Jenny Doe hat geschrieben: ↑So., 02.12.2018, 11:33
Wer mit dem Gesundheitssystem nicht zufrieden ist, der kann sich ja einen privaten psychotherapeuten suchen und ihn selbst finanzieren, dann kann er solange ambulante Einzel-Therapie beim Traumtherapeuten machen wie er mag.
Boah, was ist das denn für ein Totschlagargument, Ja klar, und wenn die Gesundheitspolitik irgendwann beschließen sollte, es gibt gar keine Psychotherapie mehr als Kassenleistung (was ja die allermeisten europäischen Länder tun) und wenn man dir, als du Therapie am nötigsten gebraucht hättest, gesagt hätte: "Wenn dir das nicht gefällt, kannst du ja privat 'nen Therapeuten bezahlen, Hauptsache, die Krankenkassenbeiträge steigen nicht.", hättest du da immer noch zugestimmt? Also pauschal zu sagen, Alles, war die Krankenkasse derzeit nicht zahlt, ist auch nicht nötig, finde ich sehr gewagt. Ich habe da nicht ganz so viel Vertrauen in Sachverstand und vor allem Neutralität der Gesundheitspolitik.
Außerdem wird auch hier wieder der Irrglaube deutlich, dass ohne vorherige "Kontrolle" mehr oder längere Therapien stattfinden würden und damit der indirekte Vorwurf an die Therapeuten, dass sie Patienten unnötig lange oder ohne Indikation behandeln würden. Dafür gibt es aber keinerlei Belege. Über die Dauer einer Therapie entscheiden schon jetzt externe Gutachter und nicht die Therapeuten, ganz davon abgesehen, dass es Maximalkontingente gibt. Ganz davon abgesehen, werden auch bereits bewilligte Kontingente häufig nicht voll ausgeschöpft. Wenn Therapeuten und/oder Patienten vorher zu dem Schluss kommen, dass keine Therapie mehr benötigt wird, dann wird die Therapie beendet, auch wenn noch ein Restkontingent vorhanden ist, das belegen einschlägige Studien.
Was sollte auch der Vorteil für einen Therapeuten sein, eine Endlostherapie zu machen? Wenn der Patient keine Fortschritte mehr macht und eigentlich keine ernsthaften Probleme mehr hat, wird es doch auch für den Therapeuten irgendwann uninteressant, ist ja nicht so, dass Therapeuten um den "Nachschub" bangen müssten. Eigentlich kann das doch den Therapeuten nur Recht sein, wenn die Therapeutenzahl künstlich knapp gehalten wird, schließlich bedeutet dass für sie, dass sie keinerlei Mühe aufwenden müssen, die Patienten laufen ihnen von alleine die Bude ein.
Die Gründe, warum Therapeuten gegen dieses Gesetz sind, sind erstens, dass sie keine Lust auf eine übermäßige Bürokratie haben, sie wollen ihre Zeit lieber mit "richtiger" Therapie verbringen als mit zig Anträgen/Auswahlgesprächen usw., zweitens wissen Sie, wie schwer das vielen Patienten überhaupt fällt, diesen Marathon bis zum Erhalt eines Therapieplatzes durchzuhalten (da es ja nicht mehr Therapeuten gibt, wären das leider einfach nur ein paar Kilometer zusätzlich auf diesem Marathon, was es den Patienten noch schwerer macht) und es macht viele Therapeuten fertig, so viele Menschen, die dringend Hilfe brauchen, abweisen zu müssen in dem Wissen, dass wahrscheinlich auch sonst niemand einen Platz frei hat. Deshalb wollen sie lieber mehr Kassensitze als eine Verwaltung des Mangels. Und drittens möchten sie sich nicht in ihrer - übrigens im Berufsrecht gesetzlich festgelegten - Unabhängigkeit beschneiden lassen und weiterhin selbst entscheiden, welchen Patienten sie wann behandeln. Das finde ich auch nicht egoistisch, sondern vernünftig, denn jeder, der schon mal mit einem unpassenden Therapeuten arbeiten musste (z.B. in einer Klinik) weiß, wie unproduktiv das ist und sich sogar der Zustand erheblich dadurch verschlechtern kann. Einen Therapeuten zu "zwingen", einen bestimmten Patienten zu behandeln, statt eines anderen macht daher wenig Sinn, weil die Therapiequalität darunter leidet.
Das ist ja der eigentliche "Sinn" dieses Gesetzes, die Therapeuten sollen gezwungen werden, mehr "schwere" Fälle zu übernehmen und damit die noch überlasteteren Psychiater und Kliniken zu entlasten, es sollen die "dringenderen" Fälle zuerst behandelt werden, nur was ist "dringend"? Der schwer Persönlichkeitsgestörte, der seit Jahren von Arzt zu Klinik zu Therapeut weitergereicht wird oder der weitgehend noch "funktionstüchtige" Patient, der aufgrund von Depression oder Burnout droht, seine Arbeitsfähigkeit zu verlieren? Das finde ich sehr schwer zu beantworten, auch für eine "Steuerungspraxis". Die derzeitige Meinung der Gesundheitspolitik ist: "Je schwerer die Störung, je dringender", aber aus deiner Argumetation heraus müsste es ja genau andersherum sein, der eigentlich gut verdienende und damit auch viele Beiträge zahlende Patient müsste dann ja so schnell wie möglich wieder fit gemacht werden, um die Kassen zu entlasten. Was bei dieser Argumentation auch gar nicht berücksichtigt wird, ist, dass auch nicht alle Störungen für ein ambulantes Setting geeignet sind.