Autonomie versus autark

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

mio
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 10:36

Diese "innere Autarkie" (akzeptieren lernen - man könnte es auch "innere Einsamkeit" nennen) ist letzten Endes das, was die Psychologie Autonomie nennt.

Autonom SEIN bedeutet nicht allein leben, keine Hilfe annehmen können, nicht mehr bedürftig zu sein, keine Kompromisse mehr schließen zu können etc. (das wäre Pseudoautonomie) sondern sich gewahr sein, dass das eigene Innere sich von dem Inneren anderer unterscheidet und auch so stark unterscheiden kann, dass es besser ist sich für dieses zu entscheiden, so eine Entscheidung "erzwungen" wird (sei es von einer Situation oder von einem anderen Menschen). Dies dann auch zu KÖNNEN ist Autonomie. In der Regel erfordert (innere) Autonomie aber gar kein "Allein", sondern kann sehr gut im Abgleich mit ebenfalls innerlich "autonomen" Menschen gelebt werden. Eben dann, wenn auch der andere sich dessen gewahr ist, dass jeder Mensch auf der Basis seines eigenen Inneren entscheiden muss, was gut für ihn ist und was nicht.

Autarkie hat Möbius eigentlich bereits sehr schön beschrieben finde ich, denn da geht es eher um eine "Handelsfreiheit". Wenn ich im eigenen Garten Gemüse anbaue, dann habe ich Gemüse und muss keines mehr erwerben. Bin also in Bezug auf Gemüse autark. Nicht aber in Bezug auf Fleisch, weil ich keine Tier was ich schlachten kann halte. Nun kann ich mich vegan ernähren und mir wird das Fleisch nicht fehlen. Will ich aber Fleisch, dann muss ich mit (in Bereichen anderer) anderen (ver)handeln.

Dieses Prinzip lässt sich schon auch ein wenig auf "Emotionen" übertragen. Bin ich zB. auf der Suche nach einem Freund, dann muss ich mit diesem die "Beziehung" aushandeln. Bin ich "innerlich autonom" dann gestalte ich diesen Handel so, dass er mir insgesamt einen Gewinn bringt = eine insgesamt bereichernde Freundschaft. Denn ich bin in sofern "autark" als dass ich auch einen "inneren Freund" habe und mir meine "äußeren" aussuchen kann bzw. ohne Mühe mit diesen über die Beziehung verhandle. Bin ich innerlich nicht autonom, dann nehme ich jeden "Freund" der sich bereit erklärt, mein Freund zu sein, weil ich denke, dass ich nur so einen Freund finden kann und ohne "äußeren" Freund allein wäre, weil mir der "innere Freund" fehlt. Ungefähr so....

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Schneerose
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 10:43

Jenny,
deine starke Antwort bewegt mich dazu nochmal zu antworten.

Wer ist "Gott"?
Das göttliche lebt in allen von uns.
Wir, jeder von uns trägt das göttliche Licht in sich SELBST.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->


isabe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 10:45

...Aber dann wäre "Gott" beliebig. Dann trägt auch Hitler das göttliche Licht in sich.

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Schneerose
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 10:46

@mio,

Mein Therapeut sagte mal : "man kann viel lernen von den Wüstenvätern "! Im übertragenen Sinne.
Ich geh jetzt nicht in die Wüste :->
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

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Schneerose
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 10:48

isabe hat geschrieben: Mo., 17.04.2017, 10:45 ...Aber dann wäre "Gott" beliebig. Dann trägt auch Hitler das göttliche Licht in sich.
Jeder trägt das göttliche Licht aber auch das Böse.
Das ist unser ewiger innerer Kampf.
Welchen Wolf füttere ich mehr?
Das ist unsere freie Entscheidung.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->


montagne
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 13:47

Hi Schneerose
mir tut es Leid, dass dir so manche Antwort hier nichts nur nichts brachte, sondern es dir auch nicht gut tat. So wohl auch meine Antwort. Das tut mir wirklich Leid. Ich wollte "einfach nur" helfen. Du sprachst das Thema der Pflege an. Ich war selbst mal pflegende Angehörige und bin im Bereich Reha auch beruflich tätig. Ich dachte, im Austausch ergibt asich vielleicht etwas, was dir hilft. Ist nicht so, dann eben nicht. Ist ja auch Autonomie, zu sehen, man ist noch an eienr Stelle zu dem Thema, an der man noch nicht präzise ausdrücken kann, worum es einem geht, weil man selbst noch sucht. Dann so bisschen implizit Diskussionteilnehmer den schwarzen Peter zuzuschieben, die sich an der Suche (wohlwollend) beteiligt haben oder die versucht haben Gedankenanstöße zur Fragestellung zu geben, finde ich hm...

Auch zum Thema Autonomie, Autarkie, könnte ich etwas sagen. Es ist ja ein Thema, dass jeden irgendwie angeht. Und ich habe tatsächlich einige "Einsiedler" kennen gelernt, habe mich viel mit dem Thema Autarkie und Autonomie beschäftigt und tue es noch.

Nach wie vor denke ich, Autarkie ist etwas anderes als Autonomie. Es sind zwei unterschiedliche Kategorien. beides kann vereinbar sein, muss aber nicht. Und das eine geht nicht automatisch mit dem anderen einher.

Und wie gesagt, eben die Frage nach (verständlichen) Wünschen nach Autarkie und gesunder Realität, aber gut...
amor fati


isabe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:03

Was genau soll denn das göttliche Licht sein? Es ist unbestritten, dass auch Menschen, die Böses tun, gute Seiten in sich haben bzw. hatten. Aber wieso nennst du das "göttlich" - wieso wäre es zu wenig, festzustellen, dass wir alle (wie mein erster Therapeut sagte) "gemischte Wesen" sind?

Wenn jemand sagt, wir alle hätten das göttliche Licht in uns, dann muss das ja etwas sein, was mehr ist als "gut"; ansonsten könnte man es beim recht banalen Wort "gut" belassen.


mio
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:14

isabe hat geschrieben: Mo., 17.04.2017, 14:03 wieso wäre es zu wenig, festzustellen, dass wir alle (wie mein erster Therapeut sagte) "gemischte Wesen" sind?
Ich bin ja nicht religiös, aber meine Antwort darauf wäre, dass es dann kein Streben nach dem Guten mehr gäbe (eventuell). Wenn auch das "Böse" sozusagen "gut" ist, dann habe ich keinen Grund mehr, es zu verändern oder mit ihm so umzugehen, dass es keinen Schaden beim anderen anrichtet. Dann kann ich auch sagen: Ich bin halt auch böse. Ist so. Ist normal. Darf ich, weil ich nix für kann dass das so ist.

So "funktioniert" gutes (soziales) Miteinander aber nicht. Wenn ich all meine "Fehler" auf dem Rücken anderer auslebe, weil ich das für einen Teil des "göttlichen Prinzips" halte, dann entsteht nicht nur Krieg, sondern es gibt auch kein Streben mehr danach, das "Böse" auf sozial verträgliche Art und Weise auszuleben und so zu kultivieren. Dem anderen geschähe es dann ja Recht, dass ich meine aggressive Seite an ihm ausleben, denn es wäre dann ja so von Gott gewollt...


isabe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:17

Nee, mio, das ist schon so, dass die Menschen nicht nur gut, sondern auch böse sind: Das trifft auf dich zu und auf mich auch. Da muss man durch. Und ich glaube, das ist auch nicht strittig.

Seltsam finde ich nur die Vorstellung von einem "göttlichen Licht", das allen Menschen sein soll. Demnach hätten also auch alle Menschen ein "teuflisches Dunkel", und sie könnten sich "frei" (was ich sehr stark bezweifle!) entscheiden.


mio
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:24

So ist es aber wohl gemeint und gedacht. Also dass ich entscheide, wie ich mich verhalte. Und doch: Ich zumindest kann das.

Ich persönlich brauche hierfür noch nicht einmal eine Religion, da ich meinen eignen Werten diesbezüglich vertraue (die allerdings auf einer "religiösen Basis" stehen, die stark von der "Liebe (auch Gottes)" geprägt sind).

Ich denke es stammt aus Zeiten, als die Menschen noch nicht so "zivilisiert" waren, aber anfingen in "engerer Zivilisation" zu leben als zuvor. Hat wohl auch was mit "Territiorialverhalten" zu tun. Je größer die verfügbaren Territorien, desto weniger "Einhegung" ist notwendig, je "enger" die Territorien, desto mehr "Einhegung" und "Gemeinschaftsdenken über Grenzen hinweg" ist notwendig, um ein gutes Überleben aller zu sichern.

Die Kirchen (und die Mächtigen) haben dies jedoch geschichtlich gut für sich zu Nutzen gewusst....wo es auch schon wieder aufhört...weshalb ich es auch ablehne.


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:31

Hallo Mio
Wenn auch das "Böse" sozusagen "gut" ist, dann habe ich keinen Grund mehr, es zu verändern oder mit ihm so umzugehen, dass es keinen Schaden beim anderen anrichtet.
Was "Böse" ist, ist eine Definitionsfrage. Wenn ich in Deutschland einem leidenden Menschen seinen Wunsch zu sterben erfülle, bin ich in seinen Augen ein guter Mensch, aber aus der deutschen juristischen Perspektive habe ich einen Mord begannen. Aus dieser Perspektive betrachtet wäre also ein böser Mensch. Hätte ich dieselbe Handlung in einem Land begannen, in dem Sterbehilfe nicht als Verbrechend angesehen wird, dann wäre ich nur ein guter Mensch; ich hätte dann keinen Mord begannen, mich also ans Gesetz gehalten, und zudem noch einen Sterbenden glücklich gemacht.
Früher wurde Gott in einigen Kulturen Menschenopfer dargeboten. Sind die Menschen, die sich an kulturelle Normen gehalten haben und Opfer dargeboten haben, gute oder schlechte Menschen?
Auch hier greift wieder die Frage nach der Autonomie. Man kann sich entscheiden von anderen Menschen und ihren Normen unabhängig zu sein und das tun, was man selbst für "gut" hält. Aber man muss dann die Konsequenzen tragen.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


mio
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:35

Jenny Doe hat geschrieben: Mo., 17.04.2017, 14:31Auch hier greift wieder die Frage nach der Autonomie. Man kann sich entscheiden von anderen Menschen und ihren Normen unabhängig zu sein und das tun, was man selbst für "gut" hält. Aber man muss dann die Konsequenzen tragen.
Vollkommen richtig, das sehe ich auch so.


isabe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 14:40

Jenny:
Manchmal ist das aber noch weniger eindeutig: Zwei Parteien streiten sich, und jeder glaubt, im Recht zu sein und hält den Anderen für böse bzw. fehlerhaft. Und niemand macht anderen Menschen gegenüber immer alles richtig; das wäre ja eine gespaltene Wahrnehmung.

Die Tiefenpsychologie basiert ja gerade auf der Annahme, dass wir Menschen Schwierigkeiten haben, unsere bösen Seiten anzunehmen. Wobei "böse" da zunächst mal meint, tabuisierte Gefühle und Triebe / Wünsche zu haben. Und das wehren wir ab, indem wir z.B. oberflächlich tatsächlich glauben, ausschließlich gut zu sein: "gut" im Sinne von "unschuldig" und "harmlos". Aber - und da passt es wieder zur Diskussion von gestern - wir alle haben auch Aggressionen in uns.

Wann wären wir also frei: wenn wir die ausleben? Oder wenn wir uns moralisch einwandfrei verhalten - aber was wird dann aus dem Trieb? Der verschwindet ja nicht einfach so.

Und: Um von einem "freien" Willen sprechen zu können, müssten alle Menschen dieselben Ausgangssituationen haben. Ansonsten ist es ja zynisch, wenn der Wohlhabende meint, der Bettler habe dieselben Wahlmöglichkeiten. Der Bettler, der sich moralisch integer verhält und z.B. nichts klaut, muss ja u.U. viel größere innere Konflikte überwinden als jemand, dem alles zufliegt.


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 15:14

Hallo isabe
wir alle haben auch Aggressionen in uns.
Wann wären wir also frei: wenn wir die ausleben? Oder wenn wir uns moralisch einwandfrei verhalten - aber was wird dann aus dem Trieb? Der verschwindet ja nicht einfach so.
Menschen sind in der Lage alternative Verhaltensweisen als Aggression zu lernen. Stichwort: Anti-Aggressionstraining. So gesehen hat der Mensch durchaus die Freiheit. Er kann alternative Verhaltensweisen als Aggression an den Tag legen und lernen seine Aggresssionen auf eine nicht schädigende Art und Weise auszuleben.
Der Mensch kann somit entscheiden, welche Verhaltensweise er an den Tag legen will. Er kann die Aggression wählen, muss aber dann mit den Konsequenzen leben. Oder er kann seine Aggressionen anders, auf eine nicht schädigende Weise, ausleben.

Aber ich denke, dass weicht von Schneeroses eigentlicher Fragestellung ab.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


isabe
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Beitrag Mo., 17.04.2017, 15:20

Aber ein Verzicht auf aggressives Handeln ist für denjenigen viel leichter, der nicht viel zu verlieren hat, und auch für den, der über ein relativ hohes Maß an Einsichtsfähigkeit verfügt. Das trifft ja zweifellos nicht auf alle Menschen zu. Mit anderen Worten: Niemand schlägt zu, wenn es ihm gut geht. Um aber von einem "freien Willen" sprechen zu können, müssten die Ausgangslagen vergleichbar sein; man kann ja unmöglich moralisch denjenigen loben bzw. von Bosheit / Fehlern vollkommen freisprechen, der ohnehin schon ein sorgloses Leben führt (weil er das Glück hat, in einem reichen Land von reichen Eltern geboren zu sein und keinerlei Schicksalsschläge erleiden musste) - während man denjenigen tadelt, der schon immer chancenlos war und dem es (wenn er z.B. in einer Diktatur lebt) gar nicht möglich ist, sich frei zu entfalten oder nach oben zu streben und der also versucht, auf anderen Wegen (z.B. durch Diebstahl) zu etwas Lebensglück zu gelangen.

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