Darf ich in einer Therapie wirklich alles ansprechen?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Zofiya
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Darf ich in einer Therapie wirklich alles ansprechen?

Beitrag Mo., 22.09.2014, 20:40

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Thema hierher gehört, oder in eine andere Rubrik und überlasse es gern der Administration, den Thread zu verschieben. Danke!
++++

Ich habe gerade eine 5-wöchigen Therapiepause - nächster Termin ist nächsten Montag - und mein Kopf schwirrt derzeit nur so vor Gedanken.
Deshalb 'denke' ich hier mal so vor mich hin, um mich etwas zu sortieren.

Durch das stille Mitlesen bin ich auf ein ganz drängendes Problem gestossen.

Mir ist klar, dass der Patient eine Eigenverantwortung trägt, und die Dinge, die ihn bewegen, in der Therapie ansprechen muss. Offensichtlich halte ich Dinge zurück - so drückte es mein Therapeut noch vor Kurzem aus.

In der Zwischenzeit ist mir klar geworden, dass ich durch die Übertragung vermutlich wertvolle Zeit verschenkt habe. Ich konnte mich nicht richtig öffnen, wollte wohl nur 'gut rüberkommen'. Bis ich im Frühjahr endlich den Mut hatte, das Thema Sexualität anzusprechen, waren einige Monate ins Land gegangen, in denen wir jedoch immer die aktuellen Probleme und Situationen in der Beziehung zu meinem Mann bearbeiteten.

Ich war überzeugt einen grossen Anteil Schuld an der Depression meines Mannes zu haben, weil auf diesem Gebiet bei uns schon seit Jahren nichts mehr lief. Die Gründe waren vielfältig, aber ich bezog alles auf mich. Mein Therapeut war nicht der Meinung, dass meine Unlust nur auf die krassen Auswirkungen der Wechseljahre zurückzuführen sei. Und er hat wahrscheinlich Recht. Wir hätten an unserer Beziehung arbeiten müssen. Aber dazu gehören immer zwei.

Durch einen äußeren Einfluss trat ein Thema zutage, das ich über Jahrzehnte völlig verdrängt hatte. Es ging um MB durch einen Lehrer in meiner Kindheit. Mehr noch aber ging es um die Nicht-Reaktion meiner Mutter, als ich endlich den Mut aufbrachte, es ihr zu erzählen. Dieses unbearbeitete Thema schleppte ich nun wochenlang mit mir herum und brachte es irgendwann in die aktuelle Therapie. Obwohl ich eigentlich sehr offen bin, hat es mich grosse Überwindung gekostet, darüber zu sprechen. Mein Therapeut hat mir sehr aufmerksam zugehört, auch nachgefragt und mir erklärt, er könne mich jetzt besser 'sehen', meine ganze Verlorenheit.

Danach wurde dieses Thema aber nie wieder angesprochen.

Ich schreibe das hier deshalb so ausführlich, weil ich in einem anderen Text gelesen hatte, dass der Patient die Themen 'bringen' muss. Ich war der Meinung, dass der Therapeut fragt bzw. nachfragt. Aber das geschah nicht, und ich war irgendwie verunsichert, dachte, es interessiert ihn nicht. Ich kann wirklich nicht sagen, dass mein Therapeut nicht auf mich eingeht. Im Gegenteil. Aber vielleicht ist gerade das das Missverständnis, das lauert, weil man denkt, er müsse die Dinge ansprechen, doch, wie soll er das tun, wenn er nicht weiss, was einen bewegt?

Und jetzt komme ich erst zum eigentlichen Punkt. Ich habe nur noch 5 Stunden. (Meine KK genehmigt nur max. 30h/Jahr, Therapie max. 2 Jahre). Danach muss ich aus eigener Tasche bezahlen, das wäre machbar. Aber, ich habe den Eindruck, dass mein Therapeut die Therapie beenden möchte. Was ich nachvollziehen kann. Nachdem alle Lösungsmöglichkeiten in Bezug auf die Beziehung zu meinem Mann erarbeitet wurden, ich aber nichts davon umsetzen kann - bitte keine Fragen diesbezüglich, es geht einfach im Moment nicht - ist mein Therapeut am Ende seiner Möglichkeiten angekommen. Aber, an diesem Punkt der Stagnation waren wir schon im Frühjahr und jetzt wieder. Er hat das so klar nicht ausgedrückt, aber ganz subtil mit der Frage wann ich denn wiederkommen möchte. Die verbleibenden Sitzungen haben wir nun bereits auf die letzten Wochen dieses Jahres verteilt, sodass tlw. 5 Wochen zwischen den Terminen liegen. Das ist lang, aber ich halte es aus. Mehr oder weniger gut. Das sagt eigentlich alles. Vielleicht geht es auch darum, die Zeiträume größer werden zu lassen, damit ich mich besser ablösen kann und wir werden in den kommenden Wochen sehen, ob 'man mich auswildern kann', wie er es ausdrückte.

Was nicht gelöst ist, ist diese Abhängigkeit, die sich im Lauf der Zeit eingestellt hat, oder, anders ausgedrückt, das tiefe Gefühl, von dem ich einfach nicht weiss, wo ich es lassen soll?

Und es gibt diese Fragen, die noch offen sind. Zu diesem Thema. Sexualität. Inwieweit sich dieser MB aus der Kindheit darauf ausgewirkt haben könnte. Das ist weder in meiner Analyse vor ein paar Jahren noch jetzt jemals bearbeitet worden. Es muss ja nicht so sein, aber es könnte. Und ich weiss wirklich nicht, ob ich das noch ansprechen soll oder kann. Ich vermute, das ist nicht so schnell zu klären, und deshalb komme ich mir vor, als ob ich mit aller Gewalt noch etwas 'reinpacken' müsste, um den Sitzungen noch einen Inhalt zu geben. Als ob ich einen Vorwand suchte, länger bleiben zu können. Im Prinzip hatte ich bereits mit der Therapie abgeschlossen und wollte versuchen, in den letzten Stunden Bilanz zu ziehen etc. Aber nachdem ich den Beitrag gelesen hatte, dachte ich, es sei verkehrt, jetzt zu beenden, wenn noch ein Thema offen ist.

Ach ich weiss einfach nicht was gut, was richtig ist. Was ich darf oder auch nicht.

Ich bin dankbar fuer Eure Einschätzung und Reaktion.
Zofiya
Wenn einer deiner Sinne das Verborgene erfasst, wird die unsichtbare Welt dem Ganzen offenbar.
Rumi

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hope_81
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Beitrag Mo., 22.09.2014, 20:49

Liebe Zofiya,
sag ihm das doch genauso. Da ist das Thema Missbrauch, welches dich umtreibt, noch nie bearbeitet wurde und parallel die Ablösung die dir schwer fällt.
Findet gemeinsam heraus warum es so ist,dafür ist er da.

Ich vermute jetzt mal, dass du dich nicht lösen willst, weil das kleine Mädchen immer noch die "Mama" sucht, die ihr zuhört.
Noch hast du sie nicht gefunden und wartest/ suchst weiter.

Aber "sie" sitzt da und wartet auf das kleine Mädchen (welches nun groß ist) und es nochmal anspricht.
Du hast nun die Chance das Mädchen an die Hand zu nehmen und für eben dieses zu sprechen.

Nur Mut!
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli


ziegenkind
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Beitrag Mo., 22.09.2014, 20:56

zofiya, ich weiß nicht, was für eine therapie du machst. aber ich würde denken, vor jedem anderen thema stünde dies an: (i) dass du deinem therapeuten sagst, du habest den eindruck, er interessiere sich nicht für deinen missbrauch. (ii) dass du ihm mitteilst, du habest den eindruck, er wolle die therapie beenden (iii) dass du angst hast abhängig zu sein von ihm.

mir will scheinen, hinter all diesen drei punkten steckt ganz, ganz viel. ich stell mir auch vor, einiges davon tut dir sehr, sehr weh. und schließlich: wär ich du, könnte ich nicht über schlimmes reden, solange dies dazwischen stünde.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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Zofiya
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Beitrag Mo., 22.09.2014, 22:11

@ Hopeless - Ziegenkind Danke an Euch Beide!

In der Analyse vor 7 Jahren ging es hauptsächlich um den abwesenden Vater und das schwierige Mutter-Thema, und ich war überzeugt, es sei alles be- und verarbeitet worden.
Offensichtlich nicht.
Dieses verlassen sein bzw. werden genauso wie das sich nicht angenommen - nicht gesehen fühlen, ist immer und immer da.

Man könnte sagen, durch die Depression hat mich mein Mann nach und nach 'verlassen'.
Dadurch wurde das 'männliche Gegengewicht' in Gestalt meines Therapeuten so sehr wichtig für mich.
Der Gedanke, dass dieser Teil nach Beendigung der Therapie wegfällt, löst in mir Unsicherheit aus. Ich bin kein ängstlicher Mensch. Eigentlich. Nach aussen.

Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, stosse ich alle die Personen, an denen mir etwas liegt und die mir zur Seite stehen, so vor den Kopf, dass sie sich abwenden. Zu Recht.

Es ist gerade so, als ob ich im Aussen alles tun muss, damit es mit meinem Innen übereinstimmt. Alle vergraulen, damit ich mich wirklich so einsam fühlen kann, wie ich in mir drin ohnehin schon bin. Damit es stimmig ist. Die Einsamkeit in mir.
Wenn einer deiner Sinne das Verborgene erfasst, wird die unsichtbare Welt dem Ganzen offenbar.
Rumi

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Schneerose
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Beitrag Di., 23.09.2014, 06:32

Liebe Zofiya,

ich denke, dass das mit dem Auswildern nicht mal ein so schlechter Gedanke ist;
und angeblich ist es so, dass in der Endephase der Therapie, also, wenn das Ende absehbar wird,
sich der Prozess noch mal intensiviert. (davor bin ich leider abgehauen - deshalb kann ich in dem Punkt nicht ganz so mitreden);
aber ich kann dir von meiner Sicht aus sagen,
dass das Lösen von der Abhängigkeit eine der großen Aufgaben NACH DER THERAPIE ist, und dich genau das weiterbringt, wenn du dir vertraust, dass du SELBSTÄNDIG weitergehen willst, und nicht im Wehmut nach dem Thera hängen bleibst.

Es ist auch eine Tatsache, dass die eigentliche Veränderung erst nach der Therapie reift!
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

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Schneerose
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Beitrag Di., 23.09.2014, 06:36

...ah sorry, jetzt hab ich nochwas ganz wichtiges vergessen zu schreiben,
das mit dem MB Thema,
vielleicht hat es im Moment nicht mehr wirklich Platz in dieser Therapiezeit,
vielleicht solltest du es erst einmal nach dieser Therapie wirken lassen,
WAS draus entsteht, und wenn dann der Drang kommt es mehr bearbeiten zu wollen, dann steht ja einer neuen Therapie nichts im Wege...ob bei dem Ex-Thera oder einem neuen, dann ja auch möglich wie du möchtest.
Was ich aber tun würde,
genau das, was du in deinem Anfangsbeitrag geschrieben hast in der Therapie anzusprechen, vielleicht sogar, dem Thera einfach deinen Beitrag hier im Forum lesen lassen;
hab ich auch gemacht, und es hat beide Seiten die Augen mehr geöffnet,
es hat sich dann was getan, und nicht ständig im Kreis gedreht.
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