Machen Psychotherapien abhängig?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Zimtkiffel
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Machen Psychotherapien abhängig?

Beitrag Sa., 27.12.2014, 09:54

Ich habe überlegt, ob ich die Frage so anders stelle (mache Therapeuten abhängig), hab mich aber spotan für mein Bauchgefühl entschieden.

Ich lese hier sporadisch schon länger mit (allgemein im Forum) und habe besonders in diesem Bereich ein mulmiges Gefühl.

In ganz vielen Threads springt mir eine scheinbare Abhängigkeit, ein empfundenes Angewiesensein auf den jeweiligen Therapeuten entgegen - und ich frage mich:
- ob ich das falsch wahrnehme,
- falsch interpretiere oder
- ob ich das richtig wahrnehme, es aber dazu gehört?

Wie seht ihr das?

Nicht, dass ich mich jetzt absichern muss, aber mein Bauchgefühl scheint nicht ganz grundlos aufzumucken... mit dem Thema Abhängigkeit oder auch generell Nebenwirkungen einer Psychotherapie beschäftigen sich auch andere.

Als recht seriös würde ich da mal die aerztezeitung einstufen:

http://www.aerztezeitung.de/medizin/kra ... ungen.html

Da stellt sich mir die Frage auch gleich mit: Warum wird nicht längst vor diesen Nebenwirkungen gewarnt wie es bei anderen Therapieformen üblich ist? Scheinbar ein großes Tabu und eine geringe Wehrhaftigkeit, da die Betroffenen ja naturgemäß nicht so in der Lage sind, sich für sich und ihre Interessen einzusetzen.

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sandrin
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 10:20

Mutig, mutig...
Wer es in diesem Forum wagt, die heiligen Therapeuten von ihren Sockeln zu stoßen, der hat nicht immer ein leichtes Leben, wie ich schon oft erfahren habe.

Mir geht es ähnlich wie dir. Ich bin ehrlich gesagt auch von Anfang an erschrocken gewesen, wie unkritisch manche User hier mit ihren Therapeuten umgehen. Und ja, ich finde auch, dass das eine Abhängigkeit ist und alles andere als gesund sein kann. Nur ist man hier automatisch immer schwer gestört, wenn man wagt, das auszusprechen.

Meine Meinung: Ich glaube, Therapeuten und Therapien machen dann abhängig, wenn man mit Beginn der Therapie seine Autonomie, seinen gesunden Menschenverstand, das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und die eigene Würde aufgibt. Passiert leider zu oft und es gibt wirklich, wirklich krasse Therapeuten. Ich hatte selber so ein Exemplar und bin froh, dass ich nicht auf Dauer in diese Falle getappt bin, sondern den Absprung geschafft habe. Und jetzt bin ich einem ganz anderen Therapeuten begegnet, der mich respektvoll behandelt und MIT mir und nicht über meinen Kopf hinweg therapiert.

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Sonnenschein007
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 10:33

@Sandrin
Das freut mich wirklich sehr zu hören. Ich habe ca. vor 1 1/2 Jahren in Deinem Thread mitgelesen und da warst Du wohl noch beim "alten" Therapeuten, der Dich loswerden wollte.

@Zimtkiffel

Ich kann ein jüngstes Beispiel nennen, das dafür spricht, dass vieles reine Augenauswischerei ist: (Das Beispiel gehört zwar nicht in die Sparte "Einzelpsychotherapie", sondern berufsbezogene Supervision, aber es illustriert trotzdem, dass man sehr viel Kraft braucht, um "nachher" noch seiner eigenen Wahrnehmung trauen zu können.)

Seit ich in einer Gruppensupervision (15 BerufskollegInnen) ziemlich krasse Erfahrungen gemacht habe als "mein Fall" abgehandelt wurde, ist mein Misstrauen maximal geworden. Am Ende habe ich dann nochmals beim Supervisor nachgefragt, ob ich seine Etikettierung, ich würde schon allein durch die Tatsache, dass ich meinen beruflichen Konfliktfall (wurde ja sogar abgestimmt, welcher Fall schwerwiegend genug ist !!!) dargestellt hätte, aufmerksamkeitsheischend sein.

Wie gesagt: Ich konnte damals meine Ohren nicht trauen und habe nachher extra nochmals nachgefragt, ob ich mich verhört hätte.

Daraufhin habe ich einen Schlussstrich gezogen, dass ich ab nun nicht mehr einsehen könne, warum ich zugunsten Schwächerer am Arbeitsplatz Zivilcourage an den Tag legen soll, wenn diese Thematik so abgehandelt wird, dass diejenige, die das Tabuthema thematisiert, sich im angeblichen geschützten DEMOKRATISCHEN Rahmen wiederum rechtfertigen muss, ob sie nicht doch selbst das eigentliche Problem sei.
Zuletzt geändert von Sonnenschein007 am Sa., 27.12.2014, 10:44, insgesamt 4-mal geändert.


ziegenkind
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 10:39

ich glaub, es sind zwei dinge, die abhängig machen:

1. schlechte therapeut/innen, die (i) es möglichst einfach haben wollen und/oder (ii) narzistisch gestört sind und aus einem dieser gründe, ihre klient/innen nur "füttern", aber nicht wirklich mit ihnen arbeiten.

2. bestimmte störungen, frühkindliche bedürfnisse und sehnsüchte, die die klientin bislang unterdrückt hat, die im untergrund immer präsent sind und sich etwa in ängsten vor abhängigkeiten ausdrücken können. so jemand war ich. für mich war es deshalb wichtig und wirksam und heilsam, diese bedürftig und die angst vor der abhängigkeit in der beziehung zu meiner therapeutin zeigen zu dürfen. dadurch war ich eine zeitlang abhängig. ich bin überzeugt, dass das richtig und wirklich war. nur etwas, das mir bewusst ist, weil ich es tausendmal in der begegnung mit meiner therapeutin gesehen und gespürt habe, nur etwas, das ich nicht mehr mit hochfahrender geste weit von mir weisen muss, kann ich überwinden - wirklich überwinden und nicht nur unterdrücken.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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ziegenkind
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 10:39

ich glaub, es sind zwei dinge, die abhängig machen:

1. schlechte therapeut/innen, die (i) es möglichst einfach haben wollen und/oder (ii) narzistisch gestört sind und aus einem dieser gründe, ihre klient/innen nur "füttern", aber nicht wirklich mit ihnen arbeiten.

2. bestimmte störungen, frühkindliche bedürfnisse und sehnsüchte, die die klientin bislang unterdrückt hat, die im untergrund aber immer präsent sind und sich etwa in ängsten vor abhängigkeiten ausdrücken können. so jemand war ich. für mich war es deshalb wichtig und wirksam und heilsam, diese bedürftigkeit und die angst vor der abhängigkeit in der beziehung zu meiner therapeutin zeigen zu dürfen. dadurch war ich eine zeitlang abhängig. ich bin überzeugt, dass das richtig war. nur etwas, das mir bewusst ist, weil ich es tausendmal in der begegnung mit meiner therapeutin gesehen und gespürt habe, nur etwas, das ich nicht mehr mit hochfahrender geste weit von mir weisen muss, kann ich überwinden - wirklich überwinden und nicht nur unterdrücken.
Zuletzt geändert von ziegenkind am Sa., 27.12.2014, 10:54, insgesamt 1-mal geändert.
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sandrin
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 10:46

Ziegenkind, du hast das gut auf den Punkt gebracht. Ich glaube nämlich auch nicht, dass es verwerflich ist, Abhängigkeitsgefühle zu spüren. Ich tue das im Moment auch. Aber da kommt es dann entscheidend auf den Therapeuten an. Wenn er das richtig einzuordnen weiß, wenn er einem zeigt, dass die Gefühle normal sind, einem gleichzeitig aber auch dabei hilft, Vertrauen in sich selbst zu entwickeln, dann läuft das gut, dann kann etwas heilen. Wenn, wie du sagtest, der Therapeut narzisstisch, aggressiv, destruktiv ist, dann ist das brandgefährlich.

@sonnenschein: Danke dir. Es war ein langer Weg, aber das, was ich dieses Jahr erleben durfte, hat vieles wieder wettgemacht .


Jenny Doe
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 10:47

Interessantes Thema, bei dem ich gerne mitdiskutieren würde, aber aus Zeitgründen nicht kann. Deshalb hinterlasse ich hier nur meine Erfahrung und Meinung.

Machen Psychotherapien abhängig? Jaein. Nicht die Psychotherapien machen abhängig, sondern einzelne Therapeuten machen es.

Ich bin seit 1992 notstopp in Therapie (nicht wegen Abhängigkeit, sondern aufgrund eines diagnostischen Behandlungsfehlers, der weitere Therapien erforderlich machten). Ich habe somit zahlreiche Therapeuten kennengelernt. Meine Erfahrung ist: Es gab Therapeuten, die mich auf eine schädliche Weise abhängig gemacht haben. Es gab Therapien, die mich auf eine gesunde förderliche Art abhängig gemacht haben, aber dafür gesorgt haben, dass ich zum Therapieende hin aus der Abhängigkeit rauskam. Und es gab Therapien, in denen ich gar keine Abhängigkeit verspürte.

Respoktiv betrachtet vermag ich heute zu sagen, welche Verhaltensweisen des Therapeuten es waren, die mich abhängig gemacht haben und welche Verhaltensweisen dazu betrugen, dass ich nicht abhängig wurde. Wenn ich etwas Zeit finde, werde ich darauf näher eingehen.
Fazit für ich ist: Nicht Psychotherapie an sich macht abhängig, sondern der einzelne Therapeut und gewisse Verhaltensweisen von ihm.

Zu jedem Deckelchen gehört jedoch auch ein Töpfchen. Denn es wird ja nicht jeder Klient vom Therapeuten abhängig. Somit hat die Frage nach der Abhängigkeit auch was mit dem Klienten zu tun, mit seiner psychischen Störung, mit seinen Bedürfnissen (z.B. eine "Kuscheltherapie" haben wollen), .... zu tun.

...

Die Frage, ob Therapie abhängig macht, muss meiner Meinung nach differenziert und individuell beantwortet werden.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:19

Ich bin mal neugieirig: Du hast seit einiger Zeit hier mitgelesen, du hast dich angemeldet und losgelegt. Sicher bist du nicht zufällig hier gelandet, weil du eigentlich nach einem Kochrezept gesucht hast? Will sagen: Vielleicht kennst du ja das längere Leiden selbst - ein Leiden, das sich von 'Probleme haben' in seiner Dimension so ganz unterscheidet?

Schreiben tust du aber so, als sei die Seele eben tatsächlich wie dein Knie oder als sei ein psychisches Leiden tatsächlich nur ein Schnupfen, gegen den man sich ein Mittelchen aus der Apotheke besorgen kann, nachdem man in einem 2-Minuten-Gespräch den Arzt um Rat gefragt hat?

Nun, die Seele ist komplex - und damit schon auch interessant... Die Seele lässt sich nicht behandeln wie eine Knieverletzung oder wie ein Schnupfen; sie ist weitaus hartnäckiger. Sie hat sich nämlich im Laufe deiner Biographie entwickelt, und zwar schon vor dem ersten Atemzug; denn genauso, wie du von deinen Eltern die Augenfarbe geerbt hast, haben sie dir auch mitgegeben - ohne es bewusst so entschieden zu haben -, wie DU auf das Leben zugehst. Sie haben ihre eigenen Ängste, Werte und Hoffnungen auf und in dich gelegt, schon lange, bevor sie dich in die Schule geschickt haben und dir das erste Buch gekauft haben. Mit jedem Lächeln, mit jedem Tadeln, mit jeder Handlung oder deren Unterlassung haben sie dich geprägt - und das mindestens über 18 Jahre.

Hinzu kommen andere Personen und andere Ereignisse, aber die setzen ja erst viel später ein: In dem Moment, wo du von deinen Klassenkameraden verprügelt wirst, hast du schon Millionen von Erfahrungen und Eindrücken durch deine Eltern mitbekommen, die wiederum darüber (mit)entscheiden, wie du auf deine Mitmenschen zugehst und wie du auf sie reagierst und wie du damit klarkommst, wenn man dir gegenüber feindlich gesinnt ist.

Je weniger (Ich-)Stärke du entwickeln konntest, umso gravierender dürfte sich das auf dein Leben auswirken. Du hast vielleicht gelernt, dass es besser ist, die Klappe zu halten, wenn ein Erwachsener auf dich herab spricht. Oder du hast dich irgendwann entschieden, das Gegenteil zu tun und den Anderen zu bekämpfen, bevor dieser überhaupt 'hallo' sagen kann. Du hast gelernt, deinen Verstand einzusetzen - oder ihn zu leugnen, weil du auf diese Weise immer weiter bemuttert wirst und niemand was von dir erwartet. Vielleicht hast du gelernt, deinen Körper abzulehnen, weil man ihn in deiner Kindheit als einen Haufen Schei.ße behandelt hat und dich das irgendwann sogar erregt hat? Vielleicht hast du aber auch gelernt, deinen Körper einzusetzen, um das zu bekommen, was du haben willst.

Über all das, was einem widerfahren kann, wenn man nicht genügend Ich-Stärke hat, ließen sich Bücher schreiben, natürlich. Das ist nicht im Ansatz zu vergleichen mit der Frage, wie man ein Knie behandelt, das gegen eine Tischkante geprallt ist (es sei denn, dir passiert das öfter, dass du dich irgendwo stößt, aber dann solltest du keinen Orthopäden fragen, sondern einen Psychologen...).


leberblümchen
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:20

Du bist nun also erwachsen und merkst irgendwann, dass du unglücklich bist und vielleicht heftige Ängste oder Depressionen hast. Du kannst dir vielleicht noch erklären, dass sie einen Grund haben werden und dass dieser Grund vermutlich in deiner Kindheit zu suchen ist ("hat mich der Vater nicht ständig gemaßregelt?"), aber du fühlst die Verbindung nicht; erst recht bekommst du es nicht hin, etwas an deinem Zustand zu ändern. Vielleicht kaufst du dir auch mal den einen oder anderen Ratgeber, der geschrieben wurde, um mit dem Leid der Masse Geld zu verdienen, ohne die Masse dabei zu überfordern und ohne an ihrem kleinbürgerlichen Weltbild allzu sehr zu rütteln - denn wer würde so was kaufen? Und lesen? Und sich davon umkrempeln lassen? Du wirst also ggf. lesen, wie easy es ist, positiv zu denken, die Zeit effizient zu nutzen, auch mal - ganz wichtig! - nichts zu tun und die "Seele baumeln zu lassen". Du wirst es lesen, wirst irgendwie zustimmen (wollen), fühlst dich für eine Woche fit und motiviert und energiegeladen - und wirst vermutlich doch irgendwann feststellen, dass du immer noch dieselbe bist...

Du wirst dann vielleicht mal bei einem Psychologen anrufen und hoffen, dass er es irgendwie hinbekommt, dir zu helfen. Möglichst schnell und unauffällig (das wollen sie alle am Anfang). Es sollte nicht wehtun, und es sollten keine unangenehmen Fragen gestellt werden. Es sollte nicht um Dinge gehen, die wehtun oder peinlich sind. Niemand möchte gerne über sexuelle Phantasien sprechen; über die Sehnsucht danach, endlich mal wichtig für jemanden zu sein; über die Scham darüber, jemandem zu zeigen, wie es sich anfühlt, mal nicht zu funktionieren, sondern sich plötzlich ganz nackt und klein zu fühlen. NIEMAND beginnt eine Therapie (jedenfalls nicht die erste...), um über solche Dinge zu sprechen!

Es gibt Therapieformen, in denen das auch gar nicht nötig ist: sei es aus Effizienzgründen; sei es, weil man den Patienten nicht verschrecken mag; sei es, weil man als Therapeut selbst nicht versteht, wozu das wichtig sein soll. Es gibt Therapieformen, bei denen man sich gleich und ausschließlich auf DAS Problem konzentriert. Es wird geschaut, wie man dieses Problem am besten behandeln kann, wie man auf eine neue Art mit ihm umgehen kann. Das geht relativ sauber über die Bühne, denn alles Weitere - das, was wirklich schreckliche NEUE Angst sichtbar machen kann bzw. könnte - wird nicht betrachtet und draußen vor der Türe gelassen wie der Mantel und der Hut.

Es gibt andere Therapieformen, die das eigentliche Problem nicht im Problem selbst sehen, sondern GANZ WOANDERS. Dort, wo man es nicht vermuten würde - und wo man es, verdammt noch mal, auch nicht sehen WILL. Denn das würde ja alles ins Wanken bringen. Man würde sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang begeben, mit einem Menschen, den man kaum kennt, in einem 'Setting", das anmutet wie ein albernes Rollenspiel. Die Couch scheint einfach gar nicht in diesen Raum zu gehören. Sie steht da wie ein Kondomautomat im Vatikan. Und dennoch übt sie diesen Reiz aus auf viele Menschen. Was, wenn ich wirklich etwas Spannendes entdecke? Irgendwann, wenn die Beziehung zum Therapeuten freundlich-vertraut-annehmend geworden ist, kann es sein, dass man es ausprobieren mag, wie es sich anfühlt, sich dem - oftmals gar nicht ausgeprochenen - Angebot des Analytikers, man könne ihm alles erzählen und er werde sich alles anhören, so schlimm es auch sein mag, hinzugeben... Sich dieser Situation ganz hinzugeben. Oft sieht man darin eine Chance, sich dem Leben auf eine völlig neue Art zuzuwenden; sich von Altem abzuwenden; die Eltern wirklich aus sich rauszuschmeißen und zu erkunden, wer man selbst ist...


leberblümchen
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:22

Das ist dann keine Frage von Stunden mehr, sondern von Jahren. Und der Andere wird zu einem Vertrauten, wie man vorher noch nie einen Vertrauten hatte. Er erfährt Dinge, die du selbst von dir noch nicht mal im entferntesten vermutet hättest. Er wird zum Zeugen deiner selbst, zum einzigen Zeugen. Das schafft Nähe und gegenseitige Zuneigung. Plötzlich IST man jemandem wichtig geworden. Wünsche können sich erfüllen; weitere Wünsche entstehen und können nicht erfüllt werden - und man beginnt zu leiden daran und darunter. JEDEM geht das so, und es ging auch den Therapeuten selbst so während ihrer Ausbildung. Spätestens dann tritt der Moment ein, an dem dich Außenstehende fragen: "Spinnst du?" - weil das so schwer bis gar nicht nachvollziehbar ist, was in diesem Raum passiert, hast du oft nicht die Möglichkeit, mit jemandem darüber zu sprechen. Dann entsteht der Eindruck, es handele sich um eine Art Sekte, um okkulte Treffen, über deren Inhalt erstens niemand etwas erfahren darf und es zweitens auch - aus reinem Selbstschutz - nicht erfahren SOLLTE. Der Analytiker wird zum engsten Verbündeten - und WENN das so ist, dann ist es sicher sehr schwierig, sich davon wieder zu befreien. Idealerweise sollte es dieses "Wir beide gegen den Rest der Welt" so nicht geben - wie oft das in der Praxis auch so umgesetzt werden kann, weiß ich nicht, denn natürlich ist es auch für den Therapeuten verlockend, seine eigenen Bedürfnisse nach Wichtigsein und Rettenwollen und -können zu befriedigen.

Wir Patienten wollen ihn dann oft GANZ und wir leiden, wenn wir ihn teilen müssen, ob mit dem Partner oder mit anderen Patienten. Wenn es immer wieder und weiter gelingt, über all das Leiden, all den Verzicht und all das Wünschen zu sprechen, ohne dass beide abrutschen in gegenseitige Vorwürfe - dann kann die Seele heiler werden (ganz heil wird sie vermutlich nie, jedenfalls nicht bei den sogenannten 'Frühgestörten'). Wenn das nicht ganz gelingt, gelingen dafür vielleicht viele andere Dinge, und vielleicht bleibt wenigstens auf beiden Seiten ein Gefühl dafür, etwas Einzigartiges gemeinsam erlebt und geteilt zu haben; etwas, was das ganze Leben beeinflusst hat und was es ermöglicht, weiter zu gucken, sich weiter zu erforschen und sich selbst gegenüber mit einer gewissen Unerschrockenheit zu begegnen. Um diesen Zustand zu erreichen, braucht es Jahre. Und es braucht nicht nur Zeit; es braucht auch Hingabe, Liebes- und Frustrationsfähigkeit. Die zu erlernen, dürfte für den Lebensweg essenziell sein. Es tut weh, es ist unangenehm und peinlich - aber es gibt in solchen Therapien kein "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass".

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Zimtkiffel
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:24

Danke erstmal euch allen,
dass ihr so sachlich antwortet und auch beim Thema bleibt ohne mich anzugreifen.

Ich hatte schon fest damit gerechnet, erstmal zurechtgewiesen zu werden, was ich mit der Frage überhaupt will, inwiefern mich das betrifft und sowieso und überhaupt hätte ich selbst ein rieisiges Problem mit mir und meiner Wahrnehmung.

Find ich jetzt ganz klasse, dass sich daraus eine interessante Diskussion entwickeln kann, ohne persönliche Anfeindungen und Sticheleien.

Wie ich eigentlich dazu komme....

Das erste Erlebnis dieser Art hatte ich vor ca 10 Jahren in einer realen SHG.
Dort war ein Mädchen mit DIS komplett abhängig von ihrer Therapeutin. Sie geriet in Panik, wenn die mal nicht erreichbar für sie war, darüber hinaus hatte sie allgemeine riesige Verlustängste auf diese Therapeutin bezogen, das fand ich (damals selbst noch sehr jung und komplett keine Ahnung von diesem Thema) sehr befremdlich und auch angstmachend.
Sie "nervgte" ja auch ihr Umfeld damit, ihre Therapeutin war ständig in unseren Treffen präsent, aber nicht etwa als Hilfe (die sie eigentlich sein sollte) sondern in Form von Panikattacken und Verlustängsten.
Wir diskutierten als Heranwachsende darüber, wie sie sich am besten verhalten oder nicht verhalten sollte, damit sie von ihrer Therapeutin nicht abgeschossen wird. Anrufen, nicht anrufen, schreiben, nicht schreiben, usw.

Vor einiger Zeit fand ich dieses Forum (aus ganz anderen Gründen) und stieß beim Herumstöbern auf ähnliche mir angstmachende Erfahrungen.

Da las ich ein Thema, wo ein Mensch von seinem Therapeuten adoptiert werden wollte, wo sexuelle Beziehungen gewünscht werden, wo ein Therapeut ins KH muss und seitenlang Panik geschoben wird... aber immerhin schöpfte ich beim Thema "Geschenke" Mut und dachte, hier wird jetzt aber mal mit dem merkwürdigen Bild aufgeräumt und sachlich Stellung bezogen.

Pustekuchen!
Fast alle fanden es völlig normal bis angenehm und schön, ihren Therapeuten persönliche Geschenke zu machen und daraus teilweise regelrecht ein Ritual und eine große persönliche Aktion zu machen.

Ich war selbst ca ein halbes Jahr bei einer Verhaltenstherapeutin, wäre aber nie auf so eine für mich völlig unpassende Idee gekommen. Sie war für mich sowas wie ein Arzt, eine "Dienstleistung", eine Person, die für ihre professionelle Hilfe bezahlt wird von der Krankenkasse.
Meinen Ärzten hab ich auch noch nie Geschenke gemacht, höchstens mal bei sehr kompetenter Arbeit eine von Herzen kommende positive Rückmeldung gegeben. Das finde ich angemessen.

Ich dachte dann kurz, mit mir stimmt was nicht.
Ich bin zu kalt, zu egoistisch, zu ... keine Ahnung.

Dann hatte ich beim Lesen oft folgendes Gefühl: Gibt es mal eine hinterfragende kritische Meldung, "rotten sich alle Therapienehmer zusammen und stürzen sich gemeinsam auf den Feind".
Überspitzt ausgedrückt

Da wird verteidigt und in Schutz genommen, eigentlich fast schon Opferverhalten gegenüber (früheren) Tätern, oder auch Co-artiges Verhalten.

Ich meine, wenn ein Therapeut unangemessen mit einer Patientin flirtet oder auf Angebote halb eingeht, ist er doch in gewisser Weise schon ein Täter, oder?

Für mich nicht, ich wurde nicht sexuell missbraucht (eher emotional) und könnte damit auch glaube ich einigermaßen umgehen, es würde mich nicht triggern, aber wie ist das mit denen, die sexuellen Missbrauch erlebten?

Fragen über Fragen....

@ Jenny
deine Geschichte hatte ich verfolgt und sogar bis in ein anderes Forum, weil ich das doch recht ungeheuerlich fand. Das hat mich sicher eine Nacht gekostet und nachher war ich total wirr und hab mich auch gefragt, ob das was ich tu noch normal ist...
ich war oft mit Leuten befreundet, die psychische Probs hatten und teilweise auch in Therapie deshalb, daher wohl auch mein Interesse, plus ich finde das einen sehr angstmachenden Zweig, weil so wahnsinnig leicht und viel Schaden angerichtet werden kann, den die Betroffenen kaum von sich abwenden geschweige denn geahndet bekommen können.

Ich hab mich ja selbst wegen meines Betreuers ohnmächtig gefühlt, als er schlicht Dinge tat, die mir ganz klar schadeten und ich ihn aber einfach nicht dran kriegte dafür. Er redete sich raus und mir glaubte eh keiner. Waren eher organisatorische Dinge, nicht therapeutische, aber schlimm war dieses Ausgeliefertsein dennoch für mich.
Und ich hab mich oft im Betreuerforum gezofft mit den Berufsbetreuern, die aber auch wirklich nahezu jede Schandtat schönredeten, verharmlosten oder gar verleugneten.
Da dachte ich mir nur: Schnellstens gesund und fit werden, damit du dich wehren kannst bzw einen großen Bogen drum machen kannst.


ziegenkind
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:31

ich kann mir nicht helfen, aber dieses "wir" sind so und so, das erinnert mich immer an dr. sommer von der bravo. wo verallgemeinern so selbstverständlich daher kommt, ist es meiner erfahrung nach meistens falsch.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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sandrin
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:35

Ich glaube auch nicht, dass es DEN Patienten gibt. Ich z. B. bin neurotisch und nicht frühgestört, alleine da werden sich schon große Unterschiede ergeben.

Und jeder empfindet das anders, jeder hat eine eigene Geschichte, jeder hat andere Erwartungen.


Jenny Doe
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:37

@ Zimtkiffel
Sie war für mich sowas wie ein Arzt, eine "Dienstleistung", eine Person, die für ihre professionelle Hilfe bezahlt wird von der Krankenkasse.
... und ich dachte, ich wäre ein einsamer Alien auf dem falschen Planeten. Schön zu hören und zu lesen, dass es noch andere Menschen mit dieser Einstellung gibt. Genauso denke ich auch. Ich will meine Therapeutin nicht heiraten, ich will sie nicht lieben, ... ich will einfach nur ihre fachkundige Hilfe.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 27.12.2014, 11:45

zimtkiffel, nein, du bist nicht herzlos oder egoistisch, nur weil du deiner Therapeutin nichts schenken mochtest - es ist dir dann einfach kein Bedürfnis, und Bedürfnisse, die keine sind, muss man auch nicht künstlich erzeugen...

Es ist völlig O.K., eine Therapie als Dienstleistung anzusehen; nur gibt es auch Menschen, die etwas anderes wollen; Menschen, denen das vielleicht zu wenig erscheint (das ist dann der Punkt, an dem die Verhaltenstherapie-Anhänger aufzuschreien pflegen...) und die sich mehr davon versprechen, das Leiden und das eigene Leben wirklich in all seinen Facetten zu erforschen. Und dazu gehört dann eben auch das 'Kleine' - und das kann SEHR klein werden!!! Aber es ist ja nicht so, dass du dann WIRKLICH klein bist, sondern es fühlt sich 'nur' so an - und wenn du dann mit dem Therapeuten darüber sprechen kannst und du siehst, dass er nicht sagt (und es auch nicht denkt!!!): "Bist du bescheuert?!", dann kann das als hilfreich erlebt werden.

Das Bedürfnis, diese Therapieform und den Therapeuten zu verteidigen, hast du sehr schön erkannt - aber es ist irgendwie wohl auch menschlich, das, was einem lieb und teuer ist, gegen Angriffe zu verteidigen. Wobei Kritik ja etwas anderes ist als ein Angriff: Wenn ich jemanden kritisiere, bin ich weiterhin offen für einen Austausch. Wenn ich ihn angreife, geht es um ganz andere Dinge, nämlich um den eigenen Frust...

Dass das total befremdlich wirkt und vielleicht auch IST, kann ich gut nachvollziehen. Es gibt auch keine idealen Psychotherapien. Immer wenn du von einer vermeintlichen Idealbeschreibung liest, kannst du davon ausgehen, dass das, was nicht ins Bild passt, einfach weggelassen wurde und wird... Es geschieht schon auch viel Mist in so einer Therapie, und ich würde mir wünschen - nicht so sehr für mich, sondern im Sinne der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit -, dass öfter auch mal negative Dinge thematisiert werden, nicht nur von denen, die ihren (Ex-)Therapeuten am liebsten in den Knast oder zum Mond schicken würden, sondern auch von denen, die das Positive daran sehen können (aber das ist vielleicht ein anderes Thema; nur trägt es halt zur Verklärung sehr bei, was ich wiederum unnötig finde).

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