Supervision vs. Intervision?

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Wandelröschen
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:11

stern hat geschrieben: Was erfolgversprechend hätte sein können (hypothetisch... praktisch natürlich unmöglich): Wenn der Supervisor (oder meinetwegen auch jemand aus der Intervision) zukünftig in der Therapie anwesend gewesen wäre und moderierend (bei Bedarf) in den Gesprächsverlauf eingegriffen hätte (und notfalls zu professionellem Verhalten zurückgeführt hätte)... quasi als Simultancoaching (für den Therapeuten).
Hallo Stern,
Das ist eine Interessante Idee, fehlt in dem von mir zitierten „Werkzeugkasten“ zur Qualitätssicherung, ein neuer weiterer Baustein: Die Möglichkeit, dass eine dritte unabhängige Fachperson (Supervisor, Moderator, oder wie auch immer das „Kind“ dann heißt), anwesend ist. Der Therapeut wird dazu vielleicht nicht immer bereit sein, könnte aber ja dazu verpflichtet werden, wenn der Patient so eine Dreiersitzung über KK beantragt und finanziert (oder privat bezahlt). So eine hypothetische Idee.
Gruß
Wandelröschen

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leberblümchen
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:24

Ist doch eigentlich seltsam, dass es so etwas bisher nicht gibt?

Es gibt Ethik-Kommissionen, aber das hat dann eher was von "der Patient beweist, dass der Therapeut sich schlimm verhalten hat". Wenn man - wie das wohl der Fall ist - davon ausgeht, dass sich in der Supervision eine ähnliche Konstellation auftut wie in der Beziehung zw. Pat und Th., dann bedeutet das übertragen: "Es geht eigentlich in der Supervision nicht um die objektive Wahrheit ("was ist geschehen"), sondern um das subjektive Erleben des Einen (und nur des Einen). Die Frage wäre dann, ob das ausreicht, um Therapien zu retten.

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stern
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:26

Soweit ich glaube, dient Supervision eher dem Ziel, dem Therapeuten eine systematische Reflexion zu bieten... und weniger bis nicht, dass der Patient fern-analysiert wird (letzteres leistet wohl eher eine Fallbesprechung, in der nochmals geschaut wird, wie man dem Patienten noch helfen könnte). Insofern ist es konsequent, wenn man auf Stellungnahmen des Patienten in diesem Rahmen verzichtet. Aber:
Das ist eine Interessante Idee, fehlt in dem von mir zitierten „Werkzeugkasten“ zur Qualitätssicherung, ein neuer weiterer Baustein: Die Möglichkeit, dass eine dritte unabhängige Fachperson (Supervisor, Moderator, oder wie auch immer das „Kind“ dann heißt), anwesend ist. Der Therapeut wird dazu vielleicht nicht immer bereit sein, könnte aber ja dazu verpflichtet werden, wenn der Patient so eine Dreiersitzung über KK beantragt und finanziert (oder privat bezahlt). So eine hypothetische Idee.
Eben: Die Schnittstelle fehlt -als weitere Möglichkeit. Also so eine Art moderierte Mediation, an der beide teilnehmen.

So kann sich "nur" der Therapeut reflektieren lassen (auf Basis seine subjektiven Eindrücke). Und der Patient kann auf Basis seiner subjektiven Eindrücke ebenfalls eine Zweitmeinung zu seiner eigenen Reflexion einholen. Vielleicht hilft das, wieder gemeinsam arbeiten zu können. Aber ob beide damit wieder zusammenkommen, ist fraglich...
Zuletzt geändert von stern am Sa., 26.12.2015, 10:33, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)


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leberblümchen
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:33

lamedia, ja, das ist das Problem: dass eine konkrete Antwort MEINES Therapeuten mir nicht helfen würde, und ich glaube auch nicht, dass es darum geht. Ich bin ganz froh darum, eben nicht zu wissen, ob ich "irgendwo" zum Gesprächsgegenstand werde, und ich denke auch nicht, dass das grundsätzlich eine gute Idee wäre, das dem Patienten mitzuteilen. Insofern würde ich da gerne trennen wollen: Mich interessiert das Thema grundsätzlich (weil es so häufig erwähnt wird, jedoch nie richtig "erforscht" wird).

Ich brauche auch keine Beweise, Quittungen, Rechnungen oder Zertifikate. Ich zweifle nicht an den Fähigkeiten oder der Qualifikation meines Therapeuten. Vielleicht - so vermute ich gerade - ist es genau das Gegenteil: dass ich mir erst jetzt erlauben kann, mal so darüber nachzudenken, was hinter den Kulissen läuft, ohne dass ich Angst davor haben muss, auf etwas zu stoßen, was ungut für mich wäre... Daher: Nein, um Kontrolle geht es mir nicht.

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mio
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:33

Hallo Wandelröschen,
Wandelröschen hat geschrieben:Der Therapeut wird dazu vielleicht nicht immer bereit sein, könnte aber ja dazu verpflichtet werden, wenn der Patient so eine Dreiersitzung über KK beantragt und finanziert (oder privat bezahlt). So eine hypothetische Idee.
wenn ein Therapeut zu sowas nicht bereit ist, dann dürfte meiner Meinung nach auch eine Verpflichtung nicht viel helfen, so sie vom Patienten eingefordert werden könnte. Zumal ich die Befürchtung hätte, dass dann sehr häufig nach dem "rettenden Dritten" gerufen werden würde vom Patienten anstatt die Situation direkt mit dem Therapeuten zu klären, was ja sowieso schon häufig eine "Schwierigkeit" darstellt in therapeutischen Prozessen nach dem was ich hier im Forum so lese. Für meine Begriffe müsste sowas dann eher aus einem fachlichen Zusammenhang heraus angeregt werden wie zB. aus einer Supervisionssituation.

Den Gedanken als solchen finde ich indes auch sehr gut, nur wie sich das wirklich sinnvoll umsetzten lassen sollte in der Praxis ist mir etwas unklar. Wenn ich als Patient unzufrieden mit der therapeutischen Beziehung bin, der Therapeut aber keinerlei "Einsicht" zeigt und sich weigert, auf meine Unzufriedenheit einzugehen, dann frage ich mich, wie sinnvoll eine solche Therapie dann noch wäre? So getreu dem Motto: Und jetzt "zwinge" ich Mama einfach mich zu verstehen...?

Ich würde da dann wohl eher einen Wechsel anstreben, bevor ich mich einem solchen "Grabenkampf" aussetzen würde.

Lieben Gruss,

mio

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Wandelröschen
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:45

Hallo Mio,
ja, du hast Recht, an der Umsetzung wird es hapern. Wenn ein Thera zu einem Dreiergespräch nicht bereit ist, ist er wohl auch nicht zur Selbstreflexion bereit/fähig und dann stellt sich klar die Frage, ob es noch Sinn macht, mit ihn in einer belastenden Situation weiter zusammen zu arbeiten.
Gruß
Wandelröschen

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Wandelröschen
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Beitrag Sa., 26.12.2015, 10:57

Hallo Leberblümchen,
leberblümchen hat geschrieben: Ferner habe ich das Gefühl, du hältst mich irgendwie für dumm
Nein, garantiert nicht, und das weißt du.
Und ich habe nicht „Andere“ erwähnt, sondern konkret auf Mio verwiesen. Ich hätte ja auch bei Zustimmung von dem, was sie schrieb, einfach nur den Danke-Knopf drücken können.

Es kann tatsächlich sein, dass wir teilweise aneinander vorbeireden oder der ein oder andere von uns das, was gesagt wird, anders interpretiert/bewertet als gedacht/geschrieben/gemeint ist. Aber ich werde auch nach den letzten Postings von dir, Mia und lameda meinen Eindruck nicht los, was ich auch schon zum Ende meines ersten Postings angedeutet habe, dass es dir (vielleicht gar nicht bewusst) um etwas ganz anderes geht als das reine „Faktenwissen“. Schreib später noch was dazu, auch zu deinen weiteren Fragen, wenn sich da in der Zwischenzeit nicht schon einiges geklärt haben sollte, muss jetzt erst mal fort, kann spät werten.
Gruß
Wandelröschen

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Wandelröschen
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Beitrag So., 27.12.2015, 13:19

Hallo Leberblümchen,
wie du sicher noch weißt, habe ja auch ich eine gescheiterte Therapie bei meiner EX-Thera hinter mir. Sie hat mir zwar sehr lange helfen können, aber irgendwann gings – auch beziehungsmäßig – nicht mehr. Sie war die Intransparenz in Person und so vor ferne und in Vergleich betrachte sehr narzisstisch angehaucht/sehr von sichüberzeugt. Sie betreibt selber auch eine Ausbildungspraxis und ist selber Supervisorin.
Obwohl ich selber den Abbruch dieser Therapie bei ihr vorgenommen hatte und auch auf der Platte hatte, warum es zum Scheitern kam (ob eine Supervision geholfen hätte, weiß ich nicht; Bei deinem EX-Thera wäre sie bestimmt sinnvoll gewesen anstelle einer Intervision, das sehe ich schon auch so wie du), stand sie sehr, sehr lange in der Therapie bei meinem neuen Thera zwischen uns (also meinem Thera und mir). Das hatte ich gar nicht wahr genommen, denn die therapeutische Beziehung zu meinem Thera war von Anfang an eine ganz andere, ähnlich wie du es mit deinem Wechsel empfunden hattest (ich hab ja durchaus in deinem Blog mitgelesen).
Ich konnte das Vertrauen, dass ich für ein erfolgreiches Arbeiten mit ihm benötigte, nicht in dem Maße aufbauen, wie es notwendig war. Das fiel mir überhaupt nicht auf, denn Vertrauen war ja eh so ein Problem bei uns und es war ja sogar schon mehr Vertrauen als bei meiner Ex-Thera da (war halt nur immer noch nicht ausreichend). Hinzu kontrollierte ich ihn extrem, auch das fiel mir nicht auf. Da steckte wohl halt immer unterschwellig/unbewusst die Angst mit, dass uns das gleiche wie bei meiner Ex wieder passieren könnte. Davor mussten wir und schützen – behinderte aber dann doch ein Fortkommen in der Therapie. Und ich testete ihn bis zum geht nicht mehr.
Zu diese drei: Vertrauen, Kontrolle, Testen, sprach er mich dann irgendwann an, holte es als Thema auf den Tisch. Wir mussten das Thema Ex-Thera bearbeiten. Ja, meine Vermutung war richtig, die mir sagte, auch meinem neuen Thera darf ich zum Anfang nicht sagen, bei wem ich vorher war. Er gestand tatsächlich, dass er mich dann, wenn er gewusst hätte, bei wem ich vorher war, mich wahrscheinlich auch abgelehnt hätte. Er kannte sie tatsächlich (nicht persönlich, aber von Vorträgen, als Kollegin). Es hat einige Stunden gebraucht, bis das Thema Ex-Thera gegessen war. Und dann registrierte ich selber, wie sich Vertrauen, Kontrolle, Testen extrem veränderten, so dass wir zusammen arbeiten konnten. Das was ich zuvor an Vertrauen hatte, dachte ich, sei Normalzustand/schon ganz gut – war aber im Nachhinein aus der Veränderung heraus erlebbar eigentlich immer noch Misstrauen hoch drei. Und dass ich ja kontrollierte und testete, war mir gar nicht bewusst, bis er es mir (auch hier: Transparenz sei Dank) aufzeigte und ich die Veränderung bei mir selber deutlich wahrnahm.

Warum schreibe ich dir jetzt von mir? Was hat dieses/meines jetzt mit dir zu tun?
Was hat es mit deinem Posting „Supervision – Intervision“ zu tun?
Ich glaube, eine ganze Menge.

Ich antworte jetzt einfach mal mit ein paar Postings :
lamedia hat geschrieben: Und was ich auch herauslese, ist, dass es sehr viel um Kontrolle geht: Eigentlich auch berechtigt, wenn erstmal Mißtrauen durch negative Erfahrungen (sei es Therapie, sei es "sonstige Biographie") besteht. Dann will man alles wissen, alles verstehen, alles einordnen und auch fundiert kritisieren können, (um nicht einfach abgewatscht zu werden.)
mio hat geschrieben: Das Supervision nur eine von vielen möglichen Qualitätssicherungsmassnahmen ist wird in dem von Wandelröschen verlinkten Informationstext ja klar. Wie eigenverantwortlich und sinnvoll für den Patienten ein Therapeut in Bezug auf die Wahl der passenden Massnahme nun handelt ist Sache des Therapeuten. Macht er Intervision, obwohl eher Supervision angebracht wäre? (…)

Was bringt Dich neben Deinem theoretischen Interesse, dass ja eigentlich mittlerweile eine Antwort bekommen haben dürfte in diesem Thread, eigentlich zu dieser Frage? Die Sorge, Dein jetziger Therapeut könne da eventuell genauso "fehlerhaft" handeln und entscheiden wie Dein voriger? Oder die Frage, hat mein vorheriger Therapeut einen Fehler gemacht?
mio
leberblümchen hat geschrieben: Dass das ein sehr belastender Beruf sein kann, weil er eben auch Verdrängtes im Therapeuten an die Oberfläche holt (eigene Komplexe und Retterphantasien, verdrängte Probleme der eigenen Kinderlosigkeit, verdrängte Probleme mit dem Partner oder mit der eigenen Sexualität, nicht verarbeitete Trauer über einen Verlust, eine eigene Mutterübertragung auf den Patienten, verdrängte Aggressionen und so vieles mehr) (…)

Ich selbst habe zusehen können und müssen, wie Intervision sich auswirkt in einer sehr intensiven Beziehung. Ich habe mir anhören müssen, was man dort meint, herausgefunden zu haben, ich habe beobachtet, wie er sich verhalten hat und ich habe festgestellt, wie er selbst sich dort inszeniert hat.

Und ich weiß tatsächlich auch nicht, ob ich mich dafür "nur so" interessiere oder ob ich damit was "Eigenes" lösen will.
Gruß
Wandelröschen

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leberblümchen
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Beitrag So., 27.12.2015, 14:54

Hallo, wandelröschen, ich bin sicher, dass es ein bisschen anders ist bei mir. Es hat nicht NICHTS mit Vertrauen zu tun, aber es ist anders; das ist mir aber erst jetzt aufgefallen, und ich muss das mit ihm persönlich besprechen.

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Wandelröschen
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Beitrag So., 27.12.2015, 16:56

Hallo Leberblümchen,

ja, mach das. Er ist da bestimmt die beste Ansprechquelle.
Gruß
Wandelröschen

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Möbius
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Beitrag Di., 05.01.2016, 19:47

Ich kann hier wiederrum nur aus der psychoanalytischen Ecke sprechen: Die Supervision geht, soweit ich weiß, auf einen ungarischen Analytiker namens Balint zurück. Die entsprechenden Veranstaltungen werden auch häufig "Balint-Gruppen" genannt. Unter Anleitung und Moderation eines "Supervisors" erzählen sich die Analytiker ihre aktuellen Fälle und deren Entwicklungen. Es gibt auch Einzel-Supervisionen, und die verdeutlichen wohl am besten, worum es geht:

Ein Analytiker, der sich in seiner Beziehung zu einem bestimmten Patienten ... ich sage mal: überfordert fühlt, hat die Möglichkeit eine Supervision in Anspruch zu nehmen. Diese besteht aus einem "psychoanalytischen Gespräch", bei dem der Supervisor die Rolle eines Über-Analytikers übernimmt, der Analytiker wird zum Analysanden - "Quasi-Patienten". Gegenstand dieser Analyse ist die Beziehung zwischen Analytiker und Patient. Weil beide Profis sind, dauern diese Supervisionen regelmässig nicht sehr lange - der Supervisor hilft dem Analytiker meist wohl sehr schnell auf die Sprünge.

Kennengelernt habe ich diese Einzelsupervision in einem Buch der deutschamerikanischen Analytikerin Elaine V. Siegel über die Behandlung von Inzestopfern (ich bin ja eines). Siegel beschreibt in erfreulicher Offenheit, wie sie Probleme mit einem deutlich jüngeren, sehr gutaussehenden Patienten bekam. Dieser Patient unterhielt eine langjährige Inzest-Beziehung zu seiner Mutter, die zur Zeit der Behandlung etwa gleichaltrig mit Siegel gewesen sein müsste. In ihrem Bewußtsein fühlte sich Siegel von ihrem jungen Patienten gelangweilt - doch unbewußt fühlte sie sich sexuell stark zu ihm hingezogen, wie die Supervision schnell zutage bringen konnte. Siegel konnte, wie sie schreibt, ihre "Gegenübertragung" durch die Supervision "einfangen" und die Analyse, die Behandlung ihres jungen Patienten zu einem guten Ende bringen.

Intervision bedeutet dagegen einen hierarchiefreien Erfahrungsaustausch - es gibt keinen "Supervisior", der als einziger nicht von seinen Fällen berichtet, die Gespräche moderiert und leitet, sondern man sitzt kollegial zusammen. Im Prinzip kann man jeden weinseeligen Stammtisch von Psychotherapeuten als "Intervision" von der Steuer absetzen. Das bedeutet aber keineswegs, daß dies unsinnig ist, und die Anerkennung durch das Finanzamt ist meiner Meinung nach durchaus geboten. Viele Augen sehen eben mehr als zwei.

Als ein Mensch, der sich jeden Morgen in hündischer Ergebenheit vor einem Abbilde Sigmund Freuds nackend auf dem ungewischten Boden seiner Küche wälzet, ist es natürlich unumgänglich für mich, darauf hinzuweisen, daß beide Formen kollegial-psychotherapeutischen Austausches in der "Mittwochsgesellschaft" Freuds in seinem Eßzimmer in der Berggasse 19 (1. Stock - über der koscheren Fleischerei) ihren Ursprung hatten. Freud als Erfinder der Psychoanalyse nahm dabei automatisch die Stellung eines Supervisors ein, die Teilnehmer an dieser Runde waren seine ersten Schüler gewesen - die Analytiker "1. Generation".

Die Supervision ist, soweit ich weiß, heutezutage für Psychoanalytiker Pflicht. Wie diese rechtliche Pflicht gefasst wird, weiß ich leider nicht. Sie ist m.E. auch eine notwendige Pflicht, weil gerade bei der Psychoanalyse eine sehr intensive Beziehung zwischen Analytiker und Patienten entsteht, die nur allzuleicht eskalieren kann. Die regelmässige Supervision, dh die Darstellung dieser Beziehung vor den mißtrauischen und professionellen Augen der Kollegen ist m.E. der beste Schutz davor. Denn eine peer-group von Analytikern zumindest gleicher Qualifikation, von einem besonders qualifizierten Analytiker geleitet, ist am ehesten in der Lage, gefährliche Fehlentwicklungen aufzudecken und zu bremsen, noch bevor es zum Äussersten kommen muß: dem "agierten" Mißbrauch des Patienten durch den Analytiker. Dabei steht, wie ich vermute, noch nicht einmal der wohl eher seltene, aber dramatische sexuelle Mißbrauch im Vordergrund, sondern eher der vielleicht in seinen Auswirkungen nicht viel weniger gefährlichere, aber viel häufiger vorkommende "narzistische Mißbrauch": das Überstülpen von "Lieblingstheorien" und "Vorzugsdiagnosen" über den Patienten, der dann fast zwangsläufig "danebenbehandelt" wird. Gänzlich ausschließen lässt sich dieser Übelstand, wie wir wissen, leider nicht, weil wir eben trotz allem Menschen sind, und keine Götter - aber die Supervision ist eines der besten Mittel, diesem Übelstand zu wehren und ihn in engen Grenzen zu halten.

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