Der Wunsch in Ruhe gelassen zu werden

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Pan_Dora
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Der Wunsch in Ruhe gelassen zu werden

Beitrag Di., 27.09.2011, 14:16

Hallo allerseits,

ich würde sagen, dass bei mir, wie bei vielen anderen Betroffenen wahrscheinlich auch, Ansätze zur sozialen Phobie schlichtweg bereits in meiner Persönlichkeitsstruktur von Kindheitsbeinen an angelegt waren. Ich war einfach schüchterner, habe von mir aus nie oder selten soziale Kontakte gesucht, und wenn es dann zu Bekanntschaften kam, fehlten mir einfach die notwendigen Fähigkeiten. Mir wurde deshalb immer signalisiert, ich wäre der langweiligste, wertloseste Mensch auf Erden und jede Minute in meiner Gegenwart wäre pures Leid für meinen Gegenüber. Ich habe dieses Bild, wie wahrscheinlich auch viele Andere, dann auch sehr früh übernommen und ein entsprechendes Selbstbild bzw. einen entsprechenden Selbstwert. Nun ist es aber so, dass meine eigene Verachtung mir selbst gegenüber vor allem in sozialen Situationen aktiviert wird. Ich bin im Gesicht des anderen geradezu wie besessen auf der Suche nach Signalen der Abneigung und kann kaum ein Gespräch führen ohne, dass ich das Ende inbrünstig herbeisehne. Mein Wunsch nach Gemeinschaft ist mittlerweile völlig abgetötet, ich meide oder "ertrage" andere Menschen nur noch, damit ich mit mir selbst überhaupt klar komme.

Das Problem ist nun, dass ich mit dieser Einstellung alles andere als gesellschaftskompatibel bin! Seit etwa einem Jahr versuche ich halbherzig meine popplige Bachelor-Arbeit abzuschließen (gerade fliegt ein neuer Abgabetermin an mir vorbei) und wenn ich mir selbst gegenüber ehrlich bin, hat das nichts mit dem Burnout oder den Depressionen, die mir meine Familie attestiert, zu tun, sondern es ist die Panik mit der Abgabe und dem Masterstudium bzw. Beruf wieder in Seminaren zu sitzen, Vorträge zu halten, mehr Hiwi-Jobs für die (mittlerweile zu Grabe getragene) wiss. Karriere zu machen und abends vor lauter Scham nach dutzenden Weinkrämpfen den Kopf noch tiefer in die Kloschüssel zu stecken als ich das ohnehin schon seit zehn Jahren tue.

Ich merke einfach, dass ich in der Hinsicht am Ende meiner Kräfte bin und mich nicht mehr mit mir so auseinandersetzen möchte. Ich ziehe ernsthaft in Erwägung mein Studium kurz vor Ende abzubrechen und Hartz4 zu beantragen, damit ich einfach bloß nichts mehr mit Menschen zu tun haben muss. Was mich davon abhält ist bisher mein Pflichtgefühl, dass ich niemandem auf der Tasche liegen will und bereit bin jede Arbeit zu machen, die keine soziale Kompetenz erfordert, aber das scheint aussichtslos. Im Grunde sehe ich für mich rational nur noch den Suizid als Ausweg und werde zunehmend verzweifelter.

Kennt das jemand? Diesen tiefen Wunsch danach nicht mehr von anderen behelligt zu werden, damit wenigstens die Chance besteht, dass man sich selbst ein bisschen mehr mögen kann? Ich trau mich nicht wieder zu einem Therapeute, ich habe Angst, mich nimmt keiner ernst. Angst vor Anderen ist schließlich ziemlich albern, aber das "sich zusammenreißen" der letzten Jahre macht mich nur noch kaputt.

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Hiob
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Beitrag Di., 27.09.2011, 18:26

Hallo Pandorra.

Ich denke schon, dass du es jetzt auf eigene Faust angehen solltest. Die Referenzstellen von Menschen, die von einem anderen eine Bezeichnung "Psychotherapeut" bekommen haben, hinter dir lassen und dich und deine Welt auf eigenes Risiko und eigenes Erleben kennenlernen kannst.

Die anderen Menschen um sich herum zu haben, bedeutet bei uns Zivilisationsmenschen eigentlich fast immer, dass man sein ICH hochhalten muss, die Personenmaske, also die Summe der Strategien, wie man auf Angriffe reagiert und wie man sich versucht Gutes oder Lust zu holen, also die Summe aus Vermeidungs- und Haben-Wollens-Strategien. Erst wenn man eine undefinierbar lange Zeit aus der Schusslinie ist, kann man m.E. nach und nach das was darunter ist, erleben, ohne dieses Verteidigen, Rechtfertigen...psychologisieren. Wenn man eine Sonnenblume mit dem Denkschatz eines Psychologen, Politikers, Lehrers betrachtet, verliert sie ihre Schönheit. Auch wenn sie vielleicht zum Nutzen anderer höher und höher wird. Es gibt diesen Nutzen nicht. Wer dich nicht in Ruhe lassen will, hat vielleicht ein Motiv, aber ich hab in 36 jahren kein Motiv erkennen können, was wirklich auf meiner Seite war...immer meinte der andere, dass er auf meiner Seite sei. Inzwischen, nach einigen Jahren Ruhe und relativ einfacher Lebensweise würde ich sagen, dass ich früher in einer ähnlichen Situation wie du war, und dass ich froh bin, mir wenn auch manchmal relativ hart...dann doch meine Ruhe verschafft habe.

Liebe Grüße
Hiob

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candle.
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Beitrag Di., 27.09.2011, 19:45

Hallo Pan_Dora!

Ich habe deinen Text etwas überflogen, bin aber beim "Hart IV" hängengeblieben und sage aus mir frei heraus, dass eine Bachelorarbeit weitaus einfacher ist als Hartz IV. Du glaubst nicht was du da um die Ohren hast und mußt dich leider mit Menschen auseinandersetzen, ob du wilst oder nicht.

Ich erahne dein Problem nicht, bin mir auch nicht sicher, ob es eine Sozialphobie ist oder was völlig anderes?

Und wie kommt deine Familie auf die Burn out Diagnose? Kürzlich hörte ich doch tatsächlich, dass die Diagnose schick wäre. Ist sehr anerkannt, weil man wirklich davon ausgeht, dass es so eine Managerkrankheit ist und so steht man öffentlich offenbar besser da. Naja, das war jetzt ein Exkurs.

Wie sieht es denn mit einer Selbsthilfegruppe aus? Wie sieht es mit stationären Aufenthalt oder Therapie bei dir aus?

Menschen kann man ja leider nicht aus dem Weg schaffen, aber an deinem Selbstwert könntest du arbeiten. Kannst du Erfolge denn für dich positiv wahrnehmen?

Lieben Gruß!
candle
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Hiob
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Beitrag Di., 27.09.2011, 20:38

Candle.

Wieso machst du dich Abhängig von Almosen, von Stütze? Kannst du nicht auch so leben, dich selbst versorgen? Ohne Systemsklave zu sein?

Fragt
Hiob

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Pan_Dora
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Beitrag Mi., 28.09.2011, 00:14

@Candle
Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie stark auf das Signalwort "Hartz 4" reagiert wird. Mein Vater lebt davon, meine Mutter war alleinerziehend und ohne Unterhaltszahlungen - ich weiß sehr wohl, was es bedeutet in dieser Richtung abhängig zu sein. War zugegebenermaßen aber auch sehr naiv ausgedrückt, vom Kopf her sind mir die dazwischenliegenden Nuancen auch bewusst. Meine Familie bzw. meine Mutter hat mich auch nicht in dem Sinne "diagnostiziert": diese fixe Idee hat sich bei ihr aber eingeschlichen, weil ich davor eine nach außen überdurchschnittliche Studentin mit Institutsnebenjob, Veröffentlichung etc war und vor dem ersten BA-Abgabetermin einen Hörsturz mit Tinnitusfolge bekommen habe. Ich will gar nichts über Burn out als Diagnose sagen, dafür fehlt mir die Kompetenz, sondern habe damit zu sagen versucht, dass es sehr schwierig ist, meine Sorge so zu kommunizieren, dass sie mein Gegenüber in eine passende kognitive Schublade stecken kann. Ob eine echte Sozialphobie besteht, weiß ich auch nicht, sozialphobische Tendenzen wurden mir zumindest mal von einem Therapeuten attestiert und ich kann mich mit der Beschreibung in Lehrbücher, Erfahrungsberichten usw. einfach am besten identifizieren. Wie einfach oder wie schwer eine Bachelorarbeit ist, kann ich ebenfalls nicht sagen - für mich ist es momentan unüberwindbar schwer, weil ich damit subjektiv für mich nichts gewinne. Arbeiten schreiben sind stets ein große Quälerei, ohne Motivation kann ich mich nicht dafür aufraffen und mein Körper fängt auch an zu streiken. Stationäre Therapie hab ich vor etwa 6 Jahren wegen meiner Bulimie gemacht - die waren dort zwar sehr nett, hat aber nichts gebracht weil es dort nur um Gewicht und Essverhalten ging. War damals auch nötig, hat aber langfristig wenig bis nichts gebracht und die Bulimie lief seitdem so nebenher. So richtig Erfolge fühle ich auch nicht, ich kann mich einfach schon lange an nichts mehr freuen und will nur noch, dass dieses Elend endlich ein Ende findet.

@Hiob
Ich habe Probleme, dass was du schreibst konkret zu verstehen? Autarkie ist mir jedenfalls schlichtweg nicht möglich.Für mich gewinnt eine Sonnenblume zudem sehr wohl mit jeder zusätzlichen Fach-Perspektive an Schönheit. Jede hat einen anderen Wortschatz und richtet die Wahrnehmung auf einen anderen Aspekt...

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Hideki Ryuga
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Beitrag So., 02.10.2011, 21:12

Hallo Pan_Dora,


beim Durchlesen deines Threads sind mir einige Parallelen zu mir aufgefallen. Ich habe auch erhebliche Probleme bei der Interaktion mit meinen Mitmenschen, was sich bei mir bereits in der Kindheit gezeigt hat (extreme Schüchternheit, etc.). Auf Grund dieser Problematik war ich nicht in der Lage nach meiner Ausbildung weiterzuarbeiten. Daher habe ich mich dazu entschieden das Abitur nachzuholen, um anschließend studieren zu können. Ich mache also auch nichts anderes, als wie du es beschrieben hast, ich versuche mich aus der Gesellschaft soweit wie möglich herauszuhalten, in der Hoffnung, dass ich in einigen Jahren besser mit meiner Situation umgehen kann.

Die Besessenheit, die du beschreibst, ist mir leider zu gut bekannt, auch ich analysieren die Mimik, Gestik und das gesprochene Wort meines Gegenübers auf der Suche nach befürchteter Ablehnung/Abneigung. Daher versuche ich meine soziale Interaktion so gering wie möglich zu halten. Auch wenn sozialer Kontakt aus rein rationaler Sicht gut verläuft, beschleicht mich immer ein gewaltiges Gefühl von Unbehagen, was in mir den Drang nach Flucht (sozialer Rückzug) auslöst.

In mir keimt immer wieder der Wunsch nach einem abgeschiedenen Leben ohne Kontakt zu anderen Menschen auf, aber von Hartz 4 abhängig zu sein wäre für mich vermutlich keine Option, da erscheint mir sogar der Suizid wesentlich attraktiver.

Ist der Wunsch nach Ruhe und Einsamkeit permanent vorhanden? Meine Bedürfnisse schwanken ständig zwischen den Extremen von absoluter Abgeschiedenheit und dem Begehren nach vollkommener sozialer Integration. Geht es dir in diesem Punkt wie mir?

Ja ich kenne den Wunsch nach Einsamkeit und Abgrenzung von der Außenwelt, damit mein Selbsthass und mein Leiden geringer werden. Für eine Zeit funktioniert das auch ganz gut, aber die wahren Gefühle und die innersten Wünsche nach sozialer Akzeptanz und Integration kommen früher oder später immer zurück ans Tageslicht.

Warum traust du dich nicht wieder zu einem Therapeuten zu gehen? Hast du Angst davor, er könnte dich ebenfalls nicht ernst nehmen?

Angst vor Anderen ist alles andere als albern, es ist ein ernsthaftes Problem in unserer Gesellschaft.

Kann ich nachvollziehen, dass die das Zusammenreißen im Laufe der Zeit zusehends zermürbt. Hast du Möglichkeiten, wie du deine Kraftreserven regenerieren kannst?

Jetzt habe ich mehr über meine eigene Problematik geschrieben, anstatt dir zu helfen. Könntest du deine Problematik noch etwas detaillierter beschreiben? Ist deine soziale Phobie aktiver oder passiver Natur?

Wenn es dir hilft und du Interesse hast können wir uns gerne etwas über diese Thematik austauschen.


Gruß,

Hideki
"Das Leben ist zu kostbar, um es dem Schicksal zu überlassen." - Walter Moers

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Chantall
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Beitrag Fr., 07.10.2011, 17:01

Ich kann DIch sehr gut verstehen.

Und wenn Harz4 nun eine wirklich schöne Alternative wäre, würde ich sagen mache es. Aber ich glaube, dass es denen auch nicht gut geht und ich weiß, dass man sich an Menschen wohl oder übel wieder gewöhnen kann.
Mit Therapie vielleicht sogar einigermaßen mit ihnen klar kommen kann. Wie wäre es mit kleinen Zielen: In der Uni brauchst Du nicht sooo viel Kontakt oder? Ist ja mehr zuhören und wieder gehen. Und in der Arbeit suche Dir 1-2 Leute mit denen Du bisschen Kontakt hast und fertig. Das reicht doch für den Anfang.

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Onyx
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Beitrag Fr., 07.10.2011, 20:47

Pan_Dora hat geschrieben: Kennt das jemand? Diesen tiefen Wunsch danach nicht mehr von anderen behelligt zu werden, damit wenigstens die Chance besteht, dass man sich selbst ein bisschen mehr mögen kann? Ich trau mich nicht wieder zu einem Therapeute, ich habe Angst, mich nimmt keiner ernst. Angst vor Anderen ist schließlich ziemlich albern, aber das "sich zusammenreißen" der letzten Jahre macht mich nur noch kaputt.
Ja, ich kenne das. Das was du geschrieben hast, hätte ich vor ein paar Jahren genauso beschreiben können.
Ich habe während meines gesamten Bachelor-Studiums eine Verhaltenstherapie gemacht.
Also mir hat das schon sehr viel gebracht. Vor allem weil so eine Verhaltenstherapie so schön rational ist. Ich habe da gerlernt, meine Gedanken auf eine bestimmte Art und Weise steuern zu können, so dass es mir besser geht. Ich glaube, dass man das allein nur sehr schwer bis gar nicht schaffen kann. Weil man einfach in dieser (seiner) Realität so stark gefangen ist.

Pan_Dora hat geschrieben:Ich habe dieses Bild, wie wahrscheinlich auch viele Andere, dann auch sehr früh übernommen und ein entsprechendes Selbstbild bzw. einen entsprechenden Selbstwert.
Pan_Dora hat geschrieben:Mir wurde deshalb immer signalisiert, ich wäre der langweiligste, wertloseste Mensch auf Erden und jede Minute in meiner Gegenwart wäre pures Leid für meinen Gegenüber.
usw.

Also ich denke, ich hätte das Studium ohne Therapie nicht geschafft und ich studiere immer noch (jetzt im Master). Und es fällt mir sehr viel leichter - auch ohne Therapie.
Hiob hat geschrieben:Ich trau mich nicht wieder zu einem Therapeute, ich habe Angst, mich nimmt keiner ernst.
Ich glaub' eher, dass du dich nicht ernst nehmen kannst und dies auf alle Anderen überträgt/projizierst. Das dich ein Therapeut nicht ernst nimmt, wenn du dein Studium fast aufgeben willst, es dir schlecht geht, du Suizidgedanken hast usw. das halte ich zumindest für ziemlich ausgeschlossen.

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