Die Ausbildung macht ja keine Maschinen aus den Menschen. Mir fällt jetzt auf die Schnelle kein weiterer Beruf ein, in dessen Ausübung so viel emotionale Intimität entsteht. Es ist ja nicht so, dass da auf der einen Seite ein Patient sitzt, der seine Gefühle, Phantasien und Ängste rauslässt, und auf der anderen Seite sitzt jemand, den das völlig kalt lässt.Justus hat geschrieben: ...da habe ich keinerlei Vertrauen mehr in die Ausbildung...
Haben die bei ihrer eigenen Therapie nur gelogen und geschönt? Warum fällt das nicht auf?
Irgendwelche Gefühle entstehen halt auch auf der anderen Seite. Das gehört bestimmt irgendwie dazu; alles andere wäre ja unmenschlich. So was kann man also auch nicht komplett ausradieren. Wichtig ist nur, dass man sich von diesen Gefühlen nicht hinreißen lässt. Und da muss man sich schon selbst kontrollieren und analysieren, vermute ich. Ansonsten funktioniert eine solche Behandlung einfach nicht.
Ich kann mir aber vorstellen, dass man nicht während der Ausbildung wirklich lernen kann, auf keinen Fall Grenzen zu überschreiten; die Gefahr besteht wahrscheinlich immer. Man kann sicher Techniken lernen; man kann lernen, dass es wichtig ist, sich abzugrenzen. Aber das macht es nicht unmöglich, dass die Gefühle doch mal übermächtig werden können, ohne dass man etwas dagegen tut. Deshalb würde ich nicht sagen, dass die 'nur gelogen haben' - ich gehe mal davon aus, dass auch jotbes Therapeut ihr wirklich helfen wollte und nicht gemerkt hat, dass er dabei vor allem an sich denkt. Es ist ja nicht jeder Therapeut seelisch gesund. Das muss man vielleicht einfach feststellen. Irgendwie schleppt doch jeder so seine Neurosen mit sich rum, vermute ich.
Das soll natürlich keine Entschuldigung sein - im Gegenteil! Ich weiß auch gar nicht, was man dazu überhaupt sagen kann. Das kann einen schon sprachlos machen; insofern ist es einfach nur toll, dass du, jotbe, inzwischen an der richtigen Stelle gelandet bist, wo du das verarbeiten kannst. Ich stelle mir das einfach nur schlimm vor! Obwohl die Verantwortung für solche Grenzüberschreitungen und solchen Missbrauch natürlich alleine beim Therapeuten liegen, bleibt einem Patienten vermutlich nichts anderes übrig, als selbst zu merken: "Da stimmt was nicht!" - so traurig das ist.
Und da sehe ich das Problem, dass es meiner bescheidenen Meinung nach viel zu oft zu Grenzverletzungen kommt, die so subtil sind, dass sie vom Betroffenen gar nicht als solche wahrgenommen werden. Und das ist dann sicher kontraproduktiv für das Erreichen des Therapieziels. Man liest das hier immer und immer wieder. Auch im Thread über 'therapeutisch wertvolle Zitate' - was ist daran wertvoll, wenn der Therapeut sagt, er halte die Patientin für ausgesprochen attraktiv? Oder sie sei seine Lieblingspatientin? Oder was ist daran therapeutisch wertvoll, sich ständig zu smsen oder wiederholt privat zu telefonieren oder die Stunden immer mal um 20 Minuten zu überziehen? Ich verstehe so was einfach nicht. Ich verstehe es aus der Perspektive der Patienten - nicht aber aus therapeutischer Sicht.
Bei mir war es so, dass der Therapeut gleich in den ersten Stunden sehr deutlich klargemacht hat, dass Grenzen wichtig sind. Ich fand das erst etwas befremdlich, weil ich mich völlig 'unschuldig' fühlte, und ich hab mich gefragt, was daran nun so wichtig ist, die Stunde nicht mal eine oder zwei Minuten früher zu beginnen. Auf den ersten Blick wirkte das kühl. Aber mir wurde dann klar, dass es sicher nicht um diese Minuten geht, sondern um etwas anderes, nämlich darum, dem Patienten zu zeigen, dass diese Grenzen unbedingt eingehalten werden müssen, weil sonst eben alles 'wischiwaschi' wird.
Die Übergänge sind da bestimmt fließend. Ich kann mir irgendwie nur schwer vorstellen, dass jotbes Therapeut nur bei ihr so übergriffig geworden ist. Vermutlich hat er ein generelles Problem damit, sich abzugrenzen. Wer weiß, wie viele Patienten 'rumlaufen', die mehr oder weniger künstlich vom Therapeuten in Abhängigkeit gehalten werden, ohne dass sie es merken? Die Berichte von Patienten, die nach Jahren Therapie felsenfest davon überzeugt sind, ohne ihren Therapeuten nicht lebensfähig zu sein, liest man ja nicht nur hier. Solche Abhängigkeit fällt ja nicht vom Himmel: Entweder die Patienten haben aufgrund ihrer Biographie entsprechende Ängste, dann würde so etwas in der Therapie ja wohl auffallen und bearbeitet werden müssen. Oder der Therapeut verstärkt die Abhängigkeit künstlich durch sein Verhalten. Oder beides. Aber genauso, nehme ich mal an, wie man die Abhängigkeit fördern kann (ganz ohne vorübergehende Abhängigkeit wird es wohl nicht funktionieren), müsste man diese dann ja wohl auch auflösen können, oder?
Aber natürlich nicht, indem man den völlig verstörten Patienten dann kurz vor dem eigenen Nervenzusammenbruch vor die Türe setzt! Das ist ja noch mal der Oberhammer!
Hast du mal überlegt, diesen Therapeuten bei der Kammer zu melden?