Transgenerationale Traumatisierung

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

Jenny Doe
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Beitrag Di., 01.10.2019, 07:59

Solage: Aber, wenn mich jemand misshandelt, missbraucht, dann muss das nicht passieren, weil die Eltern so etwas vielleicht erlebt haben, oder es ihnen gerade schlecht geht!
Saffiatou hat bereits auf den Unterschied hingewiesen. Hier ein Text dazu:
(...)
Eine Ursache von erblichen Traumata ist ein epigenetischer Effekt: Dabei verändert sich nicht die Erbgutsequenz, sondern andere Faktoren rund um die DNA, die aber ebenfalls über die Keimbahn weitergegeben werden. Stress bewirkt, dass am Gen für einen Glucocorticoid-Rezeptor einige Methylgruppen verschwinden. Das Betrifft den Hippocampus, jenen Teil des Gehirns, der Stress und Angst reguliert. Durch diese Demethylierung werden in den Zellen mehr Rezeptoren gebildet, und das Verhalten ändert sich. Da die Veränderungen auf molekularer Ebene auch in den Keimzellen stattfinden, zeigt der Nachwuchs eine ähnliche Reaktion. Doch in Mansuys Experimenten ließ sich all das durch eine besonders stressfreie Umgebung rückgängig machen: Anscheinend kehren die fehlenden Methylgruppen unter bestimmten Umständen zurück – ein Indiz dafür, dass sich auch epigenetische Effekte gezielt beeinflussen und sogar umkehren lassen.
(...)
https://www.spektrum.de/news/trauma-ver ... en/1414373

Durch diese Demethylierung verändert sich das Verhalten der Opfer. Das kann sich auch im Erziehungsverhalten niederschlagen. Ist das Opfer Schuld daran, dass Traumata sein Gehirn verändert haben?
Die Veränderungen finden auch in den Keimzellen statt mit der Folge, dass der Nachwuchs eine ähnliche Reaktion zeigt. Ist das Opfer Schuld daran, dass Traumata über die Keimzellen an den Nachwuchs weitergegeben werden?
Wer ist Schuld?
Durch eine stressfreie Umgebung lässt diese Demethylierung des Opfers wieder rückgängig machen. Darauf hat das Opfer Einfluss. Es könnte z.B. Psychotherapie machen, um den Prozess rückgängig zu machen. Was, wenn es in einer Zeit lebte, als es noch keine Psychotherapie gab? Wer ist dann Schuld?

Es passiert, leider,
weil Traumata Menschen und ihr Verhalten verändern können,
diese Veränderungen in den Keimzellen an den Nachwuchs weitergegeben werden
Es müsste nicht passieren, ... wenn Traumaopfer erst dann Kinder kriegen, wenn sie ihr eigenes Trauma bearbeitet haben und die Demethylierung wieder rückgängig gemacht wurde.

Wie entstehen Traumata? Bei Ereignissen wie Kriege, Vergewaltigung, ... da sind wir uns, denke ich, alle einig. Aber was ist wenn Eltern in einer Zeit aufwuchsen, in der man glaubte, dass eine Tracht Prügel für das Kind das Beste ist? Wer ist dann Schuld? Ist der, der das tut wovon er überzeugt wurde, dass es für das Kind das Beste ist, dann Schuld?

Im juristischen Sinne muss jeder die Verantwortung für seine Schuld tragen. Doch was ist wenn Eltern in einer Zeit aufwuchsen, in der man glaubte, dass eine Tracht Prügel für das Kind das Beste ist?
Heute müssten sich Eltern für Kindesmisshandlung verantworten. Doch was ist, wenn die Eltern in einer Zeit lebten, in der auch Richter das taten, was man zu diesem Zeitpunkt für das Beste für Kinder hielt?
Marie3punkt0: Therapie! (logischerweise müsste dann aber die/der TherapeutIn sehr viel Selbsterfahrung gemacht haben, um ihre eigenen faschistoiden Anteile in der Arbeit genauestens zu erkennen.)
Den Gedanken finde ich hoch interessant. Was wenn das Opfer in Psychotherapie geht um den Prozess rückgängig zu machen und an einen Therapeuten gerät, dessen Gehirn ebenfalls durch Trauma "fehlfunktioniert"? Wer ist dann Schuld?

Was passiert, wenn man an einen Therapeuten gerät, der seinen Klienten erklärt die Eltern wären an allem Schuld, sie hätten es trotz der Demethylierung anders machen können?
Was passiert, wenn man an einen Therapeuten gerät, der einem erklärt, dass die Eltern versucht haben ihr Bestes zu geben?
Wie wirkt sich diese unterschiedliche Sichtweise von Therapeuten auf den Klienten aus z.B. bzgl. der Selbstwahrnehmung "Opfer" versus "Verstehen und evt. sogar Verzeihen können"? Wie wirkt sich diese unterschiedliche Sichtweise von Therapeuten auf den Nachwuchs der Klienten (Traumaopfer) aus?
Zuletzt geändert von Jenny Doe am Di., 01.10.2019, 08:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Marie3punkt0
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Beitrag Di., 01.10.2019, 08:04

Also bislang kann die psychotherapeutische Behandlung genau so viel oder wenig wie vor der Entdeckung der Demythelierung.

Ich verstehe langsam den Sinn der Diskussion nicht. Benutzen derzeit Therapeuten die Erklärung der Epigenetik nicht einfach dazu, um den Patienten zu sagen, du bist nicht Schuld an deiner Erkrankung, fühle dich nicht stigmatisiert?

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Marie3punkt0
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Beitrag Di., 01.10.2019, 08:13

Und stressfrei! Volle Zustimmung! Wer ist schon mal in den Genuss einer rein stabilisierenden, nicht aufwühlenden, bestätigenden, stressreduzierenden Therapie gekommen!?!

Gibt es das überhaupt? Es scheint mir so zu sein, dass viele Therapeuten den Auftrag verspüren, sie müssten den Patienten fürs Allgemeinwohl, für sein leidendes Umfeld verbessern, weil die Patienten in den Augen der Therapeuten sehr selten "Opfer" sind, sondern irgendwie falsch gewickelt sind, die sie richtig aufrollen müssen.


Waldschratin
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Beitrag Di., 01.10.2019, 08:20

Muss gleich sagen, ich hab nicht alles gelesen, nur sporadisch überflogen.
Marie hat geschrieben:Benutzen derzeit Therapeuten die Erklärung der Epigenetik nicht einfach dazu, um den Patienten zu sagen, du bist nicht Schuld an deiner Erkrankung, fühle dich nicht stigmatisiert?
"Therapeuten an sich", also via Rundumschlag per se pauschal alle, bestimmt nicht.
Es mag da welche geben, kann ich nicht beurteilen.

Aber aus meiner Sicht benutzen das vielmehr Klienten, um mit dem inneren Chaos klarzukommen.

Das zeigt sich ja in fast allen Therapien/Auseinandersetzungen überhaupt mit Kränkungen, Verletzungen, und auch Traumata : Die Suche nach einem "Schuldigen".

Da dran hängen sich ja auch sehr viele Klienten fest : Es "muss" einen einzigen "Zuständigen", also Schuldigen geben, und somit sind alle anderen Beteiligten aus dem Fadenkreuz der Verantwortung, einschließlich man selber, und das entlastet ja erstmal ungemein. Und noch dazu vielleicht das erste Mal im Leben..

An sich finde ich diesen Schritt auch sehr wertvoll und einen großen, grade in einer Verarbeitung, wo man als Opfer verantwortlich gemacht wurde und missbraucht als Täter, also alle Verantwortung zugeschoben bekommen hat.
Umso mehr bei jemandem, der das von klein auf so abbekommen hat, denn dann verinnerlicht man es und kennt es gar nicht mehr anders.

Aber es ist halt nur EIN Schritt, wenn auch ein wichtiger, bei der Verarbeitung.

Kommt man da drüber dann irgendwann mal hinweg und raus aus "Täter-Opfer"-Denkerei, dann kann man auch anders mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen umgehen.

Ich hab nicht nur mit meinem Thera Kontakt, ich kenne auch privat den ein oder anderen Therapeuten. Und mir stellt sich das eher so dar, dass die versuchen zu erklären, dass es da eben nicht dieses einseitige Schwarz-Weiß gibt zwischen Schuld und Unschuld und dass es auch gar nicht da drum geht, wenn es den Prozess der Verarbeitung in der Gänze des Erlebten betrifft.
Ich krieg da viel mehr mit, dass es in erster Linie Klienten, also grade selber Betroffene in der Auseinandersetzung mit ihrem Erlebten sind, die sich manchmal regelrecht festklammern am Schuld-Unschuld-Prinzip als vermeintliche Lösung ihrer Probleme.

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Jenny Doe
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Beitrag Di., 01.10.2019, 08:21

Benutzen derzeit Therapeuten die Erklärung der Epigenetik nicht einfach dazu, um den Patienten zu sagen, du bist nicht Schuld an deiner Erkrankung, fühle dich nicht stigmatisiert?
Genau das ist für mich der Punkt in der Psychotherapie (beschränkt auf eigene Erfahrungen), den ich unlogisch finde: Dem Patienten, der traumatisiert wurde, wird gesagt "Du bist nicht Schuld, du kannst nichts dafür, dass du heute so und so bist, dich so und so verhältst, die und die Störung hast". Doch über die traumatisierten Eltern des Klienten denken Therapeuten (meiner Erfahrung nach) anders. Die traumatisierten Eltern sind an allem Schuld. Sie hätten sich anders verhalten können, ... Der Klient ist Opfer, die Eltern sind Täter.
Zuletzt geändert von Jenny Doe am Di., 01.10.2019, 08:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Marie3punkt0
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Beitrag Di., 01.10.2019, 08:24

Waldschratin hat geschrieben: Di., 01.10.2019, 08:20
Aber aus meiner Sicht benutzen das vielmehr Klienten, um mit dem inneren Chaos klarzukommen.
(...)

Ich krieg da viel mehr mit, dass es in erster Linie Klienten, also grade selber Betroffene in der Auseinandersetzung mit ihrem Erlebten sind, die sich manchmal regelrecht festklammern am Schuld-Unschuld-Prinzip als vermeintliche Lösung ihrer Probleme.
Genau das meinte ich, als Angebot für den Patienten!


Waldschratin
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Beitrag Di., 01.10.2019, 08:25

Marie, deine Antwort versteh ich grad nicht.
Welches Angebot an den Klienten?

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saffiatou
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Beitrag Di., 01.10.2019, 10:02

Jenny Doe hat geschrieben: Di., 01.10.2019, 08:21 Dem Patienten, der traumatisiert wurde, wird gesagt "Du bist nicht Schuld, du kannst nichts dafür, dass du heute so und so bist, dich so und so verhältst, die und die Störung hast". Doch über die traumatisierten Eltern des Klienten denken Therapeuten (meiner Erfahrung nach) anders. Die traumatisierten Eltern sind an allem Schuld.
Nein, das ist nicht unbedingt so. Klar muss! dem Patienten erklärt werden, daß er als Kind absolut unschuldig war, und die Prügel grausam. Aber die generationsübergreifenden Traumata sind ein Erklärungsversuch, da zu verstehen, wo sonst kaum möglich. KLar sollte der Thera sich seinem Patienten zuwenden und es geht in der Thera um ihn. Ja, die Eltern sind verantwortlich für die Taten gegen ihre Kinder.

Ich denke wir sollten in diesem Bereich das Wort Schuld durch Verantwortung ersetzen.

Meine Eltern sind schwer traumatisiert und emotional nicht in der Lage Kinder adäquat zu erziehen, sich in sie hineinzufühlen etc. Sie waren sehr grausam zu mir, eher habe ich, bereits als kleines Kind, die Elternrolle übernommen. Ich werde ihnen auch nie verzeihen, das geht nicht, sie haben die Verantwortung! und waren nie in der Lage Verantwortung zu übernehmen. Aber ich verstehe! durch dieses Trauma Modell, wieso sie so sind. Das befreit mich auf eine Art, immer nur die Gründe zu suchen, mich zu befragen.


@ Stern.

ich habe diese Doku schon vor einigen Jahren gesehen und fand/ finde diese Mutter der Kathrin extrem befremdend und verstehe die Tochter nicht. Die Mutter behauptet plötzlich ihr wäre auch alles passiert, was sie ihrer Tochter angetan hat und dann solidarisiert sie sich wieder mit dem Vater.... ganz gruselig, und unterstützt seine Abwehr der Missbrauchserinnerungen der Tochter damit (meiner Meinung nach)
Zuletzt geändert von saffiatou am Di., 01.10.2019, 10:21, insgesamt 1-mal geändert.
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saffiatou
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Beitrag Di., 01.10.2019, 10:09

Marie3punkt0 hat geschrieben: Di., 01.10.2019, 08:04 Also bislang kann die psychotherapeutische Behandlung genau so viel oder wenig wie vor der Entdeckung der Demythelierung.
Die Methylisierung ist ein Vorgang in der DNA bei der Reproduktion, der in den Zellen mit der RNA stattfindet und hat nichts mit der Therapie zu tun. Durch eine veränderte Methylisierung können DNA Bereiche (gene) anders "geschaltet" werden, dass heißt der Organismus wird anfälliger für Stress, durch die erhöhte Ausschüttung von Corticoiden.

Es wurde in dem Bericht auch erklärt, daß diese Methylisierung zb durch Therapie oder eine wohlwollende, stressfreie Umgebung wieder rückgängig gemacht werden.

Marie3punkt0 hat geschrieben: Di., 01.10.2019, 08:04 Benutzen derzeit Therapeuten die Erklärung der Epigenetik nicht einfach dazu, um den Patienten zu sagen, du bist nicht Schuld an deiner Erkrankung, fühle dich nicht stigmatisiert?

Nein, die dient der Erkärung, WARUM das passiert sein könnte, daß sie über Generationen hinweg misshandelt wurden...
never know better than the natives. Kofi Annan


Jenny Doe
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Beitrag Di., 01.10.2019, 10:15

Ich denke wir sollten in diesem Bereich das Wort Schuld mit Verantwortung ersetzen.
Gerne. Denn "Verantwortung" trifft beide, sowohl den Patienten, der trotz allem was er erleben musste die Verantwortung für sich und andere hat, als auch die Eltern, die trotz allem was sie erleben mussten die Verantwortung für sich und ihre Kinder haben.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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stern
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Beitrag Di., 01.10.2019, 12:00

saffiatou hat geschrieben: Di., 01.10.2019, 10:02
ich habe diese Doku schon vor einigen Jahren gesehen und fand/ finde diese Mutter der Kathrin extrem befremdend und verstehe die Tochter nicht. Die Mutter behauptet plötzlich ihr wäre auch alles passiert, was sie ihrer Tochter angetan hat und dann solidarisiert sie sich wieder mit dem Vater.... ganz gruselig, und unterstützt seine Abwehr der Missbrauchserinnerungen der Tochter damit (meiner Meinung nach)
Echt gruselig. Gut, dass es nicht nur mir so ergeht. V.a.: Sie war doch Täterin (sie meinte ja, dass es auch passieren hätte können, dass sie ihr Kind zu Tode geschüttelt hätte). Daher hat mich verwundert, dass die Störung der Tochter (so kam es mir vor) hauptsächlich am möglichen Missbrauch durch den Vater aufgehängt wird (aber das bleibt letztlich etwas offen, ob es auch zum einem sexuellen Missbrauch durch der Vater kam, da die Tochter sich nicht ganznsicher ist). Aber an der Stelle fand ich die Reaktion der Mutter wieder krass, dass sie sofort beipflichtete, dass sie ihrer Tochter glaubt und es auch Möglichkeiten gab. Hat sie das vielleicht sogar mitbekommen und hingenommen??? Oder ist sie sogar etwas froh, dass als Haupt-Schuldiger der Vater ausgemacht wurde??? Und warum geht sie dann wieder zu ihm zurück??? Alles sehr seltsam. Und auch die Tochter will den Kontakt zum Vater halten... und meint, das sind wie eben unterschiedlicher Meinung, wie als ginge es nicht um eine mögliche Straftat, sondern eine Meinungsverschiedenheit (der Vater spricht von in der Therapie induzierten Erinnerungen und bestreitet einen Missbrauch). Ich erlaube mir kein Urteil, was tatsächlich war... aber hier fängt es ja schon an, dass sich in solchen Konstellationen nicht mal wirklich eruieren lässt, was wirklich war (was meiner Meinung nach für eine Bearbeitung von Vorteil ist, je weniger Theorie es bedarf). Praktischerweise erinnert die Mutter weder ihre eigenen Taten noch weiß sie etwas vom möglichen Missbrauch ihrer Tochter... und mir fiel auch, dass ihr auf einmal einfiel, dass ihr das gleiche passierte als die Tochter ihren Missbrauch berichtete.

Wo ich andere Meinung bin, dass es schon angebracht sein kann, manchmal von Schuld zu sprechen... zB könnte man hier die juristische Kategorie zugrunde legen (vor der auch eine psychische Störung nicht unbedingt schützt). Die Tochter will jedoch nicht anzeigen, sondern eine Beziehung zum Vater pflegen.
Liebe Grüße
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Marie3punkt0
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Beitrag Di., 01.10.2019, 13:35

Waldschratin hat geschrieben: Di., 01.10.2019, 08:25 Marie, deine Antwort versteh ich grad nicht.
Welches Angebot an den Klienten?
Ich denke, es kann bei der Verarbeitung helfen, weil es versachlicht, Distanz ermöglicht, es wissenschaftlich abstrahiert und auf eine entfernte Mikroebene verweist, die auch vom Druck befreit, alles längst überwunden haben zu müssen.

Und was dabei sehr hilfreich ist, dass es eine Hypothese ist, denn wer hat schon seine epigenetisch modifizierte DNA analysiert vorliegen oder die seine Vorfahren.

Und es kann m.E. Hoffnung machen, dass man bald wirksame Medikamente finden könnte.


mio
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Beitrag Di., 01.10.2019, 14:52

Ich würde mal Bindungstraumata und existentielle Traumata unterscheiden, auch wenn es in Bezug auf die Weitergabe Schnittmengen zu geben scheint.

Ein Mensch ohne Bindungstrauma scheint zB. deutlich weniger stark auf Existenztraumen (wie Krieg) zu "reagieren" als ein Mensch mit Bindungstrauma. Bindungstraumata waren lange in Bezug auf den zweiten Weltkrieg nicht so im Focus der Forscher, diese haben aber festgestellt, dass es da mehr Zusammenhang gibt als anfänglich gedacht. Stichwort: Johanna Haarer und die "Nazierziehungsratgeber".

Dieser Käse fiel ja vor allem auch auf den Boden der eh schon diesbezüglich irgendwie "Geschwächten" und hat sich dann eben auf den ganzen Rest sozusagen noch "draufaddiert".

Ich kann das in meiner eigenen Familie im Grunde sehr gut beobachten, weil es da beides gibt und gab.

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Candykills
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Beitrag Di., 01.10.2019, 15:43

Interessant, dass du Johanna Haarer erwähnst, Mio. Ich habe letztens bei Nachtcafe eine ihrer Töchter gesehen. Diese Ratgeber wurden ja millionenfach verkauft in der damaligen Zeit und waren wirklich unterirdisch. Mich wundert nicht, dass Kinder, die diesem Erziehungsstil zum Opfer fielen, ein Bindungstrauma haben.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Marie3punkt0
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Beitrag Di., 01.10.2019, 16:32

Der Artikel auf den den ich mich immer wieder beziehe ist vom Max Planck Institut, aber schon von 2009, vllt hat sich seitdem einiges getan, das auf eine Umkehrung der Methylierung schließen lässt. Hier heißt es 2009:
"Die Medizin der Zukunft ist kein rückwärts gewandtes Reparieren von Spätschäden, sondern eine proaktive Medizin, die durch frühzeitige Intervention auf die Verhinderung von Schäden zielt. Nur dann besteht Hoffnung, dass sich traumatische Erlebnisse nicht unauslöschlich in die epigenetische Blaupause der Gehirnzellen einbrennen und zu einem lebenslang erhöhten Risiko für Angsterkrankungen und Depression führen."

https://www.mpg.de/431776/forschungsSchwerpunkt

Und leider geht es auch im Artikel von 2019 nur um Prävention.
https://www.mpg.de/13846531/traumata-hi ... che-spuren
Zuletzt geändert von Marie3punkt0 am Di., 01.10.2019, 16:45, insgesamt 1-mal geändert.

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