Geziehlt projizieren, oder: sich die Seele frei reden.

[gompert]

Vor langer Zeit gab es eine kontroversielle Bewegung namens Est (Erhard Seminar Training). Ich habe an zwei dieser trainings teilgenommen. Neulich fragte jemand was mir das gebracht hatte. Erst Tage später wurde mir bewusst dass ein ganz tolles Ereignis wohl das wichtigste war.

Ich war mit einem WG-Genossen dort und man hat uns eine einfache Übung machen lassen. Es ist eigentlich ein auf der Hand liegendes, simples Rollenspiel um heftige Gefühle zu neutralisieren. Vorher wird bestimmt wer von zweien die Hauptperson A ist die ihr Problem auf die andere Person B projiziert. Man sitzt einander sehr nah gegenüber, die Knie dürfen sich berühren, müssen aber nicht. Man kann zuerst die Augen zu machen. Dann beschreibt A seine Gefühle und B reagiert nur wenn angebracht und nur verständnisvoll.

Ich habe damit erst später eine wirklich tolle Erfahrung gemacht. Mein viel älterer Bruder hatte sich totgesoffen. Ich hatte ihm ein Jahr zuvor einen Aufenthalt in einer Entzugsklinik bezahlt, den er abgebrochen hatte. Sein Tod hatte mich mit sehr gemischten heftigen Gefühlen zurückgelassen, Ängsten, Vorwürfen usw. und nicht zuletzt meiner Liebe für ihn. Ich hatte als Student die Beerdigung veranlassen müssen, noch dazu in einem anderen Land. Die Polizei dort wollte die Leiche nicht freigeben, da man bestimmte Vermutungen hegte die man mir nicht mitteilte. Ich wurde sehr schroffen Verhören unterzogen die ich nur aus Filmen über den 2.WK kannte. Zwei Wochen war ich in dieser hoffnungslosen Stadt durch den dreckigen Schnee von Behörde zu Behörde gegangen.

Mein WG-Genosse saβ mir gegenüber, ich schloss meine Augen und ich nannte ihn beim Namen meines Bruders. Er antwortete nur kurz und einladend. Dass ich weinen würde, war klar. Wir kannten das von diesem training und waren der Scham vorbei. Dann redete ich mir eigentlich von selbst meinen ganzen Frust von der Seele, von den frühesten Erinnerungen meiner Jugend bis zum letzten. Ich hatte ihn gehasst da er mich als Kind terrorisierte und später geliebt als er sich doch menschlicher zeigte. Die Session mag eine ganze Stunde gedauert haben. Dann war es offensichtlich fertig und vorbei! Ich hab den Freund umarmt, mich bedankt und ich spürte dass mir ein enormer Stein vom Herzen gefallen war.

Ich erzähle es eigentlich da es eine wirkliche Veränderung war und eine bleibende Erleichterung. Und ich frage mich warum sowas in den herkömmlichen Therapien nicht praktiziert wird. Kennt jemand diese oder ähnliche Methoden?

Lieben Gruβ vom Nordseestrand,

Gompy.

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[Soli]

Hi,
ich habe leider keine derartige Erfahrung, aber es hört sich für mich sehr wirkungsvoll an.


Soli

[MrN]

Hallo gompert,
klingt ja phantastisch!!!

"Vor langer Zeit" heißt aber, das ist jetzt schon ein Weilchen her, oder? Jahre? Wie viele Jahre???

Zum "Warum nicht?!" in der Psychotherapie würde ich sagen, wohl jeder Analytiker würde sich freuen, wenn es bei ihm auf der Couch so laufen würde. Ich denke, der Grund dafür, daß es nicht (oder nur ausnahmsweise) so ist, liegt darin, daß die Wirkungen von Fall zu Fall verschieden sein können und möglicherweise vom Therapeuten schlecht kontrolliert werden können. Jedenfalls bedürfte es dazu Studien, und die sind mühsam und zeitaufwendig. Deshalb wird da immer eine Lücke zwischen "wirksam" und "anerkannt" bleiben.

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