Bindungstrauma und mehr...

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Montana
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 00:06

Eine perfekte Prinzessin war ich übrigens nie. Nur ein ganz normales Kind. Nur leider hat sich meine Mutter, als ich vier Jahre alt war, auf einen kruden Selbstfindungstripp begeben. Sie hat festgestellt, dass Kinder Geld kosten und man sich auch noch einigermaßen drum kümmern muss, dass die was zu Essen kriegen. Sprich: sie behindern die Selbstfindung. Man kann sie aber auch nicht seinem Ex überlassen, denn das verträgt das eigene Ego nicht. Diesem Mann möchte man ja maximal wehtun. Und das geht durch Instrumentalisierung der Kinder ganz besonders gut. WAS bitte hat das in irgendeiner Form mit den Kindern zu tun? GAR NICHTS. Probleme außerhalb der Kernfamilie gab es selbstverständlich nicht. Wir haben wie befohlen den Mund gehalten und uns extrem angepasst verhalten.

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montagne
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 00:48

Ich möchte nochmal klarstellen:
Es ist zwar so, dass statistisch Kinder, die eben nicht so hübsch, klug, gesund, mit günstigen Temperament ausgestattet sind, eine größere Wahrscheinlichkeit haben von Eltern und anderen Bezugspersonen vernachlässigt, misshandelt zu werden.

ABER: Das heißt NICHT, dass sie Schuld sind und es heißt NICHT im Umkehrschluss, dass hübsche, gesunde KInder keine Wahrscheinlichkeit haben vernachlässigt und misshandelt zu werden.
Und es ist nur Empirie, Einzelfälle sind imer individuell.


Abgesehen davon:
Die Idee hier (ungefragt) zu sagen: Ich war hübsch und klug und gesund und hatte ein pflegeleichtes Temperament, wurde trotzdem misshandelt, ist die gleiche Idee, wie die Ursache liegt beim Kind, nur mit anderem Vorzeichen. Als könnte es doch irgendwie eine ein bisschen legitime Ursache sein.

Oder eine Abwehr des tiefsitzenden Gedanken, mit einem stimme was nicht, weil man ja nicht geliebt wurde.
amor fati


mio
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 01:02

montagne hat geschrieben: Mo., 12.02.2018, 00:48 Oder eine Abwehr des tiefsitzenden Gedanken, mit einem stimme was nicht, weil man ja nicht geliebt wurde.
Das dürfte der Kasus Knacktus sein.

Ich wiederhole mich: Aber "Schuld" enthält "Macht". Und verhindert damit "Ohnmacht".

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Montana
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 01:26

So ein Quatsch, ehrlich. Die Schuld liegt niemals beim Kind. Aber ein Kind sucht immer zuerst die Schuld bei sich. Wie sollte es auch anders sein, wird es ihm doch von den Eltern so vermittelt. Die Eltern sind für das Kind der Nabel der Welt. Sein Leben ist von ihnen abhängig, also "darf" es sie nicht als schlecht wahrnehmen. Das ist existenzbedrohend. Die Erkenntnis, dass es doch nicht die Schuld des Kindes war, kommt erst viel später, wenn sich der Horizont durch mehr Lebenserfahrung deutlich erweitert hat. Und wenn man zum Beispiel feststellt, dass man gar nicht ungezogen war, wenn man den "lieben Freund" nicht küssen wollte. Sondern dass einem da ganz übel mitgespielt wurde.
Ich darf übrigens ungefragt sagen, was ich will. Die Freiheit nehme ich mir.

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mio
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 01:33

Montana hat geschrieben: Mo., 12.02.2018, 01:26 wird es ihm doch von den Eltern so vermittelt
Das muss noch nicht mal vermittelt werden. Kinder sind so "verwoben" mit den Eltern (von deren Wohlwollen klar abhängig), dass sie gar nicht anders können. Es muss ihnen das Gegenteil vermittelt werden.

Es gibt heutzutage genug Forschung zu diesem Thema. Gerade das Stockholmsyndrom ist da sehr interessant in Bezug auf die Wechselwirkung von Schuld und Ohnmacht/Macht. Und Ohnmacht ist so ziemlich das übelste Gefühl was ein Mensch haben kann. Egal welchen Alters. Schuld ist ein Klacks dagegen. Denn gegen die lässt sich ja aktiv was tun, rein theoretisch..

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Broken Wing
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 01:33

@ Montagne: Danke, du hast es auf den Punkt gebracht.

Die Schuldfrage war für mich kein Thema. Die Sonne mitverursacht im Sommer unerträgliche Affenhitze, aber sie ist nicht schuld daran. Schuld setzt die persönliche Vorwerfbarkeit und Unrecht voraus, alles Dinge, die hier keinen Sinn ergeben.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]

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Haithabu
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 08:32

Henryette, selbstverständlich musst du die Frage nicht beantworten.
Mir erschloss sich nur das Selbstverständnis nicht, mit dem dein Therapeut so eine These aufstellt. Ich habe mich eine Weile mit Geburt und Schwangerschaft bei Frauen mit sexueller Gewalterfahrung beschäftigt und nein, daher erschließt sich mir der Zusammenhang auch nach deinen Zeilen gar nicht.
(was keine Aufforderung ist, dich näher zu erklären!)

"Üblicherweise" (soviel Literatur gibt es nun auch nicht dazu, wenn dann eher im englischsprachigen Raum) kommen die Kinder eher sogar später, oftmals mit Geburtskomplikationen aufgrund der Traumata der Mütter.
Das einzige Szenario welches mir einleuchtet, ist dass das Kind aus einer Vergewaltigung entstanden ist und die Mutter es möglichst schnell "raushaben" will. Aber zwischen den Zeilen lesend ist das nicht der Punkt.


isabe
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 10:13

montagne hat geschrieben:Als könnte es doch irgendwie eine ein bisschen legitime Ursache sein.
Ich hätte bei mir selbst nie meine "Schönheit" in diesen umgekehrten Zusammenhang gebracht; ich hab nur darüber nachgedacht, weil Broken Wings These natürlich nicht grundsätzlich falsch ist: Natürlich beschäftigt man sich - und das gilt erst recht in der Psychotherapie, aber auch in der Pädagogik - lieber mit Menschen, die attraktiv und eloquent sind als mit denen, die stumm und plump sind. Ich hatte aber bis gestern nie darüber nachgedacht, dass ich diese unbewusst und nie ausgesprochenen "Vorgaben" ja durchaus erfüllt habe. Dass die nicht gut sind, weiß jeder, denke ich. Die Gegenbewegung zum "mit hässlichen oder wenig intelligenten Leuten geb ich mich nicht ab, und schwierige Kinder parke ich vor dem Fernseher" sind Menschen, die sich bewusst dafür einsetzen, dieses Schema zu durchbrechen, aber letztlich auch immer in dem Wissen: "EIGENTLICH ist dieser Mensch, mit dem ich mich hier befasse, schwierig, hässlich usw." - nur hat der Helfende dann ein anderes Menschenbild, weil er weiß, dass hinter der Hässlichkeit eine verletzte Seele steckt. Besonders ansprechend wird dieser Patient dadurch allerdings auch nicht unbedingt; da sollte man sich nichts vormachen - ich glaube, dass Broken Wing so etwas Ähnliches sagen wollte.

Bezüglich der Frühgeburt kann ich mir nur vorstellen, dass der Therapeut das ein bisschen flapsig gesagt hat und nicht als Wissenschaftler, denn natürlich gilt es da, mehrere Faktoren zu berücksichtigen, die zu einer Frühgeburt führen können und die ihm nicht bekannt sein dürften. Wenn man seine Äußerung weiter denkt, müsste man ja annehmen, dass jede Frühgeburt aufgrund eines seelischen Traumas bei der Mutter geschieht; und damit macht man die Mütter unnötig hilflos, zusätzlich zur ohnehin schwierigen Situation. DASS es einen Zusammenhang geben KANN, ist wohl klar.

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Henryette
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 10:42

Ach je, hätte ich das mal lieber nicht geschrieben. Jetzt wird hier wild spekuliert:( nein mein Therapeut hat das nicht flapsig daher gesagt. Er kennt mich noch von vier Jahren Arbeit in der ersten Therapie. Er weiß um einiges in meinem Tiefen. Ich kann das absolut annehmen was er dahingehend gesagt hat. Da spielen einfach sehr viele Komponenten mit rein. Eine ist zb innerer dauerhafter Stress durch viele erlittene Traumata (im Bindungsstörung sowie im sexuellem Missbrauchsbereich), kein Körpergefühl und und und. Und ich meine nicht Stress weil ich im Alltag grad mal bissl Stress habe sondern Stress der mit einer inneren „Haltung“ zu tun hat in der der Körper die ganze Zeit Cortisol auskippt und man in einer ständigen hab acht Haltung ist. Muster die mich immer wieder dahin bringen ... Ich kann es leider nicht so gut erklären da ich mich da auch gar nicht so offenlegen möchte.
Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.
Martin Johannes Walser


isabe
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 10:52

Ist mir schon klar, aber solange der Th. nicht genau die Ursachen kennt, kann er nicht sagen, dass es "klar" ist, dass dir das passiert ist. Also, er KANN es sagen, aber er kann es nicht wissen. Das ist schon wichtig, auch wenn es dir vielleicht belanglos erscheint, denn es könnte ebenso gut andere Gründe haben. Und es ist wichtig, sich klarzumachen, dass nicht alles, was einem Menschen widerfährt, DESHALB geschieht, weil er traumatisiert ist. Das gehört zur Befreiung vom Trauma. Es KANN sein, aber es MUSS nicht sein.

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Montana
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 10:57

Es gibt aber doch viele schwierige Kinder, die dann meinetwegen auch "hässlich" werden, weil sie sich gehen lassen oder "dumm", weil sie sich für nichts interessieren und nur Trash-TV gucken, die dazu erst GEMACHT werden. Die kommen doch nicht so auf die Welt. Natürlich haben die es im Verlauf immer schwerer, jemanden zu finden, der wohlwollend mit ihnen umgeht. Aber ich meine in meinen Vor-Posts halt echt Kinder, die klein sind, quasi "unverdorben", die initial sicher keinen Grund für Misshandlung liefern. Erst die Misshandlung/Vernachlässigung macht da etwas kaputt.
Das Ergebnis davon müssen aber durchaus auch keine unangenehmen Menschen sein. Mir wurde das bisher von niemandem in einer Therapie/Klinik vermittelt, weder vom Personal noch von anderen Patienten. Und ich habe sehr angenehme Patienten kennengelernt. Ich habe aber beobachtet, dass das extrem unterschiedlich aussieht. Die männlichen Patienten eckten besonders oft an, teils bis zum Rausschmiss.


mio
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 11:03

Montana hat geschrieben: Mo., 12.02.2018, 10:57 Das Ergebnis davon müssen aber durchaus auch keine unangenehmen Menschen sein.
Das sehe ich auch so. Viele Menschen die selbst erfahren haben wie es ist schlecht behandelt zu werden sind sogar extrem darum bemüht niemand anders zu verletzen, teils mehr als es gut für sie oder in einem normalen Rahmen üblich ist.

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Broken Wing
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 12:53

@ Isabe: So ist es. Natürlich weiß ich nicht, ob die TE schön und gesund ist, aber ich will das nicht so stehen lassen, dass der Mangel nichts mit einem selbst zu tun habe. Für mich ist das nicht weiter schlimm. Ich habe keine idealen Startbedingungen gehabt, Es gab reichlich Gewalt und Überforderung, wobei ich noch gut weggekommen bin. Aber ich musste feststellen, dass es keine Hilfe gab. SozialmitarbeiterInnen hatten eher Mitleid mit den Eltern (ich wüsste auch nicht, was ich mit 2 schwerbehinderten Kindern machen würde) und es wirkte so als wären sie froh, dass es nicht mehr war als gelegentlich blaue Flecken.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]

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Henryette
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 16:05

Hallo, heute hatte ich ja meine Therapiestunde. Ich habe mich Tatsache getraut und habe ihm gesagt das ich ihn mir als Papa wünschen würde. Er hat sehr liebevoll reagiert! Haben darüber geredet und dann kam auch noch einmal das Thema Hand halten. Ich habe formuliert warum dieser Wunsch entstanden ist beziehungsweise was dahinter steckt. Und habe ihn gefragt, ob es denn heute überhaupt eine Option ist, so etwas in der Therapie bei ihm zu machen. Die Antwort hat mir nicht gefallen. Er meint, er hat früher damit gearbeitet, ist aber damit nicht zu Ergebnissen gekommen die ihn überzeugt hätten diese Methoden anzuwenden. Irgendwie so in der Art hatte es formuliert. Er ist der Meinung, dass man ein Bindungstrauma nicht mit körperlicher Nähe nähren kann/solle. Zum einen wegen der Abhängigkeit zum einen wegen sexuellen Spannungen zwischen Mann und Frau. Über diesen Worten bin ich völlig zusammengebrochen und habe wie verrückt angefangen zu weinen. Er hat auch hier total liebevoll reagiert. Was bleibt ist nun ein trauriges berührt sein und eine hässliche Endgültigkeit. Fühlt sich scheiße an!
Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.
Martin Johannes Walser


isabe
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Beitrag Mo., 12.02.2018, 16:08

Scheint ein sehr guter Therapeut zu sein, herzlichen Glückwunsch!

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