Darf man Schuld bei den Eltern suchen?

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candle
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Beitrag Di., 10.02.2009, 22:12

Nun ja, mich kotzt es eben an, sorry, denn ich wurde mein ganzes Leben mit der Geschichte meiner Mutter konfrontiert und es wurde gesagt, dass ich es dabei (Schlägen) noch besser habe.

Und wie es heißt: Wir sind erwachsen und können es anders tun. Ja ich kann- wieso meine Eltern nicht? Wieso muß ich dafür nun Verständnis haben? Nee, das ist mir zu schräg!

candle
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Laura13
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Beitrag Di., 10.02.2009, 22:19

Ich verstehe dich total...mich reisst es ja auch immer wieder hin und her zwischen Verständnis und Wut...aber ich denke, letzten Endes geht es ja auch darum für SICH Frieden zu schließen in seinem Inneren. Und wenn man verstehen kann warum etwas so gekommen ist oder nicht so war, wie man es sich gewünscht hätte, dann kommt man innerlich mal zur Ruhe. Natürlich ist es so, dass unsere Eltern Looser und Schwächlinge waren...sie haben nicht die Kraft aufgebracht, die wir aufbringen, um alles besser zu machen. Ihnen hat die Einsicht gefehlt, die wir haben....aber ich möchte eben in keinem Punkt so sein wie meine Eltern, und aus diesem Grund möchte ich auch meinen Hass und mein Unverständnis besiegen, verstehst du?
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candle
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Beitrag Di., 10.02.2009, 22:24

Für mich ist eben Versändnis nicht das Zielbringende. Für mich hat man schließlich auch keines. Ich habe mich zu lange beschäftigt für sie verständig zu sein. Wo hat es mich hingebracht?

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Laura13
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Beitrag Di., 10.02.2009, 22:27

Klar, ich kann das echt nachvollziehen....ich fürchte, wir haben ähnliches erlebt....aber, weisst du, das klingt nach Verbitterung bei dir und das ist nicht gut. Meine Mutter ist auch verbittert an ihrem Leben. Da ist man irgendwie lebendig tot und das möchte ich nicht sein....
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Una
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Beitrag Mi., 11.02.2009, 01:26

Candle wie Du schon meinst: Du bekommst die Pickel. Du badest es aus.
Du bist entstellt.

Es geht natürlich je nach Schweregrad der Mißhandlung und Einsichtsresistenz
der Eltern (also ihre Geschichte als Ausrede für das schlechte behandeln des eigenen Kindes herzunehmen) nicht so ohne weiteres für sie Verständnis zu haben. Und das mußt Du auch nicht, wenn es nicht geht.
Wenn es keinen Sinn macht.

Wichtig ist, das die Wut zur Abgrenzung führt, Dir klar macht was Du nicht gemeinsam hast, was Du anders machen möchtest als Erwachsene.
Ich finde durchaus, das Schlagen so eine extreme Form der Mißhandlung ist,
das sie so eine dauerhafte Schädigung darstellt, dass der schlagende Elternteil sein Recht auf alles verwirkt hat, was mit dem familiären Generationenvertrag zu tun hat.
Ebenso sexueller Mißbrauch oder sonstige schwere Eingriffe in das Leben und die Gesundheit eines Kindes.

Ich ging jetzt von der Threadstellerin aus und ich habe nicht gelesen dass sie geschlagen wurde- vielleicht habe ich es überlesen?.
Und ich ging von mir aus.
Ich wurde nicht viel geschlagen, aber bei mir war es auf andere Art heftig.
candle hat geschrieben:Nun ja, mich kotzt es eben an, sorry, denn ich wurde mein ganzes Leben mit der Geschichte meiner Mutter konfrontiert und es wurde gesagt, dass ich es dabei (Schlägen) noch besser habe.
Aber ich meinte auch nicht, dass Du als Tochter nun Deiner Mutter vergibst und dabei noch ihr Therapeut wirst.
Ich meinte dass Du durch die Anerkennung Deiner Gefühle von damals und heute, dem durchleben und anschauen in einer Therapie zu einer Heilung finden kannst, die Dich eben aus der Wut zu einem gesunden und erwachsenen Abstand bringt. Natürlich flammt die Wut immer mal wieder auf,
sie zeigt eben das etwas völlig daneben ist und war.
Aber wenn diese Gefühle noch einmal tief erlebt werden und dabei die erwachsene Candle das Kind in sich annimmt und auch anschaut, es versteht und tröstet, dann kannst Du irgendwann loslassen was so an Dir nagt und weiter zerstörerisch wirkt.

Dann ist ein Abstand geschaffen zu diesen Ereignissen.
Wenn sie verarbeitet sind, dann kommt eher Trauer über die verlorenen
guten Anteile, die keine Chance hatten.
Auch das bedeutet nicht, dass man nun fröhlich Kaffee trinkt miteinander,
sondern durchaus, dass man Konsequenzen zieht und den Kontakt ein paar Jahre oder für immer aufgibt. Je nach dem, was besser ist.
Problematisch wird es, wenn die Wut gleichzeitig mit einer Abhängigkeit einhergeht, man sich der Mutter trotz des Leids das man durch sie hatte,
verpflichtet fühlt.


Ich möchte klar aussprechen dass ich die Belssuren eines oft geschlagenen Kindes nicht herabspielen möchte und vielleicht kann das auch nie aufgelöst werden. Ich sehe bei meinem Mann auch diese Wut der viel zu früh entwürdigten Persönlichkeit, er wurde auch sehr heftig geschlagen.

Ich weiß nicht was Dir Deine Mutter erzählt hat und was sie für eine Geschichte mitbringt, aber Gewalt ist meist durch Gewalt entstanden.
Also eine Verkettung von Opfern.

Meine Mutter hat mich zum Beispiel durchaus auch in Wutanfällen traktiert, aber mehr reingehauen hat ihre emotionale Erpressung, in der ich Schuld an ihrem schlimmen "Schicksal" war (Schwangerschaft zur Unzeit und Ehe die schief ging) und deshalb kein eigenes Leben bekommen sollte.
Es war krank wie sie mich in eine Symbiose zu pressen versuchte und sie brach zu mir den Kontakt jahrelang ab (drehte es aber allen anderen gegenüber so hin als sei ich diejenige die zu ihr den Kontakt abgebrochen hatte), als ich mit 21 Jahren auszog. Sie war beleidigt und ich war immer die Böse. Meine Freunde waren auch ihre Freunde, mein Leben war ihr Leben.
Als ich ging war das bösartiges Verlassen. Der ganz normale Werdegang war ein Verbrechen und ich fühlte mich unendlich gequält, hatte ich doch schon die Schuld verinnerlicht das mein Vater weggegangen war. Nun handelte ich auch wie ein Schwein.... und das obwohl wir uns eigentlich nie richtig verstanden hatten.
Schließlich war sie immer krank und schwach und konnte nicht leben...

Fortsetzung unten
Zuletzt geändert von Una am Mi., 11.02.2009, 01:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Una
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Beitrag Mi., 11.02.2009, 01:26

Ich weiß genug über ihre Geschichte um mir vorstellen zu können, was sie so hat werden lassen. ich klage sie an, dass sie nicht ihre Probleme erarbeitet hat und sich ihnen gestellt hat, aber ich kann sie auch nicht zwingen.
Die Konsequenz ist heute, dass ich mit ihr ab und an telefoniere und sie erzählt mir ganz viel aus ihrer Geschichte aber ohne den Touch das deshalb alles O.K. ist was sie gemacht hat, das sieht sie heute auch.
Ich dosiere den Kontakt auf das Minimum,
weil wir uns nicht so gut verstehen. Aber wir lieben uns trotzdem und respektieren diese Fakten.
Ich bin nicht mehr ständig wütend und sauer.
Und ich gebe ihr nicht die Schuld. Denn schuldig machen wir uns alle durch Fehler in Beziehungen. Die Frage ist eher was steckte dahinter und sieht jemand seine Fehler auch mal ein. Ist das nicht der Fall, ist das traurig und dann ist es gut sich selbst ernst zu nehmen und den Kontakt auch mal nicht mehr zu haben.

Mit meinem Vater war es ähnlich chaotisch und schwierig, aber das wird zu lang.

Liebe
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Laura13
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Beitrag Mi., 11.02.2009, 09:35

Einerseits ist es wie Salbe auf meine eigenen Wunden, wenn ich lese, was du schreibst, denn deine "Geschichte" kommt mir wie meine eigene vor. Andrerseits finde ich es traurig und schlimm, dass es solche Eltern anscheinend doch sehr oft gibt und es wohl doch viel mehr Menschen gibt, die unter diesen schlimmen familiären Gegebenheiten leiden....es tut mir so leid für dich Una! Ich weiss, wie sich das alles anfühlt und wie zerrissen man als Tochter trotzdem immer wieder ist....man ist so drin in dieser Verantwortungshaltung und in den Schuldgefühlen, das ist so schlimm....

Drüch dich,
Laura
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Una
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Beitrag Mi., 11.02.2009, 10:13

Liebe Laura,

ich lebe heute gut mit dem vergangenen, meine Wunden sind geheilt.
Trotzdem danke für Dein Mitgefühl, aber nötig ist es nicht.
Ich denke das es sich oft um über Generationen verschleppte psychologische Wunden handelt und erst ab meiner Generation wurde es normal, diese Strukturen anzuschauen und herauszufinden, was das für Auswirkungen auf die Familienmitglieder hat, auf einen selbst.
Wenn meine Mutter von ihrer katholischen Mutter dafür noch verprügelt wurde, das sie ehrlich erzählte, wie der Pfarrer sie angefasst hat, so hat meine Mutter mir geglaubt wenn ich ein schlimmes Erlebnis hatte. Und sie trat aus der Kirche aus, weil sie das ewige beichten und Sünder sein satt hatte. Hut ab davor.
Sie hat also ihre Schlüsse gezogen und sich nach besten Wissen und Gewissen verhalten, versagte aber in anderen Bereichen, ihrem Neuland sozusagen. Das ist menschlich und jeder Mensch macht fehler,
oft gerade da, wo es einem am wichtigsten ist.
Zwei meiner Urgroßväter waren Selbstmörder, ein langes Tabu in der Familie.
Es war nur klar, das eigenartiger Weise der Vater meiner Oma irgendwann verschwunden war. Keine Info wie und was. Aber mit 18 fing ich an, an Selbstmord bei ihm zu denken und die Bestätigung bekam ich erst vor zwei Jahren von meiner Tante, der Schwester meines Vaters. Nun erklärt sich auch so manches aus dem Verhalten meines Vaters, auch das er ein unerwünschtes letztes Kind war, das meine Oma sich töten wollte als er unterwegs war.
Das sind Hypotheken und mit denen lebt jeder aus der Familie, heute besser weil nicht mehr tabu, so haben wir die Chance diese Dinge aufzuarbeiten und darüber zu sprechen.
Das schlimme an Tabus ist, das es jeder weiß, aber keiner darüber spricht und dadurch schleppen alle Balast in der Seele mit sich herum.

Die Mutter einer Freundin zum Beispiel war nach Kriegsende in einem Lager der Alliierten inhaftiert, schaute täglich Vergewaltigungen zu und hatte selbst höllisches Glück, wohl auch weil sich ihre Mutter vor sie schmiß und sich opferte um ihr dies zu ersparen. Aber Hunger und Todesangst über drei Jahre haben sie gezeichnet. Nun ist sie ein gefühlskalter Mensch und meine Freundin litt ihr Leben lang darunter nicht gut genug zu sein.
Die Mutter inszenierte die Lagersituation mit ihren beiden Töchter, übertrug inzwischen irrationale Ängste auf die Kinder, die nicht wußten woher die beklemmende Stimmung kam. Das war "Zuhause", das gewohnte.
Alles vor dem Lager war in Ordnung für die Mutter, ab dem Lager hat nie etwas getaugt, auch die eigenen Kinder nicht.

Wieviele Eltern haben durch diesen letzten Krieg ihre Väter verloren oder traumatisierte Mütter. Damals war Therapie noch eine recht unbekannte Sache in der Normalbevölkerung- und vieles wußte man auch noch nicht.
So ging man davon aus, dass kleine Kinder nichts von den Bombenangriffen mitbekommen, was ein gewaltiger Irrtum war, was die jüngere Forschung bestätigt. Ich weiß von meiner Mutter, geboren 1941, dass sie in den Bunker mußte und das sie bis heute keine runtergelassenen Rollos erträgt und keine dunkleren Räume. Mein Schwiegervater, gleicher Jahrgang muß jedesmal auf die Toilette, wenn er in den Keller geht und sammelt sein ganzes Erwachsenenleben lang Waffen und baut Kanonen, schießt auf dem Schießstand. Warum wohl?
Was ich ausdrücken möchte ist, dass wir alle die Essenz sind aus einer Kette von vorherigen Generationen und ihrer Geschichten, ob Glück oder Leid.

Es gibt Menschen die haben ständig bestimmte Probleme und wissen nicht wo sie herstammen. Ich bin überzeugt, dass sich die ungelösten Trauma auf die Kinder übertragen . Themen über die man nicht spricht und keiner kann begründen warum eigentlich nicht. Aber es ist ein Gesetz von klein auf.

Wir haben die Chance, als erste Generation und die jüngeren nach uns ebenso, diese Knoten zu lösen. Wir wissen heute um die Heilungsmöglichkeit der Therapie und vielleicht können wir dann befreit von den Altlasten auch freier auf die eigenen Kinder zugehen und ihnen diese dunklen Seiten weitest möglich ersparen.
Es wird aber wahrscheinlich neue Probleme geben, weil es eben auch zum Leben gehört, weil eben alle Eltern immer alles falsch machen aus der Sicht der eigenen Kinder.

Liebe
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Laura13
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Beitrag Mi., 11.02.2009, 10:21

Ach Una, genauso wie du, sehe ich das alles auch. Ich muss so eine Generationenkette auch durchbrechen und ich will es unbedingt schaffen, schon aus Liebe zu meinen Kindern!!!! Allerdings bin ich im Gegensatz zu dir noch auf dem Weg der Therapie, die wohl noch ziemlich lange dauern wird. Ich bin so froh, dass ich diesen Weg gefunden habe und im Gegensatz zu meinen Eltern, die Einsicht und hoffentlich auch die Kraft habe, ihn zu gehen.

Du hast es geschafft! Das macht mir Mut und ich finde es toll, dass du es für dich geschafft hast!

Liebe Grüße
Laura
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Una
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Beitrag Mi., 11.02.2009, 11:07

Liebe Laura,

ich wünsche Dir das Du es schaffst.
Den größten Schritt hast Du schon getan und damit unterscheidest Du Dich von allen anderen Generationen vor Dir.
Allein das Du dieses Bewußtsein hast, ist schon eine Zusatzsicherung für Deine Kinder. Aber als Mutter darfst und mußt Du auch Fehler machen.
Denk an Tommy Ungerers Worte! Die Kinder müssen kämpfen lernen, sie müssen lernen Frust auszuhalten. Nur dann werden es runde Menschen.
Sei also gnädig zu Dir.

Im Buddhismus hält man Schuldgefühle für eine seelische Krankheit und eine Form der kranken Egozentrik.
Denn wer ist schon allein Schuld an etwas. Wenn man nur mal die Generationengeschichten alle zusammenzählt...
Es gibt soviele mögliche Faktoren warum etwas wie gelaufen ist, dass einer allein rein logisch gar nicht schuld sein kann. Es ist außerdem gefährlich, dass wir immer einen Schuldigen wollen.
Denn es gibt einfach Schicksalsschläge und deren Auswirkungen.
Damit wollen wir vermeiden anzunehmen, dass wir vielleicht durch einen blöden Zufall ein schweres Leben haben und es entbindet uns auch der Verantwortung, es anzupacken.
Andererseits gibt es natürlich schwere Schuld und schlechte Wege mit dem eigenen Schicksal umzugehen. Zum Beispiel, wenn ein Elternteil bewußt oder unbewußt seinem Kind die Schuld gibt für sein eigenes Leben.
Oder schlicht neidischauf sein eigenes Kind ist .

Liebe
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somesay
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Beitrag So., 15.02.2009, 21:09

Guten Abend!

Una, Respekt vor deinen Worten! Du kannst all das so klar formulieren, man merkt, dass du dich damit auseinandergesetzt hast bzw. diese Auseinandersetzung dir viel gebracht hat.
Der von dir gewählte Ausdruck "Wut" passt tatsächlich viel besser als das "Schuld geben". Im Prinzip ist es auch bei mir Wut, was ich empfinde.

Mein Zweifel für mich bleibt dadurch jedoch trotzdem bzw. scheint es mir, dass ich wirklich nicht das Recht habe, mich zu beschweren. Ich wurde weder körperlich misshandelt, noch missbraucht, niemals. - Dann hätte sich aber in meinen Augen auch die Grundfrage dieses Threads erübrigt. Denn das sind wohl irgendwie greifbare Verfehlungen, an deren Falschheit und Folgeerscheinungen keiner (außer offenbar in vielen Fällen die handelnden Eltern selbst) ernsthafte Zweifel erheben kann. Andere Grausamkeiten sind da eben etwas subtiler bzw. grenzwertiger.
Im Vergleich zu den von euch erzählten Geschichten, kann ich nichts wirklich Dramatisches berichten. Meine Eltern können keine Gefühle zeigen, ich fühlte mich oft unerwünscht und wurde in allen meinen Vorhaben gebremst. Ich bin davon überzeugt, dass beide eine schwere Geschichte hinter sich haben, aber darüber wird zuhause maximal in Anspielungen ein Wort verloren. Heute fühle ich mich oft wie gelähmt, wenn ich etwas anpacken will, weiß eigentlich nie so recht was ich will bzw. trau mir nichts zu.
Privat verunsichert mich oft menschliche Nähe bzw. offene Aussprachen und sich auf das verlassen was der andere sagt, bin ich nicht gewöhnt, ich kann kein Vertrauen fassen. Beruflich habe ich mein Potential einfach nicht ausgeschöpft, gehe immer den leichten Weg. Ich scheue nicht den Aufwand, ich habe nur Angst vor dem Versagen.
... Aber das war auch schon alles. ... Und es kommt mir grad ziemlich kindisch vor
Zuletzt geändert von somesay am So., 15.02.2009, 21:22, insgesamt 1-mal geändert.

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candle
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Beitrag So., 15.02.2009, 21:15

Liebesentzug bzw. das nicht zeigen oder wie auch immer ist ja auch nicht die optimale Erziehungsmethode. Kinder brauchen nun mal Wärme und Beständigkeit- eine Vorbereitung auf das Leben.

candle
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Una
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Beitrag Mo., 16.02.2009, 01:55

Liebe Augusta,

es berührt mich dass Du jetzt glaubst, Dein Anliegen und Deine Gefühle seien unpassend und hätten keine echten Ursachen.
Dem ist sicher nicht so. Auf Deinen Schultern lastet all das unausgesprochene und lediglich angedeutete.
Es ist unfair, wenn auch menschlich.
Deine Eltern sind sich dessen 100% nicht bewußt, dass Kinder (auch die erwachsen gewordenen) alles mit dem Gefühl erfassen und wissen, was sie selbst meinen zu verheimlichen und nicht einfließen zu lassen.
Ein ganz tragischer Irrtum der Eltern, der immer wieder passiert.

Es kann sein, dass Deine Eltern nicht mal genau selbst wissen, was bei ihnen los ist und war. Die einzelnen Ereignisse sind manchmal nur Symptome von viel älteren und durchaus, wie ich schon sagte, vererbten Traumata.
Augusta333 hat geschrieben:Andere Grausamkeiten sind da eben etwas subtiler bzw. grenzwertiger.
Sie sind deshalb oft sehr gemein.
Es gibt viele Arten des schädlichen Mißbrauchs, der sexuelle Mißbrauch oder das Schlagen, sind nur die Spitze des Eisbergs, der offensichtlich aus dem tiefen Wasser ragt. Das bedeutet nicht, das anderes weniger schlimm ist.
Augusta333 hat geschrieben:ich fühlte mich oft unerwünscht und wurde in allen meinen Vorhaben gebremst
Ein ganz schreckliches Gefühl das Du Dir zuliebe ernst nehmen mußt.
Nur durch den Glauben an Dein Gefühl, Deine Intuition kannst Du Dich gegen den dunklen Schleier behaupten, der sich durch Unwissenheit der familiären Geschichte über Dich gelegt hat.

Hast Du schon einmal an eine Familienaufsstellung (Hellinger) gedacht?
Dort werden im Prinzip nur die Gefühle angeschaut, die die Menschen einer Familie haben. Du stellst Stellvertreter zueinander in Beziehung auf, nach Deinem Gefühl zueinander geordnet. Die Stellvertreter schildern an der Stelle stehend ihre Gefühle.

Eine Freundin von mir fand dadurch heraus, dass sie eine schwer sadistische Urgroßmutter hatte und das sich die Brutalität auf Kinder und Enkel übertragen hat. Dadurch erklärten sich meiner Freundin die Quälereien ihrer älteren Brüder an ihr. Einen Tag nach der Aufstellung rief "zufällig" einer der Brüder sie an und entschuldigte sich für sein Verhalten in der Kindheit.
Er wußte nichts von der Familienaufstellung. Sie hatte auch nicht mit ihm über die unverheilten Wunden aus diesen schlimmen Kindheitstagen gesprochen. Es war wie Telepathie.
Es war ein Knoten geplatzt.

Wir stehen wohl auf einer tiefen Ebene doch mit unseren Angehörigen in einer Verbindung, die man nicht unbedingt in die anerkannten Kategorien einsortieren kann.
Wir spüren mehr, als wir offensichtlich wissen dürften.

Es nagt an Dir und es wäre sicher falsch, Dein Anliegen nicht weiter zu verfolgen. Wenn Du herausfindest, was da los ist/ war, kannst Du vielleicht viel auflösen und damit entgültig verarbeiten und loslassen.
Es muß nicht mal mit der echten Familie geschehen.
Die Methode von Hellinger ist nicht unumstritten, aber ich finde, man kann trotzdem vieles über Familiendynamik begreifen-
ohne seine Kritikfähigkeit zu verlieren.
Es kann erlösend sein zu erfahren, dass das eigene Gefühl gestimmt hat- und man endlich weiß, was dies mit dem eigenen Leben anrichtet.

Gute Nacht und liebe
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somesay
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Beitrag Mo., 16.02.2009, 10:20

Guten Morgen!

Danke für eure Antworten.
Habe schon oft mit dem Gedanken gespielt, mir (professionelle) Hilfe von außen in der einen oder anderen Form zu holen. Habe auf jeden Fall vor, diese Dinge aufzulösen, bevor ich mich selbst daran wage, eine Familie zu gründen. Habs bis jetzt immer verschoben bzw. konnte mich zwischen diesem und jenem oder doch was anderes ... nicht entscheiden. Hab auch immer irgendwie Angst an den falschen Psychotherapeuten zu geraten. Habe schon unfähige Lehrer, Mechaniker, Zahnärzte, Augenärte erlebt ... die gibt es in jeder Berufsgruppe ....
Naja, wieder zum Thema zurück.
Una hat geschrieben:Hast Du schon einmal an eine Familienaufsstellung (Hellinger) gedacht?
Jein. Eine Bekannte hat mir mal erzählt, dass ihre Schwester sowas gemacht hat und sie und ihre Mutter damals mitgingen. Viel weiß ich über diese Methode nicht, außer die 10 Minuten, die mir diese Bekannte darüber erzählt hat. Muss man dazu nicht jemanden aus der Familie bzw. zumindest sonst wen mitbringen? Ein Familienmitglied mitzubrigen möchte ich eigentlich auf keinen Fall. Also bei meinen Eltern würde ich da ohnehin auf Granit beißen, eine meiner Schwestern würde sich wohl dazu überreden lassen, aber eigentlich möchte ich das nicht.

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candle
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Beitrag Mo., 16.02.2009, 10:54

Ich habe mal Psychodrama ausprobiert. Da gab es allerdings keine Personen, sondern die stellte ich mir dann auf Stühlen sitzend vor. Bei mir ist es leider fehlgeschlagen, weil ich auch da keinem Vorwürfe machen konnte bzw. mir freien Lauf lassen. Es kam mir so vor als stünde ich auf einer Bühne und würde nur spielen. Vielleicht war meine Zeit einfach nicht reif.

Bei der Familienaufstellung braucht es keine wirklichen Familienmitglieder. Das wird dann mit Ersatzpersonen dargestellt. Ob es hilft, wenn man nicht aus sich rauskommt, frage ich mich allerdings?

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