Liebe Leute,
ich habe Lust auf einen kleinen Erfahrungsaustausch und würde mich freuen, mal eure Sicht auf die folgende Sache zu erhalten.
Seit 2014 bin ich in psychoanalytischer Therapie, die in diesem Jahr nach 340 Stunden endet. Ich bin noch unsicher, ob ich sie selbstfinanziert weiterführe oder sie beende.
Mein Grundproblem waren psychosomatische Störungen (Übelkeit/Durchfall), die mich 2014 so intensiv plagten, dass ich unbedingt mit einer Therapie starten wollte.
Nun haben wir viel erreicht, ich verstehe mich viel besser und kann mit den Symptomen einerseits umgehen, andererseits weiß ich auch, wodurch diese ausgelöst werden (z.B. angestaute Aggressionen, wenn ich "nicht sage, was ich denke").
Mein Wunsch für die Analyse war immer, dass diese psychosomatischen Beschwerden aus meinem Leben verschwinden.
Je weiter die körperlichen Symptome zurückgingen, desto deutlicher wurde mir, dass mein Problem viel eher in einer Hemmung liegt. Eine Hemmung vor Leuten zu sprechen, sie zu treffen usw. Ich dachte immer, dass ich durch die Übelkeit so isoliert war, musste mir dann aber eingestehen, dass die Übelkeit in mancherlei Hinsicht sogar die "bessere" Wahl war. Denn das Leiden daran, dass man "nicht so kann, wie man eigentlich will" empfinde ich manchmal wesentlich schlimmer als starkes körperliches Leiden.
Was aber am scheinbar immer schlimmer wird, ist meine grenzenlose Selbstkritik. Ich muss dazu sagen, dass ich bald den Master beende und weder im Bachelor noch im bisherigen Masterstudium jemals eine Note, die schlechter als 1,3 war, geschrieben habe. Aber selbst eine Masterarbeit mit 1,0 ist nicht gut genug - ich kann einfach eigene Leistungen nicht anerkennen. Wenn ich sie dann doch anerkenne, dann allenfalls in einer Art und Weise, die arrogant und überlegen wirkt (es ist ja gerade diese Nichtanerkennung der eigenen Leistung, die arrogant wirkt).
Es stellt sich bei mir nie ein Gefühl ein, dass ich mich "auf mich selbst verlassen kann". Bei jeder Klausur bin ich wieder am Abgrund und ich könnte vorher fast alles verwetten, dass ich sie nicht bestehe. Hinterher weiß ich dann zwar schon, dass das wieder ein Volltreffer war - aber auch hier erlebe ich keine große Erleichterung. Andere Menschen würden sich doch unglaublich darüber freuen, wenn sie erst dachten, dass nichts funktioniert, und dann eine solche Wende eintritt.
Mittlerweile habe ich die zweite Wohnung gekauft (ich bin neben dem Studium selbstständig). Hier "auf der Baustelle" zeigt sich diese Selbstdestruktion dann noch mehr. Als ich Freunde in die erste Wohnung einlud, musste ich die Raumgestaltung in jedem einzelnen Zimmer relativieren. "Das war im Angebot, das war gar nicht teuer" usw. Natürlich war es nicht im Angebot. Dieses permanente "Herunterspielen" führt doch genau zum Gegenteiligen: Es wirkt alles noch überheblicher. Es ist aber fast wie ein Zwang. Ich muss dazu allerdings sagen: Ich könnte stundenlang über mich selbst lachen und viele Bekannte führen mir "mein Verhalten" häufig vor Augen, indem sie mich karikieren. Wir können dann alle so herzhaft lachen - vielleicht ist das der einzige "positive Aspekt" dieses Verhaltens.
Nun stehe ich vor einer neuen Sanierung, da die alte Wohnung nicht groß genug war. Doch auch die neue wird zu klein sein, ja selbst ein Haus in bester Lage wird meinen Anforderungen wohl nicht entsprechen. Diese Grenzenlosigkeit, alles immer wieder toppen zu müssen - ich finde das ausgesprochen anstrengend.
Mein Vater meinte letztens zu mir, ob ich keine vergoldeten Lichtschalter verbauen möchte. Augenblicklich platzte es aus mir heraus: Aus Platin massiv - das wäre wohl noch etwas, das mich reizen würde. Auch darüber haben wir gelacht - sehr sogar. Es war wohl auch nicht ganz ernst gemeint, doch etwas ist dran, selbst in diesem spaßigen Vergleich.
Auch diese "wirtschaftlichen" Erfolge kann ich kaum anerkennen. Ich denke, es war ein großer Zufall, dass ich zu dieser Selbstständigkeit in einer bestimmten Nische gekommen bin.
Nun allerdings der Kontrast zu meinem persönlichen Auftreten. Jemand, der mich zum ersten Mal sieht, würde denken, dass ich ausgesprochen schüchtern und "erfolglos" bin. Ich bin ein absoluter "Ja-Sager" im Kontakt mit anderen Menschen, habe meiner damaligen Freundin in jeder Klausur geholfen, habe alle Studienleistungen für sie gemacht. Es sind also zwei völlig verschiedene Persönlichkeitsanteile in mir und ich kann nur in einem sadomasochistischen Schema denken: Entweder werde ich dominiert oder ich dominiere andere Menschen (nicht im sexuellen Sinne). Ich bin entweder am Boden oder kurzzeitig auf Wolke 7 (wobei ich Erfolge trotzdem nicht anerkenne).
Ich frage mich wirklich, wie ich ein gesundes Mittelmaß finden kann, das es mir erlaubt, ein Leben zusammen mit Freunden, mit schönen Erlebnissen, zu führen.
Ich würde mich sehr über Eure Antworten freuen!
Ständige Selbstkritik
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Hallo Stay!
Ich kenne eine ähnliche Problematik aus meiner eigenen Geschichte. Psychosomatische Symptome, die mich zum Rückzug zwangen, wenn ich unbewusst gespürt habe, dass ich mein Ideal/Ziel nicht erreichen können werde, und (das objektiv unhaltbare) Unzufriedensein bzw. Negieren (mit) sämtlichen/r Leistungen.
Auch das oft dazu in Kontrast stehende Auftreten, das mal nicht zu den Leistungen, mal nicht zu dem Gefühl zu passen schien. Zu zurückhaltend für das eine, zu arrogant für das andere.
Seitdem ich Alfred Adler gelesen habe, weiß ich, dass die Symptomatik keinen Widerspruch darstellt, sondern ich so empfunden und agiert habe, wie das für mein angeschlagenes Persönlichkeitsgefühl die beste Wahl war, um mich nicht derartig minderwertig zu fühlen. Egal, ob mir das mit Schüchternheit/Zurückhaltung, mit Arroganz oder mit einem psychosomatischen Symptom gelang - immer hatte ich entweder hinreichende Ablenkung vom Minderwertigkeitsgefühl oder eine Ausrede, warum ich dies oder jenes nicht machen konnte (Übelkeit, Müdikeit, dies oder jenes Symptom), obwohl ich ja vom Gefühl her gerne würde.
Mittels der Schriften von Alfred Adler und mit Hilfe meiner Therapeutin (analytisch) habe ich dann eine rigorose Selbstanalyse meiner Symptome und Empfindungen, Handlungen gestartet und bin auf Sachen draufgekommen, da hat es mir die Socken ausgezogen. Hat mir mehr geholfen als viele Jahre personzentrierte Gesprächstherapie, körperorientierte Ansätze und hunderte andere Bücher, die sich mit dem Thema beschäftigen (auch wenn viele darunter sehr hilfreich waren mit den Symptomen klarzukommen).
Einiges von Adler mag nicht mehr zeitgemäß sein, da muss man berücksichtigen zu welcher Zeit es geschrieben wurde, aber der Kern seines Werkes (und den erfasst man nach einer Weile und ein bisschen Einübung in sein Denken und seine Sprache in jeder seiner Schriften) gilt heute wie damals.
Mich hat es auf einen guten Weg gebracht. Ich hoffe, du kannst damit was anfangen.
Alles Gute!
Chancen
Ich kenne eine ähnliche Problematik aus meiner eigenen Geschichte. Psychosomatische Symptome, die mich zum Rückzug zwangen, wenn ich unbewusst gespürt habe, dass ich mein Ideal/Ziel nicht erreichen können werde, und (das objektiv unhaltbare) Unzufriedensein bzw. Negieren (mit) sämtlichen/r Leistungen.
Auch das oft dazu in Kontrast stehende Auftreten, das mal nicht zu den Leistungen, mal nicht zu dem Gefühl zu passen schien. Zu zurückhaltend für das eine, zu arrogant für das andere.
Seitdem ich Alfred Adler gelesen habe, weiß ich, dass die Symptomatik keinen Widerspruch darstellt, sondern ich so empfunden und agiert habe, wie das für mein angeschlagenes Persönlichkeitsgefühl die beste Wahl war, um mich nicht derartig minderwertig zu fühlen. Egal, ob mir das mit Schüchternheit/Zurückhaltung, mit Arroganz oder mit einem psychosomatischen Symptom gelang - immer hatte ich entweder hinreichende Ablenkung vom Minderwertigkeitsgefühl oder eine Ausrede, warum ich dies oder jenes nicht machen konnte (Übelkeit, Müdikeit, dies oder jenes Symptom), obwohl ich ja vom Gefühl her gerne würde.
Mittels der Schriften von Alfred Adler und mit Hilfe meiner Therapeutin (analytisch) habe ich dann eine rigorose Selbstanalyse meiner Symptome und Empfindungen, Handlungen gestartet und bin auf Sachen draufgekommen, da hat es mir die Socken ausgezogen. Hat mir mehr geholfen als viele Jahre personzentrierte Gesprächstherapie, körperorientierte Ansätze und hunderte andere Bücher, die sich mit dem Thema beschäftigen (auch wenn viele darunter sehr hilfreich waren mit den Symptomen klarzukommen).
Einiges von Adler mag nicht mehr zeitgemäß sein, da muss man berücksichtigen zu welcher Zeit es geschrieben wurde, aber der Kern seines Werkes (und den erfasst man nach einer Weile und ein bisschen Einübung in sein Denken und seine Sprache in jeder seiner Schriften) gilt heute wie damals.
Mich hat es auf einen guten Weg gebracht. Ich hoffe, du kannst damit was anfangen.
Alles Gute!
Chancen
Hallo Chancen,
vielen Dank für deinen Beitrag und das mir entgegengebrachte Verständnis. Das hätte ich nicht erwartet, viel eher einen Kommentar nach dem Motto: Das sind Luxusprobleme. Aber ich finde jeder kann auf seinem Niveau leiden - wo auch immer sich dieses befinden mag.
Sehr interessant finde ich deinen Hinweis mit Adler. Ich muss dazu sagen, dass ich mich auch im Studium intensiv mit Freud auseinandergesetzt habe und die Analyse somit von doppeltem Interesse für mich war. Einerseits wissenschaftlich, andererseits sollte sie natürlich auch helfen. Mit Adler habe ich mich nie beschäftigt - ich denke, das muss ich mal nachholen. Wie lange warst Du denn in einer solchen analytischen Therapie? War das eine Kassenfinanzierung?
Habt ihr auch mit Imaginationen gearbeitet?
Was mir nur grundsätzlich so schwer fällt: Ich habe das intellektuelle Wissen darum, was mir guttut, und was mir andersherum schadet. Würde sich jemand in der gleichen Situation befinden, so könnte ich ihm vermutlich auch sehr helfen. Ich setze so auf den Verstand, nur was meine eigene Heilung angeht, da setzt er scheinbar aus.
Seit der Analyse habe ich z.B. das Gefühl, dass ich extrem große Ohren habe. Die Leute, die mich kennen, versichern mir immer wieder, dass das Unsinn ist. Sie sind zwar nicht gerade klein, aber eben auch nicht "riesengroß". Mir ist klar, dass sich meine Aufmerksamkeit "aufs Ohr" verlegt hat (alleine schon weil ich auf der Couch liege und nur höre). Trotzdem kann ich mich von der Idee, die Ohren "verkleinern" zu lassen, nicht lösen. Und das, obwohl ich weiß, dass ich hier Dinge übertrage.
Oder auch die Sache mit dem Spiegel allgemein. Immer wenn ich "besonders hässlich" zu anderen Leuten war (z.B. Einladungen mehrfach ausgeschlagen), dann empfinde ich mich vor allem beim Blick in den Spiegel als hässlich. Hässlich aber wieder auf dieser scheinbar objektiven Sicht nach dem Motto: Nase zu groß, Ohren zu groß, unfreundliche Ausstrahlung. Wieder wird mir versichert, dass ich weder über- noch unterdurchschnittlich gut aussehe. Mir fällt es nur auch hier so unendlich schwer, das zu akzeptieren.
Mein Ziel war und ist Selbstfreundschaft - die Frage ist jedoch, ob ich mir so etwas jemals erlauben werde.
vielen Dank für deinen Beitrag und das mir entgegengebrachte Verständnis. Das hätte ich nicht erwartet, viel eher einen Kommentar nach dem Motto: Das sind Luxusprobleme. Aber ich finde jeder kann auf seinem Niveau leiden - wo auch immer sich dieses befinden mag.
Sehr interessant finde ich deinen Hinweis mit Adler. Ich muss dazu sagen, dass ich mich auch im Studium intensiv mit Freud auseinandergesetzt habe und die Analyse somit von doppeltem Interesse für mich war. Einerseits wissenschaftlich, andererseits sollte sie natürlich auch helfen. Mit Adler habe ich mich nie beschäftigt - ich denke, das muss ich mal nachholen. Wie lange warst Du denn in einer solchen analytischen Therapie? War das eine Kassenfinanzierung?
Habt ihr auch mit Imaginationen gearbeitet?
Was mir nur grundsätzlich so schwer fällt: Ich habe das intellektuelle Wissen darum, was mir guttut, und was mir andersherum schadet. Würde sich jemand in der gleichen Situation befinden, so könnte ich ihm vermutlich auch sehr helfen. Ich setze so auf den Verstand, nur was meine eigene Heilung angeht, da setzt er scheinbar aus.
Seit der Analyse habe ich z.B. das Gefühl, dass ich extrem große Ohren habe. Die Leute, die mich kennen, versichern mir immer wieder, dass das Unsinn ist. Sie sind zwar nicht gerade klein, aber eben auch nicht "riesengroß". Mir ist klar, dass sich meine Aufmerksamkeit "aufs Ohr" verlegt hat (alleine schon weil ich auf der Couch liege und nur höre). Trotzdem kann ich mich von der Idee, die Ohren "verkleinern" zu lassen, nicht lösen. Und das, obwohl ich weiß, dass ich hier Dinge übertrage.
Oder auch die Sache mit dem Spiegel allgemein. Immer wenn ich "besonders hässlich" zu anderen Leuten war (z.B. Einladungen mehrfach ausgeschlagen), dann empfinde ich mich vor allem beim Blick in den Spiegel als hässlich. Hässlich aber wieder auf dieser scheinbar objektiven Sicht nach dem Motto: Nase zu groß, Ohren zu groß, unfreundliche Ausstrahlung. Wieder wird mir versichert, dass ich weder über- noch unterdurchschnittlich gut aussehe. Mir fällt es nur auch hier so unendlich schwer, das zu akzeptieren.
Mein Ziel war und ist Selbstfreundschaft - die Frage ist jedoch, ob ich mir so etwas jemals erlauben werde.
Mit Freud habe ich mich nie intensiv beschäftigt. Ein, zwei Werke habe ich oberflächlich gelesen, konnte jedoch - abseits des eh allgemein Bekannten - nie wirklich was damit anfangen, so dass es mich in meiner eigenen Dynamik und Problematik weitergebracht hätte. Ich fand es zwar auf theoretischer Ebene faszinierend, aber fand keinen Dreh- und Angelpunkt zur Anwendung auf meine eigene Situation. Außer dass ich ich hilflos meiner Abwehr und Übertragung zusehen musste.
Der analytischen Therapie habe ich mich aus anderem Interesse zugewendet, nachdem die Gesprächstherapie auf weiten Strecken relativ fruchtlos geblieben war, bzw mir nur die ersten zwei Jahre wirklich weitergeholfen hatte, ich dann aber das Gefühl hatte, stehengeblieben zu sein und nicht mehr weiterzukommen.
Mit Adler kam dann unerwartet neuer Schwung in die Sache.
Adler hat sich ja relativ schnell von Freud abgewendet, da er dessen Triebtheorie für grundlegend falsch hielt. Seiner Meinung nach steht das Gefühl der Minderwertigkeit im Mittelpunkt, das ein jeder von klein auf zu überwinden sucht. Neurotiker sind dann Menschen, bei denen der Versuch der Überwindung dieses Minderwertigkeitsgefühls fehl geht, was dann im sogenannten Minderwertigkeitskomplex mündet und sich individuell und mannigfaltig an Charaktereigenschaften und Symptomen ausgestaltet. zB in psychosomatischen Symptomen, Zwängen, Ängsten, Depression und all den Facetten, die damit einhergehen.
Adler postuliert, dass Neurotiker im Gegensatz zum Gesunden eine Privatlogik verfolgen, die dem Commonsense widerspricht. Zum Beispiel: "Ich habe zu große Ohren"
Oder: "Ich habe zu große Ohren und deshalb kann ich keine Frau finden/keinem Beruf nachgehen/mit nicht öffentlich zeigen."
Der Neurotiker macht eine Sache zum Problem, die einem Gesunden nebensächlich erscheint, oder die einen Gesunden nie derart hindern würde, wohlwollend und freudig am Leben und an der Gesellschaft teilzunehmen.
Adler lädt dann dazu ein, sich zu fragen, warum der jeweilige Neurotiker das tut, was es ihm also bringt. Wovor schützen ihn die Grübelgedanken, die Zwänge, die Selbstkritik, die Übelkeit?
Alle Symptome, alle Zwänge und Ängste werden so untersucht und man kommt sich dann quasi selbst auf die Schliche und deckt nach und nach seine blinden Flecken auf.
Da braucht man nicht einmal einen Therapeuten dazu, das funktioniert relativ rasch ganz von selbst.
Hinter jeder Neurose steht laut Adler meist ein mangelndes Gemeinschaftsgefühl und ein übergroßer fruchtloser Fokus auf sich selbst. Je mehr Gemeinschaftsgefühl man aufbringen kann, desto besser die Prognose. Je weniger man für andere übrig hat, desto schlechter. Ziel seiner Therapie war es jedenfalls, das Gemeinschaftsgefühl in seinen Patienten wieder zu stärken.
Sein Werk ist voller Fallgeschichten und wahnsinnig interessant zu lesen. Sehr reduntant geschrieben und keine wirkliche Systematik, wenn man so will, aber anwendungsfähig
Falls du einen Ebookreader hast, auf Amazon gibt's einige seiner Bücher gesammelt um 0,49 Euro oder so ähnlich.
Der analytischen Therapie habe ich mich aus anderem Interesse zugewendet, nachdem die Gesprächstherapie auf weiten Strecken relativ fruchtlos geblieben war, bzw mir nur die ersten zwei Jahre wirklich weitergeholfen hatte, ich dann aber das Gefühl hatte, stehengeblieben zu sein und nicht mehr weiterzukommen.
Mit Adler kam dann unerwartet neuer Schwung in die Sache.
Adler hat sich ja relativ schnell von Freud abgewendet, da er dessen Triebtheorie für grundlegend falsch hielt. Seiner Meinung nach steht das Gefühl der Minderwertigkeit im Mittelpunkt, das ein jeder von klein auf zu überwinden sucht. Neurotiker sind dann Menschen, bei denen der Versuch der Überwindung dieses Minderwertigkeitsgefühls fehl geht, was dann im sogenannten Minderwertigkeitskomplex mündet und sich individuell und mannigfaltig an Charaktereigenschaften und Symptomen ausgestaltet. zB in psychosomatischen Symptomen, Zwängen, Ängsten, Depression und all den Facetten, die damit einhergehen.
Adler postuliert, dass Neurotiker im Gegensatz zum Gesunden eine Privatlogik verfolgen, die dem Commonsense widerspricht. Zum Beispiel: "Ich habe zu große Ohren"
Oder: "Ich habe zu große Ohren und deshalb kann ich keine Frau finden/keinem Beruf nachgehen/mit nicht öffentlich zeigen."
Der Neurotiker macht eine Sache zum Problem, die einem Gesunden nebensächlich erscheint, oder die einen Gesunden nie derart hindern würde, wohlwollend und freudig am Leben und an der Gesellschaft teilzunehmen.
Adler lädt dann dazu ein, sich zu fragen, warum der jeweilige Neurotiker das tut, was es ihm also bringt. Wovor schützen ihn die Grübelgedanken, die Zwänge, die Selbstkritik, die Übelkeit?
Alle Symptome, alle Zwänge und Ängste werden so untersucht und man kommt sich dann quasi selbst auf die Schliche und deckt nach und nach seine blinden Flecken auf.
Da braucht man nicht einmal einen Therapeuten dazu, das funktioniert relativ rasch ganz von selbst.
Hinter jeder Neurose steht laut Adler meist ein mangelndes Gemeinschaftsgefühl und ein übergroßer fruchtloser Fokus auf sich selbst. Je mehr Gemeinschaftsgefühl man aufbringen kann, desto besser die Prognose. Je weniger man für andere übrig hat, desto schlechter. Ziel seiner Therapie war es jedenfalls, das Gemeinschaftsgefühl in seinen Patienten wieder zu stärken.
Sein Werk ist voller Fallgeschichten und wahnsinnig interessant zu lesen. Sehr reduntant geschrieben und keine wirkliche Systematik, wenn man so will, aber anwendungsfähig
Falls du einen Ebookreader hast, auf Amazon gibt's einige seiner Bücher gesammelt um 0,49 Euro oder so ähnlich.
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Vielen Dank für den Input! Ich werde mich spätestens nach der Prüfungsphase intensiv mit Adler beschäftigten. Nicht weil ich das muss, sondern weil ich es möchte. Es ist schön zu hören, dass diese Ansätze etwas auf der praktischen Ebene bewirkt haben. Und ich finde auch wichtig, dass mir so etwas von einer "Betroffenen" gesagt wird und nicht durch irgendeine völlig abstrakte Aussage angestoßen wird.
Ich finde Vorbilder sind ausgesprochen wichtig - ich erinnere mich z.B. auch nach 6 Jahren noch an meinen Musik- und Religionslehrer, der auf mich großen Eindruck machte. Man bewegt sich in einer solchen Atmosphäre anders, man spricht anders, man ist "angstfreier". Schon damals war ich perfektionistisch, ich erinnere mich aber immer daran, dass er mich während einer Klausur angelächelt hat und mir nur damit enormen Mut vermittelt hat.
Irgendwie sollte ich wieder versuchen, mich an solchen Menschen zu orientieren.
Zum Thema des Umgangs mit sich selbst: Was Du da geschrieben hast (bzw. die Ansätze Adlers) würde ich sofort unterschreiben. In allen Situationen, in denen ich mich total lebendig fühlte, hatte ich auf bewusster Ebene überhaupt keinen Selbstfokus. Da gab es beim Segeln eigentlich die schönsten Momente. Und das Segeln war - wenn ich das heute sehe - noch einmal interessanter, weil der Dialog mit Menschen, die mir wichtig sind, nicht der Hauptzweck war. Das Ziel war es, das Boot in den Wind zu legen und wir waren alle mit den Segeln beschäftigt. Trotzdem passierte genau das Gegenteil: Ich hatte da auf dem Wasser vielleicht die tiefgründigsten Unterhaltungen.
Vielleicht ist das auch ein sinnvoller Weg, sich eher zu Tätigkeiten als hauptsächlich zu "Gesprächen" zu verabreden. Da liegt der Fokus dann unweigerlich so intensiv auf mir selbst, wie ich finde.
Und zu diesem "Angst, in die Blicke der anderen Menschen zu geraten" ist mir noch etwas bewusst geworden. Noch beim Abi lief ich in wirklich "billiger" Discounterkleidung rum - mir war völlig egal, wie ich aussah. Ich war extrem dünn, total unsportlich - doch es war mir egal. Ab 2013 legte ich den Fokus dann auf mein Aussehen. Neuer Haarschnitt, sehr teure Kleidung, ich machte sehr viel Sport (was ja grundsätzlich ok ist), wurde massiver, wohl auch "attraktiver". Doch nun sehe ich buchstäblich jede kleinste Falte im Gesicht. Dabei ist die Veränderung enorm. Eigenartigerweise sehe ich das nicht, oder ich will es nicht sehen.
Und noch eine kleine Beobachtung möchte ich mitteilen. Seitdem ich das hier gelesen habe, ein paar Grundideen von Adler usw. gehts mir auf der körperlichen Ebene nicht gerade gut. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich doch einmal aus dieser Opferrolle herauskommen kann - gerade daran habe ich momentan enorm zu knabbern - ich merke es richtig
Ich finde Vorbilder sind ausgesprochen wichtig - ich erinnere mich z.B. auch nach 6 Jahren noch an meinen Musik- und Religionslehrer, der auf mich großen Eindruck machte. Man bewegt sich in einer solchen Atmosphäre anders, man spricht anders, man ist "angstfreier". Schon damals war ich perfektionistisch, ich erinnere mich aber immer daran, dass er mich während einer Klausur angelächelt hat und mir nur damit enormen Mut vermittelt hat.
Irgendwie sollte ich wieder versuchen, mich an solchen Menschen zu orientieren.
Zum Thema des Umgangs mit sich selbst: Was Du da geschrieben hast (bzw. die Ansätze Adlers) würde ich sofort unterschreiben. In allen Situationen, in denen ich mich total lebendig fühlte, hatte ich auf bewusster Ebene überhaupt keinen Selbstfokus. Da gab es beim Segeln eigentlich die schönsten Momente. Und das Segeln war - wenn ich das heute sehe - noch einmal interessanter, weil der Dialog mit Menschen, die mir wichtig sind, nicht der Hauptzweck war. Das Ziel war es, das Boot in den Wind zu legen und wir waren alle mit den Segeln beschäftigt. Trotzdem passierte genau das Gegenteil: Ich hatte da auf dem Wasser vielleicht die tiefgründigsten Unterhaltungen.
Vielleicht ist das auch ein sinnvoller Weg, sich eher zu Tätigkeiten als hauptsächlich zu "Gesprächen" zu verabreden. Da liegt der Fokus dann unweigerlich so intensiv auf mir selbst, wie ich finde.
Und zu diesem "Angst, in die Blicke der anderen Menschen zu geraten" ist mir noch etwas bewusst geworden. Noch beim Abi lief ich in wirklich "billiger" Discounterkleidung rum - mir war völlig egal, wie ich aussah. Ich war extrem dünn, total unsportlich - doch es war mir egal. Ab 2013 legte ich den Fokus dann auf mein Aussehen. Neuer Haarschnitt, sehr teure Kleidung, ich machte sehr viel Sport (was ja grundsätzlich ok ist), wurde massiver, wohl auch "attraktiver". Doch nun sehe ich buchstäblich jede kleinste Falte im Gesicht. Dabei ist die Veränderung enorm. Eigenartigerweise sehe ich das nicht, oder ich will es nicht sehen.
Und noch eine kleine Beobachtung möchte ich mitteilen. Seitdem ich das hier gelesen habe, ein paar Grundideen von Adler usw. gehts mir auf der körperlichen Ebene nicht gerade gut. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich doch einmal aus dieser Opferrolle herauskommen kann - gerade daran habe ich momentan enorm zu knabbern - ich merke es richtig
Dass es dir gleich körperlich schlechter geht, wenn du das Gefühl hast, du könntest die Opferrolle abgeben müssen, ist laut Adler völlig nachvollziehbar. Deine Angst vor der Minderwertigkeit wehrt sich sofort dagegen und schützt dich mit neuen oder weiteren oder wiederaufflammenden Symptomen. Adler sagte seinen Patienten solche Verschlechterungen gern vorher
Stay93, nachdem ich deine Beiträge gelesen habe, habe ich das Gefühl bekommen, dass du vielleicht gefallen brauchst und verzweifelt warst... Das stelle ich mir anstrengend vor, so viel Hoffnung in die äußere Erscheinung, die Persona zu legen und dann das Tief zu erfahren, vielleicht durch die Ermüdung und Verzweiflung, wenn das Bedürfnis trotzdem unerfüllt bleibt. Diese Erscheinung ist dir in dem Ausmaß in deinem Kern vielleicht auch nichts wert, das könnte sich so zeigen, indem du dich kritisierst und den Wert anzweifelst...
Wenn man wenig sichtbar und erreichbar ist, weil man die Persona aufrechterhält, ist das schwer, verstanden zu sein... wenn man sich missverstanden fühlt, kann man sich hässlich vorkommen... dabei bist du bestimmt eine schöne Frau, und auch sehr talentiert und fähig, du hast die Fähigkeit gut für dich zu sorgen, und das auch ohne der Persona, stelle ich mir vor.
Ich wünsche dir alles Gute.
Wenn man wenig sichtbar und erreichbar ist, weil man die Persona aufrechterhält, ist das schwer, verstanden zu sein... wenn man sich missverstanden fühlt, kann man sich hässlich vorkommen... dabei bist du bestimmt eine schöne Frau, und auch sehr talentiert und fähig, du hast die Fähigkeit gut für dich zu sorgen, und das auch ohne der Persona, stelle ich mir vor.
Ich wünsche dir alles Gute.
Sometimes your heart needs more time to accept what your mind already knows.
-
- sporadischer Gast
- , 35
- Beiträge: 7
Vielen Dank - aber ich bin keine Frau, sondern ein Mann :D Und das ist auch gut so!Firewalker hat geschrieben: ↑Fr., 04.01.2019, 13:37 dabei bist du bestimmt eine schöne Frau, und auch sehr talentiert und fähig, du hast die Fähigkeit gut für dich zu sorgen, und das auch ohne der Persona, stelle ich mir vor.
Ich wünsche dir alles Gute.
Vielleicht kam es so rüber, weil es ungewöhnlich ist, dann so an "Äußerlichkeiten" interessiert zu sein.
Doch was heißt das schon, Äußerlichkeiten. Ich bin ein Ästhet durch und durch, ich liebe Schönheit, tiefgründige Musik, Anspruch, Pathos, schöne Worte - jede Arbeit meinerseits muss sich in Form und Inhalt als ein kleines Kunstwerk präsentieren.
Ich bin froh und traurig zugleich, dass ich kein Pianist geworden bin. 2012 wollte ich ursprünglich ein Musikstudium aufnehmen, habe dann aber in letzter Minute gedacht, dass ich das eigentlich nicht kann. Meine Freunde haben mich immer wieder dazu motiviert, Aufnahmen in YouTube einzustellen und so womöglich doch noch etwas aus dem Talent zu machen. Ich lasse es zwar nicht "auf der Straße liegen" - doch ich kann etwas erst dann aufnehmen, wenn es absolut perfekt ist.
Und das wird bei komplexen Klavierstücken übrigens niemals der Fall sein.
Der Perfektionismus zeigte sich übrigens schon, als ich von einem kleinen Klavier auf einen Steinway-Flügel umgestiegen bin. Ich musste durch ganz Deutschland fahren und über zwei Jahre suchen, bis ich das Instrument gefunden habe, was mir in jeder Hinsicht einen treuen Dienst leistet. Auch da genügte kein Mittelklasse Flügel - es musste einer der bestmöglichen sein.
Und hier zeigt sich auch für mich wieder einmal eindrucksvoll, dass man alles das, was man wirklich erreichen will, erreichen kann. Ich war 2009 unfähig in jeder Hinsicht, ich konnte nicht einmal mit der Bahn fahren, weil ich so ängstlich war. Für den Flügel durch ganz Deutschland fahren - und das über Monate hinweg! - das ging aber ohne Probleme.
In dieser Hinsicht sieht man mal wieder, wie viel man sich eigentlich vormacht.
Zum Thema Hochbegabung: Ich sage immer, die typischen IQ-Tests sind zu oberflächlich, um so etwas ernsthaft feststellen zu können. Mein Talent liegt sicher nicht im mathematisch/logischen Bereich.
Und noch ein paar Worte zu Chancen: Ich bin im Moment - trotz Prüfungsstress - dabei, etwas von Adler zu lesen. Ich muss wirklich sagen, es berührt mich sehr. Vor allem seine Ausführungen, dass es Menschen gibt, die in einem Treffen mit Freunden das Gefühl haben, sie seien entweder der Wolf unter den Schafen oder aber sie treffen keine Freunde, sondern Freunde. Adler hat das am Beispiel der Körperspannung dargestellt. Genau das bemerke ich bei mir auch sehr oft, ich muss ständig kämpfen, um in meiner Rolle zu bleiben. Aufrecht, lachend und stark (Idealbild: 190 cm/95 kg, Realität: 180/80 kg).
Dabei habe ich am Spiegel etwas Seltsames festgestellt - gerade wenn ich traurig bin, sehe ich in meinem Spiegelbild eine große Schönheit. So als ob Leiden etwas Schönes ist. Andererseits: Wahrscheinlich ist es genau mein Gegenteil der Authentizität, das wirklich hässliche an mir.
Adler ist halt ein krasser Kontrast zu dem akademischen Niveau, mit dem ich sonst konfrontiert bin. Freud schreibt viel tiefgründiger, viel komplexer und - das muss man einfach sagen - "wissenschaftlicher" - jedenfalls in unserem Sinne. Dennoch: Gerade seine Beispiele in einfacher Sprache - ich bin wirklich fasziniert!
Er brachte auch das Beispiel, dass jemand, der Freunde unbewusst als Feinde sieht, die ganze Aufmerksamkeit auf die eigene Person richtet. Ein solcher jemand sollte eher versuchen, ein Fest auszurichten, und, anstatt sich den Kopf über die eigenen Handlungen zu zerbrechen, dafür sorgen, dass es seinen Gästen gut geht.
Das ist ein wirklich wertvoller Ratschlag - ich werde es mal versuchen!
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