Erweiterter Selbstmord- Spielen die Medien eine Rolle?

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metropolis
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Erweiterter Selbstmord- Spielen die Medien eine Rolle?

Beitrag Sa., 03.04.2010, 18:51

Liebe Forumsgemeinde,

Immer wieder wird von Vätern (seltener Müttern) berichtet, die ihre gesamte Familie und sich selbst aufgrund von Ehe- oder Scheidungskonflikten auslöschen. Erweiterter Selbstmord wird dies genannt.

Was sind die Beweggründe, die einen dazu treiben, nicht nur sich selbst umzubringen sondern auch die Kinder mit in den Tod zu reißen?

Tritt dies tatsächlich häufiger auf als früher oder wird nur mehr in den Medien darüber berichtet? Mir kommt es so vor, als würden sich diese Tragödien in den letzten Jahren häufen.

Kann es sein, dass suizidale und verzweifelte Menschen durch die Medienberichte erst auf die Idee gebracht werden, einen erweiterten Selbstmord zu begehen. Entsteht durch die mediale Präsens ein Nachahmeffekt, der den Tätern ein Weg eröffnet, wenn sie keine andere Lösung mehr sehen?

metropolis
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Josepheros
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Beitrag Sa., 03.04.2010, 19:16

Den Gedanken hatte ich auch schon. Man kann und soll die Medien nicht daran hindern, berichtzuerstatten. Aber das Wort müsste nicht sein. Es ist nämlich keineswegs erweiterter Selbstmord, sondern es ist ganz gewöhnlicher Mord (verbunden mit Selbstmord). Wäre schön, wenn die Medien es so formulieren würden, dann klänge es weniger ehrenhaft.

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Carry
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Beitrag Sa., 03.04.2010, 19:25

Hallo metropolis,
Immer wieder wird von Vätern (seltener Müttern) berichtet, die ihre gesamte Familie und sich selbst aufgrund von Ehe- oder Scheidungskonflikten auslöschen.
Tatsächlich handelt es sich meist um verheiratete Mütter zwischen 30 und 40 Jahren mit einer schweren Depression, die in ihrer krankheitsbedingten Trostlosigkeit ihre meist minderjährigen Kinder "erlösen" wollen.
Diese Art des Suizids nennt man wirklich erweiterter Suizid obwohl die Tötung anderer kein Suizid ist.
Tritt dies tatsächlich häufiger auf als früher oder wird nur mehr in den Medien darüber berichtet?
Ich denke nicht, daß diese Form des Suizids heute häufiger auftritt als früher. Ich denke früher ( 30 jahre oder mehr) da gab es einfach nicht diese Medienvielfalt. Es gab in der Regel drei Fernsehkanäle und wer im Zonenrandgebiet wohnte konnte evtl. noch DDR 1 und DDR 2 empfangen. In den Nachrichten wurden solche Fälle ( wenn sie nicht gerade besonders spektakulär waren ) meist gar nicht erwähnt. Das ist heute durch die Vielfalt der Sender denke ich anders geworden. Die Privaten Sender nehmen gern jede Tragödie mit.
Kann es sein, dass suizidale und verzweifelte Menschen durch die Medienberichte erst auf die Idee gebracht werden, einen erweiterten Selbstmord zu begehen.
Natürlich könnte das sein, aber in meinen Augen werden Menschen nicht durch irgendwen oder irgendwas auf die Idee gebracht sich und Mitmenschen zu töten sondern ich glaube, daß sie in einer so -für sie selbst- aussichtslosen Lage sind, daß das Leben schwerer ist als das Sterben.
@Josepheros
...dann klänge es weniger ehrenhaft.
da sprichst du mir aus der Seele

Carry
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Peter Sirius

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metropolis
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Beitrag So., 11.04.2010, 21:18

Josepheros hat geschrieben:Den Gedanken hatte ich auch schon. Man kann und soll die Medien nicht daran hindern, berichtzuerstatten. Aber das Wort müsste nicht sein. Es ist nämlich keineswegs erweiterter Selbstmord, sondern es ist ganz gewöhnlicher Mord (verbunden mit Selbstmord). Wäre schön, wenn die Medien es so formulieren würden, dann klänge es weniger ehrenhaft.
Mir kam beispielsweise der Gedanke, dass dies zu recht zum Unwort des Jahres gewählt werden sollte, da es verharmlosend ist. Und siehe da, es war 2006 Unwort des Jahres in der Schweiz.

http://de.wikipedia.org/wiki/Unwort#Unw ... schland.29
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Eremit
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Beitrag Mo., 12.04.2010, 01:43

metropolis hat geschrieben:Was sind die Beweggründe, die einen dazu treiben, nicht nur sich selbst umzubringen sondern auch die Kinder mit in den Tod zu reißen?
Meistens geht es um Geld bzw. Schulden, d.h. der Familie wird ein Leben in Armut und das damit verbundene Auseinanderbrechen der Familie nicht zugemutet...
metropolis hat geschrieben:Entsteht durch die mediale Präsens ein Nachahmeffekt, der den Tätern ein Weg eröffnet, wenn sie keine andere Lösung mehr sehen?
Unwahrscheinlich. Das hat es schon vor Erfindung des Fernsehens und der Zeitungen gegeben, ist sogar dokumentiert.
Carry hat geschrieben:Tatsächlich handelt es sich meist um verheiratete Mütter zwischen 30 und 40 Jahren mit einer schweren Depression, die in ihrer krankheitsbedingten Trostlosigkeit ihre meist minderjährigen Kinder "erlösen" wollen.
Stimmt, mindestens 95% aller Kindstötungen gehen auf das Konto der Mütter.

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Mirielle
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Beitrag Mo., 12.04.2010, 08:13

Eremit hat geschrieben: Stimmt, mindestens 95% aller Kindstötungen gehen auf das Konto der Mütter.
Woher hast du denn diese Zahl? Würde mich interessieren.
*~~*~~*~~*~~*~~*~~*~~*~~*~~*

"Die größte Macht hat wohl das richtige Wort zur richtigen Zeit..."
Mark Twain

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Elfchen
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Beitrag Mo., 12.04.2010, 08:29

Liebe metropolis

Ich weiss gar nicht recht, wie ich anfangen soll.

Ich selber hatte diese Gedanken auch schon. Wenn man total verzweifelt ist, alles um einen nur noch schwarz und man total in einem Loch sitzt, wenn man keinen Menschen mehr hat.... dann sind mir schon solche Gedanken gekommen.

Nun- warum die Kinder "mitnehmen"... bei mir war es so, dass ich diese Welt als Ort empfand, der kalt, brutal und schlecht ist. Ich hatte Angst vor allem und jedem. Ich wollte meine Kinder dem nicht aussetzen, sie nicht alleine lassen. Dieser Ort, wo man nur leidet.

Dass ich es nicht getan habe hängt wohl damit zusammen, dass ich weiss, dass das Leben im Fluss ist und es immer wieder Auswege gibt. Nun sind meine Kinder auch sehr sensibel, und ich habe Angst, dass sie auch am Leben zerbrechen könnten. Wir arbeiten daran, dass sie mehr Kraft und Boden finden.
Offenbar kann man schwer etwas weitergeben, was man selber nicht hatte, wenn die genetische Konstellation auch nicht rosig ist.

Mich persönlich haben Medien immer kalt gelassen. Es war meine innere Not, die mich zu solchen Gedanken trieb.
ich hoffe, dich erschrecken meine Gedanken nicht.
glg
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

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Carry
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Beitrag So., 18.04.2010, 17:22

Liebe Elfchen,
Nun- warum die Kinder "mitnehmen"... bei mir war es so, dass ich diese Welt als Ort empfand, der kalt, brutal und schlecht ist. Ich hatte Angst vor allem und jedem. Ich wollte meine Kinder dem nicht aussetzen, sie nicht alleine lassen. Dieser Ort, wo man nur leidet.
hier schlagen zwei Herzen in meiner Brust :
ich fühle deine innere Not und kann sie verstehen,... aber noch mehr fühle ich die Ungerechtigkeit den Kindern gegenüber. Nichts und Niemand hat das Recht für einen anderen Menschen zu entscheiden ob das Leben lebenswert ist oder nicht. Niemand, niemand, niemand !!!!!!!!!!!!!!

Carry
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Eremit
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Beitrag Mo., 19.04.2010, 16:01

Mirielle hat geschrieben:Woher hast du denn diese Zahl? Würde mich interessieren.
Aus amerikanischen, französischen, britischen und deutschen Kriminalstatistiken. Das Internet ist voll von solchen Daten.
Elfchen hat geschrieben:Nun- warum die Kinder "mitnehmen"... bei mir war es so, dass ich diese Welt als Ort empfand, der kalt, brutal und schlecht ist. Ich hatte Angst vor allem und jedem. Ich wollte meine Kinder dem nicht aussetzen, sie nicht alleine lassen. Dieser Ort, wo man nur leidet.
Interessant. Im Grunde genommen hast Du somit Deine Kinder nicht als eigenständige Wesen mit eigenem Potenzial (glücklich zu werden) angesehen, sondern nur als Erweiterung Deiner Selbst - sprich, Deines Leids (welches als vollkommen wahrgenommen wurde). Gemeinhin ist es bei Menschen in solchen Situationen auch so, daß sie sich emotional abkapseln und nicht imstande sind, andere Menschen zu "fühlen".
Elfchen hat geschrieben:Nun sind meine Kinder auch sehr sensibel, und ich habe Angst, dass sie auch am Leben zerbrechen könnten.
Sensibilität macht auch empfänglich für die positiven Seiten des Lebens.

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today
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Beitrag Mo., 19.04.2010, 21:20

Für mich kommt da schützen wollen zum Ausdruck - schützen wollen von Schutzbedürftigen.

Woher willst du den Glauben für deine Kinder nehmen, wenn der in dir zerstört wurde?
Ich glaube nicht, dass einer, der nicht in dieser Situation war, dieses Ausmaß an Zerstörung überhaupt ahnt.

Ansonsten Elfchen:
Eins der berührendsten Dinge, die ich sah, war eine Sonnenblume, die ganz allein auf einer Schrotthalde wuchs. Sie ist unter diesen unwirtlichen Bedingungen sehr klein geblieben und sah völlig zerzaust aus.
Aber sie setzte eine Blüte an, nur eine ganz kleine, wurde reif, und die Ausbeute an Sonnenblumenkernen war verschwindend gering, und dann welkte und verging sie.

Als ich sie sah, dachte ich, die wär was für die Vase, weil hier wird aus ihr ja eh nix.
Ich hab sie stehen gelassen.
Und sah ihr zu, wie sie so blühte, reifte und verging. Sie wurde für mich zur schönsten Sonnenblume, die ich je gesehen habe.

Es ist Jahre her und noch immer "sehe" ich sie.
Sie hat sich erfüllt.
und tschüss, das ist mir zu viel wortzensur hier

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Carry
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Beitrag Di., 20.04.2010, 07:36

Ich glaube nicht, dass einer, der nicht in dieser Situation war, dieses Ausmaß an Zerstörung überhaupt ahnt.
Da gebe ich dir Recht, today.
Doch ich kenne das Ausmaß an Zerstörung...

Carry
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gompert
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Beiträge: 493

Beitrag Di., 20.04.2010, 09:41

Sollte man anders über eine depressive Mutter urteilen die sich und ihre Kinder aus Kummer umbringt als über einen abservierten Vater der aus Wut und Eifersucht handelt? Wir neigen wohl alle dazu. Ob Gott auch so urteilt?

Mir würde auch in allergrößter seelischer Not die Geschichte helfen. Ich könnte mich unter keinen Umständen so tief entwürdigen, dass ich in die Fußstapfen Joseph Goebbels träte. Als ich die Bilder seiner toten Kinder sah, wusste ich für immer dass da ein Verbrechen begangen war das auch durch den eigenen Tod nicht zu sühnen ist.
Staunend liest's der anbetroffne Chef......

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Elfchen
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Beitrag Di., 20.04.2010, 10:28

Lieber Eremit
Eremit hat geschrieben:Im Grunde genommen hast Du somit Deine Kinder nicht als eigenständige Wesen mit eigenem Potenzial (glücklich zu werden) angesehen, sondern nur als Erweiterung Deiner Selbst - sprich, Deines Leids....
Da hast du total Recht lieber Eremit.
Die Geschichte liegt auch lange zurück und die Kinder waren noch sehr klein. Heute fühle ich mich ganz anders und würde sowas niemals befürworten. Damals ging mir halt so einiges durch den Kopf, und wenn die Verzweiflung so gross ist... es waren ja nur Gedanken.
Was ich zum Ausdruck bringen wollte war vielmehr, dass ich gewisse Gedanken verstehen kann.

lg
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Elfchen
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Beitrag Di., 20.04.2010, 10:32

Liebe Today
today hat geschrieben:Für mich kommt da schützen wollen zum Ausdruck - schützen wollen von Schutzbedürftigen.
Da hast du direkt in mein Herz gesehen....
Danke auch für das Bild mit der Sonnenblume. Mein Sohn (heute 20 1/2 Jahre), befasst sich sehr mit der Pflanze Welwitschia mirabilis. Vielleicht magst du mal googeln.
Seine Erklärung dafür: schau mal, unter welchen Bedingungen diese Pflanze gedeiht....

Danke dir!
glg
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today
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Beitrag Di., 20.04.2010, 16:08

@Carry
Mutlosigkeit verurteilt man mit dem Mut, den man selbst noch nicht verloren hat. Meine ich.

@Gompert
Wer weiß, vielleicht hat Goebbels ja u.a. die Strafe gefürchtet. Grausamkeit. Dass, das, was er selber angetan hat, nun ihm samt Familie bevorsteht.

@Elfchen
Ja.

"Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle." Kafka
und tschüss, das ist mir zu viel wortzensur hier

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