Kann sich daraus eine Freundschaft entwickeln?

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Talya
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Kann sich daraus eine Freundschaft entwickeln?

Beitrag Mo., 20.09.2021, 18:40

Liebe community,

ich arbeite seit über zwei Jahren als Betreuungskraft in einem Altenheim.

Seit Juli haben wir eine neue Kollegin, eine Frau, die aus Litauen stammt. Sie hat einen starken Akzent, aber im Allgemeinen kann man sie gut verstehen. Anfangs beeindruckte sie jeden mit ihrem extrem schnellen Arbeitstempo. Sie hat vorher im Einzelhandel gearbeitet und erzählte uns, daß sie teilweise mehr als 10 Stunden durchgearbeitet hat. Die Kollegin sagte, daß sie ADHS hat und deswegen den ganzen Tag unter Strom steht und gar nicht anders kann, als sich dermaßen auszupowern.

Leider machte sie sich dann unbeliebt, weil sie immer wieder betonte wie gut sie bei den alten Herren ankommt. So viele haben schon gesagt, daß sie nur noch von ihr versorgt werden möchten und gefragt, ob man sich mal zu einem Date verabreden könnte. Sie nahm es mit viel Humor, während die Kolleginnen und auch ich das irgendwie befremdlich fanden. Einmal kam ich in die Cafeteria, wo sie sich gerade mit einer Bewohnerin unterhielt. Dabei zog sie ihr Oberteil hoch, um ihren flachen Bauch zu zeigen. Ich sagte ihr nicht, wie unmöglich ich das fand. Ich dachte mir, sie ist noch halbwegs jung und findet sich wohl sexy.

Störend ist auch, daß sie bei der Dokumentation viele Fehler macht und es manchmal schwer zu erkennen ist, was genau das Geschriebene bedeutet.

Es gab dann noch Ärger, weil sie im ersten Monat zweimal für ein paar Tage krankgeschrieben war. Sie musste bei der Heimleitung antanzen, worüber sie sich sehr ärgerte. Einmal war sie schließlich wegen Fieber nach Hause geschickt worden und beim zweiten Mal habe wegen einer Blasenentzündung wirklich nicht zur Arbeit kommen können. Sie fand es unverschämt, daß man sie gefragt hat, ob sie überhaupt arbeiten will.

Eine Kollegin und ich haben sie dabei unterstützt, sich in allem besser zurechtzufinden und ihr auch bei der Dokumentation geholfen. Sie bedankte sich dafür mit einer Schachtel Pralinen. Für mich war das selbstverständlich, denn ich weiß selbst, wie hilflos man am Anfang dasteht.

Vor einigen Tagen waren wir allein im Pausenraum und sie vertraute mir an, daß sie sich nicht wohlfühlt im Team. Einige Kolleginnen haben ihr gesagt, daß sie unfähig sei. Ich habe ihr gesagt, daß sie sich bloß nicht einschüchtern lassen soll. Ihre Antwort war, niemals, so ein Mensch sei sie nicht. Sie sei in einem Heim in Litauen großgeworden und wisse schließlich, wie hart das Leben sein kann. Ihre Eltern haben sie als Kind entsorgt wie Müll. Auch ich hatte eine lieblose Kindheit, aber so etwas Schreckliches habe ich nun nicht erlebt.

Ich bekam den Eindruck, daß sie wenig Selbstwertgefühl hat und sich deswegen so benimmt. Sie sucht sicher die Bestätigung anderer, indem sie mit ihrer Power prahlt und wie gut sie bei den alten Herren ankommt. In dem Moment fing sie an, mir leid zu tun.

Vor kurzem haben wir unsere Handynummern ausgetauscht und dabei hat sie vorgeschlagen, daß wir uns doch mal auf einen Kaffee treffen können. Sie wäre ja Single genauso wie ich. Ich habe geantwortet, daß wir das mal machen können, wusste aber in dem Moment nicht, ob ich das wirklich möchte. Wir sind doch zwei sehr verschiedene Persönlichkeiten. Sie ist sehr extrovertiert, ich bin sehr ruhig.

Am Donnerstag hat sie sich für zwei Tage krankgemeldet. Eine Kollegin war total sauer auf sie, weil sie an ihrem freien Tag deswegen einspringen musste.
Also schrieb ich sie am Wochenende an und fragte nach, ob es ihr besser geht. Sie schrieb gleich zurück, daß es ihr nach ihrer Corona-Impfung am Mittwoch sehr schlecht gegangen ist. Sie hatte auch Fieber. Als Beweis schickte sie ein Foto mit einem Fieberthermometer mit der Anzeige "39,2 Grad". Sie schrieb, daß sie geweint und gezittert hat, als sie sich bei unserer Vorgesetzten krankgemeldet hat. Daraufhin habe ich mir Sorgen gemacht und gefragt, ob sie jemanden hat, der nach ihr sieht, wenn es ihr schlecht geht. Sie schrieb, daß sie eine Freundin hat, aber die wohnt ca. 100 km entfernt. Die könnte auch zu ihrem Geburtstag am Montag (also heute) nicht kommen. Sie machte den Vorschlag, daß wir diese Woche vielleicht ein bisschen feiern können. Sie würde mich auch einladen. Ich war gerührt und schrieb, daß wir ja einen Kaffee zusammen trinken können.

Sie macht auf mich den Eindruck, daß sie einsam und verzweifelt ist. Beim Schreiben nannte sie mich einige Male "meine Süße", was ich schon wieder etwas befremdlich fand, weil wir nicht vertraut miteinander sind.

Ich kann nur sagen, daß sie mir sehr leid tut und ich sie nicht einfach hängen lassen möchte. Ich wünsche ihr auch, daß sie den Job behalten kann, denn im Moment hat sie keine guten Karten, wo sie sich schon wieder krankgemeldet hat.

Meint ihr, daß daraus eine Freundschaft werden kann?

Liebe Grüße,
Talya

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Pianolullaby
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Beitrag Mo., 20.09.2021, 19:31

Muss es denn eine Freundschaft sein, kann man nicht auch einfach Bekannte sein. Für mich sind Arbeitskollegen eher keine "Freunde" sondern eben Bekannte. Denen ich nicht alles anvertrauen würde, was ich eine Freundin anvertrauen würde.
Ansonsten wer soll Dir das beantworten können, da ist doch jeder unterschiedlich
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chrysokoll
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Beitrag Mo., 20.09.2021, 20:25

Talya hat geschrieben: Mo., 20.09.2021, 18:40
Meint ihr, daß daraus eine Freundschaft werden kann?
das kann hier sicher niemand beurteilen.
Aber warum möchtest du denn dass daraus eine Freundschaft wird?
Mitleid ist ja eher keine gute Grundlage für eine Freundschaft. Verbindet euch denn sonst noch was ?

Du kannst ja einfach mal mit ihr ganz locker auf einen Kaffee gehen und dabei schauen ob sie dir darüber hinaus sympathisch ist, ob ihr Gemeinsamkeiten habt, gemeinsame Interessen und so.
Aus deiner Schilderung scheint sie ja eher eine schwierige, hektische Person zu sein, das finde ich jetzt für eine Freundschaft mindestens kompliziert und auch nicht sooo anziehend

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leuchtturm
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Beitrag Di., 21.09.2021, 07:26

Die Idee mit dem Kaffeetrinken von Chrysokoll finde ich gut.
Pass auf, dass du wirklich auf die Frau schaust und nicht nur darauf, wie du ihr helfen könntest.

Mich wundert ein wenig, dass du gleich an Freundschaft denkst. Wie kommt das? Stammen deine Freunde sonst auch aus dem Arbeitsumfeld?

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Sinarellas
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Beitrag Di., 21.09.2021, 13:13

Da du nach Meinungen gefragt hast:
Klingt für mich, als würde sie bei dir das Helfer-Syndrom voll angetickt haben und du versuchst nun sie deswegen zu unterstützen. Klingt für mich nicht nach dem Beginn einer Freundschaft (weil ihr nicht auf Augenhöhe seit), sondern dem Beginn das "Helfen ansich" (was nichts schlechts ansich ist!) auszuleben.
Wirkt so als wäre die einzige Gemeinsamkeit, dass sie Probleme hat und du gerne hilfst. Eher nicht die Basis für eine Freundschaft.
..:..

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Talya
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Beitrag So., 03.10.2021, 12:58

Hallo ihr,

dankeschön für eure Antworten!
Ich möchte hier noch ein Feedback geben, wie das Treffen mit meiner Kollegin verlaufen ist. Es war äußerst enttäuschend!

Wir trafen uns am Dienstagnachmittag nach ihrem Dienst. Leider gab es wohl ein Missverständnis bezüglich des Treffpunkts und so wartete jede von uns an einem anderen Platz. Nach einer Viertelstunde Wartezeit war ich kurz davor wieder zu gehen, als meine Kollegin auf mich zugestürmt kam. Sie war ziemlich aufgeregt, weil wir einander erst einmal verfehlt hatten. Ich habe vorgeschlagen, einen Kaffee trinken zu gehen. Sie stimmte zu, sagte aber sofort, daß sie wenig Zeit habe. Als wir uns an den Tisch eines Cafés setzten, bestellte ich für mich einen Kaffee, sie wollte nichts trinken.

Fast der gesamte Inhalt des Gesprächs bestand darin, daß sie den Job kritisierte und über die Kolleginnen lästerte. Vor allem eine Mitarbeiterin, mit der sie eng zusammenarbeitet, scheint sie zu hassen. Es kamen Äußerungen wie "Der Mann, der so einer Kinder gemacht hat, muss besof*en gewesen sein" und "Ich versuche sie zu ignorieren, aber sie verdient einen Boxhieb". Ich reagierte ziemlich zurückhaltend darauf, sagte nur, daß ich diese Kollegin gar nicht so eingeschätzt habe.
Sie steigerte sich richtig hinein, daß man sie wohl loswerden wolle. Sie sei auch nicht bereit, sich das alles gefallen zu lassen und gehe wieder in ihren ehemaligen Job zurück.

Sie ist von unserer Chefin wegen ihrer Dokumentation kritisiert worden. Sie wollte wissen, wie ich die Dokumentation erlernt habe. Ich antwortete, daß ich mir einiges aus Fachliteratur rausgesucht habe. Sie fragte, ob ich eine Art Standardformulierungen irgendwo niedergeschrieben habe. Was ich nicht habe. Sie bat mich darum, ihr entsprechendes zusammenzustellen und für sie auszudrucken. Man wolle ihre Dokumentation verstärkt kontrollieren. Ich war erst mal zu gutmütig, um das abzulehnen. Ich habe im Moment Urlaub und wir sind so verblieben, daß wir uns am Montag (also morgen) vor ihrem Dienst kurz treffen und ich ihr die Unterlagen übergebe. Sie wollte sich dafür mit Schokolade bei mir bedanken.

Ich stellte ihr noch ein paar private Fragen, weil ich auch von dem Thema Arbeit ablenken wollte. Sie war extrem daran interessiert, sich besonders positiv darzustellen. Sie sei stolz darauf, in Deutschland ganz allein Fuß gefasst zu haben. Sie rauche nicht, konsumiere keinen Alkohol und keine Drogen.
Meine Kollegin erwähnte nur am Rande, daß sie nicht der Beziehungsmensch sei, da sie im Heim aufgewachsen ist und Bindungen nie kennengelernt habe. Andere seien aber gern mir ihr zusammen, weil man mit ihr viel Spaß haben kann und sie so eine besondere Ausstrahlung habe. Sie sei im Moment nur mit ihrer Nachbarin befreundet, die von Hartz IV lebt und von der sie sich finanziell ausnutzen lässt.
Leider stellte sie keine einzige Frage zu meinem Privatleben, für mich ein klares Zeichen von Desinteresse. Auch war keine Rede mehr davon, ihren Geburtstag nachzufeiern.

Das Treffen ist jetzt 5 Tage her. Seitdem ist nicht eine einzige Nachricht in WhatsApp gekommen. Keine Nachfrage, wie es mir geht, was ich so in meinem Urlaub mache.

Würdet ihr so jemanden überhaupt unterstützen wollen? Sollte ich mich besser von ihr fernhalten?

Liebe Grüße,
Talya

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Pianolullaby
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Beitrag So., 03.10.2021, 13:01

Die Antworten hattest Du bereits bekommen. Ja, du solltest dich von ihr Fern halten, es haben doch schon alle gesagt, dass das nichts wird
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Talya
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Beitrag So., 03.10.2021, 13:04

Pianolullaby hat geschrieben: So., 03.10.2021, 13:01 Die Antworten hattest Du bereits bekommen. Ja, du solltest dich von ihr Fern halten, es haben doch schon alle gesagt, dass das nichts wird
Ja, schade, es wird wohl nichts.
In diesem Fall liegt es dann wohl weniger an mir, daß ich ein gewisses Helfersyndrom habe. Was ich bisher bei mir allerdings nicht feststellen konnte.
Es liegt mehr an ihr, weil sie kein Interesse an meiner Person hat.

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Pianolullaby
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Beitrag So., 03.10.2021, 13:09

ja so scheint es
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leuchtturm
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Beitrag Mi., 06.10.2021, 15:24

ob das dann so schade ist, bleibt offen ;)

Vergiss sie :)

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Malia
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Beitrag Do., 07.10.2021, 07:28

Hallo, Talya
mich berührt es, wie du dich um einen Menschen kümmerst, der so viele Probleme hat.
Ein Helfer-Syndrom ist für mich, wenn man die Hilflosigkeit anderer Menschen für sich nutzt, um sich selbst zu stabilisieren.
Für mich hast du einfach ein großes Herz und zeigst eine heute leider seltener gewordene Hilfsbereitschaft.
Und gut, wie du auf dich achtest dabei, indem du hier davon berichtest un dir Rückmeldungen holst und wie du bei deiner Einstellung der Kollegin gegenüber bleibst, dich nicht in ihr "System" reinziehen lässt.
Ich spür aber beim Lesen auch eine gewisse Traurigkeit.
Bei einem gewissen Stande der Selbsterkenntnis und bei sonstigen für die Beobachtung günstigen Begleitumständen wird es regelmäßig geschehen müssen, dass man sich abscheulich findet.
Franz Kafka

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