Täterloyale Anteile und Introjekte

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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doppelgängerin
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Beitrag Mi., 23.03.2016, 13:38

Mira* hat geschrieben:Jetzt bin ich still… und sorry, dass ich mich überhaupt eingemischt habe.
Liebe Mira - herzlich willkommen!!
Wieso entschuldigst Du Dich, hier geschrieben zu haben? Ich fand Deine Worte, wenn auch "nur" suchend und fragend, doch sehr schön und sehr nachvollziehbar. Danke dafür.

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lilu
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Beitrag Mi., 23.03.2016, 21:43

Hallo Joeline,
Joe-Cohen hat geschrieben:sagte man mir, dass es veraltet sei und man- zumindest DIS-Patienten- nicht mehr vor diesem Hintergrund sieht. Mich verwirrt das alles nur mehr.
mich jetzt allerdings auch...verstehe ich nicht. "WAS" soll das denn sonst sein, bei DIS? Hat man Dir da was zu gesagt/erklärt?

LG Lilu
Und mit Entzücken blick ich auf, so manchen lieben Tag;
Verweinen laßt die Nächte mich, solang ich weinen mag.

Goethe


mio
[nicht mehr wegzudenken]
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Beitrag Mi., 23.03.2016, 21:56

Hallo Lilu,

soweit ich es verstehe basiert(e) das Konzept des "Introjekts" eben darauf, dass es sich immer um "nicht zum eigentlichen Selbst" gehörende (also Ich-fremde) Anteile handelt. Nach diesem Konzept ist es gut, diese zu "eliminieren". Das funktioniert eben bei "dissoziativen Störungen" nicht, da das "dissoziierte" "Material" (und nichts anderes sind Anteile letztlich!) Informationen "enthält" die "zum Selbst" (zur Biografie, zum Erlebten) gehören und die integriert werden müssen um "Vollständigkeit" zu ermöglichen.

Stell Dir einen "wütenden Teil" vor. Der wütet jetzt vielleicht - ähnlich dem Täter - gegen Dich selbst. So muss er ja nicht "gegen den Täter" wüten, was eventuell noch schlimmeres nach sich ziehen würde... (bzw. früher nach sich gezogen hätte). Wenn Du diesen Teil jetzt "eliminierst" dann eliminierst Du - zumindest in Teilen - auch ein wichtiges "Basisgefühl": WUT.

Ist es hingegen nur ein "Introjekt", dann bleibt die WUT als solche sowieso erhalten (sie ist dann nicht so "krass" "abgespalten" und äußert sich eher in der Projektion, nicht über "Wechsel" zum anderen Teil), sie wird nur anders "kanalisiert" indem sie erst mal vom Thera "contained" und zurückgegeben wird.

Lieben Gruss,

mio

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Mira*
Helferlein
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Beiträge: 61

Beitrag Do., 24.03.2016, 08:30

Liebe Doppelgängerin,

danke für Deinen Willkommensgruß. Zum entschuldigen… ich kämpfe noch sehr damit reden/schreiben zu dürfen, vor allem in der Therapie. Hier im Forum ist es wohl ähnlich. Wobei hier trotz Anonymität sehr viel mehr Menschen lesen. Dies finde ich noch gewöhnungsbedürftig, vor allem da ich mir für sehr viele Jahre jeden Gedanken an Vergangenes verboten habe.

Als ich gestern darüber nachdachte und auch über Joe-Cohens letzte Worte fiel mir ein Buch von J. Peichl ein (5. Aufl., 2014… also noch nicht so alt). Dieser schrieb, egal ob bei komplexer PTSD, BPS, ESD und DIS… wären diese zu finden.

Er unterscheidet zwischen täteridentifizierten und täterloyalen Anteilen. Erstere bezeichnet er als Täterintrojekte, also die Übernahme von Denken, Fühlen und Handeln des Täters (dienen als Abwehrverhalten dem Selbst-Schutz); täterloyale Anteile werden als Mittäter-Anteile bezeichnet, also (Bezugs-)personen, die nicht schützten. SoS hat ja bereits darüber geschrieben.

Was Mio schreibt klingt auch sehr schlüssig. Peichls Empfehlung zum therapeutischen Vorgehen bei Täterintrojekten, wäre es deren Funktion zu verstehen und anzuerkennen, negative Inhalte abzulehnen und zurückzuweisen. Er verweist aber auch auf Watkins und Watkins, welche anscheinend schon die Möglichkeit bei MPS in Betracht zogen solche Ich-Zustände zu eliminieren, den Einfluss zu reduzieren, die Ziele zu modifizieren, damit eine Integration möglich wird. Ich kenne deren Buch aber nicht… und habe jetzt auch bei Peichl nur quer-gelesen.

Ich weiß nicht, was ich davon halten will oder soll (und steige hier aus dem Thema aus). Es gibt anscheinend verschiedene therapeutische Ansatzpunkte und Richtungen. Ich will mal meinen Therapeuten vertrauen.

Liebe Grüße
Mira

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SoundOfSilence
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Beiträge: 592

Beitrag Do., 24.03.2016, 08:56

...Ich glaube vor allem, es gibt verschiedene "Bezeichnungen" und damit verbunden verschiedene Einstellungen. Diese (so finde ich) unterscheiden sich oft nur in winzigen Details, von wirklich komplett unterschiedlichen therapeutischen Wegen dazu ist das eigentlich weit weg, aber dieser kleine Unterschied, der scheint es oft zu machen - für die Betroffenen.

Also, die Devise, sich da auf eine Strategie einzulassen und nicht zu kategorisch zu denken - die scheint mir sehr gut zu sein
Hello darkness, my old friend...

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Joe-Cohen
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Beiträge: 37

Beitrag Do., 24.03.2016, 09:41

@Lilu,
besser als Mio hätte ich es nicht erklären können. Genauso ist es!
Danke Mio!

Liebe Grüße,
Joeline


montagne
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Beitrag Do., 24.03.2016, 16:10

Nach neuerem Stand, sollte eben nicht darauf hingearbeitet werden destruktive Anteile zu eliminieren. Sowohl vollständig abgespaltene Anteile nicht, als auch weniger abgespaltene nicht.

Ich finde es in sofern logisch, da sie in jedem Fall Teil der Gesamtpersönlichkeit sind. Letztlich sind diese Anteile ja in größter Not entstanden, um zu überleben. Sie haben also trotz aller augenscheinlicher Destruktion einen absolut krassen Überlebenswillen.
Vielleicht, hab ich mir überlegt, sollte man sich selbst oder diesen Anteilen eher klarmachen, dass sie nicht mehr so destruktiv sein müssen, weil sie Situation ja vorbei ist. das ist das Problem, das haben diese Anteile oder man selbst in diesem Zustand nicht wirklich verstanden. Deshalb sind sie so. Würden sie es wirklich verstehen, dass es vorbei ist, wären sie vielleicht jetzt nicht mehr so, sondern anders.

Auf theoretischer Ebene würde ich es so ausdrücken. Introjekte sind eine eher unreife, passive Form der Internalisierung. Auch eher in Notsituationen entstanden. Mehr oder weniger abgespalten. Vielleicht sollte man sich diese Introjekte nochmals ansehen und dann eher aktiv und bewusst entscheiden, was man davon braucht und s aber auf seine Weise nutzen. Also eher Identifikation, was dann theoretisch auch die Spannungszustände durch Ambivalenzen reduziert.
amor fati

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blade
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 10:03

aber wenn Fremdes mit Eigenem vermischt wurde, ist das dann nicht vergleichbar mit einer "Geiselnahmesituation"?

"manuell" wird man das nicht aufdröseln können
aber es gibt andere Ordnungsprinzipien...zB Scheidetrichter (lipohil vs hydrophil); Sedimentationseigenschaften (zB Eisengewinnung im Schmelzofen); Frequenzbasierte Strukturanordnungen (Sand-Glasplatte-Geigenbogen).....

ich finde schon, man sollte Eigenes erhalten und das fremde Gift ausstoßen oder vernichten..

aber vielleicht bin ich auch veraltet, kann durchaus sein (ohne Ironie)
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montagne
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 17:05

@blade: Bezieht sich ihr post auf mein letztes post?
amor fati


Igelkind
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 17:47

Ein Kind, dem (von einem geliebten Erwachsenen) gesagt oder vermittelt wird:" ich bin nicht böse, und ich will eigentlich nicht böse sein zu dir / dir keine Schmerzen zufügen, aber ich muss, weil du so und so bist, weil du mich zwingst usw."
Dieses Kind entwickelt ganz eigene Vorstellungen darüber, was an ihm, dem Kind schlecht und böse ist, so dass der liebe arme Erwachsene dazu gezwungen wird, böse zu sein.

Und diesen Irrtum aufzuklären gelang mir persönlich nur, indem ich in der Therapie "wieder zurück ging", diese Anteile sprechen liess und mit ihnen mitfühlte, und mein Therapeut während der Sitzung (und ich zu Hause) Stück für Stück die Lügen aufdeckte, die mir, diesem Kind, mir als Kind, erzählt wurden.

Dass ich selbst inzwischen genügend über Sexualität aufgeklärt war, half mir gar nichts.
Wir mussten in der Therapie mit jenen Anteilen oft sehr genau über die Funktionsweise von Genitalien reden, da diese Lügen von früher dort immer noch wirkten und die falschen Annahmen der Kinderteile immer noch genauso existierten wie damals, unberührt und unverändert von all meinen anderen inzwischen gemachten Erfahrungen, genauso unangetastet über all die Jahre wie die Erinnerungen an die Übergriffe selbst.

Ausserdem machte ich durch Kontakt mit diesen Anteilen in mir die Erfahrung, dass die Annahme, selbst daran Schuld zu sein, wie andere Menschen handeln, auch ein Machtgefühl generieren kann.
Diese vermeintliche Macht gaben wir auf, wie auch die damit verbundene Schuld.
Somit bin ich mir ein ganzes Stück näher gekommen.

LG Igelkind

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blade
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 18:40

an Montagne:

Nein, nicht speziell. Ist eher eine Überlegung von mir.
Aber es kam im Thread eben schon die Verknüpfung vor zwischen eigenen Anteilen, zB Wut, welche dann verdröselt mit Introjektionen Selbst-destruktiv oder auch überhaupt destruktiv wirken könnten.

Was dann als EIN ANTEIL wahrgenommen wird, es aber vielleicht gar nicht ist, sondern ein Konglomerat aus Eigenem und Fremden, an dem man verzweifeln könnte, weil es unauflösbar scheint.
Man bekämpft dann vielleicht die Wut (welche in dem geschilderten Fall das Eigene wäre) und übersieht das Introjekt - die schädliche und fremde Information/den "Belief", welcher das Eigene in seinen "Klauen" hält.
abgemeldet


mio
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 20:13

Hallo Blade,
blade hat geschrieben:Man bekämpft dann vielleicht die Wut (welche in dem geschilderten Fall das Eigene wäre) und übersieht das Introjekt - die schädliche und fremde Information/den "Belief", welcher das Eigene in seinen "Klauen" hält.
therapeutisch wird das mittlerweile so wie ich es kenne eigentlich genau anders gemacht: Die enthaltenen Gefühle und Erfahrungen werden als sinnvoll, wichtig und hilfreich erachtet, aber das "falsche Belief" muss verändert/modifiziert werden. Für Betroffene ist das in so fern nicht immer ganz einfach, als dass das natürlich erst mal "verstanden" werden muss. Du musst also erst mal was "akzeptieren" was Dir "schadet", "gegen Dich ist" oder Dich "verachtet". Aber nur wenn man das akzeptiert lässt es sich auch "modifizieren". Anders geht es nicht.

Lieben Gruss,

mio


montagne
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 21:15

@blade:
Was dann als EIN ANTEIL wahrgenommen wird, es aber vielleicht gar nicht ist, sondern ein Konglomerat aus Eigenem und Fremden, an dem man verzweifeln könnte, weil es unauflösbar scheint.
Sehe ich auch so. Insofern ich denke, ein Anteil (ob erwünscht oder unerwünscht) IST immer ein Konglomerat aus Eigenem und Fremden. Ohne das Du könnte das ICH niemals sein.
Wenn man dann vor erstmal unerwünschten, weil selbstdestruktiven und deestruktiven Anteilen steht, meine ich das eben so, dass man vielleicht (wer weiß, ich bin da noch garnicht), diesen Anteil ansieht, guckt wie sich der zusammensetzt und dann überlegt, was man davon braucht, dies in reiferer Form introjiziert und das was nun wirklich nicht gebraucht wird, lässt. Das ist was ganz anderes, als einen ganzen Anteil zu eliminieren oder irgend etwas zu eliminieren. Wandeln ja oder gehenlassen, wnen man bereit ist, aber nicht eliminieren oder besiegen.

Ich will sie damit aber nicht überzeugen. Vielleicht ist for Sie besiegen und eliminieren stimmig und wnen es ihnen hilft, ist es für Sie richtig so.
Ich schreibe nur aus der Perspektive, wie ich es sehe. Zwar auch wie es in der aktuellen Literatur beschrieben wird, aber auch, wie ich es spüre.
In dem Moment, als meine Therapeutin deutlich machte, dass wir mit und nicht gegen meine destruktiven Anteile arbeiten, dass sie respektiert und gehört werden sollen und müssen in der Therapie, da hat sich was bewegt in mir, ganz stark. ich kann es noch nicht vollständig beschreiben und werde es auch nicht hier, aber es ist was fundamental anders seit dem. Seit dem ich mehr Sicherheit habe, das die Anteile nicht weg sollen.
amor fati

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blade
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 21:33

Geehrte Mio

Inhaltlich meinen wir vermutlich das Gleiche.
Aber akzeptieren müssen, kann ich für meinen Teil - bei anderen löst diese Phrase vielleicht nicht solchen inneren Widerstand aus, wie bei mir - nicht akzeptieren.

Statt "akzeptieren" würde ich lieber "erkennen" verwenden.
Und anders geht es nicht.....

als ehemals Missbrauchter und vielfältig Verletzter kann ich auch diese Alternativlosigkeit nicht so ohne weiteres
zulassen, zumindest nicht für mich

es gibt fast immer mehrere Wege
finden kann man sie aber nur (AHA jetzt bin ich auch in die böse Dogmafalle getappt --- Wirt noch einen Krug Eures stärksten Weines! ---- Guckt nicht so, trinkt Euer Wasser aus!)
wenn man zumindest nicht ausschließt,
daß es sie gibt.

Oder durch Zufall (Wirt Euer Wein schmeckt etwas verwässert!)
abgemeldet


mio
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Beitrag Fr., 25.03.2016, 21:41

Hallo Blade,
blade hat geschrieben:Statt "akzeptieren" würde ich lieber "erkennen" verwenden.
Und anders geht es nicht.....
für mich ist das wohl das selbe. Wenn ich etwas "erkenne" (in einem "verstehenden Sinne") dann kann ich es "akzeptieren" oder so. Wenn Sie sich an der Wortwahl stören, so finde ich das vollkommen legitim. Kenne ich auch gut, dass bestimmte Worte für mich einfach nicht "passend" sind.

Und ja: Es gibt immer mehrere Wege nach Rom. Ich wollte jetzt nicht allzu "absolut" klingen (im Sinne "für alle"), für mich geht es nur so und ich denke mal "das Grundkonzept" das besagt, dass ich nur etwas, was ich erst mal annehme (dessen Existenz ich anerkenne) auch verändern kann, das teilen wir, oder?

Lieben Gruss,

mio

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