muss ein Therapeut Grenzen überschreiten um sie zu erkennen?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Tania
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muss ein Therapeut Grenzen überschreiten um sie zu erkennen?

Beitrag Mo., 13.03.2017, 20:42

Hallo ihr Lieben!

ich hatte diese Woche die 2. Stunde bei einem Traumatherapeuten.
Und ich brauche dringend euer Feedback, wie findet ihr das?

In meinen Augen missachtete der Therapeut in der Stunde auf subtile Weise meine Grenzen.
Ich sagte ihm das dann und er meinte, er kenne mich ja noch nicht und würde meine Grenzen nur durch Versuch und Irrtum kennenlernen.

Bitte echt jetzt?
Ein Therapeut muss erst über die Grenzen drübertrampeln und sie verletzen, um festzustellen, wo meine Grenzen sind?

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werve
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Beitrag Mo., 13.03.2017, 20:47

Was genau ist denn geschehen?

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FirstLady
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Beitrag Mo., 13.03.2017, 20:52

Tania hat geschrieben: Mo., 13.03.2017, 20:42 Hallo ihr Lieben!
In meinen Augen missachtete der Therapeut in der Stunde auf subtile Weise meine Grenzen.
Ich sagte ihm das dann und er meinte, er kenne mich ja noch nicht und würde meine Grenzen nur durch Versuch und Irrtum kennenlernen.

Bitte echt jetzt?
Hallo Tania,
es gibt einen Thread weiter Unten, wo ein sehr ähnliches Thema seitenweise diskutiert wurde.
Vielleicht ist er auch für Dich interessant?
viewtopic.php?f=20&t=38505#p914951

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Thread-EröffnerIn
Tania
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Beitrag Mo., 13.03.2017, 20:57

ein Beispiel:
es ging um ein Thema, das mir sehr unangenehm war und als ich ihn dann bat, von dem Thema wegzugehen, fragte er dann trotzdem weiter.

@Firstlady danke für den Thread, aber es geht bei mir nicht darum, dass er mir persönlich zu nahe kommt, sondern sein Verständnis, dass es ganz normal sei, dass er über meine Grenzen drübergeht, schließlich lerne er mich dadurch kennen.

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Kellerkind
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Beitrag Mo., 13.03.2017, 22:09

Ja, soll er sie denn per Gedankenlesen erraten?
Ich glaube, er meint einen ganz natürlichen Prozess des Kennenlernen. Wir alle. ...Jeder einzelne von uns....lernt die Grenzen seines Gegenübers erst kennen, wenn er sie "aus Versehen" übertritt, und grundsätzlich nur dann, wenn der Gegenüber darauf aufmerksam macht und eben besagte Grenzen verteidigt bzw. anzeigt. Dies ist ein völlig normaler Prozess. Man kann es eben gerade bei Fremden vorher definitiv nicht wissen..
MÖGLICHERWEISE ist die Formulierung etwas unglücklich gewählt, ich glaube, du interpretierst da zu viel rein bzw. nimmst es zu ernst. Wobei genau das ja auch Thema der Therapie sei könnte, als Trauma-Patient und MB-OPFER sind Grenzen setzten bzw. wahren sicherlich ein wunder, sensibler Punkt.
Zumindest habs ich nicht den Eindruck, dass er Grenzen übergriffig und plump...oder wild experimentierend....überschreite, nur weil er weiterfragte, als es für ihn aus therapeutischer Sicht interessant wurde.
"Auch andere Wege haben schöne Steine. "

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Lockenkopf
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Beitrag Mo., 13.03.2017, 22:40

Tania hat geschrieben: Mo., 13.03.2017, 20:57 ein Beispiel:
es ging um ein Thema, das mir sehr unangenehm war und als ich ihn dann bat, von dem Thema wegzugehen, fragte er dann trotzdem weiter.
Das weiter fragen ist ein bewusste Grenzverletzung. Sowas geht gar nicht.

Ich, an deiner Stelle würde den Herrn nicht wieder aufsuchen.
Liebe Grüße
Lockenkopf

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Scout
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Beitrag Mo., 13.03.2017, 22:43

Ich denke es kann auch dazu gehören, dass Grenzen durch Versuch und Irrtum erst zutage kommen, aber ich finde, in der Therapie und gerade auch in der 2. Stunde solte ein Therapeut, v.a. wenn es sich um Traumatherapie handelt verbale Grenzen akzeptieren und nicht nachbohren.
Zumindest läuft das bei mir so ab und ich würde es mir nicht anders wünschen. Nachbohren, und sei es auch noch so subtil (hier eben durch "nur" nachfragen), wenn PatientIn angemerkt hat auf dieses Thema zu diesem Zeitpunkt nicht genauer eingehen zu wollen (aus welchem Grund auch immer), würde mich verängstigen und ich würde wahrscheinlich mit Rückzug reagieren. Aber natürlich ist jeder anders, andere brauchen vielleicht auch etwas Beharrlichkeit um sich an Themen ranzutrauen. Aber wie gesagt für die 2. Stunde finde ich es unpassend.

Kannst du dir denn vorstellen das anzusprechen, darüber mit ihm zu sprechen, was seine Vorgehensweise bei dir ausgelöst hat? Das wäre meiner Meinung nach jetzt der beste Weg.

LG Scout
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Tania
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Beitrag Di., 14.03.2017, 18:12

Hallo Lockenkopf und Scout,

danke für eure Rückmeldung, das beruhigt mich.
Und danke auch an Kellerkind, dein Beitrag hat mir auch weitergeholfen und zwar so: als ich ihn las, bekam ich sofort Herzklopfen und spürte extreme Wut :evil: - ich muss anscheinend ziemlich aufpassen, dass nicht nicht ausflippe, wenn ich das nächstes Stunde anspreche.

Denn Scout, UND OB ich das ansprechen werde!
Das wie Kellerkind es formuliert hat, ist genau die Ansicht des Therapeuten. So eine Art naives: Na ich kann doch nicht wissen, wo Grenzen sind.

Ach wirklich?
Unser soziales Zusammenleben würde zusammenbrechen, wenn wir nicht ständig Mimik, die Körpersprache und die verbale Äußerungen anderer Menschen beobachten und damit deren Grenzen erkennen.

Wie würdet ihr es finden, wenn euch bei einem Date jemand körperlich anfasst und dann sagt: Achso, ich wusste nicht, dass hier eine Grenze ist. Ich musste dich erst angreifen um zu wissen, dass du das nicht möchtest.
In anderen Worten: Ich kann dich nur kennenlernen, indem ich deine Grenzen überschreite.. :kopfschuettel:

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stern
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Beitrag Di., 14.03.2017, 18:48

Nun, ich würde sagen, die Kunst ist Behutsamkeit bzw. behutsames Nachfragen. Und es kommt vllt. auch etwas darauf an, was er nachfragte. Also inhaltliches Nachbohren in den ersten Sitzungen würde ich auch nicht gut finden. Aber abzutasten, was jetzt ist, würde ich als etwas anderes sehen... denn er kennt den Patienten ja noch nicht. Und auf Dauer geht es wohl auch darum, Grenzen zu erweitern. Wenn man als Patient sagt, das Thema möchte ich nicht antasten, würde ein Therapeut das evtl. respektieren... aber die Frage ist, ob das so bleiben soll. WENN man schon eine Therapie aufsuchte.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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(alte Weisheit)


mio
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Beitrag Di., 14.03.2017, 19:14

Tania hat geschrieben: Di., 14.03.2017, 18:12Unser soziales Zusammenleben würde zusammenbrechen, wenn wir nicht ständig Mimik, die Körpersprache und die verbale Äußerungen anderer Menschen beobachten und damit deren Grenzen erkennen.
Ich denke da schließt Du sehr von Dir (aus Deinem Erfahrungshorizont) auf andere bzw. das "allgemeine".

Dieses "alles möglichst genau beobachten müssen" (damit die "Welt" nicht zusammenbricht) ist nicht die "Normalität" sondern eine Folge der (Deiner) traumatischen Erfahrungen.

Und oft stellt man die "Erwartungen" die man "an sich selbst/das Leben" hat auch an andere. ;-)

Sprich es direkt an in der Therapie. Dann weiss er bereits ein bisschen "mehr". :)

Einen "gezielten oder gewollte Übergriff" kann ich aus dem was Du geschrieben hast so nicht herauslesen.


isabe
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Beitrag Di., 14.03.2017, 19:30

Tania:
Lass dir nichts einreden: Ein Therapeut muss taktvoll sein, sonst sollte er Busfahrer werden. Das genau zeichnet Taktgefühl aus: ein Gespür dafür, was dem Anderen unangenehm sein könnte, und ein langsames Vortasten, wenn es nötig erscheint, etwas weiterzubohren.

Leider geht vielen Menschen das Taktgefühl ab. Nicht nur Therapeuten, sondern auch Usern eines Internetforums.

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Scout
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Beitrag Di., 14.03.2017, 19:33

mio hat geschrieben: Di., 14.03.2017, 19:14 Einen "gezielten oder gewollte Übergriff" kann ich aus dem was Du geschrieben hast so nicht herauslesen.
Den sehe ich in der Situation auch nicht, zumindest würde ich nicht von einem Übergriff sprechen.

Als Grenzverletzung aber schon, v.a. scheint bei dir da mächtig was in Gang gesetzt worden zu sein liebe Tania.
Das würde ich mir an der Stelle genauer ansehen
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Fundevogel
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Beitrag Di., 14.03.2017, 21:14

Hallo Tania,

erstmal finde ich es bemerkenswert, wie gut du deine Grenzen eigentlich schon wahrnehmen und verteidigen kannst. Du hast bemerkt, dass es dir unangenehm ist und du hast dich getraut, den Wunsch nach Themenwechsel zu artikulieren. Die Wut ist auch ein gutes Zeichen dafür.

Ich glaube die Kunst der Therapie - und nochmal speziell für die Traumatherapie - ist es, zwischen dem Wahren von Grenzen und Vermeidung/Abwehr unterscheiden zu lernen.
Und zu lernen, in der Bewegung zwischen diesen Polen einen guten Rhythmus zu finden.
Zu wenig und zu viel ...

Trauma-Coping-Muster haben ja ganz viel mit Grenzen zu tun, mit Vermeidung und Abwehr, können oft aber disfunktional werden bzw. sich verselbständigen. Diese Verarbeitungsmuster oder -strategien anzusehen, wird sicher eine Herausforderung für persönliche Grenzen. Vielleicht nicht grade in der zweiten Stunde ...

Aber ich finde das auch gut, ihm das mit aller Deutlichkeit und Emotion zu sagen und dann mal schauen, wie er das verträgt - Wut und Streiten kann meiner Erfahrung nach manchmal durchaus ein Zeichen für den Beginn einer guten, tragfähigen Beziehung sein, die einiges aushält. Und dieses Halten schwerer Themen und starker Emotionen ist so so wichtig für die Therapie, für den Therapeuten/die Therapeutin, sonst wird das nix.

Ich glaube auch, du bist schon mittendrin im Thema.
Fundevogel


mio
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Beitrag Di., 14.03.2017, 22:01

Scout hat geschrieben: Mo., 13.03.2017, 22:43 Aber wie gesagt für die 2. Stunde finde ich es unpassend.
Die Probatorik dient unter anderem auch dazu herauszufinden, ob die Methode und auch die Vorgehensweise des Therapeuten mit dem Patienten "kompatibel" sind. Von daher ist es gerade in der 2. Stunde durchaus angebracht, da auch mal ein wenig "vorzupreschen", dh. nicht, dass es so "harsch" weitergehen wird.

Aber wenn sich bereits an diesem Punkt zeigt, dass ein solches Vorgehen als "zu viel" angesehen" wird, dann ist es besser erst gar keine Therapie zu beantragen sondern an einen Kollegen oder eine weniger "direktive/transparente" Therapieform zu verweisen. Die meisten Traumatherapeuten sind TfPler oder VTler. Dh. das Stundenkontingent ist verhältnismässig gering. Da können keine 50 Stunden mit "Schweigen" oder "um den heißen Brei herrumreden" zugebracht werden, so etwas erreicht werden soll.

(Wobei ich von Deutschland ausgehe, wie das in der Schweiz aussieht weiss ich nicht.)

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Tania
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Beitrag Di., 14.03.2017, 22:24

mio hat geschrieben: Di., 14.03.2017, 19:14
Dieses "alles möglichst genau beobachten müssen" (damit die "Welt" nicht zusammenbricht) ist nicht die "Normalität" sondern eine Folge der (Deiner) traumatischen Erfahrungen.
Ich meine kein ängstliches Beobachten müssen, sondern das ganz normale einfühlende und aufmerksame Beobachten seiner Mitmenschen. Wenn ich z.B. merke, dass mein Freund abends müde ist, ihm nicht noch meinen ganzen Tagesablauf zu erzählen, zum Beispiel.
mio hat geschrieben: Di., 14.03.2017, 19:14 Einen "gezielten oder gewollte Übergriff" kann ich aus dem was Du geschrieben hast so nicht herauslesen.
..was vermutlich daran liegt, dass davon in meinem post auch nie die Rede war ;)

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