leberblümchen hat geschrieben:Lamedia, ich kann dem nicht folgen, was du meinst, wenn du sagst, dass Individualität die Komplexität reduziert? Ist es nicht genau umgekehrt? Wenn etwas nicht beschreibbar ist, dann heißt es doch nicht, dass es nicht (mehr) da ist, oder? Vielleicht ist es gerade (m)ein Problem, meine Komplexität (von der ich in der Tat annehme, dass es sie gibt) zu beschreiben, weil - so scheint es doch - im Alltag immer alles auf Entscheidungen zwischen vorgegebenen Alternativen hinausläuft.
Das finde ich interessant. Indem du dich entscheidest (bzw. dann handelst), reduzierst du die Komplexität. Vor der Entscheidung ist alles im Reich des Möglichen, Gedachten. Eine Handlung wählt eine der Möglichkeiten (im Rahmen der begrenzenden Umstände) aus. Du bist dann für andere beschreibbar als diejenige, die dies oder jenes Konkrete getan/gesagt hast. Eine Identität braucht Begrenzungen, Einschränkungen. Das sagen zumindest die einen. Solange du im Reich der Möglichkeiten, der unendlichen Alternativen bleibst, wirst du nicht greifbar für andere, für dich selbst auch nicht, weil keine Grenzen/Abgrenzungen ersichtlich sind.
Wobei es auch philosophische (z.B. mystische) Traditionen gibt, die diese Art von Identität als Illusion begreifen, da ohnehin alles im Fluss - oder aber miteinander verbunden sei. Da ist es gerade die Auflösung von Grenzen, die angestrebt wird, um das "Wesen" (z.B. als Alleinheit oder Unendlichkeit) zu ergründen. Allerdings sind solche Gedanken weniger alltagstauglich und eher in der Askese oder in religiösen Gemeinschaften lebbar - und es ist auch nicht gerade komfortabel, alles offen zu halten.
Daher greifen heute auch immer mehr Menschen zu Fundamentalismen und konservative Gedanken: Sie identifizieren sich mit Traditionen, religiösen Schriften - oder Konsumgütern, sie greifen auf Familie und traditionelle Geschlechterbilder zurück. Das ist deren Identität: Sie reduzieren die Komplexität der Post-Moderne. Sie wählen eine Identität aus, die dann so fest wird, dass sie nicht mehr hinterfragbar und vom "Kleid, Verkleidung" zur "Person selbst" wird.