Eigenverantwortung?
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Was die Verantwortungsübernahme durch Therapeuten angeht, so muss man denke ich zunächst mal die unterschiedlichen Funktionen unterscheiden. Grundsätzlich hat der Therapeut in "Normalsituationen" weder das Recht noch die Pflicht die Verantwortung für Entscheidungen des Patienten zu übernehmen, noch diese vorzugeben. Der Therapeut trägt in der Therapie lediglich die Verantwortung für den Rahmen und die fachgerechte Durchführung der Therapie, nicht aber für die Entscheidungen oder Therapieerfolge des Patienten, geschweige denn für dessen Alltagsverhalten. Anders sieht die Situation aus, wenn eine Gefährdungslage (Selbst- oder Fremdgefährdung) vorliegt. Hier hat der Therapeut eine Garantenpflicht gegenüber dem Patienten und muss ggf. auch gegen den Willen des Patienten Maßnahmen einleiten. Wann er diese Gefährdungslage gegeben sieht, entscheidet er aber nur im ersten Moment alleine, darf den Patienten allenfalls festhalten, bis der Krankenwagen oder die Polizei eintrifft. Entscheiden kann er über eine Zwangseinweisung nicht. (Zumindest formal, faktisch wird sich ein Notarzt oder Polizist meist seiner Einschätzung anschließen). Wenn dann eine Zwangseinweisung richterlich angeordnet ist, ist die Situation der Kliniktherapeuten natürlich eine andere, da geht es dann in erster Linie um Gefahrenabwehr, da ist dann Ebbe mit der Selbstbestimmung.
Grundsätzlich aber und vor allem in der ambulanten Therapie ist das explizite Ziel, den Therapeuten überflüssig zu machen, also maximale Eigenverantwortung. Natürlich gibt es auch Patienten, die die Verantwortung für ihr Leben und ihr Befinden nicht übernehmen können oder wollen und daher dauerhaft auf beratende Gespräche angewiesen sind. Aber für die ist eben auch keine ambulante Psychotherapie vorgesehen, sondern eher eine sozialpsychiatrische Begleitung oder Betreuung.
@Montana: Eigenverantwortung bezieht sich ja nicht immer nur auf die operationale Bewältigung der alltäglichen Lebensaufgaben. Eigenverantwortung bezieht sich in der Psychotherapie vor allem auf die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Gefühle. So kann z.B. eine Frau mittleren Alters, die sich immer um alle anderen kümmert, jedesmal nachgibt, um Konflikten aus dem Weg zu gehen und sich so viele Aufgaben auflädt, dass sie irgendwann eine Erschöpfungsdepression bekommt, operational hoch funktional und eigenverantwortlich ihr Leben organisieren, aber dadurch gleichzeitig keinerlei Verantwortung für die eigene Gesundheit, das eigene Befinden und die eigenen Bedürfnisse übernehmen. Das gelte es dann in einer Therapie zu thematisieren, mit dem Ziel, operational mehr Verantwortung abzugeben, um emotional und gesundheitlich mehr Eigenverantwortung übernehmen zu können.
Grundsätzlich aber und vor allem in der ambulanten Therapie ist das explizite Ziel, den Therapeuten überflüssig zu machen, also maximale Eigenverantwortung. Natürlich gibt es auch Patienten, die die Verantwortung für ihr Leben und ihr Befinden nicht übernehmen können oder wollen und daher dauerhaft auf beratende Gespräche angewiesen sind. Aber für die ist eben auch keine ambulante Psychotherapie vorgesehen, sondern eher eine sozialpsychiatrische Begleitung oder Betreuung.
@Montana: Eigenverantwortung bezieht sich ja nicht immer nur auf die operationale Bewältigung der alltäglichen Lebensaufgaben. Eigenverantwortung bezieht sich in der Psychotherapie vor allem auf die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Gefühle. So kann z.B. eine Frau mittleren Alters, die sich immer um alle anderen kümmert, jedesmal nachgibt, um Konflikten aus dem Weg zu gehen und sich so viele Aufgaben auflädt, dass sie irgendwann eine Erschöpfungsdepression bekommt, operational hoch funktional und eigenverantwortlich ihr Leben organisieren, aber dadurch gleichzeitig keinerlei Verantwortung für die eigene Gesundheit, das eigene Befinden und die eigenen Bedürfnisse übernehmen. Das gelte es dann in einer Therapie zu thematisieren, mit dem Ziel, operational mehr Verantwortung abzugeben, um emotional und gesundheitlich mehr Eigenverantwortung übernehmen zu können.
It is better to have tried in vain, than never tried at all...
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Ja, klar, aber in der Situation gibt es initial niemanden, der die Verantwortung für die Gesundheit der Frau tragen würde. Sie lebt in einer Welt, in der die keine Rolle spielt. "Eigenverantwortung übernehmen" suggeriert aber, man wäre in einer Art Versorgungsbeziehung, wo man sich hängen lässt, während andere "die Arbeit machen". Das mag an der Brille liegen, durch die ich schaue, dass ich diese Assoziationen dazu habe. Das Problem der beschriebenen Frau sehe ich nicht in mangelnder Verantwortungsübernahme. Nichtmal sich selbst gegenüber. Denn sie würde wohl, wenn sie das Problem überhaupt wahrnehmen würde. Aber das tut sie nicht. DAS anzuschauen ist natürlich immens wichtig. Aber für mich passt der Begriff Eigenverantwortung nicht dazu.
Doch, die Frau trägt die Verantwortung, auch wenn sie das vielleicht noch nicht in Gänze verstanden hat.
Hätte sie gar nichts verstanden dann wäre sie erst gar nicht los gegangen sich Hilfe zu suchen, also gar keinen 1. Schritt getan. Der 2. Schritt - also das tiefere Verständnis dafür dass sie gut für sich sorgen darf und das auch selbst tun muss soweit es möglich ist - kann dann gemeinsam in der Therapie erarbeitet werden so die Frau dies zu lässt.
Vielleicht lehnt sie die Verantwortung dafür auch gänzlich ab und wartet insgeheim darauf, dass sie irgendwann umfällt. Weil ihr gefühlsmäßig die Legitimation fehlt, sich Hilfe zu suchen. Zur Therapie hat sie möglicherweise die Erkenntnis geführt, dass es bis zum Umfallen sehr lange dauert und man vorher wahrscheinlich noch Job und Beziehung an die Wand fährt. Primäres Ziel der Therapie ist erstmal, die Legitimation zum Beginn der Therapie zu erhalten. Vorher ist ernsthaftes Arbeiten nicht möglich. Wer jetzt vermutet, ich könnte über mich selbst schreiben, der könnte Recht haben.
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Verstehe ich dich richtig: Jemand, der nicht eigenverantwortlich handelt, steht also quasi kurz vor der Entmündigung?
Gibt es denn eine Pflicht zur Eigenverantwortung?
Ich würde sagen, solange keine Selbst- oder Fremdgefährdung gegeben ist (und auch keine Fürsorgepflichten für eigene Kinder o.ä. eine Rolle spielen), beeinhaltet Autonomie, dass man das tun kann, was man möchte. (Und die Folgen seines Tuns oder Nichttuns trägt man, egal ob man dazu bereit ist.)
Aha, eine Entmündigung (heute nennt man das eher Betreuung) wäre also auch eine eigene Entscheidung? Meines Wissens ist das ein gerichtlicher Akt, was an enge Voraussetzungen geknüpft ist, die man sich nicht eben Mal aussuchen kann.Oder halt sich entmündigen lassen dann trifft jemand anders die Entscheidung für einen...nur ob diese Entscheidung dann wirklich besser ist?
Liebe Grüße
stern
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(alte Weisheit)
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Stern, Du handelst IMMER eigenverantwortlich als erwachsener, mündiger Mensch. Solange Du nicht wirklich gewaltsam zu etwas gezwungen wirst ist jede Handlung (oder nicht Handlung) Deine eigenverantwortliche Entscheidung.
Dh. auch die Frau die sich ausbeuten lässt handelt eigenverantwortlich, sie handelt nur nicht gut im eigenen Sinne, übernimmt also nicht ausreichend Verantwortung für sich selbst bzw. ihr eigenes Wohlbefinden. Es geht in einer Therapie darum bewusster die Verantwortung FÜR SICH SELBST zu übernehmen und diese nicht an die Lebensumstände, Mitmenschen oder den Therapeuten abzugeben und sich so "zum Opfer" zu machen.
Dh. auch die Frau die sich ausbeuten lässt handelt eigenverantwortlich, sie handelt nur nicht gut im eigenen Sinne, übernimmt also nicht ausreichend Verantwortung für sich selbst bzw. ihr eigenes Wohlbefinden. Es geht in einer Therapie darum bewusster die Verantwortung FÜR SICH SELBST zu übernehmen und diese nicht an die Lebensumstände, Mitmenschen oder den Therapeuten abzugeben und sich so "zum Opfer" zu machen.
Doch, tut sie. Sie übernimmt durchaus Verantwortung für ihr eigenes Wohlbefinden. Aber sie tut das in einem sehr engen Rahmen. Man kann sich durch den Dienst an anderen Wohlbefinden verschaffen. Eine bestimmte Art davon. Andere Arten von Wohlbefinden sind ihr wahrscheinlich verschlossen. Zum Beispiel, ein Bad als entspannend und wohltuend zu empfinden. Da hilft es auch nicht, wenn man sie ermutigt: gönn dir mal ein Bad. Eine hautpflegende Lotion vielleicht noch. Und frage ich mich: muss sie lernen, ein Bad entspannend zu finden? Oder kann man auch sagen: sie passt gut auf sich auf, indem sie diesen Trigger meidet?
Letztlich entscheidet das die Frau selbst.
Aber sie muss es dann eben auch akzeptieren wenn ihr ein Therapeut sagt: Hören Sie Frau XYZ wenn sie alle meine Vorschläge und Ideen ablehnen und auch keine eigenen Vorschläge und Ideen haben die zu einer Verbesserung führen könnten bei denen ich Ihnen Unterstützung leisten könnte dann kann ich Ihnen leider nicht helfen. Dann bin ich nicht der passende Therapeut für Sie.
Dann muss die Frau eben weitersuchen bis sie einen passenderen Therapeuten gefunden hat oder aber akzeptieren dass ihr Handeln ihr nicht nur einen Vorteil sondern auch Nachteile bringt und mit diesen Nachteilen leben.
Letztlich ist ja jede Entscheidung auch eine Rechnung in Richtung: Vorteil-Nachteil. Wenn etwas für mich mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt dann entscheide ich mich dafür, wenn mir etwas mehr Nachteile als Vorteile beschert dagegen.
Aber sie muss es dann eben auch akzeptieren wenn ihr ein Therapeut sagt: Hören Sie Frau XYZ wenn sie alle meine Vorschläge und Ideen ablehnen und auch keine eigenen Vorschläge und Ideen haben die zu einer Verbesserung führen könnten bei denen ich Ihnen Unterstützung leisten könnte dann kann ich Ihnen leider nicht helfen. Dann bin ich nicht der passende Therapeut für Sie.
Dann muss die Frau eben weitersuchen bis sie einen passenderen Therapeuten gefunden hat oder aber akzeptieren dass ihr Handeln ihr nicht nur einen Vorteil sondern auch Nachteile bringt und mit diesen Nachteilen leben.
Letztlich ist ja jede Entscheidung auch eine Rechnung in Richtung: Vorteil-Nachteil. Wenn etwas für mich mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt dann entscheide ich mich dafür, wenn mir etwas mehr Nachteile als Vorteile beschert dagegen.
Wieso braucht es dann Appelle an die Eigenverantwortung bzw. liest oder hört man repetitiv irgendwo etwas in Richtung "werden Sie zufrieden... und lernen Sie Eigenverantwortung für ihr Leben zu überrnehmen o.ä.", wenn das eh gegeben sein soll?
Ich glaube jedenfalls nicht, dass es eine Verpflichtung zur Selbstoptimierung oder Verpflichtung zum eigenem Wohlbefinden gibt.
In welcher Therapie? Und wer legt dieses Ziel fest? Der Therapeut für die Patienten jedweder Therapie? Weil es unbedingt erstrebenswert ist? Siehe Eingangsposting.Es geht in einer Therapie darum bewusster die Verantwortung FÜR SICH SELBST zu übernehmen und diese nicht an die Lebensumstände, Mitmenschen oder den Therapeuten abzugeben und sich so "zum Opfer" zu machen.
Liebe Grüße
stern
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Nö gibts nicht, die Verpflichtung, aber dann muss man auch nicht Ressourcen verschwenden und sinnlos in der Therapie abhängen.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer
Natürlich gibt es keine Verpflichtung dazu an einer Verbesserung des eigenen Wohlbefindens zu arbeiten. Aber jemand dem es gut geht oder der zufrieden ist damit dass es ihm halt nicht so gut geht der braucht schlicht auch keine Therapie. Ganz einfach.
Wenn jemand nur mal ab und an jemanden zum reden braucht, sich ein bisschen auskotzen will oder was auch immer dann ist derjenige in einer Psychotherapie - zumindest so wie sie vom Gesundheitssystem betrachtet wird, nämlich als HEILberuf -am falschen Ort. Der kann dann auch zu Freunden, zum Nachbarn, zum Seelsorger oder zu sonst wem gehen.
Es gibt doch Unmengen von Menschen die es lieben ihr eigenes Leiden zu zelebrieren und ihrer Umwelt damit auf die Nerven zu fallen. Ich hab so ein Exemplar zB. in der Verwandtschaft deren Hobby es ist sich über andere zu beschweren und sich über sie aufzuregen und zu betonen wie schlecht und benachteiligt sie doch dran ist obwohl sie doch sooo gut ist... In neu-deutsch nennt man sowas "toxische Menschen" oder auch "Energiesauger" und die dürfen doch so bleiben wie sie sind wenn sie sich damit wohl fühlen. Macht halt recht einsam so ein Verhalten, aber auch das ist ja eine eigenverantwortliche Entscheidung.
Im Grunde hat Scars es doch schon wunderbar auf den Punkt gebracht:
Es sind aber doch nicht nur depedente Menschen in Psychotherapie?! Sondern meinetwegen für eine Frau, die sich zeitlebens um andere kümmerte und alle mögliche Läden am Laufen hält, kann die Lernaufgabe eine völlig konträre sein... nämlich z.B. bewusst auch mal Verantwortung vertrauensvoll abzugeben. Hammer, wenn dann Therapie sinnlos sein soll.
Leute die glauben, vorsorglich immer das Heft in der Hand behalten zu müssen, damit einem die Kontrolle nicht entgleitet, findet man jedenfalls auch oft genug in Behandlung - und haben ihr Leben somit nicht zwingend maximal in Richtung Selbstverantwortung optimiert.
Leute die glauben, vorsorglich immer das Heft in der Hand behalten zu müssen, damit einem die Kontrolle nicht entgleitet, findet man jedenfalls auch oft genug in Behandlung - und haben ihr Leben somit nicht zwingend maximal in Richtung Selbstverantwortung optimiert.
Liebe Grüße
stern
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Aber "auch mal Verantwortung vertrauensvoll abzugeben" zu lernen, bedeutet doch auch Eigenverantwortung zu übernehmen.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer
Meiner Erfahrung nach haben Menschen die sich stark gegen die Übernahme von Eigenverantwortung sträuben ein Problem damit "schuld" zu sein. Bzw. eigentlich haben sie wohl kein "Schuld"-Problem sondern ein Scham-Problem.
Interessanter Artikel dazu:
https://wise-mind.de/2017/10/09/neue-an ... sstoerung/
Und natürlich lässt sich das schon therapieren, aber nur wenn der Patient sich auch wirklich therapieren lassen will. Wenn der Patient keinerlei Problemeinsicht zeigt oder zeigen kann dann lässt sich auch nix therapieren.
Ohne Problemeinsicht keine wirksame Therapie.
Mit "depend" hat das oberflächlich betrachtet nicht so viel zu tun, eher mit der Unfähigkeit den eigenen Anteil zu sehen.
Interessanter Artikel dazu:
https://wise-mind.de/2017/10/09/neue-an ... sstoerung/
Und natürlich lässt sich das schon therapieren, aber nur wenn der Patient sich auch wirklich therapieren lassen will. Wenn der Patient keinerlei Problemeinsicht zeigt oder zeigen kann dann lässt sich auch nix therapieren.
Ohne Problemeinsicht keine wirksame Therapie.
Mit "depend" hat das oberflächlich betrachtet nicht so viel zu tun, eher mit der Unfähigkeit den eigenen Anteil zu sehen.
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oder mitunter der Unwilligkeit... (ist ja nicht immer schön anzusehen, der eigene Anteil)
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