Vater mit Demenz im Pflegeheim
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Was für ein Tag. Mein Vater isst immer noch so gut wie gar nichts. Ich habe heute ein langes Gespräch mit der Leiterin des Pflegedienstes gehabt und wir haben uns auf ein Verfahren geeinigt, durch das ich das Heim von der Pflicht entbinden kann, ihn künstlich zu ernähren. Leider hat er ja keine Patientenverfügung. Aber ich weiß, dass er sterben möchte. Fast jeden Tag erzählt er mir hoffnungsfroh, dass er ja morgen vielleicht gar nicht mehr die Augen aufmachen müsse. Ich verstehe das. Er quält sich fürchterlich. Corona geht nicht weg. Er ist voller Schleim, verschluckt sich dauernd und hat Magenschmerzen - wahrscheinlich Sodbrennen, weil er nichts isst aber Literweise Cola trinkt, das einzige Getränk, das er akzeptiert. Eine ewige Zwickmühle. Heute habe ich ihm Talcit und Pantoprazol besorgt. Das hat gleich ein wenig Linderung gebracht. Außerdem war heute endlich die Ärztin da, die ihn gründlich untersucht hat und ihm dann genau das verschrieb.
Nächste Woche haben wir einen Termin mit einer Palliativschwester und einem Palliativarzt.
Ich fühle mich, als hätte ich im Bergwerk Steine geklopft, dabei aber auch einiges weggeschafft. Es ist gut, dass diese Dinge in Gang kommen und ich nicht mehr so alleine mit der Situation bin.
Außerdem war ich heute bei meiner Analytiker. Das war schön. Und hilfreich. In ihrem Raum hat sich nichts verändert. Es war wie nach Hause kommen.
Sie hat gleich einiges erkannt und auf den Punkt gebracht, an dem ich ziemlich herumknabbere. Ich sei nicht genug getrennt von meinem Vater, sagte sie. Alles, was er fühle, fühlte ich auch und dabei verlöre ich mich. Das sei weder für ihn noch für mich gut. Das könne ich nur in mir selber lösen. Wie? Ganz einfach. Registrieren, benennen, einordnen. Shit! Weiß ich doch alles.
Außerdem hat sie mir noch einmal ganz ausführlich erklärt, wie und warum mich mein Vater so triggere. Ich sei in der Familie immer schon dafür zuständig gewesen, seine Gefühle zu erkennen und alles aus dem Weg zu räumen, was ihn stören könne. Dabei sei ich mal zum Monster, mal zur idealen Tochter gemacht worden. Genau diese Situation rufe mein Vater jetzt wieder auf den Plan, indem er mich mal erschlagen will, mal zum sanften Engel stilisiert. Beides sei ich nicht. Ich sei gut genug und habe mir offenbar einiges an Mühe gemacht, um einen guten Platz für ihn zu finden. Daran solle ich mich halten und mich nicht in seine destruktiven Dynamiken reinziehen lassen.
Das fühlt sich richtig und gut an. Die letzten Tage liegt mir schwer auf dem Magen, dass mein Vater heftig über seine Freundin und seinen Sohn herzieht, während ich die Einzige und die Beste sei. Ich kann gar nicht sagen, wie eklig und wie fürchterlich ich das finde. Jetzt weiß ich warum.
Ich will versuchen, mir immer wieder die Trennung ins Gedächtnis zu rufen. Es darf ihm schlecht gehen. Er hat allen Grund der Welt dazu. Aber ich muss dann nicht das Monster sein.
Puh. Mal sehn. Anfang des Jahres habe ich noch einen Termin. Gut, dass es die Ziege gibt.
Nächste Woche haben wir einen Termin mit einer Palliativschwester und einem Palliativarzt.
Ich fühle mich, als hätte ich im Bergwerk Steine geklopft, dabei aber auch einiges weggeschafft. Es ist gut, dass diese Dinge in Gang kommen und ich nicht mehr so alleine mit der Situation bin.
Außerdem war ich heute bei meiner Analytiker. Das war schön. Und hilfreich. In ihrem Raum hat sich nichts verändert. Es war wie nach Hause kommen.
Sie hat gleich einiges erkannt und auf den Punkt gebracht, an dem ich ziemlich herumknabbere. Ich sei nicht genug getrennt von meinem Vater, sagte sie. Alles, was er fühle, fühlte ich auch und dabei verlöre ich mich. Das sei weder für ihn noch für mich gut. Das könne ich nur in mir selber lösen. Wie? Ganz einfach. Registrieren, benennen, einordnen. Shit! Weiß ich doch alles.
Außerdem hat sie mir noch einmal ganz ausführlich erklärt, wie und warum mich mein Vater so triggere. Ich sei in der Familie immer schon dafür zuständig gewesen, seine Gefühle zu erkennen und alles aus dem Weg zu räumen, was ihn stören könne. Dabei sei ich mal zum Monster, mal zur idealen Tochter gemacht worden. Genau diese Situation rufe mein Vater jetzt wieder auf den Plan, indem er mich mal erschlagen will, mal zum sanften Engel stilisiert. Beides sei ich nicht. Ich sei gut genug und habe mir offenbar einiges an Mühe gemacht, um einen guten Platz für ihn zu finden. Daran solle ich mich halten und mich nicht in seine destruktiven Dynamiken reinziehen lassen.
Das fühlt sich richtig und gut an. Die letzten Tage liegt mir schwer auf dem Magen, dass mein Vater heftig über seine Freundin und seinen Sohn herzieht, während ich die Einzige und die Beste sei. Ich kann gar nicht sagen, wie eklig und wie fürchterlich ich das finde. Jetzt weiß ich warum.
Ich will versuchen, mir immer wieder die Trennung ins Gedächtnis zu rufen. Es darf ihm schlecht gehen. Er hat allen Grund der Welt dazu. Aber ich muss dann nicht das Monster sein.
Puh. Mal sehn. Anfang des Jahres habe ich noch einen Termin. Gut, dass es die Ziege gibt.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Ich danke der Ziege! Ich habe einiges von dem, was sie dir gesagt hat, auch gedacht - aber hätte es als übergriffig empfunden, das zu schreiben, weil ich dich noch nicht in persona erlebt habe, aber die Ziege kennt ihr ziegenkind wirklich.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer
Hallo ziegenkind,
erstmal: mich berührt dieser Faden sehr.
Trotzdem, eine Frage, OT, zu diesem Abschnitt:
Gruß
alatan
erstmal: mich berührt dieser Faden sehr.
Trotzdem, eine Frage, OT, zu diesem Abschnitt:
Inwieweit ist das für dich therapeutisch hilfreich, insbesondere da du das doch weisst? Meinst du, dieser Problem der "Trennung" kognitiv lösen zu können?ziegenkind hat geschrieben: ↑Mo., 11.12.2023, 19:43 Sie hat gleich einiges erkannt und auf den Punkt gebracht, an dem ich ziemlich herumknabbere. Ich sei nicht genug getrennt von meinem Vater, sagte sie. Alles, was er fühle, fühlte ich auch und dabei verlöre ich mich. Das sei weder für ihn noch für mich gut. Das könne ich nur in mir selber lösen. Wie? Ganz einfach. Registrieren, benennen, einordnen. Shit! Weiß ich doch alles.
Gruß
alatan
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Ich glaube wirklich, es löst sich ein wenig in dem Moment, in dem man es benennt ohne sich dafür zu verurteilen, Alaran. So erlebe ich es. Wobei das wohlwollende Verständnis für einen selbst genauso wichtig und schwierig ist, wie das erkennen.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Mit meinem Vater geht es bergab. Ich glaube, er hat eine .Bindehautentzündung, die er dadurch verschärft, dass er dauernd versucht, sich mit seinen nicht immer sonderlich sauberen Fingern den roten Knopf zu entfernen, den er glaubt im Auge zu haben. Es tut so weh, mit ansehen zu müssen, wie er sich selber Schmerzen zufügt. Ich weiß nicht, wie ich über die Feiertage einen Augenarzt ins Pflegeheim bekommen soll.
Gleichzeitig beobachte ich spannende Parallelen zwischen seinen und meinen inneren Bildern. Er hat viel Angstdavor, dass die man ihn auslachen könnte. Wie ich das kenne. Heute hat er ganz wütend meinen Mann angefahren und ihm vorgehalten, auch er würde mal alt. Da hab ich gemerkt, er ist weiter als ich es lange war und kann sich wenigstens empören gegen das vermeintliche Lachen der anderen.
Neuerdings erzählt er mir zudem, von ausgehungerten 10 jährigen Kindern, die durch die Zimmer zögen und klauten. Er habe versucht sie zu verfolgen, sie aber dann auf den Bahngleisen verloren. Das erinnert mich an einen Traum, den ich in meiner Analyse immer wieder hatte. Ich zog in eine Wohnung, die auf den ersten Blick groß und schön war. Auf den zweiten Blick war ein Loch in der Wand, das auf unterirdische Gleise führte. Von dort waren zwei ausgehungerte Kinder mit Steinen nach mir.
Gleichzeitig beobachte ich spannende Parallelen zwischen seinen und meinen inneren Bildern. Er hat viel Angstdavor, dass die man ihn auslachen könnte. Wie ich das kenne. Heute hat er ganz wütend meinen Mann angefahren und ihm vorgehalten, auch er würde mal alt. Da hab ich gemerkt, er ist weiter als ich es lange war und kann sich wenigstens empören gegen das vermeintliche Lachen der anderen.
Neuerdings erzählt er mir zudem, von ausgehungerten 10 jährigen Kindern, die durch die Zimmer zögen und klauten. Er habe versucht sie zu verfolgen, sie aber dann auf den Bahngleisen verloren. Das erinnert mich an einen Traum, den ich in meiner Analyse immer wieder hatte. Ich zog in eine Wohnung, die auf den ersten Blick groß und schön war. Auf den zweiten Blick war ein Loch in der Wand, das auf unterirdische Gleise führte. Von dort waren zwei ausgehungerte Kinder mit Steinen nach mir.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Vielleicht kannst du ihm aus der Apotheke Posiformin besorgen. Das beste freiverkäufliche Mittel bei Bindehautentzündung, leider schwer lieferbar die letzte Zeit.
Trotz allem Frohe Weihnachten!
Trotz allem Frohe Weihnachten!
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)
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Danke Dir, Candy. Das will ich gleich versuchen.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Hallo ziegenkind,
vielleicht ist dieser Gedanke abwegig, aber ich möchte ihn dennoch äußern: Was meinst du, könnte man den ausgehungerten Kindern etwas hinstellen, was sie mögen würden?
Dein Vater hat wahrscheinlich Kriegserlebnisse (?) nicht verarbeitet, oder? Wie wäre es, den Zehnjährigen Schokolade, Obst, Brot und eine Salami hinzulegen, dazu vielleicht warme Socken und Handschuhe, einen Comic und ein Stofftier?
Mein Vater hat solche kindgerechten Angebote damals gern angenommen. Ich hatte ihm ein weiches Kuschelherz gehäkelt, das dann auch mit ihm in den Sarg kam.
Ich habe die Vorstellung, dass spät im Leben, wenn die Grenze zwischen den Welten ganz dünn wird, das Kind von früher leichter erreicht werden kann. Und wenn der Zehnjährige versorgt ist, kann er vielleicht auch aufhören, mit Steinen nach seiner späteren Tochter zu werfen.
Alles Liebe.
vielleicht ist dieser Gedanke abwegig, aber ich möchte ihn dennoch äußern: Was meinst du, könnte man den ausgehungerten Kindern etwas hinstellen, was sie mögen würden?
Dein Vater hat wahrscheinlich Kriegserlebnisse (?) nicht verarbeitet, oder? Wie wäre es, den Zehnjährigen Schokolade, Obst, Brot und eine Salami hinzulegen, dazu vielleicht warme Socken und Handschuhe, einen Comic und ein Stofftier?
Mein Vater hat solche kindgerechten Angebote damals gern angenommen. Ich hatte ihm ein weiches Kuschelherz gehäkelt, das dann auch mit ihm in den Sarg kam.
Ich habe die Vorstellung, dass spät im Leben, wenn die Grenze zwischen den Welten ganz dünn wird, das Kind von früher leichter erreicht werden kann. Und wenn der Zehnjährige versorgt ist, kann er vielleicht auch aufhören, mit Steinen nach seiner späteren Tochter zu werfen.
Alles Liebe.
Es ist in Ordnung, mich zu akzeptieren.
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Danke Dir für Deine Gedanken, Kirchenmaus. Meinem Vater Essen mitzubringen, ist im Moment keine wirklich gute Idee. Er kämpft mit jedem Bissen, den er schlucken muss. Zur Zeit trinkt er eigentlich nur hochkalorische Joghurts.
Richtig Freude hat er an einem Fotoband über Menschenaffen, die in sehr menschlichen Posen und Situationen gezeigt werden. Darüber findet er einen guten Zugang zu seinen Gefühlen. Besonders fasziniert ist er von Affenmüttern, die ihr Kind die ganze Zeit am Körper herumtragen. Oft sitzen wir gemeinsam über diesen Bildern und diskutieren. Affen, die er erst als böse blickend erlebt, begreifen wir beide Stück für Stück als traurig drein blickende Wesen. Mit Traurigkeit hatte er immer schon große Probleme. Dass er die langsam zu erkennen und zu erkennen lernt, hilft in seiner schweren Situation.
Die Steine werfenden Kinder habe ich in meiner Analyse als dramatischen Ausdruck meines Selbstasses erkannt. In meinen Träumen tauchen sie gar nicht mehr auf. Aber in denen meines Vaters der sich auch im Wachen oft als dreckigen Idioten beschimpft. Ich hab es immer geahnt, aber die Ähnlichkeit des abwertenden inneren Erlebens zwischen ihm und mir, erstaunt ich doch. Ich hab mich so oft als schmutzig und stinkend erlebt.
All das hat viel Gutes. Ich hab mitunter das Gefühl, meine Analyse kommt nun auch im zu Gute. Wie schön.
Noch etwas ist schön. Ich hab heute seine Freundin vom Bahnhof abgeholt. Zunächst war mir ein wenig mulmig. Ich hatte Angst, dass das seine Eingewöhnung erschwert, dass sie rummeckern, mir die Verantwortung für die Verschlechterung seines Zustandes zuschieben und überhaupt alles ganz schrecklich finden wurde. Nichts davon ist passiert. Sie findet das Heim gut. Am Ende haben wir uns alle drei weinend in den Armen gelegen.
Heute Abend gehen wir mit meinem Vater, der im Rollstuhl sitzt, essen. Ich freue mich. Wer hätte das gedacht?
Richtig Freude hat er an einem Fotoband über Menschenaffen, die in sehr menschlichen Posen und Situationen gezeigt werden. Darüber findet er einen guten Zugang zu seinen Gefühlen. Besonders fasziniert ist er von Affenmüttern, die ihr Kind die ganze Zeit am Körper herumtragen. Oft sitzen wir gemeinsam über diesen Bildern und diskutieren. Affen, die er erst als böse blickend erlebt, begreifen wir beide Stück für Stück als traurig drein blickende Wesen. Mit Traurigkeit hatte er immer schon große Probleme. Dass er die langsam zu erkennen und zu erkennen lernt, hilft in seiner schweren Situation.
Die Steine werfenden Kinder habe ich in meiner Analyse als dramatischen Ausdruck meines Selbstasses erkannt. In meinen Träumen tauchen sie gar nicht mehr auf. Aber in denen meines Vaters der sich auch im Wachen oft als dreckigen Idioten beschimpft. Ich hab es immer geahnt, aber die Ähnlichkeit des abwertenden inneren Erlebens zwischen ihm und mir, erstaunt ich doch. Ich hab mich so oft als schmutzig und stinkend erlebt.
All das hat viel Gutes. Ich hab mitunter das Gefühl, meine Analyse kommt nun auch im zu Gute. Wie schön.
Noch etwas ist schön. Ich hab heute seine Freundin vom Bahnhof abgeholt. Zunächst war mir ein wenig mulmig. Ich hatte Angst, dass das seine Eingewöhnung erschwert, dass sie rummeckern, mir die Verantwortung für die Verschlechterung seines Zustandes zuschieben und überhaupt alles ganz schrecklich finden wurde. Nichts davon ist passiert. Sie findet das Heim gut. Am Ende haben wir uns alle drei weinend in den Armen gelegen.
Heute Abend gehen wir mit meinem Vater, der im Rollstuhl sitzt, essen. Ich freue mich. Wer hätte das gedacht?
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Ach so, mein Vater wird ein oder zwei Bissen essen. Aber er wird es genießen, in eleganter Umgebung zu sitzen und "normale" Leute zu beobachten.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Ich habe nicht so viele passende Worte, aber mich berührt die Entwicklung sehr. Wie aufgeregt du am Anfang warst und wie intuitiv du inzwischen Zugang zu ihm findest und auch doch genau weißt, was er eigentlich mag, was ihm gefällt. Du kennst ihn. Und wie du sagst, deine Analyse kommt auch ihm zu Gute. Die eigene Veränderung wirkt sich auch auf das Umfeld aus, aber das weißt du ja selbst. Das ist für ihn auch noch ein großes Geschenk und ihm kommt das zu, ohne dass er wohl weiß, woher das kommt. Er verliert zwar manches und du auch, aber ihr gewinnt auch beide dazu. Etwas anderes halt.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)
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Haltet an die Uhren ...
Am Sonnabend ist mein Vater gestorben. Es ist in der Nacht passiert, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem ich kurz aufgeschreckt bin und gedacht habe, jetzt, jetzt setzt sein Atem aus.
Die letzten drei Tage waren ungeheuer anstrengend - für ihn und für mich. Ich habe täglich viele Stunden an seinem Bett gesessen, ihm mit einem Waschlappen Wassertropfen in den Mund getröpfelt, seine Lippe befeuchtet, und mit einem weichen Handtuch den Schleim aufgefangen oder sanft aus seinem Mund gewischt, den er unablässig produziert hat, aber nicht mehr richtig abhusten konnte. Er hat gekämpft, mit dem Schleim, einer Liegeposition, die halbwegs erträglich ist und einem großen Durst, den er nicht stillen konnte, weil er sich permanent verschluckt hat.
Und doch - in all dem Elend hatten wir eine gute Zeit. Er hat mir unglaublich berührende Dinge gesagt, dass er froh ist, dass ich so eine gute Ehe führe, er stolz auf meinen beruflichen Erfolg ist und ich überhaupt ein Engel sei, für den er jede Nacht beten würde. Ich habe gar nicht viel gesagt, ich konnte nicht, aber ich habe ihm immer wieder lange und liebevoll in die Augen geschaut, was er mit einem lang gezogenen "schööön" kommentiert hat.
Am letzten Tag wollte er auf einmal Bier trinken. Ich bin sofort losgesprintet und habe ihm eine bayrische Marke besorgt, die er aus seiner Jugendzeit kannte. Und siehe da, davon konnte er immerhin ein kleines Glas trinken. Das war ein schöner Moment.
Und wieder habe ich auf den letzten Meter Respekt für meinen Vater entwickelt. Das Bier kommentierte er mit dem Spruch, die Brauereien würden an uns auch nicht mehr reich werden. Als die Schwester kam, um ihn in die Bettflasche pinkeln zu lassen, sagte er verschmitzt "Entschuldigung, das ist alles, was ich zu bieten habe." Ich kenne das Gefühl dahinter: der Versuch, anderen so wenig wie möglich zur Last zu fallen und es ihnen irgendwie leichter mit einem zu machen. An all diesen Dingen habe ich noch einmal gemerkt. ja, ich bin seine Tochter.
Nach seinem Tod haben mein Mann und ich eine Stunde neben seiner Leiche gesessen, bayrischer Bier getrunken und darüber nachgedacht, was wir an ihm alles schätzten (wir haben nicht vergessen, wie fürchterlich, abwertend und ehrabschneidend er oft war - zu mir und zu meinem Mann). Damit haben wir die Stunde gut rumgekriegt.
Ich weiß noch nicht so genau, was ich fühle. Ein wenig Erleichterung spüre ich hin und wieder - für ihn und für mich.
Am Sonnabend ist mein Vater gestorben. Es ist in der Nacht passiert, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem ich kurz aufgeschreckt bin und gedacht habe, jetzt, jetzt setzt sein Atem aus.
Die letzten drei Tage waren ungeheuer anstrengend - für ihn und für mich. Ich habe täglich viele Stunden an seinem Bett gesessen, ihm mit einem Waschlappen Wassertropfen in den Mund getröpfelt, seine Lippe befeuchtet, und mit einem weichen Handtuch den Schleim aufgefangen oder sanft aus seinem Mund gewischt, den er unablässig produziert hat, aber nicht mehr richtig abhusten konnte. Er hat gekämpft, mit dem Schleim, einer Liegeposition, die halbwegs erträglich ist und einem großen Durst, den er nicht stillen konnte, weil er sich permanent verschluckt hat.
Und doch - in all dem Elend hatten wir eine gute Zeit. Er hat mir unglaublich berührende Dinge gesagt, dass er froh ist, dass ich so eine gute Ehe führe, er stolz auf meinen beruflichen Erfolg ist und ich überhaupt ein Engel sei, für den er jede Nacht beten würde. Ich habe gar nicht viel gesagt, ich konnte nicht, aber ich habe ihm immer wieder lange und liebevoll in die Augen geschaut, was er mit einem lang gezogenen "schööön" kommentiert hat.
Am letzten Tag wollte er auf einmal Bier trinken. Ich bin sofort losgesprintet und habe ihm eine bayrische Marke besorgt, die er aus seiner Jugendzeit kannte. Und siehe da, davon konnte er immerhin ein kleines Glas trinken. Das war ein schöner Moment.
Und wieder habe ich auf den letzten Meter Respekt für meinen Vater entwickelt. Das Bier kommentierte er mit dem Spruch, die Brauereien würden an uns auch nicht mehr reich werden. Als die Schwester kam, um ihn in die Bettflasche pinkeln zu lassen, sagte er verschmitzt "Entschuldigung, das ist alles, was ich zu bieten habe." Ich kenne das Gefühl dahinter: der Versuch, anderen so wenig wie möglich zur Last zu fallen und es ihnen irgendwie leichter mit einem zu machen. An all diesen Dingen habe ich noch einmal gemerkt. ja, ich bin seine Tochter.
Nach seinem Tod haben mein Mann und ich eine Stunde neben seiner Leiche gesessen, bayrischer Bier getrunken und darüber nachgedacht, was wir an ihm alles schätzten (wir haben nicht vergessen, wie fürchterlich, abwertend und ehrabschneidend er oft war - zu mir und zu meinem Mann). Damit haben wir die Stunde gut rumgekriegt.
Ich weiß noch nicht so genau, was ich fühle. Ein wenig Erleichterung spüre ich hin und wieder - für ihn und für mich.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.
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Aber vielleicht oder wahrscheinlich durfte das jetzt auch sein, nachdem euch nochmal eine anstrengende, aufregende, aber doch gewinnbringende Zeit geschenkt wurde. Ich glaube, dass du ganz viel daraus mitnehmen kannst für dein weiteres Leben und ihr wohl sowas wie Frieden miteinander schließen konntet. Und jetzt darf er auch in Frieden ruhen in diesem hohen Alter und nach dem, was er mit dir nochmal erleben durfte. Besser hätte es doch eigentlich nicht laufen können, trotz der Anstrengungen, oder?
Mein herzliches Beileid!
Und ich finde die Erleichterung darf auch sein, auch wenn du vielleicht so denkst, das sollte nicht. Das darf alles gleichzeitig. Trauer, Schock, Erleichterung und auch Freude über das, was ihr nochmal erleben konntet.
Mein herzliches Beileid!
Und ich finde die Erleichterung darf auch sein, auch wenn du vielleicht so denkst, das sollte nicht. Das darf alles gleichzeitig. Trauer, Schock, Erleichterung und auch Freude über das, was ihr nochmal erleben konntet.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)
Mein herzliches Beileid..🕯
Sometimes your heart needs more time to accept what your mind already knows.
Mein herzliches Beileid, ziegenkind.
Ich finde es schön dass Ihr noch eine Weile bei ihm gesessen habt als er ging.
Bewundernswert wie Du mit ihm umgegangen bist und für ihn da warst und ja, auch ich kann die klitzekleine Erleichterung nachvollziehen.
Ganz viel Kraft, liebe herzliche Menschen und Mut für diese Zeit.
Mein Beileid.
Ich finde es schön dass Ihr noch eine Weile bei ihm gesessen habt als er ging.
Bewundernswert wie Du mit ihm umgegangen bist und für ihn da warst und ja, auch ich kann die klitzekleine Erleichterung nachvollziehen.
Ganz viel Kraft, liebe herzliche Menschen und Mut für diese Zeit.
Mein Beileid.
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