Therapeutische Verstrickung

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 10:40

AFI hat geschrieben: Mo., 28.06.2021, 10:01 Ich habe ihm immer gesagt das ich finde, dass es keine ärztliche Fürsorge mehr darstellt, jedenfalls für mich und da meinte er nur, dass ich das nicht verstehe weil ich kein Arzt bin…
Vielleicht heisst das in Wirklichkeit eher:
Du verstehst das nicht, wie sehr man sich als Elternteil um sein Kind Sorgen macht und für es da sein will...

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stern
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 11:13

So eine Aussage wäre aus meiner Sicht schon alleine deswegen ernst zu nehmen, weil der Patient sagt: Das passt für mich nicht.

Was ihn dazu bewegt, dazu gibt es, wie ja auch schon andere anklingen ließen, verschiedene Hypothesen. Wie gesagt, das gehört inhaltlich eher in SEINE Supervision. Patienten sind eher nicht damit zu behelligen. Es muss zu einer professionellen Haltung finden. Aber weil ja nach möglichen Erklärungen gefragt wurde:

Er agiert mehr als vermeintlicher Vater/Opi anstelle als Therapeut, weil er massiv überträgt und das nicht blickt. Evtl. angeheizt durch eine korrespondierende Patientenübertragung, was er ebenfalls nicht erkannte.

Er macht sich übermäßige Sorgen. Vielleicht besteht Grund dazu, z.B. ausgelöst aufgrund vieler Krisen. Hier wäre dann evtl. zu schauen, ob der Rahmen (noch) passt. Oder hat unbegründete Sorgen (soweit es den Patienten betrifft), was wiederum ein Supervisionsfall sein könnte.

Oder wie auch schon angedeutet in Richtung Helfersyndrom. Ja, ein Arzt hat eine Fürsorgepflicht... Aber im Normalmaß. Das scheint hier verlassen, emotional und auf Handlungsebene. Ich denke nicht, dass es einer Therapie zuträglich ist, wenn sich der Therapeut regelmäßig versichern muss, ob es der Patientin gut geht. Da auch von einer Krise die Rede war, könnte das auch ein Pendent zu zu dem unprofessionell anmutenden Engagement sein.

Das Gefühl, dass ihm seinerseits der professionelle Abstand flöten ging, nehme ich beim Lesen der Beiträge auch so wahr - egal was letztlich der Hintergrund ist. Meiner Meinung ist das kaum mehr zu transformieren... eine Beendigung also folgericht. Ob es Knall auf Fall sein muss, hmm. Ich bin eher der Typ, der sagen würde: Nochmals Gespräch suchen. Aber wennn man die Antwort erhält "können sie eh nicht beurteilen" was will man dann noch erwarten.

Was auch möglich wäre: Eine Zweitmeinung bei einem anderen Therapeuten einholen. Kann etwas hilfreich sein, muss es nicht. Je nach Therapeut. Vllt. bei einem, der Supervisionen für Therapeuten gibt. Namensnennung kann man ja zu vermeiden versuchen.
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 11:34

stern hat geschrieben: Mi., 30.06.2021, 11:13 So eine Aussage wäre aus meiner Sicht schon alleine deswegen ernst zu nehmen, weil der Patient sagt: Das passt für mich nicht.
darüber sind sich hier, glaube ich, alle einig.

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AFI
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 12:00

Hallo an Alle :)

mein Therapeut hat mir heute Nacht geschrieben, ob ich heute einen Termin in seiner Praxis wahrnehmen kann.

Nachdem er anfänglich bei jedem meiner Beispiele noch darauf bestand, dass er jederzeit den nötigen Abstand und die erforderliche professionelle Distanz hatte, hat er als ich meinte, dass ich nicht sehe, dass die Therapie weiter geführt werden kann und ich mich heute vernünftig von ihm verabschieden möchte ‚gestanden‘, dass er nicht mehr den nötigen Abstand hatte, die Grenzen teilweise nicht aufrecht erhalten hat und väterliche Gefühle entwickelt hat. Er ist der Auffassung, dass er das jetzt gut im Griff hat und würde gerne die Therapie weiterführen.

Ich habe gesagt, dass ich nicht weiß, wie ich dazu stehe und darauf heute keine Antwort geben kann. Er hat dann gesagt, dass man sich das alles angucken muss und die Therapie jetzt nicht einfach beenden sollte. Ich meinte, dass ich es heute nicht entscheide und daraufhin meinte er, dass er mich nicht gehen lassen kann aber es meine Entscheidung ist. Joa.

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Montana
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 12:29

Oh. Wow. Ehrlichkeit ist eine gute Grundlage, sich nochmal zu unterhalten. Das könnte durchaus wertvoll sein, aber irgendwie würde es mir schwerfallen, dass dann noch als Therapie zu betrachten. Zumal sich die Zuspitzung ja auch ergeben hat, nachdem du ein mögliches Therapieende angesprochen hattest. Ich sehe da gerade dieses therapietypische Gefälle schwinden. Du könntest vielleicht für deine Persönlichkeitsentwicklung noch profitieren, wenn du als Gleichberechtigte mit ihm dieses Wirrwarr sortierst. Und dabei Sicherheit gewinnst darin, deiner Wahrnehmung jederzeit zu vertrauen. Jetzt, wo er das eingesteht und es möglich wird, es auszusprechen.
Ich hatte mal kurz Gelegenheit, etwas ähnliches in kleiner zu erleben. Der Therapeut leugnete, dass er wütend auf mich war. Irgendwann gab er zu, dass es stimmte, und dass er die Wut für falsch hielt und ich deshalb nichts davon merken sollte. Das war so wertvoll für mich! Dieses Eingeständnis. Die Wut war doch viel weniger schlimm als die Lüge. Drüber reden fand ich deshalb damals absolut gut. Für den Therapeuten war es aber unangenehm. Er hätte es einfacher gefunden, sich nicht zu erklären. Man kann aber, so war es jedenfalls bei mir damals, aus so einer üblen Situation am Ende noch etwas gewinnen. Im Nachhinein überwiegt für mich die gute Erfahrung, es geklärt zu haben.

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Beitrag Mi., 30.06.2021, 17:23

Immerhin hat er das jetzt mal zugegeben und ich finds auch gut, dass er sich gemeldet hat.
Und mutig von dir, dass du so spontan hingegangen bist!
Wie sehr er Schwierigkeiten mit der Ablösung hat, sieht man am letzten Absatz. Er ist absolut noch nicht dort, wo er behauptet zu stehen!
Er kämpft jetzt, den Abschied und den Verlust zu vermeiden, mit dem er Schwierigkeiten hat!
Das ist aber seine Aufgabe und seine Verantwortung, das für sich zu schaffen.

Auch dass er sagt, er würde die Therapie gerne weiterführen.
Er muss sich fragen, welchen Nutzen es für dich hat!
Und dass er dich nicht gehen lassen kann. Doch, genau das muss er können: Dich gehen lassen können...

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Fairness
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 17:45

AFI, ich frage mich, wenn du dich entscheiden würdest, zu bleiben, ohne dass du Therapie brauchst, dann wie lange? Bis du aufgrund privates Lebens und keines Therapiebedarfes weniger Zeit hast, oder bis er seine inneren Konflikte löst, im Zweifelsfall 'ewig'?

Es fällt ihm schwer, sich zu verabschieden und möglicherweise wird es ihm später noch schwerer fallen. Von mehreren Abschiedsanläufen würde ich lieber abraten... so etwas kann sehr belastend sein und schafft ungute Dynamik zwischen zwei Menschen... ich finde, dann ist es besser, konsequent zu bleiben.

Lieben Gruß.
Sometimes your heart needs more time to accept what your mind already knows.

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Sadako
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 18:12

AFI hat geschrieben: Mi., 30.06.2021, 12:00 Hallo an Alle :)

mein Therapeut hat mir heute Nacht geschrieben,.
[…]
. Er ist der Auffassung, dass er das jetzt gut im Griff hat und würde gerne die Therapie weiterführen.
Er schreibt dir nachts Das allein schon ist ein Hinweis, dass er keinen professionellen Abstand gefunden hat. Nachts sollte man Feierabend haben und in einer gewissen Distanz zu Arbeitsdingen sein.
Er hat bis vor wenigen Tagen seine Verstrickung voll ausagiert. Es ist sicher gut, dass er sich mit dem Thema bei sich auseinander setzt aber auf mich wirkt es, als wenn der Karren tief im Dreck hängt.
Die Gelegenheit das Gute in der langen Therapie zu würdigen würde ich nutzen, Abschied ist wichtig. Aber einfach weitermachen…da bin ich eher skeptisch.

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stern
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Beitrag Mi., 30.06.2021, 18:20

Ist letztlich deine Entscheidung. Sicherlich könnest du noch schauen, ob sich etwas geändert hat bzw. dich anders verabschieden. Vllt. auch abhängig davon, wie es ansonsten war. Oder ein Limit setzen. Whatever.

Meine Erfahrung in einem Fall war, dass eine Fortsetzung nicht mehr möglich war, trotz Willen. Ist natûrlich nicht unbedingt übertragbar. In deinem Fall scheint er eine Übertragung einzubringen... du eine korrespondierende, was auch bisher kaum besprechbar war, wie du andeuteste. Beides müsste er In den Sitzungen dann blicken können und Distanz dazu wahren können, dass es nicht wieder zu Verwicklungen kommt. Und zwar ohne, dass der Supervisor daneben sitzt. Gut ist, dass er einen Supervisor aufsuchte, aber ich bin dennoch skeptisch. Gerade auch wegen Bemerkungen bzgl. Arztsein. Damit stellt er sich auch noch über dich. Halte ich auch ohne diese Übertragungsverwicklung für ein NoGo in der Form. In einer Therapie sollte es darum gehen, deine Muster (falls vorhanden, z.B. in Sachen Übertragung) zu bearbeiten. Wenn er dich in seine Übertragungen einbezieht, kann man das zwar irgendwo als Erklärung sehen (das lag ja auch auf der Hand. Kannentlasten bzw. zum Verständnis nützlich sein). Anderseits kann man das schon fast wieder als Verwicklung/Grenzüberschreitung sehen, weil das im Grunde nichts ein deiner Therapie zu suchen hat... und du damit ja auch einen anderen Blick auf ihn hast. Daher weiß ich nicht, wie realistisch es ist, dass ihr beide euch aus der Vater-Tochter-Kiste lösen könnt und er der ist, der DEINE Muster mit dir bearbeiten kann.
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münchnerkindl
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Beitrag Fr., 02.07.2021, 15:25

AFI hat geschrieben: Mi., 30.06.2021, 12:00 Hallo an Alle :)

mein Therapeut hat mir heute Nacht geschrieben, ob ich heute einen Termin in seiner Praxis wahrnehmen kann.

Nachdem er anfänglich bei jedem meiner Beispiele noch darauf bestand, dass er jederzeit den nötigen Abstand und die erforderliche professionelle Distanz hatte, hat er als ich meinte, dass ich nicht sehe, dass die Therapie weiter geführt werden kann und ich mich heute vernünftig von ihm verabschieden möchte ‚gestanden‘, dass er nicht mehr den nötigen Abstand hatte, die Grenzen teilweise nicht aufrecht erhalten hat und väterliche Gefühle entwickelt hat. Er ist der Auffassung, dass er das jetzt gut im Griff hat und würde gerne die Therapie weiterführen.

Ich habe gesagt, dass ich nicht weiß, wie ich dazu stehe und darauf heute keine Antwort geben kann. Er hat dann gesagt, dass man sich das alles angucken muss und die Therapie jetzt nicht einfach beenden sollte. Ich meinte, dass ich es heute nicht entscheide und daraufhin meinte er, dass er mich nicht gehen lassen kann aber es meine Entscheidung ist. Joa.

Ganz ehrlich, der Therapeut gehört dem Berufsverband gemeldet, mit der Emailkommunikation im Anhang als Beweis. Der gehört aus dem Verkehr gezogen.

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AFI
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Beitrag Sa., 03.07.2021, 12:14

Ich weiß auch nicht mehr was ich zu diesem Chaos sagen soll 🙈

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Shukria
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Beitrag Sa., 03.07.2021, 17:27

Naja er hats ja gut auf den Punkt gebracht wenn er sagt, er kann/möchte dich nicht gehen lassen. Die Uhrzeit der Mail ist da weniger relevant.

Alleine das er ausschließt das du für dich eine gute Entscheidung treffen wirst nach den 6Jahren zeigt, das er keinen Abstand hat. Ein guter, abgegrenzter Therapeut würde eher fragen was du denkst, warum du jetzt beenden willst, was du noch an Unterstützung brauchst, drauf schauen was du erreicht hast und dir die Tür offen halten falls du später merkst das funktioniert so noch nicht gut.

Mein Gefühl bleibt beim Lesen, er wird dich nicht gut in die Selbständigkeit begleiten können, da er seine Verstrickung noch immer nicht wirklich reflektiert. Wie soll er dich da gut in der Ablösung begleiten wenn er selbst festhält

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AFI
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Beitrag Di., 06.07.2021, 14:24

Hallo an Alle,

ich wollte einfach noch einmal nachfragen, ob jemand Erfahrung hat oder einfach um eure Meinung noch einmal bitten, ob therapeutische Beziehungen in denen zu viel Nähe entstanden ist und die Grenzen nicht mehr aufrecht gehalten wurden überhaupt wieder zu einem professionellen Rahmen finden können…

Ich muss sagen, dass ich meinen Therapeuten schon bemüht erlebe aber er doch immer wieder in sowas ‚untherapeutisches’ rutscht.
Außerdem meinte er zu mir, dass er versucht, dass es nicht wieder zu nahe wird weil mir das wichtig ist…das finde ich ja nett aber diese Aussage hat mich etwas irritiert weil ich mir denke, dass es doch in seiner therapeutischen Verantwortung liegt die Grenzen zu wahren und nicht weil ich es so will 🙈

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Beitrag Di., 06.07.2021, 14:52

Ich habe selber keine solche Erfahrung gemacht, weshalb ich leider nichts dazu sagen kann.
Sein Satz klingt für mich wie: "Ich hätte gern mehr Nähe, aber Sie möchten das ja nicht".

Ich frag mich langsam, was eigentlich seine Wunschvorstellung wäre.
Dass du noch viele Jahre bei ihm bleibst? Private Beziehung, Freundschaft?
Irgendwie hab ich das Gefühl, er schnallt's irgendwie nicht.

Was wäre eigentlich deine Wunschvorstellung?

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Sadako
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Beitrag Di., 06.07.2021, 15:08

Hallo AFI,
Ich glaube dass es schwer wird, das in normalere Gefilde zurück zu bekommen.

Ist da nicht bei dir auch Sicherheit flöten gegangen? Dieses Gefühl, dass du als Patient komplett vertrauen kannst, dass der Therapeut für den richtigen Rahmen sorgt… hast du das noch? Das wäre für mich das Hauptproblem glaube ich, dass ich immer wieder hinterfragen würde, ob eine bestimmte Interaktion doch wieder zu dicht ist.

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