mio hat geschrieben: ↑Mo., 24.12.2018, 15:10
Gehst Du da von Patienten aus die bereits so weit dekompensiert sind dass sie ihre Selbststeuerungsfähigkeit komplett verloren haben?
Nicht unbedingt komplett verloren, aber stark eingeschränkt.
mio hat geschrieben: ↑Mo., 24.12.2018, 15:10
Ich habe das bisher immer eher so verstanden, dass das analytische Setting in solchen Fällen eher dazu beitragen soll...dass diese Fähigkeiten erworben werden können gerade indem der Therapeut diesen Mangel nicht bedient bzw. nicht auf ihn "einsteigt", sich also gerade dann besonders abstinent verhält um dem Patienten das Gefühl/den Raum zu geben er würde sich "allein" und aus "sich heraus" entwicklen (was eben dem "Ich-syntonen" dann entgegenkommt und es so leichter veränderbar macht)…
Mit ich-synton hat das weniger zu tun, sondern mit fehlenden grundlegenden Ich-Fähigkeiten, wie z.B. Selbstregulation, es können aber auch z.B. Schwächen in der Selbst-Objekt-Differenzierung, der Mentalisierungsfähigkeit oder Objektkonstanz vorhanden sein. Diese sogenannten Strukturdefizite, sorgen dafür, dass die für die Analyse notwendige therapeutische Ich-Spaltung nicht funktioniert und das hat etwas mit der Art und der Schwere der Persönlichkeitsstörung zu tun. Eine abstinente Haltung des Therapeuten funktioniert nur, wenn die Patientin in der Lage ist, frei zu assoziieren und gleichzeitig über diese Assoziationen zu reflektieren. Genauso muss die Patientin in der Stunde emotional regredieren können, aber sich gleichzeitig auch am Ende der Stunde wieder daraus lösen können. Klappt das nicht, muss der Therapeut so lange sogenannte Hilfs-Ich-Funktionen übernehmen, bis die Patientin das alleine hinbekommt.und voilà: Da sind wir im modifizierten Setting.
mio hat geschrieben: ↑Mo., 24.12.2018, 15:10
Für meine Begriffe wäre ein geringes Strukturniveau langfristig eine Konatraindikation in Bezug auf allzu modifizierte Verfahren, weil dann ja kein "Wachstum" stattfinden könnte/würde sondern eher "im Alten" verharrt werden könnte. Wenn ich als Patient zB. eh dazu neige indirekt oder manipulativ zu handeln (also zu "agieren"), dann ist mir ja nicht geholfen, wenn das dann auch noch "bedient" würde sondern das Gegenteil wäre der Fall.
Hilfs-Ich-Funktionen zu übernehmen bedeutet ja nicht mitagieren. Selbst Berührungen des Therapeuten (sofern sie denn z.B. bei Dissoziationen notwendig sind) sind nicht unbedingt mitagieren, sofern sie reflektiert und bewusst zielgerichtet eingesetzt werden, ich glaube da wird agieren mit handeln verwechselt, klingt sehr ähnlich, ist aber nicht das gleiche, man kann rein verbal agieren und körperlich Handeln ohne zu agieren. Agieren bedeutet ja, (unbewusste) Impulse/Bedürfnisse durch Handlungen auszudrücken, d.h. wenn ich als Therapeut bewusst und reflektiert aufgrund meiner Behandlungsstrategie handle, ist das keine agieren. Was das agieren der Patienten anbelangt, so resultiert es ja aus einer Unfähigkeit, diesen inneren Gefühlen, Bedürfnissen und Gedanken anders einen Ausdruck zu verleihen. Und je nach Schwere der Störung entwickelt sich der adäquate verbale Umgang damit nicht einfach so von alleine, nur weil der Therapeut abstinent bleibt, da braucht es gezielter Interventionen des Therapeuten, es muss aktiv erlernt werden und das wissen auch die Analytiker (wie gesagt, sofern sie sich solche Patienten überhaupt "antun" und nicht lieber in ihrem gewohnten klassisch-analytischen Setting ausharren, wo es für sie emotional sicherer ist). Ich finde es schade, dass analytische Therapie oft so eindimensional dargestellt wird, dabei sind viele der heute in der VT eingesetzten Therapieverfahren für Persönlichkeitsstörungen (z.B. DBT, Schematherapie) durch psychodynamische Forschung inspiriert worden.