Kontrollzwänge seit vielen Jahren loswerden

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Phobien, Zwängen, Panikattacken und verwandten Beschwerden.
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Gogobert
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Kontrollzwänge seit vielen Jahren loswerden

Beitrag Do., 25.05.2017, 20:42

Guten Abend.
Wenn etwas über Jahre "wächst", weiß man zunächst nicht, wo man anfangen soll.

Ich denke es fing bereits mit 15 Jahren an, vielleicht sogar früher, dass ich zu hause den Herd kontrolliert habe. Nicht einmal, nicht zweimal, vielmals. Das gleiche mit Steckern, Lichtschaltern, teils absurden Geräten, die ich tagelang, wochenlang nicht einmal an hatte. :kopfschuettel:

Mehrmals habe ich professionelle Hilfe gesucht und auch eine Psychotherapie begonnen, aber es half mir nichts, hatte stets das Gefühl, dass man der Ursache, dem Kern nicht auf den Grund findet. Also man stocherte herum, das was ich angab, wurde irgendwie ursächlich gesehen.

Dieses Phänomen begleitet mich jetzt seit ca 20 Jahren. In meiner Wohnung kontrolliere ich alles, wenn ich sie verlasse, je länger ich sie vorhabe zu verlassen, desto heftiger die Kontrollen. Ich kontrolliere Dinge, die unnötig sind und dann so häufig, dass ich teilweise bis zu 30min brauche, bis ich mal raus komme, bin dann total genervt, verschwitzt und fertig.

Da ich mich auch in meiner Lebensqualität, nach draußen zu gehen, zum Sport oder sonstiges, zu Freunden etc, nicht nehmen lassen möchte, habe ich mich damit fast arrangiert. Eben nur fast.

Es nervt, insbesondere wenn ich zur Arbeit fahre, ich bereits Abends bereits alles so vor, dass ich morgens nur noch "wenig" kontrollieren muss. Besonders der Herd, brennbare Elemente wie das Bügeleisen und Kaffeemaschine etc sind in meiner Kontrollwut.

Ich habe mein eigenes Verhalten bereits analysiert, festgestellt, je mehr Stress ich habe, beruflich oder privat, desto heftiger natürlich die Kontrollen. Ebenso habe ich herausgefunden, wenn ich wirklich nur einmal schaue, mich dann zwinge kein weiteres mal zu schauen, komme ich schneller weg als wenn ich mehrfach schaue, also je öfter ich nachsehe, desto unsicherer werde ich, bis ich irgendwann nur noch genervt bin, nach 50x nachsehen, ob der Herd aus ist, den ich morgens beispielsweise nie an hatte.....verlasse ich dann die Wohnung.

:roll: das ganze nervt, denn es weitet sich auf Lebensbereiche aus, die ich bisher davon fern hielt, mein Hobby ist inzwischen auch betroffen, auch PC Arbeit ist betroffen, Kontrolle ob Dateien noch da sind usw. Vollkommen schwachsinnig.

Zuletzt war ich vor 3 Jahren bei einem Arzt, der mir zwar anfangs half mit Protokollen, die wir gemeinsam durch gingen, aber irgendwann kam er nicht mehr weiter.

Ich habe mich inzwischen arrangiert mit dem Gedanken, diese "Krankheit" chronisch mit ins Grab zu nehmen, doch vielleicht kann ich Symptome lindern und vielleicht auch kann mir jemand hier helfen?

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inlines
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Beitrag Fr., 26.05.2017, 05:35

Hallo Gogobert,

ich finde mich in vielem was du schreibst selber wieder und habe was die Zwänge betrifft eine recht ähnliche Geschichte. Diese begleiten mich seit ich denken kann, und wirken sich auf viele alltägliche Dinge aus. Auch das provisorische Kontrollieren kenne ich recht gut.

Was eine Veränderung betrifft bin ich innerlich sehr zerrissen, denn obwohl ich diesen Mist bis aufs äußerste hasse, gibt mir das Kontrollieren manchmal ein Stück Sicherheit bzw. eine Sicherheit die ich in anderen Lebensbereichen nicht habe.

Bei mir konnten 2 Dinge Linderung verschaffen:

1) Nachdem ich es viele Jahre vor meiner Partnerin geheimgehalten habe, habe ich es ihr dann doch während eines Klinikaufenthaltes gebeichtet. Daher unterstützt sie mich nun, und gibt mir Rückmeldungen wegen Herd, Kerzen usw., was mir ab und an ermöglicht abends direkt ins Bett zu gehen (was eine wunderbare Sache ist).

2) Medikamente: Es hat zwar etwas gedauert, aber ich bin mir mittlerweile sicher, dass mir die Medikamente eine Stück weit geholfen haben. Ich nehme 150 mg Sertralin und als Verstärker Risperidon.

FG


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Gogobert
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Beitrag Fr., 26.05.2017, 06:28

Danke sehr für die Rückmeldung.

Abends habe ich die Kontrollen besser im Griff, wieso auch immer. Ich diszipliniere mich und bin in wenigen Minuten "durch". Meine jetzige Partnerin ist die einzige bisher, die "Verständnis" hat, wobei natürlich wenn sie da ist, wir wohnen nicht zusammen, versuche ich mich zu konzentrieren und es nicht zu übertreiben ,-)

Den letzten Arzt, den ich erwähnt hatte, habe ich argwöhnisch betrachtet, da ich mir immer wieder denke "Hey, es ist doch in Griff zu kriegen - irgendwie - ohne Medikamente", daher kamen wir da nicht auf einen Nenner.

:-(( es ist in meiner Situation "noch" ein "es nervt gewaltig", und ich bin noch kampfbereit gegen den Zwang, ich habe noch nicht das Gefühl, dass der Zwang mich beherrscht, er engt mich ein, sehr stark, aber ich habe noch Kontrolle über den Zwang.

Wie kommst du im Alltag klar? Hast du "Übungen" mit auf den Weg bekommen, neben der medikamentösen Behandlung?

Lustigerweise erlebe ich selber als Beobachter immer wieder einen Mann, der sein Auto ca 100m vorm Haus abstellt, weil in der Sackgasse, wo er wohnt keine Stellmöglichkeiten sind. Er läuft regelmäßig, wenn er seinen Wagen abgeschlossen hat und vorm Haus steht, die ca 100m zurück zum wagen und rüttelt an sämtlichen Türen herum. Ich denke mir immer: Der Mann muss doch einfach nur noch genervt sein und sich denken: Scheiß doch drauf, soll der Wagen doch offen stehen, hier würde ihn in dieser Gegend sowieso niemand stehlen .... nein! Der Mann läuft konsequent jedesmall wenn ich es zufällig sehe zum Auto zurück und prüft. Und dann denke ich: Hey, mach dich nicht lustig, du bist doch genaus, würde dich jemand bebachten würde er denken: Der Typ ist doch bekloppt, er hat doch den Herd garnicht angehabt und prüft dennoch nach. Aber das ist eben Psyche....

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Beitrag Fr., 26.05.2017, 08:03

Seltsamerweise ist es so, dass ich morgens eher Ruhe habe, und mehr Abends und Nachts kontrollieren muss...
Wie kommst du im Alltag klar? Hast du "Übungen" mit auf den Weg bekommen, neben der medikamentösen Behandlung?
Der Alltag ist schon auch schwierig. Manchmal reisse ich mich "mit Gewalt" von den Zwängen los, was aber extrem stressig ist und einen mit ziemlicher Unruhe zurücklässt. Ich habe auch viele Rituale, die wenn sie "klappen" mir helfen Zeit zu sparen.

In der Klinik habe ich auch schon "Exposition" gehabt, das heißt ich wurde Situationen ausgesetzt in denen ich normalerweise meinen Zwängen nachgehen würde, jedoch die Aufgabe erhalten stattdessen überhaupt nichts zu tun, sondern bloß dazustehen und Zeit vergehen zu lassen. Das war ziemlich hart, aber ich kann mir vorstellen, dass das längerfristig was bringt.

Ansonsten habe ich auch schon Tabellen meiner Zwangshandlungen gemacht, und die Aufgabe bekommen, anzugeben, wie man normalerweise kontrollieren würde, wenn man keine Zwänge hätte. Diese Übung war sehr überraschend, da ich vor lauter Ritualen garnicht mehr wußte, wie "normale" Leute elektrische Geräte usw. kontrollieren. Daraufhin habe ich versucht mich auf genau den Reiz zu konzentrieren, der normalerweise eine sichere akustische/visuelle Rückmeldung gibt, was teilweise auch funktioniert hat.

FG

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Beitrag So., 02.07.2017, 05:41

Moin Gogobert,

ich kann mich in Deinem Post sehr gut wiedererkennen. Ich habe meine erste Kontrollzwänge wohl bewusst mit 4 Jahren kennengelernt - nachdem ich ins Bett gebracht wurde mussten meine Eltern schauen, ob die Klospülung tatsächlich "aus" ist und die Toilette nicht überläuft (und ich ertrinke :kopfschuettel: ) und ich selbst achtete immer darauf, dass der Badezimmerteppich exakt gerade lag. Die Teppich-Schieflage-Phobie begleitet mich noch heute.

Insgesamt sind meine Zwänge schlimmer geworden als ich dann mit 23 Jahren (bis heute) alleine wohnte - ich lebe in einer Fernbeziehung.
Ich kann Dir auch beipflichten, dass Stress (nach meinen eigenen Erfahrungen) solche Kontrollzwänge definitiv verstärken kann. Und auch die Beobachtung, dass die Dauer der Abwesenheit einen Einfluss hat, kann ich bestätigen (wenn ich übers Wochenende wegfahre, brauche ich länger als unter der Woche auf dem Weg zur Arbeit). Besonders schlimm wurde es in den 2 Jahren, bevor mein Vater starb - zuerst unbewusst aber dann mit einem wirklichen Leidensdruck (teilweise 45min 1,5h bevor ich das Haus verlassen konnte). "Lustigerweise" verschwand dieser Zwang nach dem Tod meines Vaters erstmal fast völlig, da ich durch die Trauer mir innerlich dachte: "Ist doch alles schei*-egal, lass doch die blöde Wohnung abfackeln).
Inzwischen habe ich ein für mich "gesundes Maß" erreicht...:
  • Nachdem ich nicht mehr mit dem Auto, sondern dem Bus zur Arbeit fahre, habe ich ein Zeitlimit, in welchem ich die Wohnung verlassen haben muss, damit ich denn Bus nicht verpasse (ist mir in 2,5 Jahren nur 2mal passiert). Das heißt ich habe meine Kontrollroutine wesentlich optimiert (dabei darf mich aber auch nicht stören) und muss sie dann so akzeptieren.
  • Wenn ich für längere Zeit meine Wohnung verlasse nehme ich die Unterstützung meines Freundes in Anspruch nehme. Anfangs hat er sich über meine Zwänge lustig gemacht und mich "spaßeshalber“ gefragt, ob ich dies oder das ausgeschaltet habe. Nachdem er aber meine (teils aggressive aber immer panische & zeitkostende) Reaktion darauf erlebte, unterstützt er mich nun. So rufe ich ihn an (falls er nicht körperlich anwesend ist) und gehe gemeinsam meine Wohnung durch. So kann er mir bestätigen, dass alles "aus" ist.
  • Auch hilft es mir, dass meine Nachbarn einen Schlüssel haben, so kann ich sie auf Dienstreisen etc. anrufen, fall ich doch komplett ins Grübeln kommen sollte - musste dies aber noch nie tun. Denn je länger man seine Wohnung verlassen hat, desto schwächer wird das Grübeln bei mir.
  • Fotos von einem ausgeschalteten Herd oder Sicherungen haben mir leider nie irgendwie die erhoffte Erleichterung verschafft, denn "man könnte ja ausversehen nochmal dran gekommen sein"
  • Alles in allem habe ich auch festgestellt, dass mir eine strikte Kontrollroutine hilft. Katastrophal ist natürlich, wenn diese irgendwie unterbrochen/gestört wird, da ich dann nochmal komplett von vorne anfange muss. Aber normalerweise habe ich mich darauf konditioniert, dass alles aus ist, wenn ich durch diese Kontrollroutine durchgegangen bin. Wobei ich für die Küche immer noch am längsten brauche - mindesten 3x Herd, Eierkocher, 3x geschlossene Kühlschranktür (die mein Freund leider einmal nur angelehnt ließ, nachdem er nach mir das Haus verließ). Wichtig ist dabei natürlich auch, dass ich diese Gegenstände nur "aus der Ferne" betrachte, um sie nicht ausversehen einzuschalten.
  • Insgesamt, habe ich es so geschafft meinen Kontrollzwang am Morgen vor Arbeitstagen (inkl. dem Zeitdruck der Busabfahrtszeit) auf 3-5min, bei Abwesenheit am Wochenende auf 15min, bei Dienstreisen auf 20min und bei längerer Abwesenheit (mit Unterstützung durch meinen Freund) auf 15-20min zu drücken.
  • Zudem habe ich registriert, wie Du auch schreibst, dass immer mal wieder das Bedürfnis nach zusätzlicher/x-facher Kontrolle aufkommt. Dann gerate ich (auch) in einen Zustand von totalem Stress, fange an zu schwitzen und bin wie in einem Tunnel - aus diesem ist es auch total schwer wieder rauszukommen. Es ist eigentlich wie ein Hamsterrad, man kontrolliert und kontrolliert, aber sobald man 3 Schritte weggeht, ist man sich nicht mehr sicher und muss wieder kontrollieren.
  • Ich habe den Kontrollzwang "glücklicherweise" seit 2-3 Jahren nur noch, wenn ich meine Wohnung verlasse und nicht, wenn ich abends schlafen gehe oder meinen Arbeitsplatz verlasse - obwohl ich manchmal abends doch noch kontrollieren muss. Es hängt glaube ich wirklich mit dem Stressfaktor und Gemütszustand zusammen.
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Beitrag So., 02.07.2017, 05:43

Als betroffener Laie würde ich Dir also raten, dass (solange Du Deine Zwänge mittels Therapie nicht komplett loswirst) Du Dir eine strikte Routine angewöhnst und diese als definitiv und sicher anerkennst. Dies lässt den Zwang zwar nicht verschwinden, aber schränkt ihn auf einen "akzeptablen" Zeitrahmen ein.
Und, wie Du erwähnst, hole Dir definitiv die Unterstützung Deiner Partnerin - es kann wirklich hilfreich sein.
Wichtig ist immer, dass man sich nach einer Besserung nicht wieder in solch eine Kontroll-Abwärtsspirale ziehen lässt und trotzdem seine definierte Routine beibehält. Ich weiß, dass das nicht immer klappt, aber wenn ich mich nach 2-3 Tagen erwische, dass ich Sachen häufiger kontrolliere oder Sachen kontrolliere, die ich zuvor nicht wirklich kontrolliert habe, zwinge ich mich in wieder diese Routine zurück - und bisher ist mein Haus auch noch nicht abgebrannt etc.

Leider besteht das Teppichproblem trotz allen Höhen und Tiefen unverändert - das ist aber auch das einzige Problem, bei dem ich meinem Freund erlaube sich über mich lustig zu machen ::? :lol:

Beste Grüße,
Ysp.
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