Ehrlichkeit in der Therapie

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Seglerin
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Ehrlichkeit in der Therapie

Beitrag Fr., 08.12.2017, 19:57

Hallo,

mich interessiert Euere Meinung/Erfahrung zu folgender Frage:

Bei meiner Therapeutin fühle ich mich sehr wohl.
Fachlich und vor allem menschlich habe ich großes Glück gehabt.

Während der Sitzungen hat sie mir schon oft Dinge gesagt, über die ich mich sehr gefreut habe, z.B.
dass ich ein toller Mensch bin, zu ihren Lieblingspatienten gehöre, viele meiner Prinzipien/Charaktereigenschaften
sehr positiv sind usw.

Mir fällt es generell schwer, Koplimente anzunehmen, deshalb bin ich sehr unsicher.
Klar freue ich mich, wenn sie so etwas sagt, aber dann bin ich auch wieder skeptisch und denke:
Das muss sie sagen. Es ist Teil ihres Jobs, dafür zu sorgen, dass ich mich besser fühle.

Was meint Ihr dazu?

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CrazyChild
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Beitrag Fr., 08.12.2017, 20:08

Hallo Seglerin - Ist das Deine erste Therapie ?
LG, CrazyChild

***stay strong***


Jenny Doe
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Beitrag Fr., 08.12.2017, 20:34

Hallo Seglerin
Mir fällt es generell schwer, Koplimente anzunehmen, deshalb bin ich sehr unsicher.
Hat Deine Therapeutin noch nie etwas "Negatives" gesagt, wie z.B. "Sie haben die und die Probleme", "Das sollten wir uns mal näher angucken", "Daran sollten wir arbeiten", ...? Mit solchen Sätzen zeigt sie Dir Deine Probleme und Schwächen auf.
Aber der Mensch hat ja nicht nur Probleme und Schwächen, sondern auch Stärken, Ressourcen, gute Seiten, ... Auch diese zeigt sie dir auf.
Sie sieht dich als ganzer Mensch, als ein Mensch, der nicht nur aus Schwächen besteht, nicht nur Probleme hat, sondern auch gute Seiten, Stärken, positive Eigenschaften, ... hat.
Solche positiven Rückmeldungen von Therapeuten können helfen nicht nur das Schwarze und Negative zu sehen, sondern auch zu erkennen, dass man mehr ist, dass man auch viele gute Seiten, viele Stärken hat. Solche Rückmeldungen können helfen die eigenen Ressourcen zu erkennen und zu nutzen.
Wenn Du Probleme hast dich über Komplimente anderer zu freuen, dann schau mal auf dich selber, nehm Deine positiven Seiten bewusster wahr und freu Dich über dich selber, freu dich darüber, dass Du nicht nur Probleme hast, sondern auch viele gute Seiten.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Beitrag Fr., 08.12.2017, 21:08

Seglerin hat geschrieben: Fr., 08.12.2017, 19:57
Das muss sie sagen. Es ist Teil ihres Jobs, dafür zu sorgen, dass ich mich besser fühle.

Was meint Ihr dazu?
Ich sehe das so:

Ja, es ist ein Teil ihres Jobs. Aber normalerweise überlegen sich Therapeuten schon was sich "positiv verstärken" und das ist dann auch so gemeint. Sie denken sich ja nicht irgendwas aus. Das hätte ja gar keinen Effekt auf den Patienten. Sie suchen schon etwas aus, was auch tatsächlich so ist.
Es geht ja aber im Kern gar nicht darum, ob es die Therapeutin ernst meint oder nicht. Eigentlich ist das vollkommen egal.
Es geht darum, dass du selbst siehst, dass nicht alles an dir negativ ist... also das du das realistisch siehst. Du sollst ja jetzt nicht alles an dir toll finde oder so. Aber es gibt doch bei jedem Menschen Dinge, die mal gut laufen, Dinge, die einfach gut sind. Und die Therapeutin hebt das hervor, weil sich die meisten Menschen eher innerlich abwerten/beschimpfen. Sie will quasi in dir ein Gegenpol schaffen bzw. eine realistischer Sichtweise. Also das Ziel ist ja dass du das später selbst kannst. Das Ziel ist nicht, das du Komplimente von deiner Therapeutin glaubst. Das Ziel ist, dass du darüber nachdenkst... ob denn alles wirklich so schlecht an dir ist.. Realitätsüberprüfung... ein bisschen wegkommen von diesem einseitigen negativen Denkstrukturen... einfach die inneren Strukturen dahingehend auflockern... es ist ja nur eine Denkanregung von deiner Therapeutin mit der du weiter arbeiten solltest.

Die Frage istalso: Ist es denn wirklich wichtig, ob sie es ernst meint?

Ich finde nicht. Ich arbeite dann an mir selbst, setze mich damit auseinander und frage mich, ob man wirklich so "schlecht" ist, wie man sich oft selbst macht... Ich nutze das, was die Therapeutin mir sagt, um an mir selbst zu arbeiten. Ich frage mich, ob es mir weiter hilft, so negativ über mich zu denken ... oder ob ich auch versuchen sollte, positivere Gedankenstrukturen in meinem Alltag zu integrieren. Ich frage mich dann eher, ob es mir jetzt dabei weiter hilft, die Komplimente anzuzweifeln...

Und wenn man darüber nachdenkt, dann hat man sie schon integriert.
Auch wenn du darüber nachdenkst, ob die Therapeutin es ernst meinen könnte, bist du ja schon auf einen sehr guten Weg. Aber ich finde im Laufe der Therapie muss man dann eben selbst damit arbeiten, was einem die Therapeutin gibt. Sie kann nichts ändern. Und wenn du deine Anti-/Abwehrhaltung gegen ihre Komplimente nicht auflockern willst ok. Aber hilft dir das weiter? Geht es dir damit besser?

Das Ziel ist ja nicht, dass ich ihre Komplimente glaube oder meiner Therapeutin gefalle. Das Ziel ist das ich nach der Therapie besser mit mir selbst klar komme.
"You cannot find peace by avoiding life."
Virginia Woolf

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alatan
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Beitrag Fr., 08.12.2017, 21:29

Seglerin hat geschrieben: Fr., 08.12.2017, 19:57
Während der Sitzungen hat sie mir schon oft Dinge gesagt, über die ich mich sehr gefreut habe, z.B.
dass ich... zu ihren Lieblingspatienten gehöre,
Sehr problematisch, wenn ein PT glaubt, so etwas sagen zu müssen. Wozu? Welche Funktion soll das erfüllen? Dir ein gutes Gefühl zu bereiten oder doch lieber ihr selbst? Es bedeutet ja gleichzeitig auch eine Abwertung anderer Patienten. Warum hat sie das nötig?


mio
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Beitrag Fr., 08.12.2017, 21:58

Woher kommt eigentlich diese Sichtweise, dass eine persönliche Vorliebe immer gleichzeitig etwas "abwertet"?

Wenn ich sage: Ich mag Bananen lieber als Äpfel heißt das ja auch nicht, dass Äpfel schlechter sind als Bananen.

Das werde ich wohl nie kapieren...

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alatan
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Beitrag Fr., 08.12.2017, 23:36

Naja, die Bananen werden sich darüber vermutlich keine Gedanken machen, was das für sie bedeutet, dass du die Äpfel lieber magst.....und die Gefahr von obstlich-menschlichen Übertragungsneurosen dürfte äußerst gering sein.

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mondlicht
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Beitrag Sa., 09.12.2017, 00:20

Die Aussage der Therapeutin von wegen "Lieblingspatientin" ist ja eine Aussage, die sie über sich selbst macht. Das hat mit Stärkung der Ressourcen der Klientin nichts zu tun. Gehört auch nicht in eine Therapie, würde ich sagen. Ist eher gefährlich, weil die Klientin ja nicht zu sich selbst und zu ihren Stärken, sondern ein bisschen an "Brust" der Therapeutin geführt wird. Aber vielleicht sehe ich das auch zu eng. Mich würde so ein Satz jedenfalls ganz schön durcheinander bringen.


mio
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Beitrag Sa., 09.12.2017, 04:05

Ja, aber die Gedanken die sich gemacht werden die sind eben neurotisch...

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alatan
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Beitrag Sa., 09.12.2017, 08:37

Das ist ja auch nicht schlimm, sondern "normal", aber eine Übertragungsneurose ist äußerst ungünstig, oft schwer auflösbar und sollte von einer Therapeutin nicht noch angefeuert werden.


isabe
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Beitrag Sa., 09.12.2017, 09:50

Sie entwertet nicht nur die anderen Patienten damit, sondern auch die TE selbst, indem ihr vermittelt wird: "Ich als Therapeut sage das, weil anders zwischen uns keine gute Arbeit möglich ist. Ich traue uns beiden nicht zu, dass wir uns auf unsere Beziehung selbst verlassen, sondern ich muss die Beziehung verbal 'beschwören', damit sie wirksam ist. Würde ich dich wirklich annehmen, bräuchte ich das nicht, und du würdest meine Aufrichtigkeit spüren". Vermutlich ist es das, was Patienten an der Ehrlichkeit des Gesagten zweifeln lässt: dass sie wissen: "Der Therapeut nimmt mich damit überhaupt nicht ernst". - Sie zweifeln zu Recht.

Außerdem beinhaltet eine solche Aussage immer auch: "Es ist wichtig, dass du für mich besonders bist. Bist du es einmal nicht mehr, weil ein anderer toller Patient auftaucht, ist die Beziehung in Gefahr". Ich weiß nicht, WAS man dem Patienten damit vermitteln will - menschliche Reife und seelisches oder geistiges Wachstum ist es jedenfalls NICHT.

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stern
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Beitrag Sa., 09.12.2017, 10:46

mondlicht hat geschrieben: Sa., 09.12.2017, 00:20 Die Aussage der Therapeutin von wegen "Lieblingspatientin" ist ja eine Aussage, die sie über sich selbst macht. Das hat mit Stärkung der Ressourcen der Klientin nichts zu tun.
Ich möchte behaupten als "Ottonormalpatient" nimmt man das auch ein Stück weit persönlich... bzw. es wird auch ein Stück weit persönlich gemeint sein. Ich meine, wer würde schon sagen, dass es eine reine Selbstaussage ist, wenn ein Therapeut z.B. sagen würde: Sie mag ich als Patient am allerwenigsten (das wäre das gleiche mit umgekehrten Vorzeichen).

Ich frage mich auch, was sie damit vermitteln will... und würde raten nachzufragen... und würde überlegen, ob es wirklich einen nachhaltig positiven Effekt hat, wenn man hört, dass man vom Thera besonders gemocht wird. Ich meine, das kann ja auch Nebeneffekte haben, z.B. auf Patienten die glauben, gefallen zu müssen... etc. pp.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)

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Seglerin
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Beiträge: 3

Beitrag Sa., 09.12.2017, 11:09

Vielen Dank für die Antworten auf meine Frage.
Vor allem auch dafür, dass Ihr Euch Gedanken um mein Problem gemacht habt.

Besonders die Sichtweise, dass es gar nicht so wichtig ist, was jemand anders sagt (in diesem Fall die Therapeutin),
sondern was ich selber für mich annehemen kann, war sehr hilfreich. Vielen Dank auch dafür.

Ich hätte nicht gedacht, dass die Aussage "Sie gehören zu meinen Lieblingspatienten" hier so kritisch/negativ gesehen wird.
Nun habe ich schon ein schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl habe, meine Therapeutin irgendwie "in die Pfanne gehauen" zu haben. Und das hat sie absolut nicht verdient, denn ich verdanke ihr sehr viel.
Die Dikussion ist damit auch in eine Richtung gegangen, die ich so gar nicht erwartet hätte.
Ich wollte "einfach nur" wissen, wie ernst Therapeuten Komplimente/positive Dinge generell meinen und in wie fern das Teil ihres Jobs ist.

@Isabel
Ihre Aussage, dass meine Therapeutin unsere Beziehung "verbal beschwören" muss, empfinde ich schon als ziemlich hart.
Sie sagt das ja nicht ständig, sondern dieser Ausdruck ist im vergangenen Jahr einmal gefallen. Und ernst genommen fühle ich mich von ihr immer.

Vielen Dank nochmal, dass Ihr Euch Zeit für meine Fragestellung genommen habt!

Schönes Wochenende!


isabe
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Beiträge: 3066

Beitrag Sa., 09.12.2017, 11:15

Klar ist das hart. Man hat so seine Erfahrungen... Meine Meinung ist: Jemand, der seinem Patienten sagt, er sei einer seiner Lieblingspatienten, sagt entweder nicht die Wahrheit. Oder aber er muss damit etwas anderes verdrängen. Leider ist das so. Im Patienten löst es vermutlich aus: "Ich darf jetzt nicht meine dunkle Seite zeigen, sonst ist es aus mit der guten Beziehung". - Dabei wird verkannt, dass Therapie nicht daraus besteht, einander nett zu finden (das ist eine Voraussetzung, mehr nicht), sondern miteinander zu arbeiten, und das ist nicht immer "nett".

Wenn es für dich nun doch nicht so wichtig wäre ("vor einem Jahr einmal gesagt"), dann würde sich die Frage nach der Ehrlichkeit ja nicht stellen, oder?

Schon dass du jetzt, mit einer kritischen Frage, das Gefühl hast, sie in die Pfanne gehauen zu haben, zeigt ja, dass das Vertrauen nicht so da ist und du Angst davor hast, die Zuneigung zu verlieren, wenn du sie oder ihr Verhalten hinterfragst.

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Sehr
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anderes/other, 27
Beiträge: 1693

Beitrag Sa., 09.12.2017, 11:24

Ich glaube schon, dass Therapeuten den einen oder anderen mehr mögen oder anders rum.
Aber ich denke, dass so eine Aussage nicht in Ordnung ist. Du könntest sie ja fragen, was einen "Lieblings"- Patienten ausmacht, was sie damit meint und/oder sagen will. Oder was denn dann ein Patient an sich hat, der ihr nicht so taugt.
[wegzudenken, mehr nicht]

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