Ehrlichkeit von Seiten des Therapeuten

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Sufragette
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Ehrlichkeit von Seiten des Therapeuten

Beitrag Fr., 15.02.2013, 19:48

Guten Abend liebes Forum,

ich frage mich die ganze Zeit wie ehrlich man als Therapeut/in gegenüber seinem Klienten sein sollte.
Damit ihr versteht was ich meine, folgende Geschichte:

Ich hatte vor Ewigkeiten mit meiner Therapeutin eine Art Ess-Vertrag gemacht. Ich war damals sehr misstrausich dem gegenüber und hatte sie gefragt "wenn ich mich daran halten werde, werde ich dann zunehmen"?. Sie meinte damals wortwörtlich zu mir "ich weiß gar nicht so genau wie das ist, bisher ist mir nicht von anderen Klientinnen bekannt, dass sie zugenommen haben, also denke ich nein".

Nun habe ich mich nach langem Zögern über einen Monat an diesen Essplan gehalten und "nur" 3 Kg zugenommen (gott sei dank). Ich habe meine Thera über diesen Frust der Gewichtszunahme erzählt und sie meinte dann nur, dass ich froh sein könnte, dass es nur 3kg sind, andere nehmen viel mehr zu und haben ganz große schwierigkeiten überhaupt jemals wieder normal zu essen. Darauf hin ich "na toll, das haben Sie mir aber davor nicht gesagt" und meine Thera meinte nur so "ja, natürlich nicht!".

Versteht ihr was ich meine? Ich kann bei meiner Thera ihre Intention schon nachvollziehen, sie hat mich praktisch zu meinem Wohl angelogen...aber irgendwas stört mich trotzdem daran. ich dachte ich könnte ihr vertrauen. Ich dachte wir arbeiten zusammen.

Deswegen jetzt meine allgemeine Frage: Was glaubt ihr, in welchem Maß ist es gerechtfertigt, dass ein Therapeut den Klienten anlügen darf um ihn zu schützen oder zu stärken? In welchem Maß würde ein Thera sogar Diagnosen oder Verdachtsfälle verschweigen?
Ich würde mich über einen Austausch freuen.

Viele Grüße

Sufra

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Launebär
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 20:11

Hallo Sufragette,

wie kommst du denn jetzt damit klar, dass sie gemunkelt hat?

Mh, weil ich möcht dich nicht irgendwie verwirren oder verunsichern, in Bezug auf deine Therapeutin. Aber aus meiner Sicht, (und vielleicht haben wir auch verschiedene Problematiken), ich könnte echt nur schwer damit umgehen. Und wenn das meine Therapeutin nicht irgendwie wieder zurecht biegen könnte, würde ich die Therapie bei ihr abbrechen. Das wäre für mich ein sehr grosser, wenn nicht zu grosser, Vertrauensbruch.

Von daher erwarte ich 100%ige Ehrlichkeit. Auch unterschwellige Manipulationsaktionen wie beispielsweise Körperspiegelung lehne ich (für meine! Therapie) radikal ab.

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Sufragette
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 20:18

Hallo Launabär,

danke für deine Antwort.
Hmmm.....also es geht mir nicht nicht so super schlecht, dass ich jetzt die Therapie abbrechen möchte, aber so einen blöden Beigeschmack hat es halt schon. Ich frage mich halt jetzt ständig, bei was sie noch alles zwar "in meinem Sinne handelt", aber halt nicht offen mir gegenüber ist.

Ich meine es ist ja auch nicht anderes, wie wenn dein Therapeut mitschreibt. Hat er dir jemals vorgelesen, was er über dich aufgeschrieben hat. Sicherlich nicht, um dich auch zu schützen, aber ich frag mich halt, ob das nicht irgendwo eine Grenze hat.

Warum ist es denn Manipulation, wenn man gespiegelt wird? Ist das nicht eine Methode, um Sympathie zu wecken und den Gesprächsfluss zu unterstützten?

Gruß
Sufrag

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Launebär
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 20:48

Sufragette hat geschrieben:Warum ist es denn Manipulation, wenn man gespiegelt wird? Ist das nicht eine Methode, um Sympathie zu wecken und den Gesprächsfluss zu unterstützten?
Ja, genau. Man spiegelt ja auch oft unbewusst. Aber wenn es bewusst gemacht wird, fühle ich mich manipuliert. Meine Therapeutin sieht das ähnlich, ich habe sie mal gefragt, ob sie spiegelt. Seither "muss" ich mich nicht mehr achten, ob sie mich vielleicht spiegelt und bin da etwas erleichtert. Aber das sieht wahrscheinlich jeder Patient und jeder Therapeut etwas anders, was ja auch ok ist.

Ich denke halt, es ist etwas sehr individuelles. Ich nehme auch an, dass ich übersensibel auf solches Verhalten reagiere und einige Dinge als Manipulation sehe, was für andere kein Problem ist.
Sufragette hat geschrieben:Hmmm.....also es geht mir nicht nicht so super schlecht, dass ich jetzt die Therapie abbrechen möchte, aber so einen blöden Beigeschmack hat es halt schon. Ich frage mich halt jetzt ständig, bei was sie noch alles zwar "in meinem Sinne handelt", aber halt nicht offen mir gegenüber ist.
Das scheint doch eine gute Grundlage zu sein, die du da mit deiner Therapeutin hast. Vielleicht kannst du das mit ihr besprechen, damit ihr das ganz klären könnt?
Sufragette hat geschrieben:Hat er dir jemals vorgelesen, was er über dich aufgeschrieben hat. Sicherlich nicht, um dich auch zu schützen, aber ich frag mich halt, ob das nicht irgendwo eine Grenze hat.
Nein. Sie schreibt auch nicht mit, ich nehm an sie macht nachhher Notizen. Ich find auch, das sind ihre persönlichen Notizen, die für sie bestimmt sind. Weil die Art und Weise, wie sie da Notizen macht, dürfen ja auch sehr direkt sein. Wenn sie mir jedoch etwas sagt, dann möcht ich zwar die Wahrheit hören, aber nicht schonungslos. Ich möchte, dass sie es mir auf eine Weise sagt, mit der ich auch umgehen kann. Aber ohne dabei zu lügen.

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Chakotay
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:50

Oh, ich bin gerade richtig aufgewühlt von deiner Schilderung - für mich persönlich wäre das Verhalten deiner Therapeutin ein dickes No-Go.
Ich muss aber dazu sagen, dass ich aufgrund meiner Traumatisierung erhebliche Schwierigkeiten haben, Vertrauen zu fassen und es mir in meiner therapeutischen Beziehung absolut wichtig ist, nicht angelogen zu werden. Mein Thera würde das sicherlich auch nicht tun, aber natürlich hält er mir je nach Situation auch Informationen zurück, wenn er denkt, dass diese Infoweitergabe gerade kontraproduktiv ist. Ich weiß um diese "selektive Offenheit" und praktiziere sie durchaus auch selbst.
Damit kann ich auch gut umgehen, denn ich bin mir - zum Glück - mittlerweile sicher, dass dadurch keine Unwahrheiten zwischen uns entstehen. Das hätte bei mir (und das ist natürlich nicht auf andere pauschal übertragbar!) einen massiven Vertrauensbruch zur Folge.

Bei dir scheint wohl zumindest ein unsicheres Gefühl entstanden zu sein - auch auf die Gefahr hin, den "Allerweltsratschlag" zu geben: Magst du es nicht in der Therapie ansprechen?

Ich drücke dir die Daumen!
Chakotay
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)

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Sufragette
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 23:40

Hallo ihr beiden,

ich hatte es ja danach angesprochen. Meine Thera hatte sich dann entschuldigt und gemeint, wenn sie mir die Wahrheit gesagt hätte, dann hätte ich den neuen Essplan nie ausprobiert und so hätte sie mich um die Erfahrung gebracht, die ich jetzt gemacht habe...
Ich weiß jetzt auch nicht so genau, ob ich ihr jetzt dafür dankbar sein soll. Ich war in dem Moment damals erst mal sprachlos.

Ich frage mich einfach generell gerade, wie normal das ist, dass Theras ihre Infos einfach mal so zurückhalten.
Also angenommen ein Patient äußert, dass er nachts Albträume hat oder sonstiges, was zum Beispiel auf sexuellem Missbrauch in der Kindheit hinweist, würde das der Therapeut einem sagen?

Ich weiß nicht, ob ich das Thema nochmal ansprechen sollte....ich mag meine Thera echt total gerne und normalerweise geht sie auch sehr achtsam mit mir um...bis auf dieses eine Mal eben. Ach, das ist so ernüchternd irgendwie...

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Anna Lüse
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 00:31

Ich käme mir ver*rscht vor. Wobei es noch drauf ankäme, wie gut die Beziehung zum Therapeuten ist. Kann sein, dass es u. U. okay ist, wenn der Umgangston sich eingependelt, das Verhältnis entsprechend stabil ist. Wenn ich nur mit dem Gefühl raus gehen würde, dass sie nicht ehrlich zu mir war und ich mich gelinkt fühlen würde, wäre mein Vertrauen dahin.
Ich denke, dass Therapeuten zum Wohl des Pat. so einiges nicht sagen. Aber dann auch nicht im Nachhinein. Ich würde mich wohl auch bei allem nachfolgendem fragen, ob sie jetzt oder ob sie jetzt grade nicht weil ...Find ich unnötig verkomplizierend um nicht zu sagen ungeschickt.

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hope_81
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 00:49

Ganz ehrlich,
ich finde deine Thera ganz wunderbar...Ich gehe davon aus, dass du eine enorme essstörung hast... Unter dieser Prämisse hätte ich dich wohl auch in eine Falle gelockt. Aber nicht weil ich dir schaden wollen würde, nicht weil ich dich verarschen wollen würde, sondern einzig und allein, weil ich dich liebe. Für diese Liebe, dafür, dass du lebst, nehme ich es gern in Kauf von dir gehasst zu werden...Sei es drum, aber du lebst, das ist mir wichtiger...
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli

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Launebär
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 03:06

hopeless81 hat geschrieben:sondern einzig und allein, weil ich dich liebe. Für diese Liebe, dafür, dass du lebst, nehme ich es gern in Kauf von dir gehasst zu werden...Sei es drum, aber du lebst, das ist mir wichtiger...


Wenn meine Therapeutin sowas zu mir sagen würde, würd ich aber rennen.

Das überschreitet für mich alle Grenzen einer gesunden Therapie-Patienten-Beziehung.

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Dakota
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 06:24

Hallo sufragette,

Also einerseits schliesse ich mich hopeless an, dass Du wenn Du von der Zunahme gewusst hättest den Essplan nicht ausprobiert hättest. Ein Essplan wird ja nicht umsonst erstellt und die Therapeutin ist nur besorgt um Dich. Ob sie sich jetzt adequat verhalten hat, darüber lässt sich streiten.
Andererseits kann ich deinen Unmut nachvollziehen, da ich mit meinem Körper eh schon total unzufrieden bin und wahnsinnige Angst vor dem Zunnehmen habe. Hätte mein Therapeut mich mal so "ausgetrickst" wäre ich auch sauer.
Hättest Du dem Essplan zugestimmt, wenn Du gewusst hättest, dass Du davon zunimmst ??

Ich finde da es Dich ja so beschäftigt, dass Du hier im Forum schreibst, suche doch nochmal das Gespräch mit deiner Therapeutin und erkläre ihr was ihr Verhalten mit Dir macht. Sie scheint ja ansonsten eine einfühlsame Person zu sein,



Dakota

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hope_81
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 06:26

Wenn meine Therapeutin sowas zu mir sagen würde, würd ich aber rennen.

Das überschreitet für mich alle Grenzen einer gesunden Therapie-Patienten-Beziehung.
Na, meinst du ohne Liebe (nicht die Art Liebe wahrscheinlich die du jetzt meinst) könnte ein Therapeut gute Arbeit leisten? Er wird das sicher so auch nicht formulieren, aber das steckt doch dahinter...
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli


leberblümchen
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 08:26

Ich schließe mich hopeless an, was die Liebe als 'Motiv' betrifft.

Und: Auch ich wurde schon mal von meinem Therapeuten angelogen. Wir haben nie darüber gesprochen, und wäre mein Therapeut meine Mutter oder mein Exmann oder einer 'von denen', dann würde er bei einem Gespräch alles leugnen und mich wieder als Dummie darstellen. Um aber darüber zu reden, müsste ich ihn ja sozusagen bloßstellen und das möchte ich nicht: Ich müsste dann in ihn und seine Gedanken eindringen und ich fände das übergriffig. Denn er müsste sich dann ad hoc überlegen, ob er die Lüge wiederholt - was er gewiss nicht tun würde - oder ob er sich rechtfertigt - was aber bedeuten würde, dass er sich darüber Gedanken machen müsste, was das für mich bedeutet. Also habe ich mich dazu entschieden, das nicht zu thematisieren. Vielleicht können wir das an einer anderen Stelle noch mal aufgreifen, denn auch ich habe ein Problem damit, Menschen zu glauben, weil meine Intuition sehr oft dem widerspricht, was der Andere mir an sprachlichen Zeichen sendet.

Lüge ist ja nicht immer gleich Lüge. Das wissen wir doch alle: Wir alle lügen, aber wir tun das nicht immer unbedingt gerne. Es gibt boshafte Lügen, zum Beispiel das Intrigieren. Es gibt Lügen aus Bequemlichkeit. Für solche Lügen habe ich - natürlich - kein Verständnis. Aber es gibt auch Lügen, die dem Lügenden nötig erscheinen, weil er annimmt, dass die Wahrheit für den, der angelogen wird, problematisch wäre. Das Problem daran ist nun aber, dass bestimmte Patienten - zu denen auch ich gehöre - nicht doof sind und merken, wenn sie angelogen werden. Und dann hat man den Salat! Trotzdem kann ich aber in der Situation und auch später anerkennen, dass das Lügen dem Therapeuten in dem Fall sinnvoll erschien. Und somit kann ich dann überlegen, was das für mich bedeutet: ob er mich bevormunden will - wie das bei der TE vielleicht unterstellt werden könnte? Oder ob er mich schützen will - was bei der TE auch eine Rolle gespielt hat.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 08:49

Die Situation bei mir: Ich mache eine Analyse, liege 3x die Woche auf der Couch und bin sehr unsicher ob seiner Zuneigung, ich bin eifersüchtig auf andere Patienten, denke dann sofort, er mag mich nicht mehr, finde die Vorstellung, dass er andere Patienten lieber mag, sehr quälend. Das war also die Ausgangslage.

Nach mir kam immer eine Patientin, die mich ein paar Mal regelrecht von der Couch geklingelt hat. Meist war es dann so, dass es sowieso gerade 9.50 war und er ihr dann die Tür öffnete, nachdem ich die Praxis verlassen hatte. Einmal kam sie noch früher, als ich noch lag und wir zwar inhaltlich fertig waren, aber offiziell war ich halt nun mal noch da. Da steht mein Therapeut auf, entschuldigt sich mit einem friedlichen Lächeln und sagt mir ins Gesicht: "Ich muss da mal öffnen, es ist vermutlich die Post".

Ergänzend muss ich noch sagen, dass ich das ursächliche Problem, nämlich die klingelnde Frau, später angesprochen habe und er da sozusagen - ziemlich überraschend - voll auf meiner Seite war und er dafür - wie auch immer - gesorgt hat, dass sie NIE mehr klingelt und ich sie auch nie mehr sehe. Keine Ahnung, WAS da passiert ist. Aber da wir oft einige Minuten länger machen, hat er das Problem offensichtlich gelöst.

Was nun das offensichtliche Lügen betrifft: Ich habe lange darüber nachgedacht, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass er in dieser Situation keine andere Möglichkeit gesehen hat: Hätte er mir gesagt: "Da ist die nächste Patientin", hätte mich das extremst verletzt. Hätte er sie vor der Tür stehen lassen, weiß ich nicht, was passiert wäre: Offensichtlich hat sie ja ein Problem mit Grenzen und vielleicht wollte er nicht, dass sie da auf der Straße austickt oder wie auch immer. Da er das Problem ja dann gelöst hat, kann ich ihm auch nicht vorwerfen, dem Konflikt aus dem Weg gegangen zu sein.

Trotzdem bleibt natürlich die Lüge an sich. Und das führt mich wieder zu dem, was ich oben gesagt hab: Lügen gehören irgendwie zum Leben dazu, und wir müssen vielleicht auch einfach lernen, dass ein Therapeut kein Heiliger ist, der immer alles richtig macht. Ich glaube, es ist eine Gratwanderung: Man darf als Patient nicht das Gefühl haben, dass man nicht ernstgenommen wird oder dass man irgendwie abgetan wird als kleines Dummchen, das man übergehen darf.

Andererseits wissen wir gar nicht, wie oft wir angelogen wurden und werden, OHNE dass wir das merken. Ich glaube, der nicht-lügende Therapeut ist ein Ideal. Allzu oft sollte man nicht davon abweichen, denn sonst müsste man sich fragen, wie es um die eigene Integrität bestellt ist.

Ich würde als TE also vielleicht grundsätzlich darüber mit der Therapeutin reden, nicht nur auf den Fall bezogen, sondern auch wie beide prinzipiell mit solchen Situationen umgehen können.

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Sufragette
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 10:26

Hallo an alle, die geantwortet haben

Ihr spiegelt genau so meinen inneren Konflikt wieder.
Auf der einen Seite bin ich super stinkig und denke mir nur so "was wäre gewesen, wenn ich wie so manch andere Klientinnen super viel zugenommen hätte?". Meine Thera weiß, dass ich damit überhaupt nicht klar gekommen wäre, dass es eine meiner größten Ängste sind, dass ich mich gehasst hätte. Und natürlich, wenn ich das im Voraus gewusst hätte, hätte ich mich auch nie im leben an diesen Vertrag gehalten.

Auf der anderen Seite denke ich mir, dass sie auch nur ein Mensch ist und ihre Fehler macht. Ich habe schließlich während meiner Therapie auch schon oft genug zu ihr gesagt "ich weiß es nicht" wenn ich einfach nur nicht darüber reden wollte. Etwas anderes hat sie ja eigentlich auch nicht mit mir gemacht. Allerdings mit dem Unterschied, dass dies große Konsequenzen bzgl. einer Gewichtszunahme für mich hätte bedeuten können....und dass sie das einfach so in Kauf genommen hat ist echt scheiße.

Wie auch immer, ich hatte ihr gestern nacht eine email geschrieben, in der ich meine Gefühle ihr gegenüber erklärt habe. Ich habe heute morgen promt von ihr eine Antwort bekommen (um 6:41 an einem Samstag, was wieder für sie spricht):

Liebe Frau ......,
es tut mir sehr Leid, dass Sie dieser Vorfall immer noch so beschäftigt. Es war nicht meine Absicht Sie nur in irgendeiner Weise zu kränken.
Es ist im Leben leider oft so, dass man bestimmte Erfahrungen nur unter dem Preis anderer Erfahrungen machen kann und in diesen Fällen muss man sich dann fragen, ob der Zugewinn der neuen Erfahrung nicht größer ist, als das, was man dafür nicht haben konnte. Wir hatten zu Beginn der Therapie darüber gesprochen, dass Sie gerne Kontrolle abgeben möchten - ich habe mich in diesem Sinn dazu entschlossen, Sie während der Therapie nicht mit diesen unnötigen Informationen einer eventuellen Gewichtszunahme "zu füttern" und stattdessen selbst die Verantwortung dafür zu übernehmen.


....ja, soweit ihre Erklärung dafür. Aber wie ich meine Thera kenne, wird sie es in der nächsten Stunde auch noch mal von sich aufgreifen.
Zuletzt geändert von Sufragette am Sa., 16.02.2013, 11:02, insgesamt 1-mal geändert.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 10:40

Finde ich sehr, sehr schön von deiner Therapeutin. Und mich persönlich - aber ich bin ja nicht du - würde diese Erklärung total beruhigen! Siehst du das auch so?

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