Einnerung an sexuellen Missbrauch nach mehr als 30 Jahren

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Rosenthal
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Einnerung an sexuellen Missbrauch nach mehr als 30 Jahren

Beitrag Sa., 21.10.2017, 18:46

Hallo.

Vor drei Jahren habe ich eine Psychotherapie begonnen, da ich nach dem Tod meines Vaters plötzlich unerwartete und unverstandene Gefühlsausbrüche hatte. Thema war aber auch die Tatsache, dass ich mit Ende 30 über eine Vielzahl an sexuellen Männerbekanntschaften verfügte, aber ernsthafte innige Beziehungen zu Männern von sehr kurzer Dauer waren und durch meine Schwierigkeit, Liebe/Vertrauen/Nähe mit Sex zu verbinden schnell zerbrachen. Ich wollte diese Bindungsschwierigkeit auflösen, da ich mir eine feste, auf Vertrauen un Liebe basierende Beziehung wünschte. Nach drei Jahren Therapie kam vieles heraus- und auf vielen Ebenen ging es mir besser. Ich hatte jedoch immer das Gefühl, dass ich noch nicht bei dem eigentlich Problem angekommen war. Durch die Begegnung mit einem sehr tollen Mann, der mir nach einigen Monaten seine Liebe gestand- woraufhin ich die Beziehung typischerweise wieder beendete (denn wie konnte das sein, mich lieben?), kamen mir plötzlich Bilder hoch, die sehr eindeutig waren. Ich als drei/vierjähriges Kind in eindeutiger Position mit einem Mann - ich denke mein Vater. Verbunden mit Brechreiz, Weinen, Schluchzen. Glücklicherweise bestand meine Therapie noch und ich konnte einige Tage später davon berichten. Allerdings unterbrochen von Sprachlosigkeit, viel Weinen, viel Würgen- aber auch der Sicherheit, dass ich endlich, endlich dem Geheimnis auf die Spur gekommen bin. Ich fühlte mich endlich komplett- mit mir eins. Seitdem sind vier Tage vergangen und ich erlebe mich seitdem wie in einem Schockzustand. Ich fühle mich total schutzlos, wie eine Krabbe ohne Schale, verwundbar und überhaupt nicht mehr stark, selbstbewusst. Auf der Arbeit musste ich mich krankmelden, weil ich mih einfach nicht konzentrieren konnte, plötzlich anfing zu zittern, zu würden, zu weinen. Nicht mehr konnte. In der Bahn, beim Einkaufen, Spazierengehen, im Auto mit meiner Tochter- plötzlich überkommt es mich. Und es kommen Erinnerungen hoch- noch keine weiteren Bilder, aber Gefühle. Teils auch Zweifel, ob das wirklich sein kann. Aber dann direkt die Panik der "Kleinen", die so froh war, dass ihr endlich endlich nach all den Jahren geglaubt wird- und meine Versicherung an sie, dass ich ihr glauben werde. Ich spüre, dass es stimmt- und mir erscheint alles so logisch plötzlich, was sich früher so ereignet hat. Meine Frage ist: Wie geht es weiter? Was passiert, wenn ich mich weiterhin auf der Arbeit nicht konzentrieren kann? Ich bin alleinerziehende Mutter und habe Angst, dass ich vielleicht neben Job und Kind und Haushalt gar keine Zeit haben werde, um mich um mich und dieses Thema jetzt zu kümmern- was aber so wichtig ist. Kann / Muss ich mich krankschreiben lassen? Reicht meine Therapie, die ich derzeit mache- einmal wöchentlich? Ich selbst habe das Gefühl, dass ich im Alltag Hilfe und Schutz brauche- ich kann mir gar nicht vorstellen, meinen Alltag zu meisten. Und ich bin bisher "die starke Frau" schlechthin gewesen. Projektmanagerin, verantwortlich für Personal, Auslandsreisen, alles immerzu perfekt organisierend usw. Aber ich merke jetzt, dass diese Stärke komplett weg ist- ich fühle mich so schutzlos und denke, ich brauche jemanden, der mich an die Hand nimmt. Aber gibt es das? Kann cih irgendwie zusätzliche Hilfe beantragen? Muss ich zu meiner Hausärztin, was kann meine Therapeutin tun? Eine Kur fühlt sihc für mich nicht richtig an, weil ich denke, ich möchte lernen in meinem Alltag damit zu leben. Aber derzeit ist alles so neu- so unerwartet für mcih und ich habe keinerlei Erfahrung, wie es damit weitergeht. Ich bin dankbar für Eure Erfahrungen- für Eure Ratschläge.

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Fundevogel
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Beitrag Sa., 21.10.2017, 20:24

Hallo Rosenthal,

erstmal ein herzliches Willkommen hier im Forum!

Gerne kann ich meine Erfahrungen mit dir teilen: Auch bei mir sind nach Jahrzehnten und während einer laufenden Therapie Bilder aufgetaucht. Anders als bei dir aber nach einem kompletten psychischen und physischen Zusammenbruch. Ich war auch eine starke und beruflich erfolgreiche Frau und rückblickend glaube ich, dass mein Widerstand so groß war, dass ich erst den Zusammenbruch gebraucht habe, damit die Bilder auftauchen konnten.

Ich würde es daher als gutes Zeichen interpretieren, dass bei dir die Bilder mitten in deinem normalen Leben und Alltag aufgetaucht sind. Ich glaube irgendwie daran, dass die Psyche ganz gut weiß, wann es Zeit dafür ist.
Ich kann mich noch sehr gut an die emotionale Wucht erinnern, die mit dem Auftauchen der Bilder einher ging. Ich kann daher sehr gut nachvollziehen, dass du nun erstmal krank geschrieben bist und finde das auch gut und sehr wichtig, nach Möglichkeit dann erst arbeiten zu gehen, wenn du dich besser fühlst.

Du schreibst, du hast Angst, dass du neben Kind und Arbeit nicht genug Zeit für dich und dieses Thema finden wirst; meine Erfahrung dazu ist, dass Qualität wichtiger ist als Quantität. Ich glaube schon, dass es viel Zeit brauchen wird, um all das in dein Leben zu integrieren. Aber das Leben - Kind, wichtige Beziehungen, Arbeit - kann auch sehr helfen. Mir jedenfalls hat es immer geholfen, mich auf andere Menschen und Dinge konzentrieren zu können und mich ein Stück weit als wirkmächtig zu erleben. Das Thema wird sich ohnehin seine Zeit und Raum nehmen und braucht unbedingt Aufmerksamkeit für die Aufarbeitung in der Therapie.

Auf jeden Fall finde ich es wichtig, in der Therapie und allenfalls auch beim Hausarzt dein Befinden und deine Angst, im Alltag nicht mehr funktionieren zu können, anzusprechen. Ich musste mir die damals erst wieder neu erarbeiten. Ich hatte kurz vor Auftauchen der Bilder erst die Stundenanzahl in der Therapie von einer Stunde pro Woche auf eine zweite Stunde pro Woche erhöht und irgendwann auch mit meinem Hausarzt meine psychischen Probleme besprochen - beides fand ich sehr hilfreich und stützend.

Wenn du nach Ratschlägen fragst, dann wäre das eben gute therapeutische und ärztliche Betreuung und in der nächsten Zeit, bis du dich wieder stabiler fühlst, so engmaschig wie möglich. Was ich dir aber am allerdringendsten empfehlen würde, wäre dies: Versuche so radikal wie möglich, deinen Streßlevel zu reduzieren und zwar in allen Lebensbereichen. Dass die Bilder aufgetaucht sind, das kann auch - so habe ich es manchmal erfahren - einen Energieschub bedeuten und dir Kraft bringen, weil du dir selbst näher gekommen bist. Die Aufarbeitung und starken Gefühle können aber auch anstrengend sein und müde machen, deshalb fände ich Freiräume für Ruhephasen wichtig. Du sorgst damit ja nicht nur für dich, sondern auch für dein Kind. Aber noch ist alles noch sehr neu und es wird eine große Veränderung bedeuten - gib dir dafür Zeit und Geduld.

So weit mal fürs Erste - falls Du noch Fragen hast, jederzeit gerne mehr.

Lieben Gruß
Fundevogel


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Rosenthal
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Beitrag So., 22.10.2017, 09:20

Lieber Fundevogel,

herzlichen Dank für Deine Nachricht. Es hat sehr gut getan, von Deiner eigenen Erfahrung zu lesen und davon, wie Du damit umgegangen bist. Ja- ich denke auch, dass die Psyche schon weiß, wann sie sich mir zumuten kann ;-) Ich fand auch Deinen Aspekt gut, dass Kind und Arbeit und andere Menschen ablenken und mich wirkmächtig erleben lassen. Im Moment hilft mir mein Kind ganz klar- ich fühle mich als Mutter, die ich mir ja auch gerade selbst sein muß. Diese Rolle geht ganz gut. Ich schaue mal, wie es morgen auf der Arbeit weitergeht- und Treffen mit Freunden. Im Moment ist mir eher nach Rückzug. Danke für den Tipp mit dem Hausarzt- ich werde morgen dorthin gehen und auch der Ärztin davon berichten. Sie ist mir sehr zugewandt, so dass ich mich dort gut betreut fühle. Und das Stresslevel senken :-) Ich habe immer wieder meditiert- und jetzt doch Angst davor. Also beginne ich erstmal mit der Reduzierung von Stresssituationen- und dann vielleicht irgendwann wieder mit Meditation. Aber am meisten danke für die Erinnerung an die Geduld und die Zeit....ich habe letzte Woche als erstes mein Elternhaus aufgesucht- die jetzigen Bewohner haben mir erlaubt, dort durch die Zimmer zu wandern. Bis auf das Gebetszimmer meines Vaters (ein fundamentalistischer Katholik, der uns Kinder alttestamentarisch erzogen hat und Schlimmeres, wie ich jetzt weiß) war alles ok. Aber das Gebetszimmer...ich habe mich direkt wie in eine dunkle Wolke umhüllt gespürt und bin schnell gegangen. Ich werde das jetzt verarbeiten müssen und Geduld mit mir haben. Das interessante ist, wie schnell es mich überkommt. Gestern zB ging ein Mann im Supermarkt an mir vorbei- er sah meinem Vater ähnlich und fing auch an pfeifen wie er- ich habe fast gekotzt, Atemnot bekommen, mir ist die Farbe aus dem Gesicht gewichen und ich bekam einen Würgeanfall. Ich habe sogar direkt versucht, mit meiner Mutter zu reden- das ging eher nach hinten los. Dafür brauche ich erst Stabilität in mir selbst merke ich. Darum geht es jetzt wohl, oder? Ja, ich brauche Zeit und auch Achtsamkeit mit mir und meinen Reaktionen auf diese Erlebnisse- danke für die Erinnerung. Viele Grüsse


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Rosenthal
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Beitrag So., 22.10.2017, 09:33

Liebe FeineMilde, leider kann ich Dir keine private Nachricht zurücksenden, da ich noch keine drei Posts in diesem Forum geschrieben habe. Das tut mir leid. Deine Nachricht hat mir geholfen. Und ich habe viele Fragen an Dich. Vorab die Frage (vielleicht kannst Du sie mir privat beantworten). Wie bist Du Deinen Freunden gegenüber umgegangen? Ich selbst fühle mich seit diesen Erkenntnissen so grundlegend anders- und kann normalen Gesprächen gar nicht folgen. Ich tendiere dazu , mich eher abzugrenzen als zu reden. Wie war das bei Dir? Ich freue mich über eine Nachricht. Liebe Grüsse

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Pianolullaby
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Beitrag So., 22.10.2017, 18:11

Hallo Rosenthal

Ich versuche hier mal ein wenig zu berichten. Ich kann hier auch öffentlich darüber schreiben wie ich mit meinen Freunden umgegangen bin. Allerdings war ich mir meines Mb immer bewusst, oder nur sehr kurz nicht bewusst. Habe auch mit 16 schon therapeutische Hilfe bekommen (bin jetzt 38)

Ich hatte auch oft den Wunsch nach Rückzug und habe mir diesen tatsächlich auch genommen.
Ich war diesbezüglich meinen Freunden gegenüber sehr offen wieso ich diesen gebraucht habe (Natürlich nicht mit Details). Mit der Zeit jedoch habe ich gespürt, dass dies für mich eine Flucht war, um mich abzulenken, (in mich zu gehen). Das hat mich noch mehr runtergezogen, so dass ich für mich gespürt habe, dass es mir besser tut, wenn ich doch mit Freunden unterwegs bin, aber eben "sanftere" Sachen machen, nicht unbedingt Tanzen gehen oder sowas. Und für mich wichtig war, dass jemand mit mir nach Hause ist, so dass ich mich sicher fühlen konnte.

Dass du gerade so akut anderen Gesprächen nicht folgen kannst ist für mich gut verständlich. Ich glaube auch da würde Offentheit Sinn machen und sagen es tue Dir leid, du kommst gerne mit, aber es könne sein, dass du komplett abwesend bist, und vllt auch sagen wie sie damit umgehen sollen. Dich ansprechen oder .....

Wie gesagt mir hat das Abgrenzen nicht wirklich gut getan, aber das musst Du für dich rausfinden. Da ist jeder Mensch anders.

Ich schreibe auch gerne auf Fragen.
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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KatharinaNussbaum
sporadischer Gast
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weiblich/female, 25
Beiträge: 11

Beitrag Mo., 23.10.2017, 13:55

Hallo,

es tut mir sehr leid für dich

ich wünsche dir viel Erfolg und die gute Besserung

lg

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