Ausreden, Schuld, Verantwortung - oder was?

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hawi
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Beitrag Do., 07.10.2010, 20:50

Anastasius hat geschrieben: Da ist mir der (vielleicht zu) gestrenge alte Herr aus Königsberg doch lieber: "Du kannst, weil du sollst." Und Punkt.
Mir nicht!!! Ich lass mir doch nicht mein Können befehlen, weder von Toten noch von Lebendigen.

hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell

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Beitrag Do., 07.10.2010, 21:02

hawi hat geschrieben:Ich lass mir doch nicht mein Können befehlen,

Anastasius

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Ive
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Beitrag Do., 07.10.2010, 21:46

@ Hawi

Hab ich irgendwo gesagt, dass ich Diktaturen gut finde? Bin ein bisschen irritiert ... Die Demokratie ist - mild ausgedrückt - nicht unfehlbar; ja, sicher: Weil es die Menschen nicht sind; aber etwas Besseres wurde (gilt für beides) noch nicht erfunden, oder?

Gruß, Ive

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hawi
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Beitrag Fr., 08.10.2010, 07:37

Ive hat geschrieben: Hab ich irgendwo gesagt, dass ich Diktaturen gut finde? Bin ein bisschen irritiert ... Die Demokratie ist - mild ausgedrückt - nicht unfehlbar; ja, sicher: Weil es die Menschen nicht sind; aber etwas Besseres wurde (gilt für beides) noch nicht erfunden, oder?
Hallo Ive,

Ist das ein Test, ob ich die Kunst der Selbstrechtfertigung beherrsche?
Nein, wenn ich da missverständlich geschrieben habe, tut es mir leid. Ich kam halt über den Gedanken, Demokratie fördert womöglich Selbstrechtfertigungsfähigkeiten zum Gegenteil von Demokratie, zu dem, was mir automatisch einfällt, wenn ich mir Demokratie wegdenke. Diktatur, totalitäre Staatsformen, auch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen kommen mir dann ganz automatisch in den Sinn. Und bei diesem Thema hier ganz besonders. Denn in solchen Gesellschaften kann kaum jemand üben, wie Rechtfertigen geht. „Oben“ braucht es dann keiner, weil oben dann meist ja gar kein Fehlverhalten vorgesehen ist. Und „unten“ kann sich schon deshalb nicht sonderlich gegenüber „oben“ rechtfertigen, weil „unten“ dazu die Kompetenzen fehlen, „unten“ dazu schlicht zu blöd ist.
Ich glaube sogar, dass das, was ich in meinem ersten Beitrag kritisiert habe, dass unsere noch unterentwickelte Kultur, ohne vorweggenommene Schuldzuweisungen Fehlentwicklungen zu diskutieren, zum Teil darin begründet ist, dass wir insgesamt so demokratiegeübt gar nicht sind. Ich nenns mal „patriarchisches Gedankengut“. Der Glaube, wenn jemand oben ist, was zu sagen hat, dann dürfen seine Entscheidungen, darf das, was geschieht, nicht fehlerhaft sein, dies aus meiner Sicht undemokratische Denken steht uns weiter oft im Weg, allen, denen „oben“, die dann auf einmal meinen, sie seien Patriarche, sie seien in der Position auf einmal unmenschlich fehlerfrei, und denen „unten“, die das spiegelbildlich anscheinend auch oft denken, die „oben“ mit zum Teil unmenschlichen Maßstäben messen, Fehlerlosigkeit erwarten, weils halt „oben“ ist.

Für mich heißt (menschliche) Demokratie auch, ganz allgemein menschliche Fehlbarkeit zu akzeptieren, sie bei jedem unabhängig von „oben“ und „unten“ zu erwarten.

Gut, wir haben keine bessere Staatsform zu Zeit, und ich bin auch kein Anarchist
Das und anderes von dir klingt mir nach mehr Zweifeln an der Demokratie als ich sie habe. Ich zweifle nicht an sondern am Umgang mit ihr.

Über Anarchie habe ich viel spekuliert, nachgedacht. Nur als Gedankenmodell, als Fantasie, fände ich Anarchie ideal. Als reales Gesellschaftsmodell lässt sich Anarchie pur aber wohl nicht umsetzen. Aber etwas mehr Anarchie im persönlichen Denken aller, ich hätte jedenfalls nichts dagegen.

LG hawi
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Ive
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Beitrag Fr., 08.10.2010, 08:00

Hallo Hawi,

Test bestanden - ich denke, ich verstehe Dich jetzt besser. Im Ernst, es ja ist dieselbe Sache, über die wir reden, lediglich von unterschiedlichen Standpunkten aus betrachtet. Gemessen an anderen Staatsformen dürfen wir über unsere Demokratie, wenn schon nicht unbedingt glücklich, so doch dankbar sein.

Nein, in mir schlummert keine kleine Anarchistin, es hat mich schlicht schon einige Male empört, wenn Politiker erst ein Chaos anrichten und dann ihre Hände in Unschuld waschen können, ohne nennenswerte Konsequenzen - that is it. Und in meinen Augen sieht es so aus, dass unsere Staatsform es - sagen wir - erleichtert, unter gewissen Umständen. Andererseits ist das, was in der Vergangenheit unter anderen politischen Bedingungen zu beobachten war, nicht besser gelaufen *hust* - um es betont sanft auszudrücken.

Es sollte hier eigentlich keine politische Diskussion werden, die Eigenverantwortlichkeit vermischt sich aber leider gelegentlich mit der Politik, wie der Eingangstext bezüglich des Buches aufzeigt; meiner Ansicht nach liegt er damit so verkehrt nicht, das sehe ch immer noch so, sorry. Diese Sicht der Dinge muss dennoch nicht gleich die Staatsform insgesamt infrage stellen ...

Eure Gedanken dazu fand ich jedenfalls bisher ausgesprochen interessant, zeigte mir andere Betrachtungen und gelegentlich sogar die Überhöhung meiner eingenen Sicht auf ...

Gruß, Ive

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hawi
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Beitrag Fr., 08.10.2010, 14:58

Ive hat geschrieben:
Nein, in mir schlummert keine kleine Anarchistin, es hat mich schlicht schon einige Male empört, wenn Politiker erst ein Chaos anrichten und dann ihre Hände in Unschuld waschen können, ohne nennenswerte Konsequenzen - that is it.
Es gab Zeiten, da habe ich mich ähnlich empört, ja tierisch über Politiker, Firmenbosse, ganze Berufsstände geärgert, wenn mal wieder ein Anlass da war. Kommt heute zwar immer noch vor, aber seltener. Liegt ja vielleicht auch am Älter werden, aber ( )…

Ich schaffe es heute - wie ich finde - besser, einige Aspekte zu sehen, die ich früher ausgeblendet habe, die mir auch nicht so bewusst waren.

Ich weiß heute besser, dass vieles, was mich ärgert, andere nicht ärgert, ein Teil meiner Emotion kommt daher, dass ich meine Meinung von richtig habe, dass das aber nicht bedeuten muss, alles andere ist falsch. Da ärgere ich mich zwar immer noch wenn was getan wird, was meinen Überzeugungen widerspricht, aber ich mach daraus keinen persönlichen Angriff mehr.

Ich weiß heute besser, dass auch Mächtige nur mit Wasser kochen. Auch die kennen das Ergebnis nicht, bevor es da ist. Spätestens wenn sie dies halbwegs auch zugeben können, kann ich heute akzeptieren, dass ein schlechtes Resultat nicht immer die Ursache von chaotischen unüberlegten erkennbar falschen Grundentscheidungen ist. Wenn sich dann Leute rechfertigen und ich kann es nachvollziehen, dann ist das nicht sofort alles ein Rausreden für mich.

Ich weiß heute besser, welch immensem Druck einige der „Macher“ ausgesetzt sind. Jedenfalls in Demokratien mit einer meinungsmachenden Presse, mit unendlich vielen Interessen und Interessenvertretungen. Wenn ich so einiges lese, höre, denk ich mir zu manchem, der grad angegriffen und niedergemacht wird: „Arme Sau, in deiner Haut möchte ich grad nicht stecken“.

Ich weiß heute besser, wie selektiv ich wahrnehme. Ein Fehler wiegt schwrer als hundert gute Entscheidungen, ein Mächtiger, der an seinem Posten klebt fällt mehr ins Gewicht als all die, die überhaupt nicht kleben, die womöglich mit all den unsachlichen Angriffen, denen sie dauernd ausgesetzt sind, sogar verletzt werden, oder die aus völlig unsinnigen Gründen in die Wüste geschickt werden, den Kopf für was hinhalten, wo sie persönlich überhaupt nichts zu verantworten haben.

Das, noch einiges andere, lässt mich selbst etwas ausgewogener sein, auch zufriedener mit dem, was zwar fehlerhaft ist, aber gar nicht so schlecht.

LG hawi
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