Ein Lob der Melancholie

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UncleK
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Ein Lob der Melancholie

Beitrag Sa., 29.03.2008, 17:56

Ein Lob der Melancholie
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"Warum sind alle großen Menschen Melancholiker?" fragte schon Plato und zählte sich sicher selbst dazu.
Noch bis in die Neuzeit galt es schick, sich mit den Insignien der Melancholie - Sanduhr, Zirkel und Geldbeutel - für die Nachwelt malen zu lassen, doch geriet der melancholische Mensch in den letzten hundert Jahren in "Verruf", um schließlich als krankhaft depressiv verpönt zu werden. Melancholiker konsumieren nicht, wie sie es sollten. Sie halten eher inne in einer rastlosen Gesellschaft, die immer schneller um ihre Spaßtrophäen kreist. Dieses "Lebenszeichen" rückt die Melancholie wieder ins rechte Licht, räumt auf mit Klischees und lässt Menschen zu Wort kommen, die gerne melancholisch sind. Rennen wir nicht mehr nur atemlos allem hinterher, sondern halten wir mit dem Melancholiker ab und zu inne und schauen uns um: da gab es doch noch etwas ...


Webseite der Reihe "Lebenszeichen" bei WDR 5 (Manuskript)

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comus
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Beitrag Sa., 29.03.2008, 18:35

Wie immer danke @UncleK für deine Beiträge.

Oft las ich schon, Melancholie ist die alte Bezeichnung von Depression und das stimmt so nicht. Aus einem Melancholiker kann ein Depressiver werden, aber das eine bedingt nicht das andere. Melancholie empfinde ich sowas wie ein süßes Leiden, besser drückt es dieser Absatz im Beitrag "Ein Lob der Melancholie" aus.
Melancholie ist Ausdruck tiefer Freude wie auch tiefen Leids. Das heißt, die Melancholie bietet das breiteste Spektrum menschlichen Empfindens, das wir überhaupt im Menschen finden
können. Melancholie schließt eine Sehnsucht und ein Suchen ein.
Daher ich denke Melancholiker leiden heutzutage vor allem am Unverständnis der (Spass)Gesellschaft, wo es eben als nicht normal erscheint, melancholisch zu sein. Daher, ja ein Lob der Melancholie.

LG, comus

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thorn
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Beitrag Sa., 29.03.2008, 20:41

comus hat geschrieben:Daher ich denke Melancholiker leiden heutzutage vor allem am Unverständnis der (Spass)Gesellschaft
Mal etwas provokant gefragt: Kann ein Melancholiker noch einer sein, wenn er von allen Seiten Verständnis bekommt? Trägt nicht gerade das Unverständnis der restlichen Welt einen großen Teil zur Anziehungskraft der Melancholie (für den Melancholiker) bei? Ist es nicht gerade auch wichtiger Teil der Melancholie und Grund für sie?

Ganz ehrlich: Ich mag meine eigene Melancholie inzwischen nicht mehr besonders. Teils, weil sie allzu schnell an das Krankhafte heranführt, die Trost- und Hoffnungslosigkeit, teils auch, weil sie mir aufgesetzt, allzu pathetisch, abgehoben erscheint. Weil ich sie eben auch als Mittel zur Abgrenzung von anderen verstehe (und früher oft genau darum bewusst gesucht habe). Ich zumindest habe oft das im Text erwähnte Mitleid mit den Menschen, der Welt empfunden, aber dabei gleichzeitig weit entfernt von beidem seiend. Weit entfernt sogar von mir selbst seiend. Mich trennt die Melancholie mehr von mir selbst und anderen, als sie verbindet.

Mitgefühl, so meine Erfahrung, geht auch auf andere, "bodenständigere" Weise. Nachdenken über tiefere Strukturen ebenso. Sich mit sich selbst beschäftigen (das Kind im Kindergarten) ist für mich auch nicht gleichzusetzen mit melancholisch sein. Das alles ist im Text irgendwie so durcheinander geworfen, dass man den Eindruck bekommt, nur wer melancholisch ist, denkt über sich und die Welt nach, empfindet Mitleid, ist gerne allein. Oder wird am Ende Melancholie als genau das definiert? Ich habe ein etwas anderes Verständnis davon. Durchaus all jene Dinge beinhaltend, aber eben "mit noch was drauf": das, was comus als "süßes Leiden" bezeichnet. Es geht aber durchaus auch ohne das, ohne dass man gleich der sogenannten "Spaßgesellschaft" angehört. Finde das bissel schwarzweiß betrachtet.

Am besten gefallen mir eigentlich die letzten beiden Sätze:
Für den oberflächlichen Normalbürger wäre es ein großer Gewinn, die Tiefe der Melancholie wieder zu entdecken. So wie man manchem Melancholiker wünschen kann, die Leichtigkeit der Oberfläche wieder zu erforschen.
... auch wenn mir auffällt, dass hier "Tiefe" und "Leichtigkeit" einander gegenüber gestellt werden. Das Gegenteil von Leichtigkeit wäre für mich eher Schwere, und die passt für mich auch besser zur Melancholie. Ihr aber Tiefe zuzuschreiben, finde ich wieder anmaßend, eben als ob nur der Melancholiker "tiefer" blicken könnte als andere. Als ob Tiefe und Leichtigkeit zusammen nicht gingen.

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fred
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Beiträge: 24

Beitrag So., 30.03.2008, 03:30

Das heißt, die Melancholie bietet das breiteste Spektrum menschlichen Empfindens, das wir überhaupt im Menschen finden können.

ein schöner gedanke ... insbesondere bei solchen in ihrere höhe fast schon erhabenen gefühlen ist ja die trennlinie zur melancholie oft nur eine wenig scharfe. ich spreche von gefühlen, denen vllt auch 'freudentränen' nicht fern sind.
Ihr aber Tiefe zuzuschreiben, finde ich wieder anmaßend, eben als ob nur der Melancholiker "tiefer" blicken könnte als andere. Als ob Tiefe und Leichtigkeit zusammen nicht gingen.
ich hab den text jetzt nicht so gelesen -könnte mir aber fast ausdenken, dass einer solchen quelle so viel intention beim ausdruck nicht zuzumuten ist.
vllt ist auch gemeint, tiefere gefühle wären dem fühlenden innerhalb der melancholie disponibler als an der alltäglichen oberfläche.
thorn hat geschrieben:
comus hat geschrieben:Daher ich denke Melancholiker leiden heutzutage vor allem am Unverständnis der (Spass)Gesellschaft
Mal etwas provokant gefragt:Kann ein Melancholiker noch einer sein, wenn er von allen Seiten Verständnis bekommt?
gute frage. mal etwas kurz geantwortet: ja. melancholie ist für mich kein empfinden das nach anerkennung heischt (oder sich durch sie umkehrend beeinflussen läßt). für mich ist es ein sehr subjektives, das eo ipso nicht verstanden werden muss.
wenn melancholie also auch als reaktion auf gefühle der freude zu betrachten ist, kann man bestimmt auch melancholisch sein gerade weil man (besonders gut) verstanden wird. (z.b. das teilen tiefer einsichten usw.)
oder -zweitens- die melancholie verstärkt sich durch das also entgegengebrachte verstehen, das für sich ja auch ein mitfühlen ist.

ich glaube es ist weniger wichtig die reaktion auf die melancholie zu sehen, als vielmehr sie als reaktion zu sehen. das schließt an der ersten satz oben an. melancholie ist bestimmt (in weiten zügen) als gesamt-gesellschaftliche reaktion zu sehen; somit ein kind ihrer zeit.

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