Der Frühling naht: alles beginnt wieder zu blühen, und auch viele von uns merken, wie die “Lebenssäfte” wieder verstärkt zu fließen beginnen. Der Frühling gilt traditionell als Zeit des Verliebens, der Romantik. Doch wie geht es den älteren Menschen, wie erleben sie diese Zeit? Hat sich bei ihnen das Thema “Liebe” erledigt oder handelt es sich vielleicht mehr um ein gesellschaftliches Tabu, sich ein ernsthaftes “Verlieben” oder gar sexuelle Beziehungen bei älteren Menschen gar nicht mehr zu erwarten oder abzuwerten?
Der Wiener Psychotherapeut und Paartherapeut Richard L. Fellner führte zu diesem Thema ein Gespräch mit einem Redakteur der Zeitschrift “Gesünder Leben“.
GL: “Sind Schmetterlinge im Bauch unabhängig vom Alter?”
rlf: “Zum Verlieben ist man nie zu alt! Und wäre es nicht auch traurig, wenn ab einem bestimmten Alter niemand mehr die Chance hätte, bei uns auch nur das geringste Kribbelgefühl in der Brust zu erzeugen..?”
GL: “Was ist das Geheimnis wahrer Liebe?”
rlf: “Diese Frage ließe ich lieber “Julia” oder “Romeo” beantworten! 😉
Aus paartherapeutischer Sicht gibt es dafür kein Universalrezept. Vielmehr wissen wir heute, dass das Gefühl von “Liebe” sowohl historisch als auch kulturell immer schon sehr grossen Wandlungen unterworfen war und bis heute ist. Unser “ideales Liebes-Modell” von heute wird also vermutlich nicht auch das von morgen sein, und in unterschiedlichen Kulturen werden von Partnern mitunter höchst unterschiedlichste Qualitäten erwartet. Was aber die meisten “Liebes-Ideen” vereint, ist a) die Bedeutung der Kompatibilität (Vereinbarkeit) der jeweiligen Bedürfnisse und Erwartungen der Partner, dass b) diese Bedürfnisse und Erwartungen von beiden kommuniziert werden können und – das ist ebenfalls ganz wesentlich – c) dass diese in ihrer Umwelt lebbar sind.
Selbst in unserer vordergründig toleranten Gesellschaft gibt es ja ganz bestimmte Kriterien, an denen die “Qualität” von Beziehungen gemessen wird, und mitunter kann es dazu kommen, dass Partnerschaften letztendlich vor allem daran zerbrechen, weil sie von Freunden und Bekannten nicht respektiert werden. Und schon wieder könnten “Romeo & Julia” mitdiskutieren …”
GL: “In wieweit erlebt man eine Beziehung als 20jähriger anders als als 50/60jähriger?”
rlf: “Jüngere Menschen werfen sich meist mit ihrer gesamten Persönlichkeit in ihre Partnerschaften. Eine Beziehungskrise wird dann rasch auch zu einer regelrechten Lebenskrise. Ältere Menschen dagegen verfügen bereits über mehr Beziehungserfahrung, sind zudem meist in der Lage, auftretende Probleme in einem größeren und damit auch gelasseneren Kontext zu sehen.
Es kann ihnen dadurch allerdings auch schwerer fallen, zu vertrauen, oder den “Schmetterlingen im Bauch” Flugfreiheit zu geben.”
GL: “Stimmt es, dass Verliebt-Sein und Liebe nicht dasselbe ist?”
rlf: “Wissenschaftlich betrachtet handelt es sich dabei schlicht um unterschiedliche hormonelle Stadien. Am Beginn einer Beziehung gibt es hormonelle “peaks”, intensivste Glücksgefühle, der Partner wird dann häufig idealisiert gesehen. Von “Liebe” würde ich dagegen insbesondere dann sprechen, wenn bei einer Beziehung eine gewisse “Selbstlosigkeit” der Partner zu beobachten ist, und “Partnerschaft” nicht nur der Arbeitstitel ist, sondern echten Teamgeist und Kooperation ausdrückt.
Wenn man sich also auch mal selbst hintanstellt und bereit ist, Kompromisse einzugehen oder sogar eigene Bedürfnisse eine gewisse Zeit lang im Interesse des Partners unterzuordnen, das ist Liebe: ein langfristiges Fundament, bei dem einer für den anderen sorgt und für ihn da ist. Wo versucht wird, mit Krisen umzugehen und diese aufzulösen, statt gleich das Weite zu suchen, “weil mir das nicht mehr gut tut“.
Das letztere Modell entspricht eher einer konsumorientierten Sicht von Beziehung, in der man sich bedient und genießt – aber weiterzieht, wenn der Genuss auszubleiben droht oder sich gar in ein Unwohlgefühl verkehrt. Damit, also eigentlich mit dem heute bei uns im Westen dominierenden Beziehungsmodell verglichen, sind etwa die traditionellen (bei uns aber häufig abgewerteten) afrikanischen oder asiatischen Beziehungsmodelle, in denen es mehr um Versorgung und Stabilität geht, aber die Partnerschaften deutlich weniger mit emotionalen Bedürfnissen aller Art aufgeladen sind, deutlich tragfähiger und krisenresistenter. Meine Tätigkeit in Asien und mit bikulturellen Paaren war in dieser Hinsicht sehr lehrreich und denk-erweiternd für mich.”
GL: “Was sind die häufigsten Fehler, die junge, aber auch ältere Paare machen?”
rlf: “1) Kommunizieren Sie! Wenn Probleme und Unannehmlichkeiten im Beziehungsleben ständig nur verdrängt werden, ist ein “dickes Ende” meist unausweichlich. Es ist wichtig, dass Ihr Partner, Ihre Partnerin weiss, woran er/sie mit Ihnen ist, was Sie brauchen, um sich wohlzufühlen, und was Sie stört.
2) Lassen Sie es auch mal gut sein! Wer glaubt, alles ausdiskutieren zu müssen, oder irgendwann den Partner endlich so zurechtformen zu können, dass er für einen keine Ecken und Kanten mehr hat, für den wird die Beziehung nicht nur zu einer Art “Zweitjob”, sondern früher oder später geht wohl auch die Freude an ihr – oder am Partner – verloren.
3) Schützen Sie Ihre Partnerschaft vor anderen! Jeder darf die “ideale Beziehung” für sich selbst definieren, doch fordern Sie diesen Respekt durchaus auch für Ihre eigene Partnerschaft ein. Diese muss in erster Linie nämlich nicht den Ansprüchen der anderen genügen, sondern vor allem Ihren eigenen und jenen Ihres Partners/Ihrer Partnerin.”
(Das Interview erschien in der Ausgabe 04/2012 der Zeitschrift)
Marlies D. Reply
Ein schöner Artikel, Herr Fellner!
Da ist viel dran…