Hui, Shukira, das halte ich aber auch für eine sehr gewagte Behauptung. Ich habe in meinem Leben schon viele Therapeuten kennengelernt, teilweise als Patientin, teilweise, weil ich beruflich mit ihnen zu tun habe, teilweise auch privat. Mir hat einmal jemand, der auch als Ausbilder in der Therapeutenausbildung arbeitet, gesagt, es gibt 2 Hauptgründe, warum Menschen Therapeuten werden. Die einen, weil schon ihre Eltern als Therapeut/Arzt/Sozialarbeiter o.ä. gearbeitet haben und die anderen, weil es irgendetwas in ihrer Lebensgeschichte gibt, was ihre Affinität zu diesem Beruf ausgelöst hat. häufig die Erfahrung mit eigenem Leid oder dem naher Angehöriger. Kindheit sicher gebundene Kinder, die nicht ein entsprechendes Rollenvorbild hätten, kämen gar nicht auf die Idee, sich mit den psychischen Problemen anderer Menschen zu beschäftigen. Sie würden das eher meiden, weil es ihnen nicht geheuer sei und sich davor schützen.Shukria hat geschrieben: ↑So., 09.12.2018, 13:50 Ich stell mal die Gegenbehauptung auf das 80%der Therapeut_inn/en sicher gebunden sind. Ein großer Teil davon von Kind auf sicher, ein kleinerer Teil hat durch eigene Therapie eine nachträglich erworbene Bindungssicherheit.
In der Allgemeinbevölkerung sind ca. 65% sicher gebunden.
Somit besteht eine prozentual höhere sichere Bindungserfahrung in dieser Berufsgruppe als irgendwo sonst.
O.k., ist halt auch nur eine persönliche Meinung von diesem Menschen, aber er hat viele Therapeuten in der Ausbildung kennengelernt und ich persönlich denke schon, dass da was dran sein könnte. Also ich denke, dass eher die als Kind unsicher gebundenen Menschen häufiger Therapeuten werden. Was allerdings stimmt, ist dass sie normalerweise in der Ausbildung, die ja auch viel Selbsterfahrung umfasst, lernen, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und sich der eigenen Defizite in der Therapie bewusst zu sein und weitgehend vom Patienten fernzuhalten.
Aber es gibt auch immer welche, bei denen das nicht so gut funktioniert. Ist halt wie in jedem Beruf, es gibt solche und solche. Auch viele Hausärzte fahren übrigens in Notfällen zu ihren Stammpatienten raus. Und es gibt auch Altenpfleger, die auch nach Dienstschluss noch mal kurz bei einem Bewohner reinschauen, dem es gerade sehr schlecht geht. Den Vergleich mit einer Krankenschwester finde ich da nicht so geeignet, weil die ja die Leute meist nur für kurze Zeit sieht und daher keine echte Bindung zu ihnen aufbaut. Bei Langzeitbetreuern sieht das teilweise anders aus. Wenn man teils jahrelang mit Menschen regelmäßig arbeitet, wie ein Therapeut es tut, dann entstehen echte menschliche Bindungen, die vielleicht eine andere Qualität haben, als die Bindungen im privaten Umfeld, die es aber trotzdem nicht immer zulassen, das Mitgefühl pünktlich mit Dienstschluss abzuschalten.
Das führt dazu, dass Therapeuten im Notfall eben auch mal bereit sind, außerhalb der Sitzung für die Patienten da zu sein (Genauso, wie eine Angestellte, die ein gutes Verhältnis zu ihrem Chef hat, in einer Notsituation vielleicht auch mal bereit ist, Überstunden zu machen, auch wenn sie eigentlich Feierabend hätte, auch ohne eine abhängige Persönlichkeitsstruktur zu haben), in welchem Rahmen und Umfang, das ist eben von Therapeut von Therapeut unterschiedlich, da gibt es eine Spannbreite von übermäßig abgegrenzt (Ja, es kann auch Zuviel des Guten geben! Ein übermäßiges, starres Beharren auf Grenzen auch in Ausnahmesituationen, ohne Möglichkeit der Verhandelbarkeit, ist oft ein Zeichen dafür, dass Therapeuten gerade nicht gut, gelassen und flexibel auf ihre Umwelt reagieren können, meist eben gerade aus einem Abgrenzungsproblem heraus, der Angst, vom andern total "verschlungen" zu werden, sobald sie ihnen entgegen kommen), über gesund abgegrenzt und etwas zu mitfühlend bis hin zu totaler emotionaler Verstrickung. Ist eben immer eine Frage der Angemessenheit bezogen auf die Situation, da haben wir eben alle etwas unterschiedliche Vorstellungen von Angemessenheit.
Ist eigentlich wie immer bezogen auf die Psyche, "gesund" ist meist das Verhalten, was sich im mittleren Bereich bewegt und flexibel ist, die Extrembereiche und rigide Verhaltensmuster sind i.d.R. in beide Richtungen pathologisch. Eine Therapeutin, die sagt: "Interessiert mich nicht, ob sich ihr Vater suizidiert hat, ich habe Feierabend" ist mir persönlich ebenso suspekt wie eine Therapeutin, die sich bis zur Selbstaufgabe rund um die Uhr "aufopfert" (I.d.R. opfert sie sich ja nicht auf, sondern befriedigt damit eigene Bedürfnisse). Grenzen sind nicht naturgegeben, sie müssen ausgehandelt und kommuniziert werden und sie sollten angemessen und verantwortlich sein, gegenüber sich selbst, seiner Familie, aber auch gegenüber den Patienen.