Wohnung Messie-Syndrom

Messies

Interview zum "Messie-Syndrom" und "Vermüllungs-Syndrom"

Was ist charakteristisch für Messies?

"Messies tun sich äußerst schwer damit, zwischen "brauchbar und wichtig" und "unbrauchbar und unwichtig" zu unterscheiden. Dies hat zur Folge, dass sich in ihrer Wohnumgebung, fallweise auch an ihrem Arbeitsplatz, immer mehr Gegenstände anhäufen, die bereits unbrauchbar geworden sind, die Organisation immer schwieriger und komplexer wird und schließlich auch die Betroffenen selbst nicht mehr sagen können, was sich konkret in ihrer Wohnung befindet. Veraltete und sogar schadhafte Gegenstände können dann zu geliebten Erinnerungsstücken werden, die in Ecken, Kästen oder Regalen gehortet werden. Messie ArbeitsplatzIm Extremfall "Vermüllungssyndrom" können schließlich größere Bereiche der Wohnung gar nicht mehr betreten werden, bleiben in Extremfällen nur mehr enge "Fußwege" zwischen großen Haufen, Kisten und Säcken. Spätestens dann treten häufig auch hygienische Probleme auf, und täglich steigt das Risiko, dass das Problem nicht mehr länger vor der Umwelt verborgen werden kann. Die Wohnung ist kaum mehr begehbar, und es droht die Zwangsräumung oder Zwangsunterbringung.

Sehr schwer fällt es Messies häufig auch, mit Zeit umzugehen (Termine einhalten, zeitgerechte Erledigung von Aufgaben und Anforderungen) und zwanglose Beziehungen zu anderen Menschen zu pflegen. Dies mag zum einen Folge des meist als peinlich erlebten eigenen Lebensstils sein, oft ist es aber auch ein Symptom des psychischen Störungsbildes ADS bzw. ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom), von dem Messies sehr häufig betroffen sind."

Ab wann ist das Vermüllungssyndrom eine Krankheit bzw. wann ist jemand einfach nur Sammler oder unordentlich?

"Als Psychotherapeut bin ich sehr vorsichtig und zurückhaltend mit dem Begriff "Krankheit". Als krankhaft bzw. psychische Störung bezeichne ich das Problem dann, wenn die betroffene Person (1) ihr Verhalten alleine nicht mehr in den Griff bekommen kann, (2) Ratschläge (der Umwelt, Hilfsangebote von Dritten, Selbsthilfe-Bücher etc.) nicht mehr weiterhelfen, und (3) längere Zeit hindurch keine merkbare und dauerhafte Verbesserung erzielbar ist.

Zu welcher Krankheit gehört das Vermüllungssyndrom? Zwang? Sucht?

"Es beinhaltet sowohl typische Aspekte von Zwangsstörungen, von Suchterkrankungen und mitunter auch von ADHS. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass das Messie-Syndrom nicht als Sonderform einer Zwangsstörung betrachtet werden kann, sondern ein eigenständiges Störungsbild darstellt."

Wer ist gefährdet, am Messie-Syndrom zu erkranken? Wie wird man zum Messie?

"Neigt man grundsätzlich zu einer allgemeinen "Sammel-Leidenschaft", die sich nicht nur auf 1-2 Interessensbereiche beschränkt, oder auch zu Sucht oder Zwängen, kann sich ein Messie-Syndrom daraus entwickeln. Sehr häufig finden sich jedoch auch starke Belastungen und Stress-Phasen in der Biografie von 'Messies' oder einschlägige Auffälligkeiten in der Kindheit oder Jugend."

Wie viele Menschen mit Messie-Syndrom leben In Österreich?
Selbsthilfegruppen sprechen von 15% (das wären ca. 1,2 Mio. Österreicher)?

"Leider gibt es dazu noch keine fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen. "Messies" im Sinne eines psychologischen Störungsbildes dürften ca. 0,5-3% der Bevölkerung sein.

Die Dunkelziffer könnte aber hoch sein. So lernte ich im Laufe meiner therapeutischen Tätigkeit auch Menschen kennen, die das Problem lange Zeit hindurch überhaupt nicht klar identifizieren konnten, da sie über große Wohnungen verfügten oder erhebliche Teile Ihrer "Sammlungen" in andere Wohnungen (z.B. die von Verwandten, Zweitwohnungen oder Lagerräume) "auslagerten". Man kann sein "Messie-Tum" also auch gut verdrängen oder verschleiern, sofern man die ökonomischen Mittel dazu hat."

Werden die meisten Messies zu einem - wie in den Medien gern zur Schau gestellten -"Vermüllungsfall"?
Oder sind sie einfach nur chaotisch und befinden sich in einem recht stabilen Zustand?

"Die aus den Medien bekannten "Vermüllungsfälle" sind extreme Einzelfälle, meiner Schätzung nach erreichen nicht mehr als 5% der Messies dieses Stadium. Aber auch wenn es nicht zu derartig dramatischen Entwicklungen kommt, erleben viele Betroffene ihr Verhalten als stark belastend, es schränkt ihre Sozialkontakte deutlich ein und erzeugt ein latentes Gefühl, "nicht in Ordnung zu sein".

Leider zeigen die Erfahrungen auch, dass das Problem eine Tendenz hat, unbehandelt an Belastung und Intensität zuzunehmen. Der Zustand bleibt also nicht stabil, sondern es wird im Laufe der Zeit immer schwieriger, wieder Ordnung in das äußere und innere Chaos zu bringen.

Sind Messies "heilbar"? Gibt es Therapien? Helfen Medikamente? Welche Behandlungsmethoden?

"Durch Außenstehende initiierte Hilfe (z.B. Aufräum- und Säuberungsinititativen von Verwandten oder Bekannten) werden von den Betroffenen fast immer als bedrohlich und angstmachend empfunden.
Prinzipiell kann Messies aber sehr gut geholfen werden - die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie *selbst* ernsthaft bereit sind, etwas an ihrem Verhalten zu ändern, gewissermaßen einen "Aufbruch in ein neues Leben" wenigstens zu versuchen (dass sie sich das am Beginn einer Therapie selbst nicht wirklich vorstellen können, dies auch zu schaffen, spielt dabei keine Rolle - wesentlich ist der ernsthafte Wunsch, es zu schaffen!)

Als Therapiemethoden enthalten etwa Systemische Therapie, Verhaltenstherapie und Gestalttherapie Elemente, die sehr gut dabei unterstützen können, die zugrundeliegenden Probleme in den Griff zu bekommen. Bei der Therapie geht es übrigens, das mag ein wenig überraschen, nicht in erster Linie darum, das Symptom (z.B. mangelhafte Sauberkeit in der Wohnung) in kürzestmöglicher Zeit zu beseitigen, sondern vor allem, den betroffenen Menschen in die Lage zu versetzen, sich selbst besser zu organisieren und ihn seelisch so zu stärken, dass er nicht nur innerlich "zupackender" wird, sondern mehr und mehr auch in seinem Lebensumfeld entsprechend aktiv werden kann."

Wohin können sich Betroffene bzw. Angehörige in Österreich wenden?

"Derzeit existieren in Österreich noch keine Selbsthilfegruppen für Messies. Eine Austauschmöglichkeit für Betroffene besteht aber wenigstens virtuell auf einschlägigen Websites (z.B. https://www.messies-selbsthilfe.de/ oder im Online-Forum auf meiner Website), konkrete Unterstützung kann man bei Psychotherapeut/innen finden, die mit den oben erwähnten Methoden arbeiten und über Erfahrung mit Zwangserkrankungen oder der Suchtbehandlung verfügen."

Haben Sie Buchtipps für unsere Leser?

"In leichteren Fällen können sicherlich die folgenden Ratgeber-Bücher hilfreich sein:
P.Dettmering und R. Pastenaci, "Das Vermüllungssyndrom", Klotz-Verlag und
S. Felton, "Endlich weg mit dem Ballast", Brendow .
Das letztere Buch stammt von der (übrigens auch persönlich betroffenen) "Entdeckerin" des Messie-Syndroms persönlich.
Gerade beim Messie-Syndrom aber erweist sich der Griff zum Telefonhörer üblicherweise als wesentlich zielführender, Ratgeber-Bücher haben leider meist die Tendenz, in den ohnedies oftmals überfüllten Bücherregalen "endgelagert" zu werden.."

Haben Sie als Psychotherapeut ein besonderes Anliegen, wenn über das Thema gesprochen wird?

"Messie-Tum ist nichts, dessen man sich schämen müsste. Im Gegenteil, immer mehr Menschen sind davon betroffen. Aus vielerlei Gründen, von denen Konsumvielfalt und der stets ansteigende Informationsfluss nur zwei sind. Betroffenen oder solchen Menschen, die bei sich eine gewisse Tendenz in Richtung Verlust an Selbstorganisation wahrnehmen, möchte ich empfehlen, sich rechtzeitig Unterstützung zu suchen. Sei es in Form von Personal Coaching oder Therapie. Rückzug und Verdrängung sind erfahrungsgemäß die fatalsten Formen, damit umzugehen."

Weiterführende Links

Allgemeine Info-Seiten

Seiten von Betroffenen

Wichtige englischsprachige Sites

Selbsthilfegruppen, Kontakte, Foren

Literatur ('best of')

Richard L. Fellner, MSc., 1010 Wien

Richard L. Fellner, MSc., DSP

R.L.Fellner ist Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut und Paartherapeut in Wien.

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