Warst (bist) Du mit Deiner Kindheit zufrieden?

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Eremit
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Beitrag Mo., 03.08.2009, 22:09

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Der Tag meiner Geburt war der Beginn meines Scheiterns als Tochter.
Das IST Poesie. Poesie ist nicht immer inhaltlich schön. Trotzdem, für mich ist dieser Satz schön. Er hat was. Bitte mehr davon, schön eingebunden, vielleicht rotes Leder.

@Torsade_de_pointes:

Wie es mir mit meinen eigenen Erinnerungen geht - irgendwie komisch, entrückt. Den Schmerz kann ich kaum mehr fühlen, eigentlich gar nicht, ich denke auch kaum mehr darüber nach, blocke stark. Ich habe in der Zwischenzeit als junger Erwachsener viele weitere schlechte Dinge erlebt (Arbeitslosigkeit, Drogensucht, Obdachlosigkeit, etc.), die mich im Bewußtsein beschäftigen. Lieber wittme ich mich eigentlich den Problemen der Gegenwart, an der Vergangenheit kann ich sowieso nichts ändern. Es muß weitergehen.

Probleme habe ich aber noch immer mit automatisiertem Verhalten (Vermeiden von Situationen) oder Backflash-Erlebnissen, wenn ich z.B. Holzschlapfen sehe. Gott sei Dank sind die Dinger aus der Mode gekommen...

Ich bin überfordert, wenn ich z.B. mit netten Leuten beim Heurigen sitze und auf einmal kommt das Thema Kindheit auf. Ich kann ja solche Dinge nicht in eine gemütliche Runde werfen, das verdirbt die Stimmung für den Rest des Abends. Lieber gebe ich dann eine Runde aus, lenke vom Thema ab oder verschwinde kurz "zufällig" auf die Toilette, wenn ich zurückkomme wird wieder über etwas anderes geredet - und ich denke mir, puh, gerade noch mal gut gegangen...

Ganz schlimm ist es, wenn sich eine Frau für mich und meine Vergangenheit interessiert (Phase des Beschnupperns) oder in einer bereits bestehenden Beziehung (Ganz, ganz schlimm). Da wird dann nachgebohrt, und irgendwann lasse ich mich doch überreden und erzähle etwas von meiner Kindheit/Jugend. Ich bin dabei emotional neutral, als wäre ich unbeteiligt, nur ein Beobachter, der den Inhalt eines Films erzählt - und der Frau/Partnerin kommen die Tränen. Ich weiß dann nie, was ich machen soll - ich meine, wie tröstet man einen Menschen, der total traurig wird aufgrund der Dinge, die man SELBST erlebt hat? Ist eine wirklich seltsame Situation, bis jetzt habe ich noch keinen Plan, wie ich das am Besten handhaben könnte. Ich muß zugeben, daß ich dann stark dazu neige, meine Erlebnisse zu bagatellisieren und zu rationalisieren.

Im Gegenzug habe ich aber kein Problem, wenn mir Menschen von ihrer schlechten Kindheit/Jugend erzählen. Das trifft mich dann ziemlich heftig, auch wenn sie scheinbar mehr "Glück" hatten...

Klingt nach ziemlich viel Projektion, ich weiß...

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Eremit
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Beitrag Mo., 03.08.2009, 23:42

Ich habe das Gefühl, als wäre mein Beitrag hier nicht "rechtmäßig". Kann es schwer beschreiben, ein drückendes Gefühl...

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Somnambule
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Beitrag Di., 04.08.2009, 07:12

Ich wüsste nicht, warum er das nicht sein sollte.
Falls Freiheit überhaupt irgendetwas bedeutet,
dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen,
was sie nicht hören wollen.
George Orwell


Eremit
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Beitrag Di., 04.08.2009, 08:58

Beim durchlesen des Threads fällt mir auf, daß sich zu diesem Thema (inklusive mir) nur drei Männer geäußert haben...

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Elfchen
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Beitrag Di., 04.08.2009, 09:04

Lieber Eremit
Eremit hat geschrieben:... und der Frau/Partnerin kommen die Tränen.
Die Partnerin weint die Tränen, die eigentlich Du weinen müsstest. Ich hab das auch schon erlebt. Sogar eine Therapeutin hat mir mal gesagt, dass sie stellvertretend für mich weinen müsse. Ich hab das damals gar nicht verstanden.
Ich verstehe jedoch Deine eigene Versteinerung, die einem davor bewahrt, in die Fluten der Emotionen zu tauchen und - darin unterzugehen.
Ab einem gewissen Mass an Schrecklichem und Enttäuschung läuft man halt Gefahr, dass das passieren könnte und man sich verlieren könnte.

Lass die Leute doch, löse Dich von den Vorstellungen, wie etwas sein "müssen sollte" und fühl Dich einfach wohl in der Damenrunde.

glg
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet


Eremit
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Beitrag Di., 04.08.2009, 10:39

Ich weiß, daß das MEINE Tränen sind. Es hat mir jedes Mal das Herz zerrissen, wenn ich sie so bitterlich weinen gesehen habe. Weil MEINE Geschichte in Wahrheit MEIN Herz zerreißt. Es wird noch sehr viel Zeit vergehen, bis ich diese Dinge halbwegs in meinen Alltag eingebaut habe. Dafür braucht man wahrscheinlich ein Leben lang...

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clematis
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Beitrag Di., 04.08.2009, 11:13

mich hat es im gegensatz zu dir, eremit, sehr befreit als mein freund MEINE tränen geweint hat (besonders weil ich ihn in den letzten 6 jahren nur 3x hab weinen sehen).
kannst du das auch mal aus einer anderen perspektive betrachten? ich meine ohne schlechtes gewissen, jetzt für die tränen verantwortlich zu sein, sondern einfach dankbar zu sein, dass jmd DEINE tränen weint?
"Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis."
Woody Allen


Eremit
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Beitrag Di., 04.08.2009, 11:26

Ich bin auch dankbar. Aber es ist MEINE Last. Meine bisherigen Partnerinnen hatten schon vorher genug zu tragen, waren auch gebrannte Kinder. Ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen. Meiner Partnerin eine Last aufzubürden, die ich selber nicht bereit bin zu tragen, ist kein guter Charakterzug.

Mir kommt es oft vor, als hätte ich ein Problem mit Selbstmitleid. Ich jammere und bemitleide mich aufgrund blöder Kleinigkeiten des Alltags. Aber ich komme nicht zum WAHREN Schmerz durch. Dorthin, wo keine Rationalisierung mehr funktioniert, kein intellektuelles Geplänkel und Wortspielerei.

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clematis
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Beitrag Di., 04.08.2009, 11:38

Eremit hat geschrieben:Meiner Partnerin eine Last aufzubürden, die ich selber nicht bereit bin zu tragen, ist kein guter Charakterzug.
wer sagt denn, dass man nicht selbst bereit ist, diese last zu tragen?
blödes beispiel: ich gebe auch haushaltspflichten an meinen freund ab, obwohl ich es auch alleine könnte. es ist eben einfacher und ich habe mehr kraft für mich und damit auch wieder für uns. (aber vielleicht kannst du trotzdem einen bezug zum "lasten teilen" sehen.)

Eremit hat geschrieben:Aber ich komme nicht zum WAHREN Schmerz durch.
was passiert denn, wenn dein selbstmitleid aufkommt? wieso ist selbstmitleid eigentlich schlecht? ich lese da sowas wie verachtung dir selbst gegenüber raus. konntest du schon mal bei jmd im arm liegen und einfach nur weinen? mal nicht reden, sondern einfach nur "kind" sein und sich anlehnen? vielleicht kommt man nur so mal zu dem wahren schmerz, indem man diesen mal zulässt, sich selbst erlaubt...?

zitat meiner thera aus der klinik "wenn man schluckt ohne zu kauen, kann man nicht richtig verdauen. dann kommt alles immer so lange wieder hoch, bis man beginnt zu kauen - und es braucht die zeit, die es braucht"

"Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis."
Woody Allen


Eremit
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Beitrag Di., 04.08.2009, 13:09

Jemandem im Arm liegen und weinen? Ganz hemmungslos? Ich konnte schon hemmungslos weinen, aber das ist lange her, und ich mußte dafür allein sein und bestimmte Substanzen intus haben. Wenn es um meine eigenen Probleme geht, bin ich es gewohnt, mich zurückzuziehen und alles selbst auszuschnapsen, mein Nickname kommt nicht von ungefähr. Daß ich hier darüber schreibe ist schon der helle Wahnsinn...

Ich weiß nicht, wie ist man "Kind"? Manchmal fühle mich um meine Kindheit betrogen. Als Kind dachte ich mir immer "Kinder sind blöd, ich will nicht blöd sein, ich will kein Kind sein, ich muß besser sein, besser als alle Anderen - ICH BIN KEIN KIND!"...

Ich war die Maschine, die aufgezogen wird. Ich zog mein Ding durch (Meines?), ich funktionierte, leistete meinen Beitrag, tat, was von mir verlangt wurde. Was ich dachte und fühlte war nicht einfach irrelevant, es war ein Problem, das zu korrigieren galt, es wurde korrigiert, ich mußte funktionieren, weiter und weiter und weiter, alles besser machen, es war nie genug, fleißig sein, fleißig sein, dann wird aus mir mal etwas - eine bessere Maschine. Heute noch renne ich wie aufgezogen in der Gegend herum, kann nicht stillstehen, Stillstand ist für mich der kleine, bedeutungslose Tod fernab jeder Wahrnehmung. Ich könnte durch Wände laufen, so getrieben fühle ich mich, und ich treibe die Menschen in den Wahnsinn mit meiner Getriebenheit, die, kombiniert mit meiner emotionalen Distanz, ein ziemliches Problem darstellt. Ich kann nicht abschalten. Ich muß immer etwas tun, wenn ich nichts mache, bin ich nicht existent, wer rastet, der rostet, Arbeit ist das halbe Leben, der Rest sind Wartungsarbeiten. Ich bin der mechanische Diener in der goldenen Rüstung, innerlich verfaule ich, bin nicht mehr als verwesendes, bedeutungsloses Fleisch, eine undichte Bio-Batterie - eine treffende Metapher. Mir stockt der Atem, während ich diese Zeilen schreibe, daß muß ein Hinweis auf verbliebenes Leben sein.

Kauen. Ich weiß (noch) nicht, wie man kaut, aber ich kann vortrefflich mit den Zähnen knirschen, wie verkeilte Zahnräder. Knirsch, knirsch.

Ich muß mich für meinen unter Umständen befremdlichen Schreibstil entschuldigen, aber so kann ich besser umschreiben, was ich fühle und denke...

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Torsade_de_pointes
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Beitrag Di., 04.08.2009, 13:28

@ eremit,

ich find das ganz toll daß du das schreibst. und wie du es schreibst bleibt dir überlassen, in versen, prosa oder auch unzusammenhängend, hauptsache es sprudelt heraus, und die gunst der stunde sollte man nützen, den hellen wahnsinn, oder den hellen moment?
Mir stockt der Atem, während ich diese Zeilen schreibe, daß muß ein Hinweis auf verbliebenes Leben sein.
das ist ja auch schon wieder so ein edler, poetischer satz.
Ich könnte durch Wände laufen, so getrieben fühle ich mich, und ich treibe die Menschen in den Wahnsinn mit meiner Getriebenheit, die, kombiniert mit meiner emotionalen Distanz, ein ziemliches Problem darstellt.
das kann ich mir gut vorstellen, daß dies ein großes problem für dich darstellt. ich weiß zwar nicht warum, aber irgendetwas hält mich an zu denken, daß du gerade zur zeit ein stück weiter gehen willst in deinem leben, ein stück weiter dich zu öffnen. kann das sein?

ich werde sehr gerne hier mitlesen wenn du hier noch weiterschreiben willst, egal was und wieviel da noch kommen mag. du bist hier erwünscht!

lg tdp

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Stuffie
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Beitrag Di., 04.08.2009, 13:39

Eremit hat geschrieben:Beim durchlesen des Threads fällt mir auf, daß sich zu diesem Thema (inklusive mir) nur drei Männer geäußert haben...
Jetzt sind es vier.

@Thema:

Ich bin mit meiner Kindheit im Allgemeinen zufrieden. Die Erziehung hat größtenteils meine Mutter übernommen, da mein Vater berufstätig war und oft spät nachts oder garnicht nach Hause gekommen ist. Sie hat auch viel Wert darauf gelegt, dass ich weiß wie ich mich zu benehmen habe, dass ich stets höflich und respektvoll gegenüber Anderen bin. Ich hatte ein schönes Haus mit eigenem Zimmer, Brüder die mich gerne geärgert haben (bis zur Pubertät, dann haben sie alles retour gekriegt ), Haustiere (Hunde und Katzen) und Freunde. Das Einzige, was ich vielleicht an meiner Kindheit bemängeln kann ist, dass ich nicht sonderlich viel getan habe. Seit meinem sechsten Lebensjahr war ich von Computern (damals waren 90MHz das Topmodell) und Videospielen fasziniert und verbringe seitdem fast meine ganze Freizeit damit, in die Rollen virtueller Helden oder Heerführer zu schlüpfen, das Böse zu bekämpfen und holde Jungfern zu retten. ^^ Auch wenn ich Freunde in der Gegend bzw. in der Schule hatte kamen diese Kontakte seitdem aber immer etwas zu kurz. Klar, ich hab mich hier und da mal mit ihnen getroffen, aber ich hatte auch nichts dagegen, zu Hause zu sitzen und zu spielen. Man könnte daher sagen, dass sich meine Eltern (bzw. meine Mutter) vielleicht mehr hätte bemühen sollen, mich und meine Brüder "nach draußen" mitzunehmen. Vielleicht einmal in den Park oder zu Spaziergängen oder zum Einkaufen.
Während ich in der Pubertät gesteckt bin haben sich meine Eltern zwar geschieden, aber Gott sei Dank haben sie es besser gemacht als das Durchschnittspaar: Sie haben sich in aller Freundschaft getrennt. Kein Gezeter, keine Streitereien, kein Geschrei. Mein Vater ist bei ihr sowie bei mir und meinen Brüdern stets willkommen, es herrscht reger Kontakt zwischen uns und er kommt auch - sofern es ihm der Beruf erlaubt - auch zu unseren Geburtstagsfeiern. Ich glaube, diese "gute Scheidung" hat mich durchaus vor Schaden bewahrt, denn mir bedeutet das Familienleben viel. Wenn die zwei sich gegenseitig zur Sau gemacht hätten hätte das in mir vielleicht auch etwas Schlechtes hinterlassen.
Meine Eltern haben mich allerdings nie über Sex aufgeklärt. o.O Eventuell dachten sie ich würde das schon irgendwo lernen. Na jedenfalls hab ich das. Vielleicht ist gerade die fehlende Aufklärung der Grund für mein Interesse an Frauen abseits des sexuellen Parts. Ich finde es faszinierend, wie sehr Frauen anders sind als Männer, obwohl wir beide von derselben "Rasse" stammen. Frauen haben z.B. ein anderes Sichtfeld, empfinden stärker, sind aufgrund ihrer Hirnstruktur Multitask-Talente und Vieles mehr. Wann immer ich Bücher oder Artikel über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in die Finger kriege fange ich ganz neugierig an zu lesen und bin immer wieder von Neuem überrascht und erstaunt. ^^ (ich hoffe ich mache hier niemandem mit diesem Interesse Angst )

Also kurz gesagt war meine Kindheit vielleicht teils etwas einsam, aber ansonsten wüsste ich nicht was meine Eltern bei mir falsch gemacht hätten.

P.S.: Ich hoffe es kommt nicht so rüber, dass ich dich ignoriere, Eremit. Ich habe nur nicht alle deiner vorherigen Beiträge gelesen und wollte daher noch nichts dazu sagen.
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Rezna
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Beitrag Di., 04.08.2009, 14:28

Bin ich mit meiner Kindheit zufrieden? Jein.

Ich hatte einen großen Nachteil: meine Eltern.
Ich hatte einen großen Vorteil: meine Geschwister.

Meine Eltern waren nicht schlecht oder so - sondern - wie wohl meistens - das Ergebnis zwischen zu unreif für Kinder und zu unreflektiert in der Erziehung. Gefangen zwischen dem "nicht wie die eigenen Eltern sein wollen" und dem "im Alltag erst recht so werden". Frustriert und überfordert haben sie teilweise vergessen, daß wir kleine sensible Wesen sind die sehr genau beobachten, die nachahmen, die individuell sind und Bedürfnisse haben. Sie haben sehr großen Druck aufgebaut und wussten (zumindest bei mir) welche Knöpfe sie Drücken müssen um mich und meinen (Lebens)Willen zu brechen, mehrmals. Wenn ich an die Kindheit denke sind da viele negative Gefühle wie Angst, sehr große Angst vor den übermächtigen Eltern, den Ohrfeigen, dem aufs Knie gelegt werden, dem unfair behandelt werden, dem Liebesentzug, dem gedemütigt und ständig runter gedrück werden. Das Gefühl, eigene Bedürfnisse sind ein Verrat an den Eltern, man ist schuld an allem, vor allem am Sterben meiner Mutter (die aber dann eh überlebte und heute gesund ist - aber ich habe mein Leben lang damit zu knabbern, daß ich "Schuld am Tod meiner Mutter bin" weil ich ein "schlimmes Kind" bin... ohne je etwas getan zu haben - ich war ein ohnehin sehr ruhiges und zurückhaltendes Kind... aber Erstgeborene und damit der perfekte Sündenbock für alle und alles und jeden und überhaupt - sei es eine Unzulänglichkeit der Eltern selber oder weil die "Kleinen" was angestellt haben - ich war irgendwie schuld... dazu immer faul, dumm und sonstiges... Es gibt ein Video aus dieser Zeit und da bin ich ständig am putzen und zusammenräumen im Hintergrund, während ich dabei ständig von meinen Eltern gestichelt werde weil ich es nie richtig mache... als ich das Video vor ein paar jahren sah war das ein Schock... denn ich hatte immer gedacht, ich hätte mir das in meinem Selbstmitleid nur eingeredet, daß es so war... auch meine Schwestern waren ziemlich betroffen - auch meine Mutter... offenbar hatte diese Zeit jeder verdrängt und anders wahr genommen - und mein Vater fand es so schön, daß er es filmte.... mein Gott)...

Schön aber war, daß ich Geschwister hatte. Sie sind der Grund warum ich noch lebe und aus mir doch noch was geworden ist. Ich wurde es für sie und habe für sie überlebt und bin stark geworden. Wenn ich sie mir heute ansehe fühle ich oft großen Stolz auf sie, was aus ihnen geworden ist und das es richtig war, wegen ihnen leben zu wollen. Wir haben so schöne Zeiten zusammen, haben sehr zusammengehalten, ich habe ihnen viele Geschichten erzählt. Meine Geschwister haben meine Kindheit "auch" schön gemacht. Als mein Bruder geboren wurde war ich 13. Ich erinnere mich, daß ich genau jeden Tag erleben wollte. Ich wollte damals wissen, ab welchem Tag, ab welchem Alter man anfängt ein Kind zu hassen. Ich dachte damals, durch die eigene Erfahurng, Kinder würde man eines Tages einfach hassen müssen weil sie eben Kinder sind. Dieser Tag kam aber nie und mein Bruder ist jetzt 22. Meine Eltern haben mich ja vielleicht auch gar nicht gehasst - aber wie schaffen sie es, einem Kind das sie (angeblich) lieben dennoch das gefühl zu geben, gehasst zu werden?

ach... trauriges Thema, eigentlich. Wie ich hier lese aber durchaus öfter.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]


Eremit
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Beitrag Di., 04.08.2009, 14:54

@Arta:

Mein Beileid. Das Brechen des Lebenswillens kenne ich auch. Wie geht es Dir heute damit? Hast Du die "Maschine" hinter Dir gelassen?

@Stuffie:
Stuffie hat geschrieben:Ich hoffe es kommt nicht so rüber, dass ich dich ignoriere, Eremit.
Nee, ist ja nicht mein persönlicher Thread hier, es geht hier ja um die Kindheitserfahrungen von uns allen...

90MHz, ja, daran kann ich mich noch erinnern. DAS waren noch Zeiten - als Bill Gates noch nicht der Imperator unseres Universums war...

Ein kleiner Tipp am Rande: Glaub' den Büchern über Männer/Frauen kein Wort, geh raus, sammle selbst Erfahrungen. Mich haben diese Bücher Jahre meines Lebens gekostet. Da sehnt sich der Österreicher in mir ein bisschen nach der guten alten Bücherverbrennung von damals.

Ui, das war aber wieder mal eine besonders politisch unkorrekte Wuchtel...

@Torsade_de_pointes:

Die Getriebenheit hat auch seine Vorteile. Da ich nicht stillstehen kann muß ich mich immerzu bewegen - auch geistig. Ich kann mich nicht einfach hinsetzten und schmollen (obwohl mir das vielleicht mal gut tun würde), es muß weiter gehen, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Außerdem bin ich es gewohnt, durch die Maschen des "sozialen Netzes" zu fallen, also muß ich mich selbst aufrappeln. Ich war noch nie in Therapie, habe mich immer selbst therapiert, so gut es ging.

Komplimente sind mir irgendwie peinlich. Damit kann ich auch noch nicht umgehen, überhaupt nicht, ich versuche sie meistens zu ignorieren...

Ich bin gerne hier in diesem Forum, auch, wenn es anstregend ist, es bewegt sich etwas, und ich kann auch hin und wieder dazu beitragen, daß sich etwas bei anderen Usern bewegt...

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Rezna
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Beitrag Di., 04.08.2009, 15:28

Ja, Eremit, ich habe die Maschine hinter mir gelassen. Die Scheidung meiner Eltern war traumatisch aber da konnte ich abrechnen. Klar, mit diversen Geschenken bleibt man trotzdem zurück, wie der latenten Soziaphobie und solche Sachen - aber das sind halt jetzt MEINE Sachen die ICH angehe und insofern wars das mit Kindheit.

Manchmal aber denkt man ja doch daran, oder wird erinnert, und dann kommen die Gefühle und Gedanken, die Bilder und alles hoch. Die guten wie die schlechten. Vor allem durch die derzeitigen familiären Ereignisse. Aber es ist wie ein fernes Leben. Ein trauriger Abschnitt - aber ich identifiziere mich nicht mehr damit. Das bin nicht mehr wirklich ich - damals - sondern ein Teil von mir der sehr alt ist - und auch weise. Das hilft mir verzeihen und verstehen. Und die Gefühle, ja, die muss man manchmal eben aushalten - aber die gehen immer vorbei.
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