Eigene Grenzen wahrnehmen und achten in der Therapie

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Wandelröschen
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Beitrag Di., 04.03.2014, 23:38

Hallo Ama,

ich gehe mal auf die verschiedenen Punkte ein. Ich krieg da gerade auch für mich was klarer.
Ama Taram hat geschrieben:„hier dürfen/können sie alles sagen, ist alles wichtig. Oder vertrauen Sie mir noch nicht genug …“
Etwas können/dürfen heißt doch nicht müssen, um irgendein Vertrauen zu beweisen.

Anders herum wird ein Schuh draus: wenn ich jemanden noch nicht genügend vertraue, in diesem Fall dem Thera, dann kann ich noch nicht alles sagen, halt aus Angst, es könnte mir zum Nachteil gereichen.
Ama Taram hat geschrieben: Thema der Therapie sind v.a. Kindheitserfahrungen, die mich bis heute verfolgen. Solche Erfahrungen zu schildern fällt mir ungemein schwer. Ebenso manche Gedanken, Gefühle... die damit heute in Zusammenhang stehen. Dementsprechend entstehen in den Stunden noch immer längere Schweigephasen. Dabei werde ich aber nie gedrängt, irgendwas zu erzählen, das ich nicht kann (Grenze). Vielmehr sagt er mir immer wieder, dass ich und nur ich entscheide, worum es gehen soll. Trotzdem gibt es hin und wieder den Hinweis darauf, dass es helfen könnte drüber zu reden - Auch wenn das enorm angstbesetzt ist und es keine Garantien gibt, dass es dadurch besser wird.
Diese Hinweise verstehe ich aber nicht als Druck Grenzen zu überschreiten, die ich nicht überschreiten kann. Vielmehr gibt er mir da fein Dosiert die Verantwortung für mich in die Hand. Ich entscheide und er ist da. Nimmt mich (im übertragenen Sinn) an die Hand und guckt sich an, was da ist.
Genau dieses hätte ich 1:1 schreiben können, ist/war bei unserem jetzigen Thera auch so, und das war absolut gut und positiv.
Ama Taram hat geschrieben: Ob ich dieses Angebot annehme, hat aber nichts mit Vertrauen zu tun, sondern damit, ob ich meine Scham (?) ein Stück weit bändigen kann.
Hier beginnt jetzt der Unterschied. Für mich sind meine Erlebnisse nicht schambesetzt, weil ich teilweise gefühlsblind bin. Es gibt einige Gefühle, die ich nicht kenne/spüre, keine Definition für habe, mit denen ich nichts anfangen kann. Scham und Trauer gehört z.B. dazu. Für mich sind die Ereignisse angstbesetzt, zum Teil mit lebensbedrohlicher Angst. Und deshalb hat für uns an der Stelle das erzählen dürfen, aber nicht müssen, sehr wohl etwas mit Vertrauen zu tun. Diese Grenze war uns immer bewusst, wir hielten/und forderten sie eisern ein. Ich konnte wirklich erst dann etwas häppchenweise erzählen, als das Vertrauen zum Thera so groß war, dass wir alle spürten, dass wir keine Angst ihm gegenüber haben mussten, dass etwas nach Außen sickert.

Und jetzt wir es kompliziert, merke ich, ihr vielleicht auch. Ich sagte, mit dieser Grenze habe ich ja kein Problem, habe und kenne ich wie ihr auch. Erkennt auch mein Thera und achtet sie und latscht nicht drüber.

Jetzt geht es ins nicht traumatische, aber ins persönliche. Eine 180grad Wendung hin zu der Grenze, die ich meine „Sie müssen nicht alles sagen, sie können auch etwas für sich behalten“.
Die hört im ersten Moment an, - und ja, jetzt sehe ich, wo da die Schwierigkeiten liegen, mir zu folgen – wie die von dir beschriebene für die traumatische Situation: „Sie können mir das alles sagen, müssen aber nicht, es (das erzählen) könnte aber hilfreich sein“, so wie es dein Thera sagte (meiner in dieser Situation auch).
Dann nenne ich die gerade von dir beschriebene Grenze mal „Traumatische Grenze“ (TG).

Und die Grenze, um die es mir geht, und die ich jetzt doch klarer definieren muss, nenne ich jetzt „Wandelröschen-Grenze“ (WG).

Die TG beinhaltet, dass nichts nach außen, außerhalb der Familie dringen darf, erzählt werden darf. Das hätte enorme negative Konsequenzen, teils lebensbedrohliche für unsereiner gehabt.

Die WG ist eine andere, eine persönliche kleine Grenze, die, dass man (wie ich jetzt inzwischen weiß) kleine Geheimnisse persönlicher Art haben darf, also Geheimnisse wie z.B. wo man den Nachmittag verbracht hat (wenn das z.B. bei einem Spielkameraden gewesen wäre, den die Eltern ablehnten, dann hätte jeder von euch vielleicht gesagt, ich war bei Paul, obwohl er bei Fritz gewesen ist). Diese Grenze, also eine innerfamiliäre, ist mir von klein auf abtrainiert worden, die durfte nicht sein. Da musste alles gesagt werden, innerhalb der Familie hatte es keine Geheimnisse zu geben, zumindest durfte ich gegenüber den Mitgliedern der Familie keine haben (die mir gegenüber natürlich schon, glaub ich zumindest). Ich musste alles berichten, sie mussten alles von mir wissen, um das Gefahrenpotential, das ich eventuell nach Außen darstellte, abschätzen zu können. Sie mussten mich ja kontrollieren können, und das ging ja nur, wenn sie alles von mir wussten. Diese Einsicht hatte ich als Kind natürlich nicht, erst jetzt (kommt momentan gerade). Insofern ist die Zerstörung der WG ja eine Sicherungsmaßnahme für die TG, wie mir gerade dämmert.
Dieses von kleinst auf antrainierte „alles erzählen müssen“ ist also in Fleisch und Blut übergegangen, wie das Zähneputzen nach dem Essen. „Alles“ beinhaltet aber natürlich nur die eigentlich harmlosen persönlichen Sachen wie o.g. (Fritz und nicht Paul), oder die 6 in Deutsch, oder die geklauten Buntstifte im Supermarkt, oder Vorlieben und Abneigungen, natürlich nichts, was den Familienkreis betrifft.

Die WG ist eine Grenze, die ich selber noch nicht so wahr nehme, wo sie ist. Im RL plapper ich also munter drauf los, erzähl diversen Leuten also Sachen, welche die sie eigentlich gar nicht zu interessieren haben. Ich merke erst mal gar nicht, dass ich da bei mir selber eine Grenze überschreite, mich also entweder z.B. der Lächerlichkeit preis gebe oder was ausplaudere, was mir zum Nachteil gereicht.
Und diese WG, das ist die Grenze, um die es mir geht in diesem Thread, nicht die TG oder allgemein die verschiedenen Grenzen, die ich vor kurzem zu montagne geschrieben habe. Aber ich merke gerade, wir brauchen mal ´ne Denkpause, da tut sich gerade was bei uns.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

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Ama Taram
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Beiträge: 37

Beitrag Mi., 05.03.2014, 08:20

Hallo,
Wandelröschen hat geschrieben:Anders herum wird ein Schuh draus: wenn ich jemanden noch nicht genügend vertraue, in diesem Fall dem Thera, dann kann ich noch nicht alles sagen
Ist das denn schlimm? (In deiner Signatur steht: Wann, wenn nicht jetzt? ich würde sagen: Dann wenn die Zeit dafür da ist... Das evtl. fehlende Vertrauen ist kein Makel, sd. ein Schutzmechanismus, der euer Überleben sichert.)

Zur Frage nach Angst vs. Scham, bin ich mir nicht so sicher, dass wir da tatsächlich von verschiedenem sprechen. Das Reden über traumatisches hat es vermutlich an sich, Angst auszulösen.
Die
Wandelröschen hat geschrieben:Angst, es könnte mir zum Nachteil gereichen.
halte ich irgendwo für auch für Scham. Bin mir da aber auch nicht so sicher, ist vllt. meiner eigenen "Gefühlsblindheit" geschuldet.

Und damit zu meinem eigentlichen Punkt. Was du über die Erfahrungen in deiner Familie schreibst, klingt für mich ganz typisch für traumatisierende Familiensysteme. Ein Redeverbot nach außen und absolute Offenheit nach innen. Das ist wohl trauriger Alltag für die meisten Kinder in gewaltausübenden Familien. Insofern sollte auch dein Thera damit gut vertraut sein. Das verschiebt innerliche Grenzen, bzw. weicht sie so auf, dass das Bewusstsein für deren angemessene Position verloren geht. Dann ist es schwer zu differenzieren, was ist hier angemessen (und ich denke schon, dass dieses "hier" einen Unterschied macht. In der Therapie ist es tatsächlich ok, "alles" zu erzählen und es hat auch "alles" eine gewisse Relevanz. Da geht es - schwarze Schafe unter den Theras ausgenommen - nicht darum, euch zu benutzen um die Gier des Theras nach intimen Details zu befriedigen)

Aber warum soll das setzen von Grenzen durch den Thera da helfen? Vllt. wäre es eher sinnvoll, dieses Problem, das dir ja sehr bewusst ist gemeinsam mit ihm auszuloten, also da mal ganz genau hinzugucken. Und somit eine Wandelröschen-Grenze erst zu etablieren... (die soweit ich das sehe durchaus mit einer traumatischen Grenze zusammengeht)

LG, Ama

PS: ich habe "Familienkrankheit Alkoholismus" von Ursula Lamborou gelesen, darin werden solche Mechanismen sehr gut erklärt.

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Miesel
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Beiträge: 289

Beitrag Mi., 05.03.2014, 08:41

Wandelröschen hat geschrieben: Die WG ist eine Grenze, die ich selber noch nicht so wahr nehme, wo sie ist. Im RL plapper ich also munter drauf los, erzähl diversen Leuten also Sachen, welche die sie eigentlich gar nicht zu interessieren haben. Ich merke erst mal gar nicht, dass ich da bei mir selber eine Grenze überschreite, mich also entweder z.B. der Lächerlichkeit preis gebe oder was ausplaudere, was mir zum Nachteil gereicht.
Und diese WG, das ist die Grenze, um die es mir geht in diesem Thread, nicht die TG oder allgemein die verschiedenen Grenzen, die ich vor kurzem zu montagne geschrieben habe. Aber ich merke gerade, wir brauchen mal ´ne Denkpause, da tut sich gerade was bei uns.
Aaaaah....Jetzt hab ich das kapiert.
Das hat jetzt echt einen Schlag getan. DIESE Grenze kenne ich auch. Sehr gut sogar. Und rumple immer wieder drüber. Offenbare mich an Stellen, an denen es sich später als falsch rausstellt, renne immer wieder in Fettnäpfen, weil ich schneller erzähle als nachdenke und zwar sowohl in dem Sinne, dass ich von mir zu viel erzähle, als auch dass ich manchmal Bemerkungen über andere Leute oder über einen Sachverhalt mache, die nicht angebracht waren.

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