien verspielen würde...selbst wenn es da draußen jemanden geben würde, der mich auch nur halbwegs verstanden hätte, wäre Blut an meinen Händen gewesen. Wirr, ich weiß, aber so habe ich eben damals gedacht
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Dornröschen Dorn
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 00:22

Mein Standpunkt dazu ist: Ich bin auch erschüttert darüber. Aber ich habe auch eine Ahnung davon, wie es vlt in ihm aussah. Aber ich kann es auch NICHT ganz nachvollziehen! Ich wurde ca. 11 Jahre gemobbt. Und ja, Gefühle können heftig sein. Aber ich würde auch nie (!) so eine Tat begehen! Ich hätte mich schon paar Mal wegen den Mobbing Erinnerungen selbst umgebracht. Aber so sehr ich auch über diese Menschen die mir das antaten traurig bin oder in Gedanken Wut entwickle, könnte ich trotzdem nie sowas machen wie er! Nämlich letztendlich denke ich sogar immer noch an das Gute im Menschen (so schnulzig das auch klingt *g) u. das sie es vlt im höheren Alter einsehen werden, was sie taten. Oder das ich auf nettere Menschen doch noch treffe. (was schon vonstatten gegangen ist! Ein Glück!)

Ich hoffe sehr, das die Menschen die andere mobben, sich durch diesen Amoklauf ihr Verhalten wenigstens nur ein gaaanz kleines bischen überdenken.

P.S.: Ich habe Mitleid mit den Opfern. Also, so wie Eleven der gemobbt wurde, denke ich nicht. Obwohl ich auch schon "dank" des Mobbings in Todesangst zweimal mindestens war. Trotzdem kann ich keinen Menschen soo hassen, das ich über ihn drüber steige, wenn der vor mir verletzt liegt. Und schon garnicht jemanden töten!
Erfahrungen sind die Schlüssel zu noch mehr Glück und Vollkommenheit, für alle Schlösser, die das Leben mir noch bringen wird..



Lieben Gruss und bis bald!

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Torsade_de_pointes
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 01:15

ich bin mir sicher es gibt nicht nur eleven, sondern auch twelve, thirteen, fourteen, twenty, thirty, fifty and hundred, die während ihrer pubertät mit zerstörerischen gedanken spielen, es aber dann nicht umsetzen.
@eleven
nun bist du aber erwachsen genug um dir eine professionelle hilfe zu holen wenn es dir immer noch sehr schlecht geht und dir dein leben sinnlos erscheint. mach doch was draus.... auch wenn du es schwer hattest, (das hatten andere auch), jetzt hast du es selbst in der hand aus deinem leben etwas zu machen. es ist niemals zu spät! irgendwann muß schluß sein mit dem eigenen sumpf in dem man sich treiben läßt, irgendwann muß man einfach auch die beine unter die arme packen und gemma, marsch, vorwärts!

hast du ziele?
Das wäre wirklich einmal eine interessante Information. Treten Amokläufe wirklich gehäuft an Schulen auf?
im tv wurde gesagt - weiß aber nicht mehr wer das war - amokläufe finden deshalb häufig in kindergärten oder schulen statt, weil dort ganz sicher niemand damit rechnet (im gegensatz zu discotheken wo auch security verweilt) und somit niemand bewaffnet ist. weil dort die harmlosesten opfer sind, die kinder. dieser ort ist also einer der überschaubarsten für diese täter, weil trotz allem habe ja auch die täter angst.
meine meinung ist, daß wohl die meisten sich als versager fühlen, und zumindest diese angelegenheit, diesen letzten plan mit bravour durchziehen wollen. sie wollen ja ihr potential herzeigen. ich denke dadurch ist da bestimmt auch was wahres dran, daß sie sich solche plätze aussuchen.
kann aber bestimmt auch noch andere gründe haben.
ich hab es zumindest so am rande mitbekommen.

allen eine gute nacht, es grüßt euch tdp, schlaflos in vienna...

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gompert
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Beiträge: 493

Beitrag Sa., 14.03.2009, 01:27

Torsade_de_pointes hat geschrieben: amokläufe finden deshalb häufig in kindergärten oder schulen statt, weil dort ganz sicher niemand damit rechnet..
Das glaube ich genauso. In Belgien hat neulich ein 20-jähriger 3 Babies in einer Kinderkrippe getötet und viele verletzt. Mit Rache gegen Lehrer hat das also nichts zu tun.

gutnacht allerseits

LG Gompert, schlaflos am Nordseestrand
Zuletzt geändert von gompert am Sa., 14.03.2009, 01:28, insgesamt 1-mal geändert.
Staunend liest's der anbetroffne Chef......

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Hamna
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Beitrag Sa., 14.03.2009, 01:28

Ich hoffe sehr, das die Menschen die andere mobben, sich durch diesen Amoklauf ihr Verhalten wenigstens nur ein gaaanz kleines bischen überdenken
Ja, einige vielleicht, so hoffe ich zumindest auch.

Andererseits hat es mich heute Mittag total erschüttert, als meine Tochter mir erzählte, eine Lehrerin hätte sie so dermaßen auflaufen lassen und vor der ganzen Klasse bloßgestellt! Und wieder ist da die Frage: was geht eigentlich in den Köpfen der Lehrer vor? Gar nichts??

Zum Glück ist meine Tochter weit davon entfernt, ein Mobbing-Opfer zu sein, sei es jetzt von Seiten der Lehrer (denn die mobben durchaus auch!) oder anderer Schüler. Trotzdem, ein solches Verhalten einer Lehrerin .. nachdem gestern noch in allen Klassen die Lehrer einfühlsam über die Geschehnisse in Winnenden mit den Schülern gesprochen haben (sollen). Ganz großes Kino!

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