Wissen über den therapeutischen Prozess - hilfreich?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
Benutzeravatar

**AufdemWeg**
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 3753

Beitrag So., 01.06.2014, 18:17

Mir persönlich gehts hauptsächlich um Theorie Bücher.
Für mich ist es nicht wichtig zu wissen,
ob das jetzt eine Übertragung ist oder jenes sich projektive Identifizierung schimpft etc.

Ich habe hier im Forum einige (wenn auch nicht haufenweise) Menschen kennengelernt
von denen ich viel lernen durfte/darf
aber da war eben Austausch möglich
die haben teilhaben lassen an ihren Gefühlen und Gedanken
und nicht an irgendwelchen angelesenen Theorien
was für mich etwas anderes ist als das Lesen von Theorien oder Fallgeschichten.
Das bleibt ja einseitig.

Uns selbst da muss ich aufpassen weil ich viel zu schnell Gefühle von anderen Menschen übernehmen und als meine empfinde obwohl es gar nicht meine sind.


Und ich weiss, dass ich NICHTS mehr in der Therapie ansprechen würde
wenn ich es zuvor verstanden hätte.
Bei mir schaltet sich dann der Verstand ÜBER das Gefühl und das Thema wäre erledigt.
Dadurch würde aber ein Teil von mir in der Therapie fehlen
so war das in meiner TFP:

Deswegen bin ich auch kritischer geworden was den Umgang mit Internet und Therapie anbelangt.

Ich persönlich würde auch nie wieder meine Therapie so ins Internet stellen wie ich es bei meiner TFP getan habe, das war einfach too much; leider habe ich das erst im Nachhinein erkannt.

Aber: wer sich nackt auf den Marktplatz stellt muss halt damit rechnen dass er angeklotzt wird.
Und ich für meinen Teil wurde genug angeklotzt


Denke wie immer gilt: die Dosis macht das Gift
nur bin ich da wie ein Süchtiger
daher gilt für mich: Finger weg und selber ausprobieren.
Ich würde nicht mehr rausskommen.
Nicht da mal ein bisschen lesen und dort mal ein bisschen
ne, ich würde vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen und mich TOTAL verlieren.


Mag ja bei anderen Menschen ganz anders sein
ist doch auch in Ordnung
aber genauso sind doch Menschen, die keine einschlägige Literatur lesen
keine naiven Idioten.


LG ADW
Offline

Werbung

Benutzeravatar

Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag So., 01.06.2014, 19:18

Hallo AdW,

es ist schön für mich zu lesen, wie du in diesem Punkt ganz klar deine eigenen Grenzen siehst und achtest, das ist sehr wertvoll.

Auch ich denke, dass jeder nur für sich individuell beantworten kann, ob es hilfreich ist oder nicht. Und es kann durchaus beides sein, je nach Phase, in der man sich gerade befindet bzw auch, was man dann liest.

Es gab Phasen bei mir, da zog mich lesen nur runter, habe dann, als ich´s merkte, eine riesen Bogen um Bücher jeglicher Art gemacht. Und dann gab es Phasen, wo ein Ah-Effekt nach dem anderen kam durch Lesen, mich das enorm weiter gebracht hat, allein schon die Erkenntnis, dass ich ja nicht verrückt bin, sondern ganz normal auf verrückte Situationen reagiert habe, nahm dann den Druck, und war insofern auch hilfreich, dass es auch Kontrolle und Druck meinerseits aus dem Therapiegeschehen nahm.
Und auch steht dem Wissen/Lesen über Therapie nicht dem Zulassen von Gefühlen prinzipiell entgegen. Hab ich zumindest an mir festgestellt, ist aber bestimmt auch individuell verschieden.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Benutzeravatar

**AufdemWeg**
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 3753

Beitrag So., 01.06.2014, 19:47

Wandelröschen,

auf jeden Fall gibts bestimmt auch Phasen.
Ich war ja früher hier im Forum auch viel aktiver
sowohl als Schreibende wie auch als Lesende.
Kann ich mir vorstellen, dass es mit Lesen von einschlägiger Literatur vielleicht ähnlich ist.
Ist vielleicht auch ein Entwicklungsstadium das man durchläuft
und sich verändert.
Das Leben bleibt ja nicht stehen.

Ich kann das auch voll anerkennen wenn jemand viel und gerne liest.
Warum auch nicht.
Kann ja nicht für andere Menschen sprechen
immer nur für mich.

LG ADW
Offline


Widow
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2240

Beitrag So., 01.06.2014, 23:35

Bin grad ganz gerührt und geschüttelt ob des hier nunmehr grassierenden, großen "ich sprech ja nuhuhur für mihihich - und kann ja gaaar nicht für andere sprechen (und schon gar nicht über die urteilen - nönö, pfui bähbäh!), und was denen frommt, soll denen wohl bekommen"!

Ich fänd's schön, wenn wenigstens das was wär', das hier mitgenommen werden könnte!
Und das meine ich verdammt ernst!

Mich stinkt es an, dass hier in diesem Forum wieder und wieder denen, die "lesen", denen, die "intellektuell" veranlagt sind (was hier gleich immer als "intellektualisieren" abgewertet wird), denen, die sich die Welt (nach dem sensitiven Aneignungsschritt) zunächst einmal DENKEND und dann erst EMOTIONAL zu erschließen versuchen ("emotional": das ist was anderes als "Gefühl": Klar nimmt jeder die Welt erstmal "fühlend" wahr: über die Haut, den Geruchssinn, das Auge, das Ohr und die Zunge - aber "Gefühle" im Sinne von Emotionen sind davon noch einmal zu unterscheiden, auch wenn die Grenze oft verwaschen ist), - dass "denen" immer eins von der Gefühligkeitsfraktion übergebraten wird.
Hier in diesem Faden z.B., dass sie nicht imstande seien, Therapie "richtig" machen zu können, dass sie Therapie mit all ihrem Lesen, all ihrem "Außerhalbsein" kaputt machen würden.

Sorry!
Ich weiß: Das ist mein Problem. Es verfolgt mich, seitdem ich denken kann.
Immer, immer, immer wird man als Intellektuelle (zu allem Überfluss also auch noch Frau )
-, immer wird man als intellektuell veranlagter Mensch, der Platon und den Aquinaten und Nietzsche und Freud und Sappho und Pizan und Woolf und Ahrend und ein paar andere in Auszügen kennt, dafür verprügelt.

Ich hab das so oft getan, aber jetzt, jetzt lass ich mich nicht mehr verprügeln ohne Gegenwehr!

Widow

PS: Besonders gut prügeln, niederprügeln, übrigens kann die Gefühligkeitsfraktion - in, durch und dank blanker Unkenntnis ihres 'Prügelns'. Das finde ich persönlich tragisch, für beide Seiten.
Zuletzt geändert von Widow am Mo., 02.06.2014, 00:13, insgesamt 2-mal geändert.

Werbung

Benutzeravatar

Christie
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 33
Beiträge: 72

Beitrag Mo., 02.06.2014, 00:07

OT: Ich kann Deinem gefühlten Intellektuellen-Bashing so gar nicht folgen, Widow. Wie glaube ich schon mal bemerkt, mag ich Deine oft (natürlich nur für mich!!!) treffenden Kommentare. Aber von dem, was ich hier mitlese, finde ich eher, dass Du bemerkenswert viele “Follower” hast, die sich Deinem Sprachstil anzupassen versuchen. Wenn Du das nicht merken solltest, dann spricht das natürlich für Dich.
Ohnehin finde ich diese immer wieder aufflammende Akademiker-Diskussion in diesem Forum, auch aus aktuellem Anlass, irgendwie… blöd.

LG
Christie


Igelkind
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 43
Beiträge: 264

Beitrag Mo., 02.06.2014, 06:39

@Christie
Nö, ich finde die Diskussion nicht doof. Und wenn man eine Diagnose (oder mehrere) einfängt, das verhält sich ja auch mit körperlichen Krankheiten so, dann stellt sich eben die Frage, wie sehr informiere ich mich darüber, und wie stark lasse ich es einfach auf mich zukommen.
In diesem Spannungsfeld befinden sich alle, die lesen und schreiben und nachdenken können und sich mit Leiden und etwas unfassbarem auseinandersetzen müssen.

@ Widow
Die Entscheidung, ich lese / lese generell nicht, oder nur zu den Zeiten, wo ich das Bedürfnis habe / wo es mir gut tut, das ist tatsächlich individuell.
Problematisch ist wahrscheinlich, dass die entschiedenen "Nichtleser" unterschwellig das Gefühl haben, sie könnten etwas verpassen oder etwas im Prozess zu wenig erkennen, weshalb sie ihr "fühlendes" Vorgehen "gefühlt verteidigen" müssen (siehe TE). Und zwar in erster Linie gegenüber sich selbst. Das ist dir dann wohl auf den Fuss gefallen (oder wie man das sagt), könnte das sein?

Übrigens vermute ich stark, dass die hier von sich sprechenden "Nichtleser" weit mehr wissen und gelesen haben als ich.
Sie haben vermutlich einfach die Erfahrung gemacht, dass lesen und wissen allein die Probleme nicht löst, und für das eigene Erleben manchmal vielleicht sogar etwas im Weg sein kann (Ablenkung / Verwirrung?) that's it. Darum sind ja alle auch in einer realen Therapie.
Und nur weil man ein Buch oder 2 gelesen hat, geht die Therapiestunde ja nicht mit Fachsimpeln drauf! Wissen hindert nicht am Fühlen, ausser man setzt es gezielt dazu ein.
Und nur weil man ein paar Begriffe kennt und theoretisch darüber Bescheid weiss, verunmöglicht das keineswegs die praktischen Erfahrungen.
Auch der Wunsch nach Kontrolle steht theoretisch nicht im Widerspruch zum Vertrauen.
Ich erlebe es wie folgt:
Als traumatisierter Mensch habe ich den Kontrollverlust par excellence erlebt, ein daraus resultierender Kontrollfimmel ist normal, so wie auch eine Art blindes Vertrauen in alles und jeden, nur nicht in mich selbst, weil doch alles erschüttert und zerstört wurde. Um Vertrauen wieder aufzubauen, deshalb gehe ich unter anderem in die Therapie. Ein Vertrauen, das eben nicht mit einem totalen Kontrollverlust einher gehen muss.

Ich persönlich sehe es als Gratiszuwachs an Wissen, das mir da ermöglicht wird, wenn ich darüber lese, was mich selbst betrifft, was ich selber am erleben bin.
Warum sollte ich nicht die Vorgänge benennen können, wenn ich es eh schon am eigenen Leib erlebe?
Aber den Zweifel kenne ich: erlebe ich das jetzt, weil ich zuvor davon gelesen habe? Konnte ich aber immer ganz entschieden mit nein beantworten.

Liebe Grüsse an alle
Igelkind

Benutzeravatar

Betthupferl
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 42
Beiträge: 115

Beitrag Mo., 02.06.2014, 06:43

...Hallo in die Runde, und schönen guten Morgen!

Für mich war es "überlebenswichtig" mich unbewusst in den th.Prozess einzulesen und mich damit intensiv zu befassen,
denn ich hätte damals nicht "kapiert" WAS da passiert, und es wurde "gefährlich" für mich als "Ex-Traumatisierte" - konnte ich überhaupt nicht "in Gefühle fassen, was los ist" und mit mir durch die Therapie passiert...

möglicherweise, wäre ich heute nicht mehr da??? ich wäre geschieden, mein Hund wäre im Tierheim, und meine Kompetenzen als Mutter hätte ich völlig in Frage gestellt...
meine eigene kleine Familie - das kostbarste für mich, kam mir plötzlich so vork,
als hätten wir über viele viele Jahre alles falsch gemacht...

ich bin durch mein Leben und durch meine "beruflichen" Erfahrungen SEHR auf intuitives Handeln angewiesen, und habe dadurch viel für mich gelernt,
doch durch die Therapie habe ich plötzlich völlig an mir gezweifelt und gemeint, ich wäre ein gefühlsloses Frack...

alles in allem konnte ich durch das Literatur lesen mit viel Zeit erkennen,
dass der Th. und ich einfach nicht auf der selben Welle sind,
obwohl wir beide das Beste wollten...
ich sehe es erst heute, lange Zeit danach mit viel Abstand, vorallem EMOTIONALEM Abstand,
dass ich in einer viel zu tiefen Abhängigkeit steckte,
die ich durch meine Lebensgeschichte nicht auflösen konnte, und der Th. wollte mir damals helfen, und steckte durch seine eigene Lebenserfahrung auch so fest, dass er es auch nicht mehr lösen konnte...
es gab damals nur den Weg,

zu gehen, damit sich alles in Entfernung beruhigen konnte...
ich denke heute gut an ihn zurück, dass er einfach menschlich war, mit gut gemeintem Handeln, aber vielleicht mit mir übefordert???keine Ahnung,
er wollte mir helfen, war aber nicht in der Lage, mich "gut zu führen" - was ich so dringend gebraucht hätte...

wie er über mich denkt - heute, ob er noch manchmal an mich denkt, keien Ahnung, ist auch egal,
wir waren uns wohl gegenseitig Lebenslehrer...
HEUTE bin ich bei einer Beraterin, die wie ein Leuchtturm mein Leben navigiert,
ich steuere selber mein Boot,
doch wenn ich Gefahr laufe zu stranden, dann blinkt sie hell auf...

ein gutes Gefühl!

Alles Liebe
B.
Liebe und Lachen wirken Wunder

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Peonia
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 80
Beiträge: 156

Beitrag Mo., 02.06.2014, 06:57

leberblümchen hat geschrieben:Mir erscheint die Annahme, dass Verstand und Gefühl sich gegenseitig ausschließen sollen, gleichermaßen interessant wie falsch. Dass das Fühlen wichtig ist, wird doch wohl niemand bestreiten? Ist die Frage nicht eher: Was kann der Verstand tun, um den Prozess zu unterstützen? Und da gibt es dann wohl offensichtlich Patienten, die den Verstand als Widerstand benutzen, während andere ihn eher konstruktiv nutzen können. Diese Fähigkeit scheint von den Nicht-Lesern jedoch ignoriert zu werden, und das eigene Nicht-Fähigsein, die Literatur zu nutzen, wird auf die Lesenden projiziert - à la: "Wenn ich nicht kann, kann keiner".
Ich habe es mit "Verstand" zu unpräzise beschrieben. Rationalisierung trifft es viel besser. Zur Rationalisierung hätte mich eine Beschäftigung mit dem Therapieprozess an sich geradezu eingeladen und damit hätte ich mir alles vom Leib gehalten, was ich gefürchtet habe, nicht noch einmal mit Gefühl das durchlebt und teilweise durchlitten, was für mich not-wendig war (im Sinne von im wahrsten Sinne des Wortes Not wenden).
Sicherlich gibt es andere Patienten, denen eine Beschäftigung mit dem Prozess hilft, sich überhaupt darauf einzulassen. Das muss ja jeder selbst wissen.


leberblümchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 6034

Beitrag Mo., 02.06.2014, 07:25

Ich habe es mit "Verstand" zu unpräzise beschrieben.
Aber aus irgendeinem Grund hast du dieses Wort ja gewählt Rationalisierung (aha, du kennst dich also aus mit Abwehrmechanismen...) ist ja etwas anderes; das kann man auch ohne Bücher und mit einem IQ<125 hinbekommen.

Aber vielleicht ist das eben genau der Punkt: diese Gleichsetzung von 'Verstand, Intelligenz, Bildung, Wissen' mit etwas Negativem; insofern verstehe ich widow hier, wobei ich den Begriff der Intellektuellen für mich weder in Anspruch nehmen kann noch möchte. Aber ich sehe sie hier wie auch im 'wahren Leben': die, die (selbstverständlich nur für sich sprechend) meinen, dass Bildung (und ja, natürlich bilden wir uns, wenn wir Lehrbücher oder Freud lesen) etwas ist, das das gemeine Volk nicht nötig habe, um ein guter Mensch (guter Patient usw.) zu sein. Dass damit gleichzeitig die abgewertet werden, die sich durch das Lesen und Lernen einen Erkenntnisgewinn erhoffen, wird vielleicht nicht einmal bemerkt? Sorry, aber ich finde, das hat so was Kleinbürgerliches. Wer entscheidet eigentlich, wem das Denken überlassen werden soll?

Benutzeravatar

**AufdemWeg**
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 3753

Beitrag Mo., 02.06.2014, 07:38

Beleidigungen, Unterstellungen und die Frage wer ist besser/wer hat DIE Daseinsberechtigung/wer kommt weiter usw.usw.: immer wieder das Gleiche und es zeigt sich doch darin deutlich wie selektiv gelesen wird.

Schade, denn die Frage des Threads war interessant
droht aber leidet kaputt zu gehen.
Offline


Igelkind
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 43
Beiträge: 264

Beitrag Mo., 02.06.2014, 08:20

@ Auf dem Weg
Ich finde es immer noch interessant, gerade weil ich da auch selbst zwiegespalten bin.
Und natürlich wird selektiv gelesen, das kann man fast nicht verhindern, nicht wahr? Jeder liest mit dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung und Geschichte, das bereichert doch die Diskussion.

Meine Sicht:
Wenn jemand für sich selbst entscheidet, nicht oder wenig Information zu nutzen, impliziert das für mich noch keine Abwertung der sich Informierenden.
Würde jedoch jemand behaupten, eine ignorante (willentlich unwissende) Herangehensweise sei notwendig für einen gelingenden Therapieprozess, dann würde ich heftig protestieren, wie widow das getan hat.

Ich sehe hier aber niemanden, der das tut, oder eben höchstens für sich selbst.
Die Frage war, wie hilfreich erleben einzelne ihr Wissen (oder eben Unwissen) über therapeutische Prozesse in Bezug auf die eigene Therapiearbeit.

Denken und lesen hat doch auch nur am Rande miteinander zu tun.
Nur weil jemand keine Fachbücher liest, sagt das gar nichts über seine Denkfähigkeit / -faulheit aus.
Bloss muss man sich dann nicht beklagen, wenn man das Rad mühsam selbst erfunden hat, was eventuell nicht unbedingt nötig gewesen und vielleicht Leiden erspart hätte.
Wahrscheinlich könnten auch Therapieabbrüche verhindert werden, wenn die Patienten sich mehr über ihre eigenen Störungen, die Therapiemöglichkeiten und Vorgänge in einer Therapie (zB. Übertragungen) informieren könnten / würden.

Es kann auch etwas dekadent erscheinen, wenn man den IQ und die Möglichkeit hätte, sich aber absichtlich nicht informieren will. "Lieber Therapeut, heil mich mal schön, am liebsten will ich gar nicht so genau wissen, was du da machst." Aber so habe ich die Beiträge hier nicht gelesen.

Ich habe grosses Verständnis für diejenigen, die wenig bis nichts lesen wollen, weil da einfach auch ganz viel ungebetene Information mitkommt über alles Mögliche, was einem auch Angst machen oder verunsichern kann. Und man kann ganz grosses Kopfkino machen, das vielleicht nicht nötig wäre oder an den eigenen wahren Gefühlen vorbei geht. Mir geht es jedenfalls manchmal so.

Liebe Grüsse
Igelkind


Igelkind
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 43
Beiträge: 264

Beitrag Mo., 02.06.2014, 08:53

Persönlich war es für mich am Anfang absolut notwendig, viel zu lesen, da ich lange falsch diagnostiziert wurde, und spürte, dass ich falsch behandelt wurde.
Das hat mich stark verunsichert, lesen hat mir da geholfen.

Als dann mein jetziger Therapeut endlich nach einem halben Jahr intensiver Arbeit das richtige diagnostizieren konnte, da MUSSTE ich einfach alles darüber lesen.
Erstens um nicht wieder in etwas rein zu laufen, aber dann auch, weil es so schön war, weil endlich alles passte!

Manches hat mich dann auch vor den Kopf gestossen oder etwas überfordert, weil ich selbst ja erst am Anfang des Prozesses stand. Dann hab ich das auch immer wieder weg gelegt. Aber wie andere auch sagen, es hat mir viel Erhellung gebracht und mir auch das Vertrauen finden erleichtert.
Manche Stellen in Büchern habe ich markiert, weil es mir in gewissen Momenten gut tut, das dort schwarz auf weiss zu lesen.
Und manchmal weiss ich genau, jetzt KEIN Buch zur Hand nehmen.

Liebe Grüsse an alle
Igelkind

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Peonia
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 80
Beiträge: 156

Beitrag Mo., 02.06.2014, 09:15

@leberblümchen:
Ich sehe nicht, dass Verstand, Intelligenz, Bildung und Wissen hier mit etwas Negativem gleichgesetzt wurden. Ich habe wohl gesehen, dass es unterschiedliche Wege gibt, sich mit dem Therapieprozess auseinanderzusetzen. Es gibt nicht eine Therapie, sondern nur für jeden seine Therapie.

Ja, mit Abwehrmechanismen kenne ich mich mittlerweile aus, da ich mich in den letzten 10 Jahren intensiv mit Therapie und vor allem Psychoanalyse auseinandergesetzt habe. Nach Abschluss meiner Therapie hat es mich dann doch "gejuckt" zu verstehen (Achtung: Verstand), was in der Therapie passiert ist.

Bildung ist ein Grundrecht. Diese Selbstverständlichkeit müssen wir nicht diskutieren.

Ich habe Bildung genossen und über dieses Privileg bin ich sehr froh.
In meiner Familie wurde aber großer Wert darauf gelegt, diese Bildung nicht zur Ausgrenzung oder Abwertung derjenigen zu missbrauchen, die dieses Glück nicht hatten. Das hat insbesondere für unseren Sprachgebrauch gegolten, der ab dem Teenageralter und der Beschäftigung mit den ersten Werken jenseits der Kinderbibliothek zu einer durchaus "geschraubten" Sprache geführt hat.

Mir ist damals sehr eindringlich vermittelt worden, dass ich damit bei Menschen, die einen Teil meiner Worte erst im Duden nachschlagen müssen, mehrere Dinge bewirke: ich beschäme sie, weil sie sich dumm fühlen, sie werden sich mit mir nicht mehr unterhalten wollen, weil ja das Gespräch so unangenehm für sie ist und sie werden mich nicht verstehen. Warum unterhalte ich mich, wenn mich mein Gegenüber nicht versteht? Der Blick nach untern wurde uns Kindern gründlich ausgetrieben - und das zu recht.

Diesen "Glaubenssatz" habe ich nicht wegtherapiert, weil ich ihn richtig finde.
Er führt sicherlich dazu, dass ich an der ein oder anderen Forumsstelle Beiträge bemängel, die man aus meiner Sicht mit allgemein verständlicher Sprache genauso gut hätte formulieren können, weil ihnen der Gebrauch von "Fremdwörtern" keinen zusätzliche Deutlichkeit verleiht. Ich unterstelle damit natürlich, dass derjenige, der den Beitrag geschrieben hat, vor allem seine Bildung und seinen wachen Geist in den Vordergrund stellen will und nicht den Beitrag an sich. In Unkenntnis der Person ist das ein Vorurteil, denn vielleicht ist der Sprachgebrauch ja für denjenigen "allgemein", weil er sich nur in Kreisen bewegt, in denen so gesprochen wird.
Mit Kenntnis meiner Sozialisation und Erziehung möge man es mir verzeihen, bitte auch Du Widow, den Dich habe ich ja schon direkt in der Hinsicht aufs Korn genommen. In der Therapie ist - wie Du an einer Stelle gemerkt hast - vieles unbearbeitet geblieben, da ein Thema und eine Störung beackert wurde und alles andere "Beifang" war. Zu mehr haben die knappen zwei Jahre nicht gereicht.

Wenn hier der Eindruck entstanden ist, dass ich etwas gegen Verstand habe. Mit Nichten und Neffen!
Schön wäre es, wenn es mehr Verstand in der Welt gäbe, denn dann sähe sie vielleicht anders aus.

Für mich, die erzogen wurde, egal, was passiert, eine "stiff upper lip" zu zeigen, war eine der wichtigsten Therapieerfahrungen, die Lippe auch mal hängen lassen zu dürfen.
Und da ich bei allem, was sich mache, immer auf das Siegertreppchen möchte, hätte mich die Kenntnis des Therapieprozesses neben den ganzen Widerständen noch dazu gebracht, die beste Patientin von allen sein zu wollen. Dann hätte ich der Thera allerlei zum Spielen gegeben, es wäre aber nicht meins gewesen.

Lasst uns anerkennen, dass viele Wege nach Rom führen. Es besteht kein Anlasse für die Schärfe, die hier in die Diskussion gekommen ist.


leberblümchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 6034

Beitrag Mo., 02.06.2014, 09:30

Hallo, Peonia,
meinerseits ist da keine Schärfe; tut mir leid, wenn es bei dir so angekommen ist. Jedoch sehe ich schon ein gewisses 'Krisen-Potenzial' (ohne jetzt alle Beiträge noch mal durchlesen zu wollen) darin, wenn in einigen Beiträgen so ein Hauch von 'wer liest, ist nur zu blöd zum Fühlen' mitschwingt. Und natürlich - also, für mich ist das natürlich - macht der Wissensdurst nicht halt an der Türe zum Therapiezimmer.

Was dich persönlich betrifft, bin ich ein bisschen neugierig geworden (aber du musst dazu nichts sagen; es sind bloß Fragen, die mir in den Sinn gekommen sind): Du hast eine Analyse gemacht? Über zwei Jahre? Das ist relativ kurz, wobei 'kurz' bitte nicht mit 'defizitär' gleichzusetzen ist. Das alleine wäre mir vielleicht noch nicht aufgefallen, aber jetzt sind Jahre vergangen, du bist hier gelandet und fängst an, dich zu fragen, ob etwas versäumt wurde. Ist das so? Aber du fragst es irgendwie so um-sieben-Ecken-mäßig, dass du dich selbst eigentlich rausnimmst aus dem Geschehen, sondern fragst, wie andere es erleben.

Wie ist es denn für dich, abseits von Labor, IQ und Bibliotheken? Gibt es auch ein tiefes Gefühl zu dieser Frage? - Oder ist die Fragestellung selbst nicht schon ein Versuch, das Gefühl abzuwehren?

Benutzeravatar

Christie
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 33
Beiträge: 72

Beitrag Mo., 02.06.2014, 10:09

Igelkind hat geschrieben:@Christie
Nö, ich finde die Diskussion nicht doof. Und wenn man eine Diagnose (oder mehrere) einfängt, das verhält sich ja auch mit körperlichen Krankheiten so, dann stellt sich eben die Frage, wie sehr informiere ich mich darüber, und wie stark lasse ich es einfach auf mich zukommen.
In diesem Spannungsfeld befinden sich alle, die lesen und schreiben und nachdenken können und sich mit Leiden und etwas unfassbarem auseinandersetzen müssen.
Sorry, ich meinte nicht, dass ich die Diskussion zum Thema hier doof finde - die find ich sogar sehr gut - sondern dass es mich stört, wenn man Menschen in Akademiker und Nicht-Akademiker aufteilt. Aber mein Posting kommt mir gerade selbst recht unverständlich vor, ich hab mich gestern Abend eigentlich über was ganz Anderes genervt, und dann sollte man am besten gar nicht posten

LG
Christie

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag