Identitätsstörung (ohne 'Dis')

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.

chaosfee
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Beitrag So., 03.01.2016, 20:39

Also das mit den Farben kenne ich so ähnlich aus anderen Situationen des Alltags. Ich habe das aber noch nie als Identitätsstörung wahrgenommen, sondern eher als Gerechtigkeitsfanatik (das Gefühl, für andere sorgen zu müssen) oder auch Perfektionismus.

Ein Klassiker bei mir ist, vor dem Kühlregal im Supermarkt zu stehen und mich nicht für einen Joghurt entscheiden zu können. Oder mich nicht für ein Restaurant oder auch einen einzelnen Tisch im Restaurant entscheiden zu können. Denn: Was ist, wenn ich nicht den besten aller Joghurts finde? Vernachlässige ich nicht den einen Restaurantbetreiber, wenn ich zur Konkurrenz gehe? Signalisiere ich ihm, dass ich seinen Tisch am Eingang sch.eiße finde, wenn einen anderen wähle? Oder werde ich mich den ganzen Abend ärgern, den Tisch am Eingang genommen zu haben? Beides kann sowohl Dinge als auch Menschen betreffen.
"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." Adorno

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SoundOfSilence
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Beitrag So., 03.01.2016, 20:47

leberblümchen hat geschrieben:Ein großes Problem für mich ist z.B., nicht zu wissen, welche Lieblingsfarben ich habe. Nicht ganz richtig: Ich weiß, dass ich Lila und Grün sehr mag, aber mich "quält" es (ist wirklich nicht übertrieben!), dann die anderen Farben zu vernachlässigen: Woher weiß ich, dass Rot nicht die richtige Farbe ist? Was ist, wenn es Rot sein muss? Was entgeht mir, wenn ich nicht Rot als Lieblingsfarbe habe? Wenn doch viele Menschen Rot mögen, dann kann doch Rot nicht verkehrt sein! Bestimmt mache ich einen großen Fehler, wenn ich Grün oder Lila gut finde. Und was ist mit denen, die Braun mögen oder gar Orange oder Schwarz? Vielleicht sollte ich doch Orange mögen, denn das Orange hat mir doch nichts getan und kann gar nichts dafür, dass ich es nicht mag. Vielleicht ginge es mir besser mit einer anderen Lieblingsfarbe? Vielleicht bin ich gar nicht jemand, der Grün und Lila mag - und ich weiß das nur nicht?
Da muss ich jetzt spontan an das Lied "Lieblingsfarben und- Tiere" von Element of crime denken. Dort heißt es "Meine Lieblingsfarbe ist eigentlich grün, aber manchmal blau und gestern war es rot, das war auch ganz schön" ...

Ich finde hier übrigens im Thread ein Phänomen, dass ich auch in anderen Fäden häufig finde: Jede Beispiel, dass Leberblümchen hier beschriebt wird abgetan nach dem Motto "haben viele" oder "ist doch nicht schlimm". Und das stimmt ja auch. Z.B. mit den Farben: Da gibt es sogar ein Lied darüber - also scheint es wohl einige Menschen zu geben, deren Lieblingsfarbe wechselt. Und ich bin zufällig jemand, der gerne nach der Lieblingsfarbe fragt - es gibt einige Erwachsene, die keine haben.
ABER: Die Häufigkeit und Vielheit dieser Unsicherheiten, die Leberblümchen beschriebt, die haben doch in ihrer Gesamtheit (offensichtlich) "krankheitswert" (sonst würde sie das ja nicht als Last/Leid erleben). Und ich verstehe das gut, denn wenn man bei allem unsicher ist, dann ist das belastend - vor allem wenn es eben NICHT um eine äußere Situation geht, sondern um das Innen.

Da das Merkmal "unsicher-sein-bezüglich-seiner-Identität" zum Identitätsstiftenden Erleben zu erheben finde ich persönlich gerade etwas schwierig - wenn es dir, Leberblümchen hilft, dann nimm es als Hilfe an. Mir (als jemand mit einem Identitäts-Problem, wenn vielleicht auch einem anders gelagerten) kommt das gerade relativ höhnisch vor.

Ich denke auch, dass es so etwas wie ein "gefühltes" Fixum in vielen Menschen gibt: ich kenne das jedenfalls von Freunden, aber auch aus Büchern (z.B. auto-Biographien) und auch in Erziehungsratgebern oder Psychologie-Fachbüchern wird ja immer wieder von einem "Wesentlichen" gesprochen - und angeblich (Stichwort Ressourcen und Resilienzforschung) ist es ja dieser "feste Kern", der den Menschen durchaus hilft, Krisen zu meistern. Weil sie auch wenn sie den Boden unter den Füßen verlieren noch "etwas in der Hand haben" und sich fest halten können. Dass man als Mensch dennoch immer auch wandelbar ist/sein kann/sein muss - klar. Aber dabei kommt es doch vor allem darauf an, wie man sich erlebt. Ob man in sich eine "Identität" erlebt, oder ob man sich verloren FÜHLT.

Einen objektiven Maßstab wird es da kaum geben: Der eine Mensch muss in seinem Leben mit ein, zwei Umbrüchen klar kommen und scheitert daran, weil er sich nicht mehr als sich selber wahrnimmt - der andere definiert sich mit Freude alle drei Jahre neu. Die Frage ist doch: wenn einem das Erleben von etwas Stabilen in einem selbst FEHLT - wie kommt man dann dahin?
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SoundOfSilence
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Beitrag So., 03.01.2016, 20:51

Leberblümchen, ich kenne solche Gedanken übrigens (nicht von der Farbe, da bin ich sicher: grün) - und mir fällt auf, dass es vor allem darum zu gehen scheint, dass du zwischen der Angst etwas zu verpassen und der Angst einen Fehler zu machen (und jemanden/eine Farbe damit "zu kränken") schwankst. Wenn du in dich hineinhorchst, dann scheint eben keine "Intuition" da zu sein, welche Farbe du nun magst, sondern da scheint für mich nur Angst zu sein, entweder zu kränken (darf man nicht) oder gekränkt zu werden (im Sinne von "zu kurz kommen")... Ich denke, es wäre hilfreich bei solchen "Kleinigkeiten" zu üben, dass du alles "ausprobieren" darfst, dass das wandelbar sein darf - um dann festzustellen, was "fix" ist (und damit die Angst davor zu überwinden, dass nichts fix ist)... Hat mir jedenfalls geholfen bei den "kleineren Dingen", mich zu entscheiden. Und letztlich ist Identität auch etwas, das damit zu tun hat, sich zu entscheiden.

Den letzten Satz, ich hab ihn jetzt mal rot gemacht, den finde ich ganz spannend. Das "Vortäuschen" ist etwas, was du ganz arg bei anderen zu kritisieren und auch aufzuspüren scheinst (die Frau im Deli-Laden, die herzeigen muss was sie hat; die Menschen, die Kleidung tragen und dabei nicht authentisch sind etc - und ich glaube sofort, dass du da ein ganz feines, gutes Gespür hast!) - und gleichzeitig hast du anscheinend große Angst, dass es dir einmal selber passieren könnte (und es dann wohl alle sehen - du es aber gar nicht merkst)... Kannst du damit etwas anfangen?
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Beitrag So., 03.01.2016, 21:03

Tristezza, ist nicht schlimm.

Chaosfee, interessant, dass so was noch jemand kennt. Im Supermarkt ist es in der Tat ähnlich, wobei ich dann eher denke, eine bestimmte Nudelsorte hat eine bestimmte Bedeutung (im Grunde wird einem das ja auch durch die Werbung suggeriert, an die ich eigentlich gar nicht glaube; ich hab da sozusagen meinen inneren Wettbewerb). Das mit den Farben ist auch deshalb blöd, weil ja im Grunde fast alles aus Farben besteht. Und ich meine da jetzt nicht so was wie "ist Braun zu seriös?", sondern eher: "Bin ich das Braune?"

Wir sind ja eine Weile jährlich umgezogen, weil ich immer gesucht habe, ob ich nicht DIE Wohnung finde, die mir sagt, wer ich bin. Das halte ich nicht für normal, letztlich auch, weil es eine Kostenfrage ist...

SoundofSilence, das Lied kenne ich nicht - wenn es nur so wäre, dass ich heute Rot mag und morgen Blau, dann ginge das ja noch. Dann wüsste ich wenigstens, dass ich an einem bestimmten Tag etwas Bestimmtes mag.

Ich weiß auch, dass das pathologisch ist; diese Frage stellt sich also nicht, wie du richtigerweise sagst.

Ja, das ist es wohl: ein innerer Halt, der mir schon als Kind gefehlt hat. Ein Halt, den ich in mir finden kann, wenn sonst alles weg ist.

Lustigerweise ist mir das auch erst so richtig durch das Schreiben aufgefallen, welche Fragen sich mit dieser Farbwahl verbinden. Dass ich da eigentlich vor etwas Angst hab. Ich denke mir auch, dass der Therapeut nicht wirklich an meinem Kern zweifelt, sondern dass er denkt, dass mich lediglich etwas daran hemmt, endlich "offiziell" festzuhalten, was ich mag oder auszudrücken, wer ich bin. Ja, das ist spannend, das mit dem Vortäuschen und der Frage, ob ich da was in mir selbst befürchte. Ich kann das noch gar nicht beantworten. Muss ich mal wirken lassen, danke.

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Tristezza
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Beitrag So., 03.01.2016, 21:15

Es wäre vielleicht wichtig zu verstehen, dass eine Farbwahl nur sehr begrenzt was mit Identität zu tun hat - so empfinde ich es zumindest. Wenn man sich nuuur dunkel oder nuuur grell kleidet, hat das sicher was zu bedeuten. Aber alles dazwischen? Ich weiß nicht, was z.B. meine Vorliebe für türkisfarbene Pullover mit meiner Identität zu tun haben sollte.

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SoundOfSilence
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Beitrag So., 03.01.2016, 21:52

Tristezza hat geschrieben:Es wäre vielleicht wichtig zu verstehen, dass eine Farbwahl nur sehr begrenzt was mit Identität zu tun hat - so empfinde ich es zumindest. Wenn man sich nuuur dunkel oder nuuur grell kleidet, hat das sicher was zu bedeuten. Aber alles dazwischen? Ich weiß nicht, was z.B. meine Vorliebe für türkisfarbene Pullover mit meiner Identität zu tun haben sollte.

...aber zu wissen, was einem (in dem Moment) gefällt und was nicht, das hat etwas mit Identität zu tun.
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leberblümchen
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Beitrag So., 03.01.2016, 22:00

Ich glaube schon, dass die Farbwahl die Identität symbolisiert - sonst bräuchte man doch keine Farben. Aber sicher sollte man es nicht überbewerten - was ich vermutlich tue. Vielleicht bewerte ich alles über? Auch Zahlen haben ja eine Bedeutung, und so kann nichts, was 6 oder 8 ist, gut sein (außer Hausnummern). Meine Tochter war sich früher immer sehr sicher, was Jungenfarben und was Mädchenfarben sind (und natürlich hab ICH das Rosa nicht eingeführt!), und da war mir dann wenigstens klar, dass ich - wenn's danach geht - ein Junge bin. Das hat mich irgendwie beruhigt, aber ich dachte immer noch, ich müsste doch eigentlich... Im Grunde ist mir das mit den Farben erst durch die Hintertür aufgefallen, dass ich Grün und Lila mag: Ich hab oft Wolle gekauft und mir jedes Mal vorgenommen, DIE Wolle in DER Farbe zu kaufen, mich irgendwie inspierieren zu lassen und irgendwie bunt, aber nicht zu bunt und am liebsten Regenbogenfarben, aber nicht zu sehr Regenbogen oder doch Herbstfarben, aber nicht zu Grau und nicht zu Braun oder doch Blau und Weiß und so weiter - und irgendwann, nach Jahren, hab ich festgestellt, dass ich eigentlich immer nur (egal, was ich für wen angefertigt habe), Grün und Lila gekauft habe.

Ach, eines gibt es noch, was ich wirklich toll finde: Latzhosen. So Peter-Lustig-mäßig. Aber es geht einfach nicht. Es gibt so was nicht in meiner Größe, und wenn ich so was anfertigen lassen würde, würde ich aussehen wie mit Drillingen im 9. Monat. Ich habe da also ein Bild von mir (unter der Latzhose würde ich dann nur bunte Ringelpullis tragen) - aber ich habe keine Chance, das umzusetzen. An sich ist das nicht tragisch, aber ich habe - vermutlich, weil ich das überbewerte - das Gefühl, mich zu verleugnen und ein wandelnder Kompromiss zu sein. Ich fühle mich eigentlich immer so, als hätte ich seit 46 Jahren Angst vor meinem persönlichen Coming Out - als was auch immer.

Ja, eben, SoundofSilence, es ist das fehlende Wissen darüber, was ich bin und was mir gefällt (abgesehen von Latzhosen, die tabu sind).


mio
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Beitrag So., 03.01.2016, 22:34

Ich finde nicht, dass sich Identität aus dem Äußeren ergibt, das Äußere repräsentiert meine Identität, aber es macht sie nicht aus.

Ich komme nochmal auf diese Geschichte mit dem "markierten Spiegeln" zurück: Ein Baby hat ja ursprünglich nur zwei "Zustände" - Wohlgefühl und Unwohlgefühl. Diese Zustände kann es noch nicht selbst regulieren, es ist also auf die korrekte Wahrnehmung eines Gegenübers angewiesen. Macht die Mutter (oder halt jemand vergleichbares) diesen "Job" gut, dann entwickelt das Kind ein "korrektes" Gefühl für sich selbst - es lernt zu unterscheiden: Hunger, Durst, Sicherheit, Unsicherheit, Langeweile, müde, böse, wütend, glücklich, froh etc. pp. Mit fortschreitendem Alter in fortschreitendem Masse und mit fortschreitender Sicherheit (es gewinnt eine sichere Kompetenz über sich selbst). Um die zu gewinnen braucht es aber das "markierte Spiegeln" - also einen Menschen, der DES BABYS Gefühl an es zurückmeldet, passend auf es reagiert. Für meine Begriffe ist dies der Ursprung der Identität bzw. des Identitätsgefühls. Aber das funktioniert eben gerade deshalb, weil das Baby zwar das Gefühl hat, der andere "hätte sein Gefühl bei sich" und es darüber Sicherheit gewinnt. Der andere ist aber in Wirklichkeit nur "bei dem Gefühl des Babys", er fühlt nicht, was das Baby fühlt. Täte er dies, würde dass die korrekte Wahrnehmung an bestimmten Stellen im Kontakt verfälschen.

Am Deutlichsten wird das für mich bei Angst: Reagiert die Bezugsperson auf die Angst (oder auch Unsicherheit) des Babys selbst mit Angst/Unsicherheit anstatt das Baby in seiner Angst zwar wahrzunehmen (gell, Du hast Angst...brauchste Du nicht, komm mal her), aber ihm eben auch (über das eigene, andersartige Gefühl) Sicherheit zu vermitteln, dann würde das Baby "Angst" als etwas verinnerlichen, das im Kontakt bedrohlich ist, also "Angst" nicht gut integrieren können in sein "emotionales Repertoire. Ich hoffe ich beschreibe das einigermassen verständlich. Da die Basis jeder Identitätsentwicklung wohl dieses "gute innere Repertoire" ist, gäbe es da dann eine erste "Störung". Je mehr dieser Störungen passieren, desto unsicherer wird das "innere Repertoire" und desto weniger weiss das Kind, was wirklich ist und was nicht.

Was die "Nachbeelterung" diesbezüglich im Erwachsenenalter erschweren dürfte, ist meiner Meinung nach der Umstand, dass ein Erwachsener etwas umreisen muss, was das Baby noch nicht umreisen muss: Es ist nicht mein Gefühl, was ich da im anderen (in Äußerlichkeiten) wahrnehme, sondern der andere reagiert (die Äußerlichkeit ist nur der Ausdruck meines Gefühls, nicht der Entstehungsort) nur auf mein Gefühl. Es ist also nicht möglich dieselbe "Omnipotenzerfahrung" zu machen, die ein Säugling macht, so nicht reflektiert wird: Es ist ein Außen, nicht mein Innen. Mein Innen "zeigt" sich mir nur über das Außen, aber es "kommt nicht daher", weil dann keine wirkliche Entwicklung dessen stattfinden könnte sondern nur die Abhängigkeit vom Außen erhalten bliebe.

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SoundOfSilence
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Beitrag So., 03.01.2016, 22:38

... was verbindest du denn mit Latzhosen und Ringelpullis?
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lamedia
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Beitrag So., 03.01.2016, 22:55

Mit den Farben ist es glaube ich doch so, dass unterschiedlichen Menschen gewisse Farben gut oder nicht so gut stehen - und ich glaube, die meisten Menschen tragen am Ende doch die Farben, die ihnen gut stehen. (Wenn sie die nicht selbst intuitiv kennen, vielleicht, nachdem sie Komplimente oder andere Signale diesbezüglich erhalten hatten.) Wobei die Farben der Kleidung ja auch nicht identisch mit den Lieblingsfarben sein müssen, oder? Es kann ja sein, dass jemand Orange über alles liebt - aber doch lieber Grün und Lila trägt, weil es ihm besser steht.

Da ist es dann sicher eine Frage der Kriterien für die Kleiderwahl: Will ich mit meinem Aussehen auslösen, dass andere und ich selbst angenehme/wohlwollende Gefühle damit verbinden, wie ich aussehe (also mich auch irgendwie mehr oder weniger unausgesprochenen Regeln beugen) - oder will ich das tragen, was mir gefällt, auch wenn es mir in den Augen der anderen möglicherweise gar nicht steht? Wobei das auch alles fließend ist, denn jemand könnte ja einen Latzhosenfetisch haben und dich umwerfend finden, wenn du eine trägst. Oder jemand anders könnte "angepasste" gut ausgewählte Kleidung als spießig empfinden.

Es gibt die Augen und Urteile der anderen und die eigenen Empfindungen. Sie werden wahrscheinlich immer mehr oder weniger in Dissonanz stehen, aber auch in vielem übereinstimmen können. (Denn zu viel Individualität wäre überkomplex und nicht mehr beschreibbar.) Wobei mir der philosophische Gedanke kommt, dass Individualität auch immer die Reduktion von Komplexität bedeutet, auch wenn man eigentlich erwartet, dass sie größtmögliche Differenz bedeuten müsste.


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Beitrag Mo., 04.01.2016, 09:07

Ja, SoundofSilence, was verbinde ich mit Latzhose und Ringelpullis? Das ist wohl die entscheidende Frage dabei - nee, nicht ganz, aber schon wichtig: Vereinfacht gesagt, verbinde ich damit, glaube ich, Asexualität und Unschuld. Zuerst hab ich gedacht, es ist "Kindheit", aber das ist es wohl doch nicht, denn in meiner Kindheit habe ich andere Klamotten getragen, und an viele dieser Stücke denke ich total wehmütig zurück und hätte sie gerne aufgehoben (viele andere Klamotten waren grottig). Für mich ist Sexualität was ganz Böses, und ich würde nie freiweillig so rumlaufen, dass man mich als sexuelles Wesen wahrnimmt. Witzigerweise habe ich heute sogar von Latzhosen geträumt. Ich war in einem Laden, wo es lauter blaue und lila Latzhosen gab - für mich ein Paradies.


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Beitrag Mo., 04.01.2016, 09:35

Lamedia, ich kann dem nicht folgen, was du meinst, wenn du sagst, dass Individualität die Komplexität reduziert? Ist es nicht genau umgekehrt? Wenn etwas nicht beschreibbar ist, dann heißt es doch nicht, dass es nicht (mehr) da ist, oder? Vielleicht ist es gerade (m)ein Problem, meine Komplexität (von der ich in der Tat annehme, dass es sie gibt) zu beschreiben, weil - so scheint es doch - im Alltag immer alles auf Entscheidungen zwischen vorgegebenen Alternativen hinausläuft.

Mir ist dann noch eingefallen, dass es m.E. einen Unterschied zwischen dem Selbst und dem Selbstbild gibt. Ich kann mich anstrengen, wie ich will, ein stimmiges Selbstbild zu kreieren - am Ende bleiben doch die frühkindlichen Erfahrungen. Die gehen ja nicht weg. Also, wenn die Eltern dem Kind immer gesagt haben: "Du bist doof", dann kann das erwachsene Kind irgendwann so weit sein, sich etwas Neues zu schaffen und sich im Spiegel anzusehen und zu sagen: "Nö, ich bin nicht doof", aber deshalb ist ja das, was die Eltern gesagt haben, nicht einfach weg, sondern wir schleppen es immer noch mit uns rum. Wenn wir uns davon distanzieren müssen, dann heißt das ja nur, dass da etwas IST, wovon wir uns distanzieren müssen. Und nur weil wir uns davon distanziert haben, ist das, was vorher war und was uns geprägt hat, ja nicht weg. Vielleicht ist es - bestenfalls - verarbeitet; aber es ist Teil unseres Lebens, und ich fürchte, dass in dem Moment, in dem dann das Erarbeitete wegbricht, weil man den Job verliert oder schwer erkrankt; dass in dem Moment also, in dem das mühsam aufgebaute Selbstbild zerschmettert wird, der Mensch doch wieder da landet, wo er hergekommen ist, innerlich.

Und umgekehrt gilt das wohl auch: dass Menschen, denen man alles nehmen kann, am Ende immer noch wissen, wer sie sind, wenn sie in ihrer Kindheit mit Würde und Liebe erzogen wurden.


ziegenkind
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Beitrag Mo., 04.01.2016, 09:40

kann es nicht sein, dass man die beschwörung der ausweglosigkeit braucht, um nicht zu handeln?

latzhosen in Gr. 48 gibt es. ich hab grad für meine mutter welche bestellt wg. der op-narben.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.


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Beitrag Mo., 04.01.2016, 10:09

Vielleicht möchte ich nicht unbedingt dasselbe tragen wie deine Mutter?

Mir geht es auch nicht darum zu beweisen, dass es nicht möglich ist, etwas zu tun. Mir geht es darum, dass erstens alles Tun nur ein Tun ist und dass zweitens das Tun sogar benutzt werden kann, um das fehlende Sein zu kaschieren. Primär aber geht es mir um die Frage, wer ich bin (oder halt darum, wie andere sich fühlen und darüber schreiben). Weniger spannend finde ich Aussagen wie: "Wenn du nur wolltest, dann könntest du auch" (wenn das so einfach wäre, bräuchten manche Menschen keine jahrelangen Analysen...).


ziegenkind
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Beitrag Mo., 04.01.2016, 10:45

du selber hattest doch gesagt, du würdest gerne latzhosen tragen, um dann zu sagen, die gäbe es nicht. ich habe dich un deinen wunsch ernst genommen und dir gesagt, dass das nicht stimmt.

analysen zielen schon auch darauf, das tun zu verändern. die latzhose ist lediglich eins von vielen beispielen dafür, dass du dich selbst sabotierst. das wird nur dann aufhören, wenn du damit aufhörst. und wenn du nicht damit aufhörst, dann wirst du einen gewinn davon haben. vielleicht lohnt es sich darüber nachzudenken, was es dir gibt, dich selber mit falschen behauptungen davon zu überzeugen, dass du nichts ändern kannst.

ich bin hier wieder weg.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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