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Sa., 24.12.2016, 23:37
Broken Wing:
Ja, eben. Sprechen wird leider viel zu selbstverständlich und gedankenlos gleichgesetzt mit "Inhalt", nach dem Motto: "Hauptsache was gesagt, auch wenn es nichts nützt". Ich finde, es gibt kaum etwas Erfüllenderes als ein gemeinsames Schweigen, wenn zwei Menschen gemeinsam schwingen und jeder für sich ist und man trotzdem verbunden ist. Es ist eine gefühlte Verbindung, die viel stärker sein kann als die durch Worte "künstlich" am Leben erhaltene. Natürlich kommt das auf den Kontext an, und Schweigen kann auch bedrohlich sein. Dann wird natürlich nicht geschwiegen. Schweigen kann auch feindselig sein oder gelangweilt. Es könnte sogar sein, dass der Schweigende, den man nicht sieht, eingeschlafen ist. Es entstehen Phantasien, und die kommen aus dem Patienten selbst, und über die kann dann gesprochen werden. Das geht aber nicht, wenn es vorher kein Schweigen gegeben hat. Das ist wie mit dem Glück: Um glücklich sein zu können, muss man zwingend wissen, wie es ist, unglücklich zu sein.
Mit meinem ersten Analytiker habe ich oft mit dem Darm kommuniziert: Unsere Darmgeräusche wechselten sich sehr häufig immer ab, während wir schwiegen. Ich weiß nicht, ob ich es "schön" fand, aber es wies darauf hin, dass Kommunikation auch über andere Kanäle erfolgen kann und dass selbst, wenn man die Zeichen (also die Darmgeräusche) nicht deuten kann, man spürt, dass man aufeinander eingestellt ist. Anfangs dachte ich, es sei Zufall; dann dachte ich, es sei eine Macke zwischen uns. Bis ich dann las, dass diese Form der Kommunikation in Therapien gar nicht so selten ist.
Ob nun mit Darm oder ohne - durch das Schweigen wird es möglich, ein inneres Erleben zu spüren, das mit verbaler Kommunikation gar nicht möglich ist. Ich habe mal von Calvino ein wunderschönes Zitat zum Schweigen gefunden, das er einer Figur in den Mund gelegt hat und das besagt, dass das Schweigen viel mehr enthält als die Worte. Das wahrzunehmen, funktioniert aber nur, wenn man sich dafür öffnet. Ähnlich, vielleicht, wie beim Meditieren oder beim Musikhören.