Thera vermisst Emotionen

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QueenFirefly
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Thera vermisst Emotionen

Beitrag Mi., 06.12.2023, 15:24

Hallo, ich habe hier schon viel gelesen und jetzt auch mal eine Frage.

Ich bin nun seit fast einem Jahr in einer tiefenpsychologischen Therapie. Auslöser waren verschiedene Ängste, die in der Zeit auch schon besser geworden sind. Wir sind in dem Jahr auch schon hinter einige tieferliegende Gründe gekommen, es gab sehr intensive Stunden mit Weinen, aber auch leichtere, wo ich nur Probleme besprochen habe, die gerade aktuell in meinem Leben sind.

Ich mag meine Therapeutin sehr und habe das Gefühl, dass ist auf jeden Fall die richtige für mich.
Nun habe ich aber das Problem, dass sie immer schon bemängelt, dass man mir meine Emotionen nicht anmerkt. Also wenn ich reinkomme und erzähle, dass es mir schlecht mit XXX geht, ich deswegen schlaflose Nächte habe, dann meint sie, man merke mir das einfach nicht an. Erst, wenn sie dann bohrt und bohrt und genau nach meinen Emotionen fragt, weine ich oder spüre die Emotionen. Ich hatte oft das Gefühl, dass genau dann, wenn ich so weit war, die Stunde wieder vorbei war :roll: .

Letzte Woche und dieses Mal hat sie wieder gesagt, dass man nicht merkt, dass es mir schlecht geht, ich erzähle das anscheinend zu emotionslos. Ich bin da langsam etwas verzweifelt, weil ich da nicht wirklich weiterkomme. Ich habe mich eigentlich nie als emotionslos gesehen, auch nicht als kühl im Kontakt mit anderen. Klar, ich nehme zu viel als gegeben hin, schlucke zu viel herunter, das haben wir schon festgestellt und daran arbeite ich. Aber ich kann in der Stunde einfach nicht von 0 auf 100 alle Emotionen der letzten Woche abrufen und ausleben. Ich weine nicht gerne vor anderen, dass kann ich bisher leider auch in der Therapie immer noch nicht wirklich ausschalten. Muss da immer noch erst die Barriere überwinden. Kennt ihr das? Wie kommt ihr an die Emotionen ran? Irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, sie ist da richtig enttäuscht, dass ich mich nicht so öffnen kann und dass hinterlässt halt bei mir ein Versagensgefühl :cry: .

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Candykills
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 16:38

Du könntest sie fragen, ob sie dir das einfach als Rückmeldung gibt, weil es ihr auffällt und sie dir dadurch verhelfen will mehr in Kontakt mit deinen Emotionen zu kommen oder ob sie es als Kritik meint.
Mir kommt es so vor, als wäre dir das nicht ganz klar.

Nicht offensichtlich andere daran teilhaben zu lassen, wenn es einem schlecht geht, hat übrigens nichts mit "unterkühlt" sein zu tun. Du wirfst da also unterschiedliche Dinge in einen Pott.
Es heißt erstmal nur, dass Worte und Ausstrahlung asynchron sind in dem Moment.
Sich so zu verhalten hat oft eine Schutzfunktion und die abzubauen kann lange Zeit brauchen und vielleicht auch nie ganz glücken, muss aber auch nicht. Wir sind ja alle verschieden als Menschen und solange deine Probleme besser werden und sich lösen lassen.... darfst du auch jemand bleiben, der nicht Emotionen direkt auf der Stirn geschrieben trägt.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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lisbeth
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 16:49

QueenFirefly hat geschrieben: Mi., 06.12.2023, 15:24 Erst, wenn sie dann bohrt und bohrt und genau nach meinen Emotionen fragt, weine ich oder spüre die Emotionen.
Ich verstehe das noch nicht genau:

Hast du für dich guten Zugang zu deinen eigenen Emotionen (dh spürst du sie und kannst klar sagen, was genau du gerade spürst), aber du zeigst sie nicht nach außen?

Oder:
Spürst du selbst deine eigenen Emotionen auch nicht besonders gut und erst im Kontakt mit der Therapeutin (oder jemand anders) wird dir klar a) dass du etwas spürst und b) was es sein könnte? Oder du spürst etwas, aber kannst selbst nicht genau sagen, was genau du da spürst?

Vielleicht kannst du das nochmal ein wenig ausführlicher beschreiben (wenn du magst) ?
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― Anne Lamott

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QueenFirefly
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 17:15

@ lisbeth

Wenn ich es jetzt mal auf die Therapiestunde beziehe:

ich erzähle z. B. dass ich krank war, dass es mir nicht gut ging und auch wieder Ängste aufkamen. In dem Moment erzähle ich das mit einer gewissen Distanz, fühle dabei eher wenig, auch, wenn ich in der Situation selbst traurig, ängstlich, wütend war. Sie meint dann, dass ich es so schildere, dass man gar nicht denken würde, dass es mir da so schlecht ging. Erst, wenn sie weiter fragt, was ich da gespürt habe, warum das und das sich schlimm angefühlt hat, kommt die Emotion (manchmal) wieder zurück. Sie erwartet aber glaube ich, dass ich da schneller wieder drin bin. Sie meinte auch schonmal, dass sieht man mir gar nicht an, dass ich z. B. einen stressigen Morgen hatte. Da frage ich mich halt, wie ich dann aussehen sollte? Ich gehe ja auch nicht mit einem strahlenden Grinsen rein, sondern einfach ganz normal.
Zuletzt geändert von Tristezza am Mi., 06.12.2023, 17:28, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Fullquote gelöscht. Bitte keine Komplettzitate verwenden, siehe Netiquette.

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candle.
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 17:53

Hallo,

ich finde es gerade schwierig darauf einzugehen. Es wäre wohl gut, wie lisbeth schreibt, einfach mal nachzufragen was gemeint ist, sonst tappst du ewig im Dunkeln und bekommst das Problem nicht gelöst.
QueenFirefly hat geschrieben: Mi., 06.12.2023, 17:15 ich erzähle z. B. dass ich krank war, dass es mir nicht gut ging und auch wieder Ängste aufkamen. In dem Moment erzähle ich das mit einer gewissen Distanz, fühle dabei eher wenig, auch, wenn ich in der Situation selbst traurig, ängstlich, wütend war.
War das denn eine schwere Erkrankung?
Sie meinte auch schonmal, dass sieht man mir gar nicht an, dass ich z. B. einen stressigen Morgen hatte. Da frage ich mich halt, wie ich dann aussehen sollte? Ich gehe ja auch nicht mit einem strahlenden Grinsen rein, sondern einfach ganz normal.
Das ist nun wirklich schwer zu beurteilen. Zum Ausdruck gehört ja auch mehr wie Kleidung oder bist du perfekt geschminkt, so dass das nicht erkennbar ist und wie ist Mimik und Gestik?

Und andererseits, wenn du da privat gar keine Rückmeldungen bekommst gehört das vielleicht einfach zu deiner Persönlichkeit?
kommt die Emotion (manchmal) wieder zurück.
Das finde ich jetzt etwas widersprüchlich, wenn es um negative Emotionen geht, dann möchte man sie ja nicht unbedingt "haben oder erhalten" und würde mich nicht unbedingt versuchen dort hereinzuversetzen. Du bist ja (weiß ich ja nicht) keine Schauspielerin, die auf ein Gefühlsrepertoire zurückgreift.

Wenn das jetzt Druck in der Therapie ausübt würde ich auch mal schauen, ob es auch Charakterzug ist um dir nicht etwas Unpassendes überstülpen zu lassen.

Freude kannst du zeigen?

Viele Grüße
candle
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Jenny Doe
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 18:08

Hallo QueenFirefly
Sie meinte auch schonmal, dass sieht man mir gar nicht an, dass ich z. B. einen stressigen Morgen hatte. Da frage ich mich halt, wie ich dann aussehen sollte?
Ich würde damit beginnen für mich klar zu kriegen, was wirklich Deins ist und was die Erwartung deiner Therapeutin ist.

Es gibt gewisse Vorstellungen darüber, was anderen empfinden sollten. Im Todesfall sollte man trauern, nach einem negativen Ereignis sollte man traumatisiert sein, ... Das sind so Erwartungen anderer an einen. Es gibt aber eben auch Menschen, die durch negative Erfahrungen nicht traumatisiert werden, sondern gestärkt werden, die mit Trauer umgehen können, ....
Man muss auch nicht monatelang mit einer Trauermiene rumlaufen, weil man krank war. Es gibt auch Menschen, die mit Ereignissen abschließen können.

Man kann sich auch künstlich in Leid, Schmerz, ... reinsteigern, wenn man immer wieder daran denkt und sich einredet, dass man leiden muss.

Deshalb fände ich es wichtig, dass du für dich klar kriegst, ob Du das, was von dir erwartet wird, auch wirklich fühlst.
Was ist deins? Sind die Emotionen da, unterdrückt, verdrängt, ... oder gehst du einfach anders mit Ereignissen um, als andere von dir erwarten?
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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QueenFirefly
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 18:57

Hm, da habt Ihr mir ein paar Denkanstöße gegeben. Ich werde das wohl beim nächsten Mal nochmal genau ansprechen und mir vorher nochmal selbst Gedanken machen. Da ist einiges noch nicht so greifbar für mich.

Wie gesagt, ich habe eigentlich noch nie die Rückmeldung bekommen, keine Emotionen zu zeigen. Bin da auch nicht untypisch oder so. Also ich weine auch mal, wenn was traurig ist, lache, freue mich, bin sehr gefühlvoll mit Kindern und Tieren...

Vielleicht ist es auch eher die Art zu sprechen. Also ich erzähle beispielsweise eher nicht "jammerig", sondern halt sachlicher. Ist aber sicher auch meiner Introvertiertheit geschuldet.

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reddie
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 21:17

Bei mir ist es so, dass ich nach Außen meine Schwäche wohl nicht zeigen möchte. Mir ist das erst deutlich geworden, als ich mir eigene Sprachnachrichten (Austausch mit Freundin über sehr ernste Themen) angehört habe. Gefühlt hatte ich mich vollkommen am Ende, geklungen habe ich nur bedrückt (wenn überhaupt). Ich versuche dann mit vielen Worten meine Lage zu erklären. Weil die Menschen einen so ja völlig falsch einschätzen und dann auch so reagieren.

Sitzt ein Häufchen Elend beim Arzt und sagt: Ach, geht schon... Und auf der anderen Seite: ich rede und rede über meine Symptome und mache aber einen gefassten Eindruck. Wen nimmt der Arzt ernster?

In unserer Familie war Fassade jedenfalls extrem wichtig. Bloß nicht schwach sein. UND: Mitgefühl bringt mir irgendwie nichts, Mitleid schon gleich gar nicht. Schlimmster Trigger: nicht ernst genommen, verhöhnt werden...

Es ist automatisiert, also ich WILL da bewusst nicht ...stärker sein als ich bin. Aber aufgefallen ist es mir erst, als ich mich selbst in den Sprachnachrichten gehört (man sieht sich ja selbst nicht). Innere Gefühlswelt ist dabei sehr stark und umfangreich, fast als würde es mich sprengen. Um so krasser, wie kühl ich klinge, bei ernsten Dingen.

So fühle ich mich oft nicht nur untröstlich, sondern auch untröstbar.

Alles Gute
reddie

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Montana
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 21:21

Ich habe in meiner Jugend tatsächlich die Rückmeldung bekommen, dass man mir Emotionen nicht ansieht und das für meine Mitmenschen schwierig sei. Aber nicht jeder traut sich, sowas zu sagen. Mich hat es damals sehr verletzt, weil es sehr vorwurfsvoll und auch fordernd vorgetragen wurde. Das war also nicht als Hinweis für mich gedacht, sondern das sollte dazu dienen, dass ich mich für andere an deren Bedürfnisse anpasse.

Das hieß nicht, dass ich nie gelacht hätte. Geweint habe ich tatsächlich nicht in Anwesenheit anderer Menschen. Es war in der frühen Kindheit gelernt, Emotionen möglichst unsichtbar zu machen, weil es da nötig war. Vorhanden waren sie aber immer.

Man kann also durchaus die volle Bandbreite an Gefühlen in völlig normaler Ausprägung haben, ohne dass andere Menschen davon viel sehen. Was dann zu der Fehlannahme führt, man hätte gar keine Gefühle.

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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 21:44

QueenFirefly hat geschrieben: Mi., 06.12.2023, 17:15
ich erzähle z. B. dass ich krank war, dass es mir nicht gut ging und auch wieder Ängste aufkamen. In dem Moment erzähle ich das mit einer gewissen Distanz, fühle dabei eher wenig, auch, wenn ich in der Situation selbst traurig, ängstlich, wütend war. Sie meint dann, dass ich es so schildere, dass man gar nicht denken würde, dass es mir da so schlecht ging. Erst, wenn sie weiter fragt, was ich da gespürt habe, warum das und das sich schlimm angefühlt hat, kommt die Emotion (manchmal) wieder zurück. Sie erwartet aber glaube ich, dass ich da schneller wieder drin bin.
Und warum solltest du das tun? Wenn es dir letzte Woche wegen xyz schlecht gegangen ist, es dir heute aber schon wieder besser geht, warum solltest du dich in die bereits vergangene Emotion von damals wieder reinsteigern? Es liegt ja in der Natur der Sache dass Emotionen auch wieder vergehen, wenn ich mich heute über jemanden ärgere ist das übermorgen von der emotionalen Seite ggf einfach schon erledigt. Und zum Glück.

Also wenn man dir eine Emotion die gerade dann wenn du das Gespräch hast akut ist nicht ansieht, okay, das kann ein Thema sein, aber sich künstlich in bereits vergangene Emotionen wieder reinsteigern finde ich ungesund.

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lisbeth
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Beitrag Mi., 06.12.2023, 22:49

Ich glaube nicht, dass es deiner Therapeutin darum geht, dass du dich "für sie" (oder für andere Menschen) mehr öffnen sollst. Und es geht auch nicht darum, dass sie dir ein Stöckchen hinhält, über das du rüber springen musst.

Ich glaub, es wäre gut, wenn du versuchen könntest, diese Bemerkungen erstmal als Spiegelung und Rückmeldung zu begreifen. Ich weiß, es ist leichter gesagt als getan, ich kenn das auch, dass man sowas ganz schnell als Wertung begreift, oder als Aufforderung. Aber erstmal wirft sie dir sozusagen nur das zurück, was von dir bei ihr ankommt (oder nicht, in diesem Fall). Und vielleicht kannst du da wiederum anknüpfen, indem du ihr zurückmeldest, welche Gedanken (und Gefühle) das bei dir auslöst.

Sie kann ja nicht in deinen Kopf reinschauen. Und eventuell versucht sie mit diesen Bemerkungen aus dir heraus zu kitzeln, was denn dahinter steckt, dass du deine Gefühle nicht so stark ausdrückst. Denn das kann wirklich ganz verschiedene Gründe haben: Vielleicht bist du vom Temperament eher introvertiert. Vielleicht hast du aber auch als kleines Kind gelernt, dass deine Gefühle "schlecht" sind und dir wurde deine emotionale Zurückhaltung eher anerzogen, aber es gibt vielleicht doch eine expressive Seite in dir. Oder du hast nie gelernt, wie du mit deinen Gefühlen konstruktiv umgehen kannst, dh Gefühle sind für dich zu "gefährlich" und deshalb schiebst du sie lieber ganz weit weg. Oder du bist so sehr von dir selbst abgetrennt, dass du dich selbst (und deine Gefühle) gar nicht richtig spürst. Oder du bist "gefühlsblind" (dh du kannst deine Gefühle gar nicht richtig benennen und auch nicht gut voneinander unterscheiden, zB ob du verärgert bist oder frustriert oder ungeduldig, das ist alles nur irgendwie "ich fühle mich nicht gut"). Und vielleicht wäre das erstmal dran, dass du mit der Therapeutin zusammen schaust, was davon auf dich zutrifft.

Ansonsten, so richtig gut gehts dir ja nicht mit deinen "distanzierten" Gefühlen, oder? Ich kenn etwas Ähnliches von mir, ich hatte jahrelang immer wieder Phasen mit emotionalen Einbrüchen, richtig heftig mit Heulkrämpfen und Panik und was weiß ich. Und am nächsten Tag bin ich aufgewacht und da war nur noch so ein "war da was?"-Gefühl, als wären diese heftigen Emotionen vom Abend vorher nur ein Traum gewesen. Da hatte ich überhaupt keinen Bezug mehr dazu, als gehörten die überhaupt nicht zu mir. Und wenn ich dann darüber geredet habe, dann war das auch eher ein "Reden über" und das hat ganz wenig von dem transportiert, was für mich in diesen Momenten so aufwühlend war. Und wenn das beim anderen nicht so ankommt, dann bleib ich allein damit, dass es mir so schlecht geht. Das hat ja auch viel mit gesehen und wahrgenommen werden zu tun. Und ich glaube, der Wunsch, gesehen zu werden ist bei den meisten von uns da. Das Dilemma ist: Man muss sich auch ein Stückweit zeigen und aus der Deckung wagen, damit das möglich ist.

Inzwischen hab ich auch gelernt, dass es schon ganz hilfreich sein kann, wenn diese Gefühle mit im Raum sein dürfen, denn es geht ja auch darum, dass du in der Therapie lernst, dich selbst und deine Gefühle besser zu regulieren, dass du zB einen anderen Umgang mit deinen Ängsten findest, damit sie nicht mehr so überhand nehmen.
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Jenny Doe
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Beitrag Do., 07.12.2023, 05:01

QueenFirefly hat geschrieben: Vielleicht ist es auch eher die Art zu sprechen. Also ich erzähle beispielsweise eher nicht "jammerig", sondern halt sachlicher.
Jeder hat seine eigene Art, mit Gefühlen umzugehen und sie zum Ausdruck zu bringen. Die einen jammern oder weinen, die anderen setzen sich sachlich damit auseinander, wieder andere reden gar nicht, sondern schreiben oder malen oder machen Sport, ...
Vom Ausdruck eines anderen kann man nicht ableiten, dass der andere nichts fühlt. Niemand kann in den anderen reingucken.

Du solltest für Dich selber nachspüren, welcher Ausdruck für Dich stimmig ist, zu Dir passt, Dir am meisten hilft, ...

Es sollte nicht sein, dass man in der Psychotherapie das Jammern und Heulen lernt, dass aus einem Menschen, der mit Gefühlen sachlich umgegehen kann, ein Jammerlappen gemacht wird.

Dem Posting von münchnerkindl möchte ich explizit zustimmen. Emotionen kommen und gehen auch wieder. Es ist normal, dass Emotionen dann kommen, wenn sie da sind, wenn man in einer bestimmten Situation ist, ... und nicht, weil man gerade 50 Minuten in der Psychotherapie sitzt.

Wenn du morgens gestresst warst, dann zeugt das von Gesundheit, wenn es Dir nach Arbeit gelingt wieder runterzukommen. Ungesund wäre eher, wenn Du den Stress vom Morgen in den ganzen Tag mitnehmen würdest.
In dem Moment erzähle ich das mit einer gewissen Distanz, fühle dabei eher wenig, auch, wenn ich in der Situation selbst traurig, ängstlich, wütend war.
Auch in diesem Punkt solltest Du bei Dir nachspüren, was wirklich ist.
Denn "Distanz" kann auch eine Kompetenz sein, die andere Patienten erst erlernen müssen, wie z.B. lernen die Beobachterperspektive einzunehmen, Tresortechnik usw.
Distanz kann es dir ermöglichen Dir ohne überquellende Emotionen Gedanken darüber zu machen, wie Du zukünftig mit Situationen umgehen könntest, die dich stressen, ängstigen, wütend machen, ...
Man muss nicht den ganzen Tag den Stress vom Morgen spüren. Man kann auch ohne diesen Ganztagsstress lernen mit Stress am Morgen besser umzugehen.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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QueenFirefly
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Beitrag Do., 07.12.2023, 07:05

reddie hat geschrieben: Mi., 06.12.2023, 21:17 Bei mir ist es so, dass ich nach Außen meine Schwäche wohl nicht zeigen möchte. Mir ist das erst deutlich geworden, als ich mir eigene Sprachnachrichten (Austausch mit Freundin über sehr ernste Themen) angehört habe. Gefühlt hatte ich mich vollkommen am Ende, geklungen habe ich nur bedrückt (wenn überhaupt). Ich versuche dann mit vielen Worten meine Lage zu erklären. Weil die Menschen einen so ja völlig falsch einschätzen und dann auch so reagieren.

Sitzt ein Häufchen Elend beim Arzt und sagt: Ach, geht schon... Und auf der anderen Seite: ich rede und rede über meine Symptome und mache aber einen gefassten Eindruck. Wen nimmt der Arzt ernster?

In unserer Familie war Fassade jedenfalls extrem wichtig. Bloß nicht schwach sein. UND: Mitgefühl bringt mir irgendwie nichts, Mitleid schon gleich gar nicht. Schlimmster Trigger: nicht ernst genommen, verhöhnt werden...

Es ist automatisiert, also ich WILL da bewusst nicht ...stärker sein als ich bin. Aber aufgefallen ist es mir erst, als ich mich selbst in den Sprachnachrichten gehört (man sieht sich ja selbst nicht). Innere Gefühlswelt ist dabei sehr stark und umfangreich, fast als würde es mich sprengen. Um so krasser, wie kühl ich klinge, bei ernsten Dingen.

So fühle ich mich oft nicht nur untröstlich, sondern auch untröstbar.

Alles Gute
reddie
Mit deinen Worten kann ich mich sehr identifizieren. Ich bin auch eine "Königin der Worte", umschreibe viel, aber bringe es halt emotional nicht so rüber. In meiner Familie war man nach außen auch nie wirklich ehrlich. Intern wurden Probleme besprochen, aber Außenstehende wurden mit oberflächlichen Worten abgebügelt. Und mein Mann kann mit negativen Emotionen meinerseits auch schlecht umgehen.

Und das mit dem untröstbar stimmt genau. Ich suche eigentlich oft dringend nach Trost, aber nicht nach Mitleid.

Danke, das hat mich schon etwas weitergebracht.

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QueenFirefly
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Beitrag Do., 07.12.2023, 07:09

lisbeth hat geschrieben: Mi., 06.12.2023, 22:49
Ansonsten, so richtig gut gehts dir ja nicht mit deinen "distanzierten" Gefühlen, oder? Ich kenn etwas Ähnliches von mir, ich hatte jahrelang immer wieder Phasen mit emotionalen Einbrüchen, richtig heftig mit Heulkrämpfen und Panik und was weiß ich. Und am nächsten Tag bin ich aufgewacht und da war nur noch so ein "war da was?"-Gefühl, als wären diese heftigen Emotionen vom Abend vorher nur ein Traum gewesen. Da hatte ich überhaupt keinen Bezug mehr dazu, als gehörten die überhaupt nicht zu mir. Und wenn ich dann darüber geredet habe, dann war das auch eher ein "Reden über" und das hat ganz wenig von dem transportiert, was für mich in diesen Momenten so aufwühlend war. Und wenn das beim anderen nicht so ankommt, dann bleib ich allein damit, dass es mir so schlecht geht. Das hat ja auch viel mit gesehen und wahrgenommen werden zu tun. Und ich glaube, der Wunsch, gesehen zu werden ist bei den meisten von uns da. Das Dilemma ist: Man muss sich auch ein Stückweit zeigen und aus der Deckung wagen, damit das möglich ist.

Inzwischen hab ich auch gelernt, dass es schon ganz hilfreich sein kann, wenn diese Gefühle mit im Raum sein dürfen, denn es geht ja auch darum, dass du in der Therapie lernst, dich selbst und deine Gefühle besser zu regulieren, dass du zB einen anderen Umgang mit deinen Ängsten findest, damit sie nicht mehr so überhand nehmen.
Das bringt es ganz gut auf den Punkt. Diese Distanz zu den Gefühlen hat mir in der Vergangenheit ermöglicht, überhaupt noch ein normales Leben zu führen. Hätte ich die Ängste und Traurigkeit ständig gespürt, wäre ich gar nicht mehr zurecht gekommen. Jetzt hat sich das so automatisiert.

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Gespensterkind
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Beitrag Do., 07.12.2023, 07:11

Ehrlich gesagt finde ich es schon sehr viel, dass Du in der Therapiestunde weinen kannst, auch wenn es dafür vielleicht viel Nachfragen von Seiten der Therapeutin gibt. Oder dass Du - auf längeres Nachfragen - tatsächlich auch teilweise Emotionen wahrnehmen kannst.
Das ist gar nicht so selbstverständlich.
Das heißt aber ja auch, dass Du gar nicht so "emotionslos" bist, sondern dies halt nicht direkt nach außen trägst oder eher in Dir schützt.
Ist das schlimm?
Die Frage ist ja eigentlich nicht, ob das nun auffällt oder nicht, sondern ob es für Dich und Deine Ziele/Wünsche/Bedürfnisse besser/hilfreicher wäre, Du könntest Deine Emotionen besser oder schneller oder deutlicher nach außen zeigen? Würdest Du das überhaupt wollen?

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