Kontaktabbruch mit den Eltern und der Familie

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garamond
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Kontaktabbruch mit den Eltern und der Familie

Beitrag Do., 14.04.2016, 21:29

Hallo allerseits,

ich bin neu hier und würde mich gerne austauschen und suche auch Rat für den Alltag. Ich habe vor einigen Monaten den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen. Bereits vor einigen Jahren hatte ich länger keinen Kontakt zu meiner Mutter, in dieser Zeit war jener zu meinem Vater intensiver als zuvor.

Das Grundproblem ist, dass beide mir gegenüber ihr Leben lang sehr übergriffig in jeder Hinsicht waren und sind. Im Wesentlichen haben sie mich immer als ihr Eigentum betrachtet, mich zum Sündenbock für ihre eigenen Fehler gemacht und laufend abgewertet. Das Perfide ist, dass sie nach aussen hin dem Rest der Familie - Onkels, Tanten und so weiter - eine sehr heile und perfekte Welt vorgespielt haben. Beide haben eine pädagogische Ausbildung, mein Vater zudem eine zum Therapeuten. Das hat es für mich immer sehr schwer gemacht, mich gegen ihre Manipulationen zu wehren oder überhaupt ihre Übergriffe als nicht normal zu begreifen. Dabei hat erst eine Therapie vor etwa acht Jahren geholfen, bei der ich Erinnerungen meiner Jugend und Kindheit geschildert habe, welche ich dann neu bewerten lernen musste.

Mein Problem momentan ist, dass auch der Übergriffe meiner Eltern wegen meine berufliche und finanzielle und private Situation sehr verfahren ist. Mir fällt es sehr schwer, Freundschaften und Beziehungen zu pflegen und eine Arbeitsstelle zu finden. Des Weiteren versuchen meine Eltern weiter Einfluss auf mich zu nehmen - über Verwandte, was mein ansonsten gutes Verhältnis zu denen sehr belastet. Ab und zu ruft jemand mit unterdrückter Rufnummer an, was nur mein Vater sein kann. Die Übergriffe gingen vor dem Kontaktabbruch so weit, dass sie strafbar sind und für mich existenzbedrohlich waren. Da es keine Zeugen gibt, habe ich nie Anzeige erstattet, war aber schon oft kurz davor. Ich habe vor beiden auch Angst, vor ihren Lügen und ihrer Aggressivität und ihren Manipulationen.

Einzelheiten zu schildern fällt mir sehr schwer, weil die Erinnerungen einerseits schmerzlich sind und es andererseits so viele Gelegenheiten gab, die mich verletzt haben, dass ich nicht einmal recht weiß, wo ich anfangen soll. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich mein Leben und meine Erlebnisse mit meinen Eltern neu bewerte - dann aber wieder auch ohne ihr Zutun in alte Erinnerungen und Bewertungen verfalle. Es ist, als würde ich für mich sagen: So und so erinnere ich mich und das und das war verletztend und dann kommen meine Mutter oder mein Vater und beschimpfen mich und erzählen mir eine völlig andere Version meines Lebens, die so nicht stattgefunden hat - eben genauso, wie sie es früher immer getan haben, wenn ich ihnen wiedersprochen habe oder schlicht auf meine Bedürfnisse aufmerksam gemacht habe. Dass ich überhaupt viel Erinnerungen nachhänge, liegt daran, dass nach dem Kontaktabbruch viele wieder wach wurden, die zuvor völlig verschüttet waren. Zuvor wurden schon einge wieder wach, nachdem ich eine Arbeitstelle gekündigt hatte, weil ich dort betatscht wurde.

Ich habe mittlerweile für mich akzeptiert, dass ich eine eigene Familie, ein erfolgreiches Berufsleben und ein gutes soziales Umfeld nur schwer erreichen kann - trotz sehr guter Noten in Schule und Universität und einer hervorragenden zusätzlichen Ausbildung. Ich werde gerne mal wegen mangelnden Selbstbewusstsein und dergleichen abgelehnt und kann mich nur sehr schwer in Teams integrieren - ich finde meine Rolle einfach nicht. Ich möchte aber schlicht deshalb nicht unglücklich sein, sondern mein Leben selbstbestimmt leben. Das allein bedeutet mir sehr viel.

Ich freue mich auf eure Meinungen und Ratschläge!

Lieben Gruß,

Garamond

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Widow
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Beitrag Do., 14.04.2016, 22:37

Lieber Garamond,

zunächst einmal: Dein Nick hat mich neugierig gemacht - wer sich nach einer Schriftart nennt, die im Buchdruck eine wichtige Rolle spielt (EDIT: sofern Du Dich danach genannt hast - vielleicht hast Du für diesen Nick ganz andere Gründe), könnte sich in besonderer Weise für Bücher interessieren. Darf ich fragen, wie Du auf diesen Nick gekommen bist?

Dann: Auch der Titel Deines Threads hat mich neugierig gemacht. Denn ich habe vor einigen Jahren den Kontakt zu meiner Mutter und meiner Schwester (den einzigen beiden noch lebenden 'Bluts'verwandten von mir) abgebrochen. Und ich glaube, das tut kaum ein Mensch leichtfertig. Vielmehr müssen tiefste Verletztungen vorliegen, die bis weit in die Kindheit zurückreichen, und die vermutlich immer etwas mit Übergriffen und missbräuchlichem Umgang (das ist keineswegs auf sexuellen Missbrauch beschränkt, wie oft angenommen wird) zu tun haben.
Bei mir war und ist es jedenfalls auch in manchem so ähnlich, wie Du es für Dich angedeutet hast.

Was ich noch nicht so ganz verstanden habe, ist, was Du hier konkret erhoffst und haben möchtest. Antworten worauf? Austausch worüber? Du hast ein ganzes Spektrum von bedrückenden Aspekten aufgefaltet, die Dein Leben derzeit prägen und unter denen Du verständlicherweise leidest.
Worauf erhoffst Du Dir Antwort? Worüber möchtest Du Dich austauschen?

Einen Gruß von Kontaktabbrecher zu Kontaktabbrecher
Widow

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saffiatou
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Beitrag Fr., 15.04.2016, 11:37

Hallo Garamond,

auch ich bin ein Kontaktabbrecher.

Meine Geschichte ist von Übergriffen meiner Eltern unterschiedlicher Art geprägt. Wie bei Dir sah alles nach Außen hin normal aus, wenn Fremde oder andere Familienmitglieder dabei waren, behandelten mich meine Eltern meist freundlich und fürsorglich, manchmal konnten sie aber selbt da nicht ihre Machtdemonstrationen unterlassen, so daß auch andere eingriffen.

Auch mir hat eine Therapie geholfen diese Misshandlungen auszusprechen und als das anzuerkennen, daraus resultierte ein Kontaktabbruch, der seit 5 Jahren andauert. Anfangs war es sehr schwer und ich vermisste meine Familie, aber nach einer Weile erkannte ich, daß ich nun freier bin. Klar es tut weh, gerade zu Feiertagen und dann bin ich immer wieder kurz davor zur Familie zu rennen....

Ab und zu ruft meine Mutter an, ich lasse alle diese Gespräche auf den AB auflaufen.

Es ist nicht leicht, weil man erkennt, daß man nur ein Spielball der Eltern war, nur benutzt wurde, aber es ist meiner Meinung nach die richtige Konsequenz, weil sie sich nie entschuldigen oder ändern werden.

Alles Gute,
Saffia
never know better than the natives. Kofi Annan

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garamond
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Beitrag Fr., 15.04.2016, 14:22

Hallo Widow,
hallo Saffia,

herzlichen Dank für eure Nachrichten. Sie bedeuten mir sehr viel. Auch wenn es sehr traurig ist, was ihr erlebt habt. Ich fühle mich dadurch weniger einsam. Aufzuschreiben, wie es mir geht und damit nicht allein zu sein - das genügt mir eigentlich schon.

Mein Nickname ist vor einigen Jahren eher zufällig zustande gekommen: Als die Firma, in der ich gearbeitet habe schloss. Damals gab es eine Mitarbeiterversammlung am Hauptsitz, die in einer Art Live-Ticker auf der Website des Betriebsrates mitverfolgt werden konnte. Ich saß zu dem Zeitpunkt in einem Büro in einer anderen Stadt und einige Aussagen der Chefs haben mich geärgert, so dass ich unter diesem Nickname einen Kommentar unter den Ticker geschrieben habe. Dass die Schriftart im Buchdruck verwendet wird, wusste ich nicht. Aber ich schreibe sehr gerne und das ist auch der Beruf, den ich gelernt habe. Außerdem lese ich sehr gerne und viel. Ein Mond spielt bei einer für mich noch etwas unklaren und teilweise verschütteten, schmerzhaften Erinnerung ebenfalls eine Rolle, fällt mir gerade ein - und auch bei einer weiteren Erinnerung, die recht deutlich ist. Ob es da wirklich einen Zusammenhang zur Wahl meines Pseudonyms gibt, muss aber wohl ein Fachmann beantworten.

Tatsächlich habe ich den Kontakt zu meinen Eltern nicht leichtfertig abgebrochen. Dem gingen viele Jahre vorraus, in denen ich versucht habe, sie zu verstehen, einen angemessenen Umgang mit ihrem Verhalten zu finden und in denen ich den Fehler für die Probleme mit ihnen bei mir gesucht habe. Erst in jüngerer Zeit habe ich mich davon etwas lösen können, mir die Schuld für ihre Fehler zu geben und auch jene Schuld, die sie mir gegeben haben - selbst für ihre Fehler oder die Fehler anderer - nicht mehr zu akzeptieren. Mittlerweile weiß ich ganz gut, wenn ich etwas falsch gemacht habe und wann nicht.

Auch ich fühle mich freier durch den Kontaktabbruch und nicht mehr so fremdbestimmt. Mein bisheriges Leben kommt mir wie ein einziger großer, schmerzhafter Krampf vor, der davon geprägt war, meine Gefühle und Bedürfnisse und Rechte zu unterdrücken und ihren unterzuordnen oder sinnlose Routinen zu entwickeln, statt auf mich selbst zu hören. In Kombination mit dem Missbrauch durch meine Eltern und dem enormen Leistungsdruck von ihrer Seite aus, in Schule, Universität und später auch im Beruf der Beste zu sein und nach außen heile Welt zu spielen hat mich mein bisheriges Leben sehr erschöpft. Auch habe ich immer zu lange immer wieder auf die pädagogischen und therapeutischen Ausbildungen meiner Eltern gebaut, auf Verständnis und klärende Gespräche gehofft, die sie doch von Berufswegen gelernt hatten. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass das Quatsch und ihre Berufe vielmehr in mehrfacher Hinsicht Teil des Problems sind. Das hat dazu geführt, dass sie mich immer mehr aufgaben. Die Heile-Welt nahmen sie fortan nur noch für sich in Anspruch. Das Problem war ich und wenn ich keine Probleme hatte, die ihnen passten, erfanden sie welche - bis hin zu abwegigen psychsischen Störungen und Drogenabhängigkeiten, die schlicht nicht vorhanden waren. Dabei hofften sie stets darauf, dass diese nicht vererbt sind, suchten die Schuld bei mir und meinem Umfeld und übersahen ihr eigenes Handeln als wären sie blind für sich selbst.

Allerdings habe ich tatsächlich immer mal wieder den falschen Menschen im Freundeskreis und im Arbeitsleben vertraut - weil ich so erzogen wurde, dass ich Zuneigung, Bosheit, Liebe und Niedertracht nicht auseinanderhalten konnte. Im Liebesleben wiederum bin ich oft an Frauen geraten, die ähnlich schlimme Probleme hatten wie ich. Nur fehlte in ihren Familien oft die Heile-Welt-Komponente, so das ich in den Beziehungen den Starken spielen musste, obwohl ich eigentlich ähnlich schwach war. Vielleicht spielte bei jenen Freundinnen, die nicht so mit Problemen beladen waren, auch ein klassisches Männer-Frauenbild eine Rolle - genau weiß ich das nicht. Jedenfalls war es so, dass meine Freundinnen mich alsbald verließen, wenn sie (meist besser als ich) meine Probleme erkannten. Jedenfalls suchten sie sich dann stets schnell neue Partner.

Ich könnte noch manche Erinnerung schildern und manches Problem, habe vieles eben auch aufgeschrieben - im Übrigen nicht zum ersten Mal. In mir sträubt sich jedoch etwas dagegen, genau zu benennen, was geschehen ist. Deshalb habe ich es jetzt bei dieser eher allgemeinen Schilderung belassen.

Nächste Woche reiche ich meinen Antrag auf Hartz-IV ein. Heute hatte ich das erste Gespräch beim Amt. Ich bin noch selbständig, doch es reicht nicht zum Leben und alle meine Reserven sind aufgebraucht.

Viele Liebe Grüße,

Garamond

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saffiatou
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Beitrag Sa., 16.04.2016, 11:07

Hallo Garamond,

ja, immer denkt die Außenwelt, in so einer Familie kann das nicht passieren, da läuft alles gut und die Kinder werden gut und liebevoll erzogen, aber auch in Familien mit Pädagogen und Therapeuten leiden Kinder, genauso wie man auch heute immer noch Misshandlungen und Missbrauch nur mit sozialschwachen Famlinen in Verbindung bringt.

Ich nlange alleine mit meinem Schmerz, da meine Bekannten und Freunde, die meine Eltern kennen, mir nicht glaubten. Auch da habe ich dann Abstand von ihnen genommen. Dankbar bin ich meinem Therapeuten, der schon so lange an meiner Seite steht.

Das Problem bei einem Kontaktabbruch, daß immer diejenigen die den Kontakt abbrechen die "Bösen" sind, weil die anderen wollen ja weiterhin noch die Familie (jedenfalls nach Außen) und anderen wird niemals von dem Grund erzählt. Auch sind wir nun alleine, denn die Familie verbündet sich gegen uns, das ist manchmal nicht einfach zu ertragen. Ja, es scheint auch typisch zu sein, dem Kind etwas anzudichten, das war bei mir nicht anders

Hast Du Deinen Eltern mal die Gründe für den Kontaktabbruch erzählt? Ich habe damals Briefe geschrieben, sie haben als sie mich nach dem Empfang der Brief anriefen sich bedankt, aber so getan als ob alles gut ist. Da war kein verstehen wollen.

Gerade wenn solche Erlebnisse da sind, ist es schwer gute Freundschaften zu bilden, weil das Vertrauen in andere fehlt und bei mir ist auch die Wahrnehmung futsch, ich traue ihr zumindest nicht, da haben meine Eltern ganze Arbeit geleistet (die Blätter an den Bäumen sind für mich immer oft noch blau ).

Grüße,
Saffia
never know better than the natives. Kofi Annan

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garamond
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Beitrag Sa., 16.04.2016, 17:53

Hallo Saffia,

so ähnlich habe ich das auch erlebt. Onkels und Tanten haben immer beteuert, dass meine Eltern sehr liebevoll und fürsorglich waren, mir weitgehend schlichtweg nicht geglaubt oder zwar auf meine Gesprächsangebote reagiert, aber völlig seltsam.

Der einzige Onkel und die einzige Tante, die mir aus der recht großen Familie meiner Mutter in den vergangenen Monaten echt geholfen haben, haben meine E-Mails zu Verabredungen und dergleichen an meine Mutter weitergeleitet hinter meinem Rücken. Das ist zufällig herausgekommen, weil sie eine Weiterleitung kürzlich versehentlich an mich statt an meine Mutter gesandt haben. Momentan weiß ich nicht, wie ich mich da verhalten soll. Mir war klar, dass es mit meinen Eltern weiter Kontakt gibt. Das der allerdings dergestalt ist, dass er meine Privatsphäre misachtet, hat mich enttäuscht und erschüttert.

Was ich von meinen Eltern auch kenne, sind oberflächlich genormte, aber unpassende Reaktionen auf Probleme. Auch sie würden sich für einen Brief bedanken, der die Probleme theamtisiert und den Inhalt höchstens mit einem kurzen Kommentar wegwischen: "Jedem das seine" würde meine Mutter sagen. Ich habe das versucht, also lange E-Mails geschrieben und auch andere Probleme sehr vorsichtig notiert. Zuletzt habe ich meiner Mutter mehrere Seiten vorgelesen, in denen es auch um den Missbrauch in der Familie geht. Sie hat hinterher in gleichgültigem Tonfall gesagt: "Da hat jeder so seine Sicht darauf."

Für mich war das, als würde sie eine Nelke aus dem Essen fischen oder ein Lorbeerblatt. Irgend etwas, was dem Leben halt Geschmack gibt, aber nicht gegessen werden sollte. Mit meinem Bruder habe ich auch darüber gesprochen. Er ist der Ansicht, dass das alles völlig harmlos war. An vieles, das wir gemeinsam erlebt haben erinnert er sich nicht mehr oder will sich nicht erinnern. Wenn ich so vorsichtig wie möglich die Wahrheit sage, sagt er: "Du kommst mir vor wie ein Geisterfahrer".

Sei froh, dass du einen Therapeuten hast. Ich habe mir bei der Telefonseelsorge Hilfe gesucht. Die hat sehr geholfen. Bei einer anderen Therapieeinrichtung, an die ich mich gewandt hatte, wurde mir zuletzt leider nicht geholfen. Erst hieß es: Sie sind depressiv und brauchen Verhaltenstherapie. Dann hieß es: Wir wissen nicht was sie haben, aber bevor es Therapie gibt, brauchen sie Medikamente. Dann variierten die Medikamentenvorschläge von Termin zu Termin. Da die Medikamente aber immer sehr heftig sein sollten, ohne das es eine klare Diagnose gab, war ich skeptisch. Dann hieß es: Selbst mit Medikamenten wissen wir nicht, ob sie eine Therapie bekommen können. Ich hatte immer wieder betont, das ich gerne jemanden zum Reden hätte, mit dem ich Probleme besprechen kann. Das gab es dort leider nicht. Manchmal denke ich, die ganze Einrichtung, die eng mit meiner Krankenkasse kooperiert, dient nur der Erfassung von Daten über Patienten und nicht dazu, zu helfen und zu heilen. Eigentlich bin ich immer ans andere Ende der Stadt gefahren um irgendwelche Einwilligungen zu unterschreiben, mit denen sich die Therapeuten über mich austauschen können. Jedesmal wurde mir eine neue Bescheinigung vorgelegt, weil sich noch irgendwer anders mit irgendwem anderen in Berlin, im Team, in einem anderen Krankenhaus oder aus einer anderen Disziplin über meinen Fall austauschen wollte. Irgendwann habe ich denen gesagt: Wenn ihr euch zu Ende ausgetauscht habt, meldet euch mal wieder. Das war's dann mit der Therapie.

Das mit den blauen Blättern verstehe ich gerade nicht ganz und auch nicht so recht, wie deine Eltern deine Wahrnehmung ruiniert haben. Ich kenne das Gefühl gut, so verunsichert zu sein, das ich den eigenen Ohren und Augen und anderen Sinnen und Gefühlen nicht recht traue. Das hat für mich mit Selbstvertrauen zu tun, dass bei mir sehr schlecht ist oder schwankt. Auch das Misstrauen gegenüber anderen kenne ich gut. Das ist nicht immer berechtigt, aber viel öfter als man sich wünscht. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Aber das die Blätter bei mir eine andere Farbe bekommen, dass habe ich so noch nicht erlebt.

Viele Grüße,

Garamond

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saffiatou
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Beitrag Sa., 16.04.2016, 18:08

Lieber Garamond,

es ist traurig, daß Dir auch in der Therapie nicht richtig geholfen wird. Mein Therapeut, der wirklich ein ganz toller ist, sagt, daß da leider auch unter Fachkreisen immer noch die Eltern geschont werden und die Wahrheit nicht ausgesporchen wird. Er hat mir die Bücher der Psychoanalytikerin Alice Miller empfohlen und möchte das nun an Dich weiterleiten, das ist eine Autorin, die sich bedingungslos an die Seite der Kinder stellt und ihre Verletzungen aufzeigt und welche Folgen das haben kann.

Eine Einrichtung, die mit der Krankenkasse zusammenarbeitet, würde ich wohl meiden, denn wie Du erkannt hast, die sammeln Daten.

Ich möchte Dir Mut machen, einen Therapeuten zu suchen, der auf Deiner Seite steht - es gibt sie und ich weiß auch, daß die Suche sehr frustrierend sein kann, aber mache es für Dich!

Auch gebe ich Dir recht bei den Medikamenten, es nutzt nicht welche einzunehmen, wenn eine Diagnose noch nicht feststeht. Würdest Du es wagen einen Psychiater zu kontaktieren? Manche bieten auch Gespräche an, als medizinische Fachgespräche, die sind nicht wie eine Therapie limitiert (auch da habe ich Glück, eine wunderbare PSychiaterin gefunden, die Verantwortungsvoll bei der Verschreibung von Medis ist und mir so oft Gespräche anbietet, wie ich sie zusätzlich zur Therapie benötige und dann immer 50 min lange Gespräche) Hab da auch Mut zu suchen. Mir ist bewußt, daß es sehr schwer ist, wenn man immer wieder auf Wartelisten vertröstet wird, oder eben an unfähige Therapeuten gerät, aber ich möchte Dir Mut machen, weil es gibt auch Gute!

Meine Wahrnehmung, mit den "blauen Blättern": da meinte ich meine ELtern haben meine Wahrnehmung so verzerrt, daß ich nicht erkannt habe, daß die Blätter an den Bäumen grün sind, wenn meine Eltern behauptet hätten die Bätter sind blau, dann habe ich ihnen geglaubt. Sie haben mich sehr manipuliert und immer mit psychischem Druck gearbeitet, daß ich ihnen glauben musste - und als Kind ist man von Ihnen abhängig.

Zu dem Kontakt zu Deinem Onkel und Tante: es ist ein ganz genmeiner Vertrauensbruch, wenn sie Deine Mails ungefragt weiterleiten, vor allem wenn sie die Problematik kennen. Bei mir ist es so, daß ich den Kontakt zu meinem Bruder und seiter Familie und meinen Eltern komplett abgebrochen habe, zu meinen Onkeln und Tanten war nur wenig Kontakt und da ich allen Fragen aus dem Weg gehen wollte, habe ich mich da eben auch zurückgezogen. Aber es sind schwerwiegende Entscheidungen.

Hat Dein Bruder das gleiche wie Du erlebt, oder wurde er bevorzugt behandelt?

Alles Gute,
Saffia
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kaja
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Beitrag Sa., 16.04.2016, 18:11

saffiatou hat geschrieben: Er hat mir die Bücher der Psychoanalytikerin Alice Miller empfohlen und möchte das nun an Dich weiterleiten, das ist eine Autorin, die sich bedingungslos an die Seite der Kinder stellt und ihre Verletzungen aufzeigt und welche Folgen das haben kann.
Scheinbar auch nur so lange wie es nicht um ihre eigenen Kinder ging.
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saffiatou
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Beitrag Sa., 16.04.2016, 18:16

OT

Hallo Kaja,

Du hast Recht, ich habe das Buch ihre Sohnes Martin gelesen und war schockiert. Ich weiß man kann nicht alles auf schwere Traumatisierung schieben, weil sie die Verantwortung hatte und bin immer noch ratlos da eine Erklärung zu finden, warum sie bei anderen den Finger in die Wunde legen konnte und bei sich das nicht erkannt hat. Trotzdem sind diese Bücher gut und richtig!

Grüße,
Saffia
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kaja
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Beitrag Sa., 16.04.2016, 18:20

OT
Ja, allerdings stellt sich mir da die Frage wie ernst ich jemanden nehmen kann der sein Kind so behandelt hat und anderen predigt wie sie es vorbildlich machen sollen.
Gehört hier aber nicht hin.
Wollte nur sagen das ich diese Bücher nicht ohne Hinweis unkritisch empfehlen würde.
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garamond
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Beitrag So., 17.04.2016, 13:43

Hallo!

Ich habe auch schon Therapeuten erlebt und auch Therapeutinnen, die mir sehr geholfen haben und in meinen Augen alles richtig gemacht haben. Mein jüngster Anlauf in der Hinsicht hat nicht geklappt und ich möchte betonen, dass ich das mit dem Datensammeln nicht weiß, sondern nur manchmal denke. Es hat ja auch sein Gutes, dass die nicht leitfertig irgendwelche Medikamente verschreiben oder eine Therapie beginnen.

Dass meine Eltern mir bis ins kleinste Details alles mögliche Einreden wollen, auch wenn die Realität für jeden sichtbar anders ist kenne ich auch und war bei mir so, seitdem ich ein kleines Kind war. Ich habe dem gerne wiedersprochen, die Strafen dafür waren jedoch furchtbar grausam. Damit das nicht auffällt, haben meine Eltern dann Vergehen erfunden oder mich für winzige Fehler maßlos bestraft oder gequält.

Was meinen Bruder betrifft bin ich mir nicht sicher: Er ist bis heute der Meinung, ich wäre bevorzugt behandelt worden. Darüber habe ich lange und viel nachgedacht. Richtig ist, dass früher teilweise Geschenke für mich zu Weihnachten und zum Geburtstag größer ausfielen, mehr aber auch nicht. Das mag aber an den großen Lego und Playmobil-Packungen gelegen haben, die ich noch bekam, als er schon viel älter war und deshalb Bücher oder eben einfach andere Geschenke bekam. Eine zeitlang war auch mein Zimmer größer als seines, was eigentlich Quatsch war, weil er fünf Jahre älter war. Das war eine Fehlentscheidung meiner Eltern. Ansonsten bin ich eigentlich bis heute der Meinung, dass sich das ganze in materieller Hinsicht zumindest in Kindheit und Jugend halbwegs die Waage gehalten hat. Ich habe mich jedenfalls über eine Ungleichbehandlung nie beschwert, weder bei ihm noch bei meinen Eltern - auch wenn ich mittlerweile, im Laufe meines Erwachsenenlebens einige wichtige Punkte nennen könnte, in denen er klar bevorzugt wurde: Von den Besuchen von der ganzen Familie, wenn er in anderen Städten war, die Hilfe beim Diplom, die Geschenke zum Uniabschluss, den von meinen Eltern bezahlten Führerschein, die Hilfe bei der Suche nach dem richtigen Studienplatz bis hin zu der Katze als Haustier, der sexuellen Aufklärung, die sie bei mir komplett vergaßen und allerlei Dingen mehr, wie den einfachen und leichten Arbeiten, die er im Haushalt erledigen durfte, wenn er überhaupt helfen musste.

Sein Verhältnis zu meinen Eltern ist sehr viel besser. Das ist mir eigentlich auch erst aufgefallen, als ich schon lange aus dem Haus war und meinen eigenen Blick auf meine Eltern entwickeln konnte. Lange habe ich seine Beschwerden, dass ich mehr Unterstützung und Geld bekäme, ignoriert, weil ich dachte: Es stimmt nicht und ich möchte diesen Streit nicht. Bis heute versuche ich ihm (dem Streit) aus dem Weg zu gehen, weil ich es mittlweile eben sogar so komplett anders sehe, dass es sonst richtig knallen würde. Meine Eltern haben mir zudem immer wieder gesagt, auch wörtlich, dass sie ihn lieber haben, dass ich ein Versager bin und er der gute Sohn ist, dass ich die Aufmerksamkeit und Unterstützung nicht brauche und sie nicht Wert bin und dergleichen mehr - bis weit hinein ins Erwachsenenalter. Teilweise verspricht mir vor allem mein Vater vor den Augen von Verwandten und seinen dies und jenes, also beispielsweise Unterstützung oder Geschenke, löst seine Versprechen aber nie ein. Auch dies hat Tradition mir gegenbüer und schürt den Konflikt zwischen meinem Bruder und mir und spielt uns gegeneinander aus. Meine Mutter hetzt uns wiederum anders gegeneinander auf: Sie redet vor uns beiden schlecht über den jeweils anderen.

Was die Übergriffe und Abwertungen betrifft, hoffe ich und glaube ich, dass er sich dagegen besser wehren konnte beziehungsweise sein "Nein" eher akzeptiert wurde als meines. Vielleicht war er auch weniger das Ziel dieser Übergriffe - genau weiß ich es nicht. Ich habe mit ihm darüber gesprochen und er glaubt mir nicht recht, möchte das ganze aber auch nicht ignorieren. Er sagt immer, er könne sich das alles nicht vorstellen und würde meine Eltern so nicht kennen, wie ich sie beschreibe.

Was psychologische Literatur betrifft: Daran habe ich kein Interesse und kenne mich auch nicht aus. Von Lebenshilferatgebern halte ebenfalls sehr wenig und und den Beruf des Arztes überlasse ich gerne jenen, die ihn erlernt haben. Meine Erfahrung ist außerdem, dass mich das nur zusätzlich belastet, wenn ich mich mit solcherlei Themen auseinandersetze.


Viele Grüße,

Garamond

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candle.
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Beitrag So., 17.04.2016, 14:53

Hallo garamond!
garamond hat geschrieben: Er ist bis heute der Meinung, ich wäre bevorzugt behandelt worden. Darüber habe ich lange und viel nachgedacht.
Leider habe ich auch über diese Thematiken nachdenken müssen. Ein Geschwisterteil kommt einfach nicht über den Punkt hinaus mir und anderen Geschwistern ständig die Schuld zuzuschieben, dabei haben wir Geschwister in erster Linie gar nichts damit zu tun, sondern die Eltern.
Warum beschwert sich dein Bruder nicht dort?

Viele Grüße!
candle
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garamond
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Beitrag So., 17.04.2016, 15:10

Hallo Candle,

lieben Dank für deine Nachricht. Soweit ich weiß, tat er lange Zeit genau das und tut dies noch immer: Sich vor allem bei meiner Mutter beschweren, weniger bei mir. Jedenfalls hat meine Mutter das lange behauptet und er mir gegenüber auch bestätigt, als ich ihn mal danach gefragt habe. Meine Mutter hat sich wiederum bei mir darüber beschwert und behauptet, ich würde mich darüber beschweren, dass er bevorzugt wurde, was aber einfach nicht der Fall war. Mich hatten lediglich Ungerechtigkeiten interessiert, Schuld zuweisen wollte ich jedenfalls nicht.

Ich glaube mittlerweile auch, dass die Bevorzugung früher geschwankt ist und mal der eine, mal der andere mehr bekommen hat. Was genau die Ursache dazu war, weiß ich nicht. Ich vermute eine, weil die Schwankungen oft eklatant waren: Meine Eltern sind uns beiden gegenüber oft vom einen ins andere Extrem verfallen und haben dabei aber auch wiedersprüchlich agiert, also manchmal hat meine Mutter meinen Bruder, dann mein Vater meinen Bruder und dann wieder sie mich und er mich bevorzugt. Für meinen Vater und meine Mutter gab es also immer ein absoult liebes und ein absolut böses Kind. Wer das gerade war, darüber waren sie sich nicht immer einig, denke ich und haben sich darüber auch gestritten - und dann an dem Streit mir oder meinem Bruder natürlich die Schuld gegeben.

Eigentlich völlig absurd und lachhaft, denke ich manchmal.

Garamond

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candle.
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Beitrag So., 17.04.2016, 15:16

garamond hat geschrieben: Eigentlich völlig absurd und lachhaft, denke ich manchmal.
Ja, das kenne ich leider auch dieses seltsame Verhalten meiner Eltern oder Mutter, dass dann ein Bündnis zeitweise zu den Kindern bestand und dann wieder zu den anderen, nur diese Streitereien, damit sich die Geschwister untereinander streiten- furchtbar. Ich bin da zu Glück raus.

Diese finanzielle Ungleichheit gab es als Kind wohl nicht so bei uns, aber dafür umso mehr dieses emotionale Ungleichgewicht.

candle
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garamond
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Beitrag So., 17.04.2016, 15:28

Hallo Candle,

wie hast du es geschafft, dich da rauszuziehen? Mir fällt das immer noch schwer. Kontakt zu meinem Bruder habe ich noch. Was ist nicht verstehe: Dass er sich über Dinge, die in der Kindheit ihm zum Nachteil gerieten, die ungerecht von meinen Eltern aus waren, heute noch aufregt. Das sind alles Dinge, die ich zwar auch so erinnere, für mich aber überhaupt keine Rolle spielen und in seinem Leben heute meiner Ansicht nach keine Konsquenz mehr haben. Er wiederum sieht andere Ungerechtigkeiten, die ich eklatant finde und mich bis heute belasten nicht oder nicht richtig. Da haben wir vielleicht einen blinden Fleck füreinander oder er reagiert überzogen - ich weiß es nicht genau. Er würde wahrscheinlich dasselbe von mir sagen.

Das emotionale Ungleichgewicht gab es auf jeden Fall und dass ist immer wieder gekippt: Engel und Sündenbock. Manchmal haben glaube ich auch mein Bruder und ich diese Rollen gewissermaßen untereinander getauscht und so meine Eltern durcheinander gebracht. Das sind aber alles nur so Vermutungen und Erklärungsversuche von mir, mit denen ich völlig allein stehe.

Garamond

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