Umgang mit dem Tod und Sinnfrage

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
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Thread-EröffnerIn
Blanchet
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 17:49

Die eine spezielle Liebe zwischen zwei Menschen ist einzigartig und einmalig - so wie sie zwischen diesen beiden war.
Die Liebe selbst gibt es überall und immer und in allem. Vor allem gibt es sie in uns selbst.

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Vincent
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 17:56

Widow hat geschrieben:Na, dann wünsche ich Dir den nötigen sportlichen Ehrgeiz, Vincent.
Meins ist das nicht. Dergleichen Haltung gönne ich den Göttern. Dafür müssen sie ja auch auf so manches konkrete Erlebnis verzichten.
Widow - und du strebst so sehr nach übergeordneter Erkenntnis. Du bist gebildet, hast dich mit den großen Philosophen auseinandergesetzt... nur noch keine eigene Philosophie draus gemacht; es bisher nicht geschafft, aus dir selbst aufzusteigen.

Ja, nach Selbsterhöhung soll der Mensch streben, weil er gerade dadurch er-leben kann.

Es gibt konkrete Erlebnisse, auf die ich gerne verzichte.
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)


Widow
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 18:02

Blanchet hat geschrieben: Die Liebe selbst gibt es überall und immer und in allem. Vor allem gibt es sie in uns selbst.
"Die Liebe selbst" ist ein unfühlbares Abstraktum (wogegen gar nichts einzuwenden ist: Ohne solche Abstrakta ließe sich Philosophie nicht betreiben), kein lebendiges Gefühl.
Dass es jene "Liebe selbst" "überall und immer und in allem" geben soll, wage ich zu bezweifeln, gründlich. Wie immer bei Abstrakta wirst Du nicht imstande sein, die These zu beweisen - es ist wieder einmal eine Glaubensfrage. (Übrigens eine sehr, sehr alte: Ich sag nur: Universalismus vs. Nominalismus.)
Der einzelne Mensch erlebt das konkrete, lebendige Gefühl (bestenfalls). Und das bedarf im Falle der Liebe eines Objekts (und sei's, man selbst): Nie also kann die Liebe "in uns selbst" bleiben, wenn sie Liebe sein will (sie muss sich wenigstens in uns [als Subjekt] auf uns [als Objekt] beziehen).

Edit:
@ Vinc:
Selbst-Erhöhung (wenn ich Dich richtig verstanden habe, im Sinne von "Transzendierung") als Erlebnis-Grundlage?
Wenn ich mich zu arg vergeistige, habe ich nichts mehr, womit ich zu erleben imstande wäre ...
Und wenn ich meine Erkenntnis-Grenzen zu arg zu überschreiten versuche, drehe ich ab in Regionen ohne jeglichen Erlebnisgehalt (vulgo: in die Sphäre der Götter / ins Nirvana und was dergleichen "Ziel"-Phantasien noch sein mögen).


Vincent
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 18:28

Widow hat geschrieben:Und wenn ich meine Erkenntnis-Grenzen zu arg zu überschreiten versuche, drehe ich ab in Regionen ohne jeglichen Erlebnisgehalt (vulgo: in die Sphäre der Götter / ins Nirvana und was dergleichen "Ziel"-Phantasien noch sein mögen).
Das klingt ja wie eine rational abgewogene Gleichung. Wie ein Kalkül aus der Überüberüber-Transzendenz heraus bzw. wie aus dem Jenseits heraus. Mir scheint, du bist schon gar nicht mehr im Transzendenten, aber eben auch (noch) nicht wieder im Konkreten angekommen.

Das Konkrete wäre ja dein Schmerz. Ich bin mir aber nicht sicher, ob du ihn denn wirklich konkret durchlebst. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass du deinen (Trauer-)Schmerz ebenso wenig annimmst, wie den Grund deines Trauerns. Vielleicht ist nicht einmal der Tod deines Liebsten der Grund.

Das "Transzendieren" oder "Nicht-Transzendieren" ist keinesfalls eine Entscheidung, die aufgrund von Pro- und Contra-Argumenten getroffen werden könnte. Es passiert, es wird möglich, oder eben nicht. Dafür gibt es auch kein Patentrezept. Dem Aus-sich-selbst-Aufsteigen muß etwas konkret Erlebtes (vielleicht ein Trauma oder eine Trauer) vorangegangen sein. Du magst gerade noch darin festhängen. Aber irgendwann, in naher oder fernerer Zukunft, wirst du selbst noch die Erfahrung machen, dass aus dem Aufstieg aus der jetzt durchlaufenden Phase in die wohl hoffentlich noch kommende, eine gewisse übergeordnete (Selbst-)Erkenntnis mitentsteht und mitgetragen wird.

Das Erleben wird dadurch nicht verhindert - aber es wird klarer und bewußter.
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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Widow
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 18:42

Lieber Vincent,

solange es mich noch gibt (und darüber, dass ich nicht mehr "ich" wäre, wenn ich Leben Nr. 1 hinter mir ließe und - wie Du und Blanchet es so erstrebenwert findet - mich sinnenlustig und quietschvergnügt vom Leben per se überzeugt in irgendein anderes Leben [aber bitte eins, das normenkonformer wäre, gelle?] stürzen oder, wie Du das jetzt nennst, 'mich transzendieren' würde, schrieb ich vor ca. 8 Seiten schon etwas), werde ich noch nichtmal einem Gott wünschen, dass Deine Prognose/Dein Wunsch in sein Ohr dringen möge.
Nimm's bitte nicht persönlich.

Falls ich Dir eine persönliche Frage stellen dürfte: Du schreibst hier so, nun, so "buddhistisch": Hast Du Deine Liebste an den Tod verloren (ja: "Verloren" in einem grausamen Kampf)? Und wollte sie noch was vom Leben, von sich und von Dir und hat all das nicht bekommen, das so viele einfach 'geschenkt' kriegen? Und hat sie das eine Weile mitansehen müssen? Dass alles vergeblich ist. Dass nichts hält und hilft, auch die Liebe nicht? Und dass kein Sinn darin steckt, dass es sie erwischt hat und nicht Dich oder Freund X oder Nachbar Y? Dass sogar der Tod keinen Sinn ergibt, sowenig wie das Leben in all seiner Vergeblichkeit? Und hast Du Deinerseits das mitansehen müssen (neben allem "leiblichen")? Bis zum letzten Wort und Blick?


Vincent
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 19:07

Widow hat geschrieben:Falls ich Dir eine persönliche Frage stellen dürfte: Du schreibst hier so, nun, so "buddhistisch": Hast Du Deine Liebste an den Tod verloren (ja: "Verloren" in einem grausamen Kampf)?
Und wollte sie noch was vom Leben,[...]
Das hat mit Buddhismus nichts zu tun, sondern mit der Logik des Lebens selbst.

Und ja, ich weiß was Verlust bedeutet. Sie war zwar nicht meine "Liebste", mit der ich mich im jeweiligen Lebensabschnitt in innigster Liebe verbunden und verpflichtet fühlte - sie war meine Mutter. Aber auch andere Menschen gingen früh - tot oder lebendig. Und sie alle haben noch etwas gewollt... vom Leben... von sich.

Du betonst den "grausamen Kampf", der verloren ging. Kämpfe werden gewonnen oder verloren - sowohl auf der "guten" als auch auf der "bösen" Seite. Das hat oft nicht einmal etwas mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu tun, sondern mit Mutlosigkeit, Ohnmacht, Demoralisierung oder anderen Gründen höherer Gewalt.

Das was den Überlebenden zu schaffen macht, ist doch nicht die Verzweiflung darüber, dass das Leben in jeder Minute auch den Tod beinhaltet, der unerwartet zuschlägt; es sind diffuse Schuldgefühle, nicht genug getan zu haben, um das "Übel" abzuwenden, das jedoch unabwendbar war.
Widow hat geschrieben:Und hast Du Deinerseits das mitansehen müssen (neben allem "leiblichen")? Bis zum letzten Wort und Blick?
Ja, das habe ich. Und dem letzten Wort, dem letzten Blick und dem ganzen grausamen Kampf habe ich Sinn entnehmen können... für mich, für jeden, für alles...
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)


Vincent
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 19:12

Widow hat geschrieben:solange es mich noch gibt (und darüber, dass ich nicht mehr "ich" wäre, wenn ich Leben Nr. 1 hinter mir ließe[...]
Es ist und bleibt dein einziges. Aber eine Widow in zwei Jahren mag auf die Widow von heute zurückblicken und feststellen: Mein Gott!
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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hawi
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 19:37

Ich lese diesen Thread heute zum ersten Mal, lese nur die Seiten von heute, las noch den Anfangsbeitrag, um vor allem zu sehen, ob das, was ich schrieb, hier überhaupt herpasst.

Bin sicherlich der falsche Schreiber, um anzumerken, dass sich hier so manches doch erheblich einfacher, griffiger, ausdrücken ließe. Selber gern mal aus-, abschweifend, mit Überlänge und und und, manchmal versteh ja später ich selber nicht mal, was denn nun eigentlich mein Beitrag sollte.

Hier? Hier lese ich gar nicht nur langes, zu kompliziertes, aber?!

Jetzt zuletzt:
Blanchet hat geschrieben:Die eine spezielle Liebe zwischen zwei Menschen ist einzigartig und einmalig - so wie sie zwischen diesen beiden war.
Die Liebe selbst gibt es überall und immer und in allem. Vor allem gibt es sie in uns selbst.
Nichts für ungut, aber da steht, dass ein Schimmel weiß ist.
Dass es viele Schimmel gibt und ein wenig weißes Pferd in uns allen steckt.

Speziell ist das spezielle und spezielles gibt es häufiger.
Vincent hat geschrieben:Widow - und du strebst so sehr nach übergeordneter Erkenntnis. Du bist gebildet, hast dich mit den großen Philosophen auseinandergesetzt... nur noch keine eigene Philosophie draus gemacht; es bisher nicht geschafft, aus dir selbst aufzusteigen.

Ja, nach Selbsterhöhung soll der Mensch streben, weil er gerade dadurch er-leben kann.
Auch hier? Widow kenne ich zu wenig, womöglich bedeutet ihr so was ja was.
Meine Farbe ist es nun überhaupt nicht. Klingt nach Pastell oder bonbonfarben. Irgendwie rosa.

Zudem assoziiere ich (im "unrosa Modus“) Wolf Biermanns Gedicht zu FRITZ CREMER, BRONZE: „DER AUFSTEIGENDE“
http://www.zeit.de/1968/34/mit-marx-und ... en/seite-4 (bis seite-12)

Das Gedicht endet:
Macht er Fortschritte- Oder macht er Karriere?
Oder soll er etwa, was wir schon ahnten
- ein Symbol sein der Gattung Mensch?
Steigt das da auf zur Freiheit, oder, was wir schon ahnten
zu den Fleischtöpfen?
Oder steigt da die Menschheit auf im Atompilz zu Gott
und, was wir schon ahnten ins Nichts?


Tschuldigung, mein Sinn fürs Höhere, sehr endlich, womöglich pass ich grad gar nicht hierher. Aber es einmal sagen, danach ist mir doch.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


Vincent
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Beitrag Mo., 19.11.2012, 23:28

hawi hat geschrieben:Tschuldigung, mein Sinn fürs Höhere, sehr endlich, womöglich pass ich grad gar nicht hierher. Aber es einmal sagen, danach ist mir doch.
Ja, Hawi, danke einmal dafür. Also für deinen subtilen Einwand. Für dein Ins-Endliche-Zurückholen. Wäre aber gar nicht nötig gewesen. Ich kann dir versichern, dass ich trotzdem über Sinn und Unsinn des von dir erwählten Gedichtes nachsinne. Und zwar im Diesseits.

Mein Fazit: Auch der Schreiber des Gedichts hat Erfahrungen gemacht. Andere. Wenn er auch jene Worte wählte, decken sich die Semantiken nicht, nur weil sie vielleicht gerade zum Thema passen mögen - auf den ersten Blick. Man kann sich ja auch theoretisch auf hohem Niveau mit Philosophie auseinandersetzen. Bei den Einen bleibt sie rational, ein Spielen mit Konstrukten; bei den Anderen wird sie zur konkreten Lebenswirklichkeit oder zumindest darauf anwendbar.

Jeder, der über obige Verse sinniert, sinniert anders über sie; kommt zu anderen Empfindungen, zu anderen Ergebnissen oder Erkenntnissen. So geht es jedem mit fast allem. Oder kannst du mir beweisen, was in dir auf allen Ebenen so alles passiert, wenn du an "weiße Schimmel" denkst?
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)


Vincent
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Beitrag Mi., 21.11.2012, 21:10

(Dieter) "Nuhr am Leben" (aus der Reihe der ARD-Themenwoche zum Tod)

Sehr witzig!

http://mediathek.daserste.de/sendungen_ ... r-am-leben
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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Inside
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Beitrag So., 09.12.2012, 17:18

Ich bin neu hier, lese aber schon lange in diesem Forum.
Seite meiner Kindheit, die sehr belastende Spuren in mir hinterlassen hat, beschäftigt mich das Thema Schuld - Opfer - Täter.

Ich war selbst Opfer (Missbrauch, Vernachlässigung, emotionale Gewalt, Verlust der Eltern) und wurde im Laufe der Jahre auch Täterin.

Ich war nie in der Lage ein Leben zu führen, in dem ich für mich alleine sein konnte. Nach außen hin habe ich gut funktioniert, habe einen Beruf erlernt, Kinder groß gezogen, geheiratet - das volle Programm.
Innerlich blieb ich leer und zerrissen. Ich war ständig auf der Suche nach etwas, das ich nicht benennen konnte.

Vor einem halben Jahr zerbrach auch meine äußere "Idylle". Ich flog aus "meinem" Leben, das so gar nie meines war. Meine Kinder sind noch an meiner Seite und es geht ihnen gut, der Rest wurde mir entrissen.
Nach dem anfänglichen Schock und einer Phase in der ich mich ausschließlich als Opfer fühlte, kamen mir auch andere "Wahrheiten" in den Sinn.

Ich frage mich: gibt es so etwas wie eine existenzielle Schuld?
Und kann die so weit gehen, dass sie jemand anderes das Leben kostet? Ist es möglich so wenig an eigener Lebensenergie zu haben, dass man jemand in den Tod "drängt", weil das vielleicht die einzige Fluchtmöglichkeit ist, die ich ihm gelassen habe?

Ich hänge das Thema erst mal hier an, weil es mir da am Besten zu passen scheint.

Hat jemand schon einmal eine geliebte Person verloren und sich so etwas gefragt?
Oder ganz andere Ideen dazu?

Ich bin für jeden Input dankbar.

Inside


Vincent
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Beitrag So., 09.12.2012, 19:21

Hallo Inside,
Inside hat geschrieben:Ich frage mich: gibt es so etwas wie eine existenzielle Schuld?
Und kann die so weit gehen, dass sie jemand anderes das Leben kostet? Ist es möglich so wenig an eigener Lebensenergie zu haben, dass man jemand in den Tod "drängt", weil das vielleicht die einzige Fluchtmöglichkeit ist, die ich ihm gelassen habe?
Wie viele Antwortmöglichkeiten gibst du dir auf obige Frage? Ist die ihr implizite Antwort, nämlich dass es eine existentielle Schuld gibt, derzeit die einzige, die du dir geben kannst?

Ich glaube, diese Schuld gibt es nicht. Der Mensch, der da gegangen ist, hätte andere Möglichkeiten gehabt vor dir zu fliehen. Mußte er vor dir fliehen? Ich verstehe es doch richtig, dass sich dein Lebenspartner das Leben genommen hat?!?
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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Inside
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Beitrag So., 09.12.2012, 19:37

Nein er hat sich nicht das Leben genommen, er starb an einer seltenen Erkrankung.
Das hat mich sehr aus der Bahn geworfen, so sehr dass ich einige Zeit jeglichen Sinn im Leben verloren hatte. Ich bekam eine PTBS diagnostiziert und machte eine Therapie. Das half zumindest mich ein wenig zu stabilisieren, aber es plagen mich immer noch Albträume und mein Schlaf ist sehr beeinträchtigt.

Am meisten hat mir das Gefühl zu schaffen gemacht, dass ich gar niemand mehr bin ohne ihn.
Das ist jetzt nicht mehr so, ich kann sogar behaupten dass ich zum ersten Mal im Leben so etwas wie ein eigenes Ich habe.
Seit dem (ich den Unterschied kenne) frage ich mich immer wieder, wie all die Jahre für ihn gewesen sein mussten. Ich liebte ihn abgöttisch und er - ja ich denke er mich auch. Dennoch habe ich ihm sicher nicht die Luft zum Atmen gelassen, die er vielleicht gebraucht hätte. Wir hatten auch unsere schlechten Phasen und ich hörte oft, dass er es mir nicht recht machen kann.
Ich habe das immer von mir gewiesen, heute muss ich leider erkennen, dass er (auch) recht hatte. Ich war in einem hohen Maß - aus heutiger Sicht existenziell - von ihm abhängig.

Ich meine das nicht in finanzieller Hinsicht, sondern: ohne ihn fühlte ich mich, wie ein niemand.
Er war es, der mich als einziger Mensch jemals so wahrgenommen hat, wie ich bin. Als er ging, "löste ich mich auf".

Aber keiner kann einem anderen die Verantwortung für die eigene Existenz abnehmen. Vielleicht war es die Last dieser falschen Verantwortung, die ihm das Leben gekostet hat?

lg
Inside


Vincent
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Beitrag So., 09.12.2012, 20:00

Nun, aber du befürchtest, die Krankheit habe ihn ereilt, weil er dich freiwillig zu lange ertragen hat, was du jetzt im Nachhinein glaubst zu erkennen?

Es ist doch sehr gut, dass du mehr als früher zu dir gefunden hast, und dir Fragen stellst, die du dir zuvor nicht gestellt hast; dass du deine/eure gemeinsame Zeit reflektierst. Aber du solltest keine Schuld suchen, wo keine Schuld zu finden ist!

Es ist verständlich, dass man dem (viel zu frühen?) Tod eines nahen Menschen einen Sinn geben will. Leider neigt man dabei auch nicht selten dazu, sich eine (Mit-)Schuld daran zu geben. Diejenigen, die gehen, waren aber für ihr Leben selbst verantwortlich. Hätte er es nicht ertragen, hätte er dich verlassen können - lebendig. Und vermutlich wäre er sogar erkrankt, hätte er sein Leben "glücklich" nennen können.

Nein, Inside, seine Zeit war gekommen. Aber nicht durch dich.

Allerdings glaube ich grundsätzlich schon daran, dass eine allzu große Selbstverhinderung tatsächlich Unheil bringen kann. Für die wäre er jedoch selbst verantwortlich gewesen.

Du schriebst, auch du seist "Täterin" geworden. Was glaubst du denn 'verbrochen' zu haben? Hast du damit gemeint, es ihm nicht recht gemacht zu haben?
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)


Widow
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Beitrag So., 09.12.2012, 20:14

Liebe Inside,

obwohl (oder vielleicht auch weil?) der Liebste und ich je eigen waren: Eigenständig, eigensinnig und eigenmächtig, glaube ich zu wissen, was Du meinst.
Und meine Antwort lautet: "Ja". Ich bin sicher: Man kann eine ganz massive Schuld am Krankheitstod des Liebsten haben.

Die mir "nächsten" Menschen um mich herum sind - bis auf meine beste Freundin - alle krank geworden. Zwei sind tot.
Ich bin toxisch.

Der Liebste würde ohne mich vermutlich noch leben. Er hätte eine bessere Frau getroffen, die mehr auf ihn acht gegeben hätte, die ihn regelmäßig und rechtzeitig an die Vorsorgeuntersuchungen erinnert hätte, die seine chronische Erkrankung (an der Stelle setzte der Krebs dann an) ernster genommen hätte (was er von sich aus nicht tat), die ihm ein ruhigeres, ein geplanteres Leben geboten hätte, die statt wochenends am Schreibtisch zu sitzen, mit ihm Ausflüge gemacht hätte, die weniger egomanisch gewesen wäre, weniger berufsorientiert und während der Krankheit weniger Monster als ich.

Du hast es selbst eine von von mehreren "Wahrheiten" genannt, diese Einsicht. - Offenbar kommst Du mit ihr nun gut zurecht, wenn ich Dein zweites posting richtig verstehe? Warum also treibt sie Dich dann um und hierher?

LG
Widow

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