Psychotherapie-Forum

Hallo ihr Lieben,

vor kurzem kam leider heraus, dass mein Freund vor ein paar Jahren sehr viel Geld in Kryptowährung gesteckt und verloren hat. Er nennt es selbst "ich hab's einfach krass verzockt". Es handelt sich um eine vierstellige Summe, soweit ich weiß. Da er sonst auch einen recht ausschweifenden Lebensstil hatte, belaufen sich seine Schulden inzwischen auf 20.000 Euro. Er ist nun aber aufgewacht und weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Er ist sparsam, hat eine Umschuldung gemacht und bezahlt die Schulden nach und nach ab.

Jetzt hat er mir allerdings erzählt, dass er weiterhin Kontakt in die Kryptoszene hat. Er ist da wohl in nem Chat und ab und zu schenken sie ihm was oder weisen in dem Chat auf Aktionen hin wo man kryptowährung umsonst bekommt. In dem Chat sind wohl schon Freundschaften entstanden, sie quatschen auch über persönliches. Er hat sich selbst auch noch 50 Euro "Spielgeld" gegönnt, wie er es nennt. Das macht er weil er das alles mega spannend findet, aber nicht mehr Geld verspielen will wie früher. Das ist wohl sein Limit.

Ich persönlich finde ja, wenn man einmal in so einer Sucht drin war, müsste man alle Kontakte abbrechen, die man in die "Szene" hat, besonders, wenn es noch Zuwendungen gibt, die einen Rückfall provozieren können. Oder sehe ich das zu hart? Am liebsten würde ich sagen: auch 50 Euro sind zuviel, er muss das ganz aufgeben und auch den Kontakt abbrechen. Findet ihr das übertrieben? Kann man sowas kontrolliert mit nem kleinen Betrag weiterführen? Wie sind eure Erfahrungen?

LG
Achat

Liebe Achat,

tatsächlich zeigt(e) das Verhalten Ihres Freundes Charakteristika von Spielsucht. Viele Menschen werden aufgrund großer Wertzuwächse diverser Kryptowährungen dazu verleitet, "auch mal ihr Glück zu versuchen" - und ähnlich wie in Casinos ist dann meist das Schlimmste, das Betroffenen passieren kann, wenn sie mit ihrem ersten "Einsatz" tatsächlich Gewinne verbuchen können... die Verlockung, beim nächsten Mal den Einsatz zu erhöhen, ist immens.

Dabei sind die meisten der sogenannten "Krypto-Börsen" bzw. "Exchanges" tatsächlich wie Casinos aufgebaut. Eine schier endlose Anzahl von bunten "Coins" wird angeboten, teils hochprofessionell beworben, und der Handel ist so organisiert, dass Autodidakten fast nur verlieren können. Das Marketing geht bis in die beliebten Chatgruppen, in denen Menschen entweder direkt in "Ponzi-Systeme" gelockt werden oder ihnen zumindest versprochen wird, durch ausreichend langes Halten der jeweiligen Kryptowährung am Ende in jedem Fall reich zu werden.

Ob es Ihrem Freund passieren könnte, durch weitere Spekulation in noch größere finanzielle Probleme zu geraten, ist seriöserweise natürlich nicht beurteilbar, und "Sperren" so wie bei Casinos nicht möglich. Er wird also lernen müssen, mit der Versuchung umzugehen - vielleicht funktioniert ja seine Strategie, sich nur mehr zu erlauben, mit einem kleinen Betrag zu "zocken"? Wie schätzt er selbst die Gefahr ein, durch die Chatgruppen in Versuchung zu kommen, doch wieder mehr zu riskieren?

Für viel relevanter halte ich aber aufgrund Ihrer Problemanfrage hier, wie es denn Ihnen als sorgenvolle Partnerin in dieser Situation geht. Vielleicht wollen Sie ihn ja mal dazu überreden, mit Ihnen gemeinsam eine Paar- oder Spielerberatung aufzusuchen? (an "Paarberatung" dachte ich deshalb, weil er dann gefühlt nicht so im Mittelpunkt stünde und es formal möglich wäre, den Fokus auf die entstandenen Belastungen und Sorgen innerhalb der Partnerschaft zu lenken, statt nur auf sein Verhalten - vielleicht würde ihm das erleichtern, zuzustimmen?). Ein unkonventioneller Ansatz wäre weiters, sich dem Thema als Paar zu öffnen - warum nicht gemeinsam einen Online-Kurs über die Grundlagen von Kryptowährungen absolvieren? Im gemeinsamen, regelmäßigen Gespräch über das Thema würden Sie dann wohl auch hören, wenn er z.B. eine "geniale, neue Chance" entdecken würde... und nebenbei lernen Sie beide etwas, hätten ein gemeinsames "Projekt".

Der guten Vollständigkeit halber möchte ich noch darauf hinweisen, dass es signifikante Unterschiede zwischen Kryptowährung als Alternative zum existierenden Geld (Bitcoin) und Spekulation, speziell dem Handel mit "Krypto-Coins" bzw. Krypto-Token an Börsen mit dem Ziel von EUR-/USD-Gewinnen geht. "Spielsüchtige" Personen findet man nahezu ausschließlich in Letzteren.

Freundliche Grüße und alles Gute!
R.L.Fellner

Die Frage ist, ob die Kryptos jetzt überhaupt so viel daran geändert haben.

Durch vierstellige Verluste bekommt man keine 20k Schulden. Oder hast du dich da verschrieben?

Vielen Dank für die ausführliche Antwort, Herr Fellner!
Zunächst beantworte ich kurz diese Frage:

Janundso hat geschrieben: So., 16.01.2022, 19:08 Durch vierstellige Verluste bekommt man keine 20k Schulden. Oder hast du dich da verschrieben?

Die gesamt 20k Schulden kamen durch viele verschiedene Gründe, die Krypo-Geschichte betrug wie oben beschrieben wahrscheinlich nur einen vierstelligen Betrag.

R.L.Fellner hat geschrieben: So., 16.01.2022, 18:10
Dabei sind die meisten der sogenannten "Krypto-Börsen" bzw. "Exchanges" tatsächlich wie Casinos aufgebaut. Eine schier endlose Anzahl von bunten "Coins" wird angeboten, teils hochprofessionell beworben, und der Handel ist so organisiert, dass Autodidakten fast nur verlieren können. Das Marketing geht bis in die beliebten Chatgruppen, in denen Menschen entweder direkt in "Ponzi-Systeme" gelockt werden oder ihnen zumindest versprochen wird, durch ausreichend langes Halten der jeweiligen Kryptowährung am Ende in jedem Fall reich zu werden.

Okay, davon habe ich noch nie was gehört. Danke für diesen Hinweis, da werde ich mich Mal informieren!

R.L.Fellner hat geschrieben: So., 16.01.2022, 18:10 Er wird also lernen müssen, mit der Versuchung umzugehen - vielleicht funktioniert ja seine Strategie, sich nur mehr zu erlauben, mit einem kleinen Betrag zu "zocken"? Wie schätzt er selbst die Gefahr ein, durch die Chatgruppen in Versuchung zu kommen, doch wieder mehr zu riskieren?

Gute Fragen, das werde ich bei Gelegenheit mal abklopfen. Wobei ich immer denke: Süchtige sagen eh immer, dass sie ihre Sucht im Griff haben. Er selbst sagte mir, dass er nur noch für den freundschaftlichen Kontakt in den Chats sei, und wegen der geschenkten coins. Aber wenn ich z.B. als Junkie noch freundschaftlichen Kontakt zu meinen ehemaligen dealern oder noch süchtigen Freunden habe, ist das ja auch nicht gerade fördernd, oder?

R.L.Fellner hat geschrieben: So., 16.01.2022, 18:10 Vielleicht wollen Sie ihn ja mal dazu überreden, mit Ihnen gemeinsam eine Paar- oder Spielerberatung aufzusuchen?

Er erholt sich momentan von einer schweren Depression und ich bin froh, dass er so gut mit seiner Therapie voran kommt. Da würde ich ihn ungern noch zu einer Paartherapie überreden – zumal wir uns das regelmäßig gar nicht leisten können. Ich verdiene eh recht wenig und bezahle jetzt schon viel mit, weil er es nicht kann gerade.

R.L.Fellner hat geschrieben: So., 16.01.2022, 18:10 warum nicht gemeinsam einen Online-Kurs über die Grundlagen von Kryptowährungen absolvieren? Im gemeinsamen, regelmäßigen Gespräch über das Thema würden Sie dann wohl auch hören, wenn er z.B. eine "geniale, neue Chance" entdecken würde... und nebenbei lernen Sie beide etwas, hätten ein gemeinsames "Projekt".

Das ist eine schöne Idee. Ich selbst kenne mich auf dem Gebiet ein wenig aus, aber das reicht natürlich null um zu verstehen, was er da so treibt.

R.L.Fellner hat geschrieben: So., 16.01.2022, 18:10 Der guten Vollständigkeit halber möchte ich noch darauf hinweisen, dass es signifikante Unterschiede zwischen Kryptowährung als Alternative zum existierenden Geld (Bitcoin) und Spekulation, speziell dem Handel mit "Krypto-Coins" bzw. Krypto-Token an Börsen mit dem Ziel von EUR-/USD-Gewinnen geht. "Spielsüchtige" Personen findet man nahezu ausschließlich in Letzteren.

Interessant, auch hierzu werde ich mir ein wenig Wissen anlesen. Vielen Dank, Sie scheinen sich ja wirklich mit dem Thema auszukennen!

LG
Achat