Therapeut ist eingeschlafen

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stern
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 13:56

Mia Wallace hat geschrieben:
stern hat geschrieben:
Seine Müdigkeit soll ein Therapeut gefälligst mit sich ausmachen.
da würde ein wertvolles Instrument nicht genutzt: die Gegeübertragung
Das eine schließt das andere nicht aus. Ein Therapeut kann seine Empfindungen ja durchaus nutzen wie er mag... aber diese zu managen ist sein Ding, sprich: Dass er nicht einnickt und wie er mit seiner Müdigkeit umgeht, so dass dadurch die Therapie nicht beeinträchtigt wird. Das hat er mit sich ausmachen, wie er das anstellt. Ich möchte erwarten können, dass ich nicht ungefiltert mit den Befindlichkeiten des Therapeuten konfrontiert werde... 2 Ausnahmen hatte ich erwähnt.
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stern
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 14:14

leberblümchen hat geschrieben:Es ist aber auch nicht seine Aufgabe, deine Schilderungen nicht langweilig zu finden und entsprechend zu reagieren. Du darfst langweilig sein und er darf das langweilig finden.
Er darf das so langweilig finden, wie er mag. Aber er hat nicht einzunicken... und ich kann mir nur wenige Situationen (wenn überhaupt vorstellen), in denen ein Therapeut einen Patienten direkt damit konfrontiert, dass er gerade Langeweile empfindet. Und wie ich an Mia geschrieben habe: das kann er gern auch nutzen, wie er mag, um daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Aber das hat er im Normalfall mit sich selbst auszumachen. Eine Ausnahme, wo ich mir vorstellen kann, dass man einen Patienten damit konfrontiert erwähnte ich ja: Wenn er bereits hilflos ist und Ansprechen seines Dämmerzuständes der letzte Versuch ist, wieder herauszukommen.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob es hier zentral wirklich um das Einnicken geht oder viel eher um das Gekränktsein darüber, den Anderen ermüdet zu haben.
Das kommt hinzu. Auch wenn jemand gähnt, wird das normalerweise als Zeichen mangelnden Respekts angesehen, weil man damit ja wirklich jemanden signalisieren kann: Was du erzählst langweilt mich.

Es kam selten vor, dass ein Therapeut mal gähnen musste, so 2-4x über alle Sitzungen hinweg vielleicht. Das habe ich eigentlich auch nicht persönlich genommen. In JEDEM Fall hat sich der Therapeut auch entschuldigt.

Wenn ich das lese
Und dann ist es nach einigen "Augen auf, Augen zu"-Episoden passiert: Augen zu, Augen zu, Augen zu... öhhhh.... Kopf hoch und dann "jetzt müssen wir was machen, sonst werd ich müde".
komme ich wirklich zu dem Schluss, dass es nicht Aufgabe des Patienten ist, den Therapeuten bei Laune zu halten. Er spricht ja explizit von "wir". Was müsste der Patient denn machen?

Der nächste sagt vielleicht: Jetzt werde ich ärgerlich. Wir müssen jetzt etwas machen, sonst schreie ich. Nee, das hat der Therapeut schön mit sich auszumachen.

Da bin ich derzeit ziemlich rigoros, wie man sieht.
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stern
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 14:26

Mia Wallace hat geschrieben:ich bin nur überzeugt: "Zeigen" ist ausagieren und somit eher unrpofessionell. Da für die Stunde teuer Geld gezahlt wird, finde ich ein Ansprechen/Spiegeln einfach professioneller.
Genau das meine ich. Wobei ich es noch etwas enger sehe als du, dass ich auch Ansprechen nur in engen Grenzen als professionell erachte. Ich meine, ein Therapeut hat während einer Sitzung recht viele Empfindungen, die mit ihm selbst zu tun haben, mit dem Patienten, der Therapie/Beziehung. Wo käme man dahin wenn es professionell wäre, das alles anzusprechen.

Ich würde daher so vorgehen, dass ICH ansprechen würde, dass mich das irritiert... und ob das nicht anders gehandhabt werden könnte. Und das ist, wenn mich nicht alles täuscht, auch das Gefühl, das klingelbeutel erwähnt hatte.

Spiegeln (im Sinne von imitieren) muss man schon sehr gut können, wenn es nicht plump ankommen soll.
Zuletzt geändert von stern am Sa., 18.07.2015, 14:48, insgesamt 2-mal geändert.
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Thread-EröffnerIn
klingelbeutel
Helferlein
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 14:28

hallo zusammen nochmal,

ihr dürft gerne über alles diskutieren, da hab ich gar kein Problem damit. Meine Fragen wurden ja schon beantwortet und ich hab mir auch schon eine Meinung gebildet. Um mehr ging es mir hier gar nicht. Ich hatte einfach tausend Gedanken im Kopf und musste die irgendwie und irgendwo ordnen.

Das ist mir hier gelungen, deswegen bedanke ich mich bei allen.

Interessant find ich auch den Aspekt - äußere Umstände, die zum einschlafen führen und Umstände innerhalb der Beziehung, die zum einschlafen führen.

Es ist tatsächlich so, dass ich kein Problem hätte, wenn er z.B. die Nacht durchgefeiert hätte und deswegen kurz eingenickt ist. Es ist in der Tat so, dass es mich etwas gekränkt hat. Nicht direkt, weil er eingepennt ist, weil ich ihn gelangweilt habe. Ich erwarte nur, dass er offen mit "Beziehungs"-Problemen umgeht. Ein "Jetzt eiern Sie nicht so rum und kommen sie zum Kern Ihrer Probleme" ist mir lieber als ein Nickerchen, weil er nicht so direkt sein will.

Ich nehms aber gar nicht mehr persönlich dank der Internetbewertungen. Ich bin ja nicht die einzige, der das passiert ist. Das macht es wesentlich einfacher für mich.

Ihr dürft gerne weiter diskutieren über Analyse - einschlafen - Gegenübertragung (äh, was ist das?) usw. - wie gesagt wurden meine Fragen beantwortet und es stört mich kein bisschen.

Ich mache übrigens eine tiefenpsychologische Therapie. (nur weil hier danach gefragt wurde)

danke euch allen

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leberblümchen
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 17:43

stern, ich tu mich mit diesem "er hat nicht einzunicken" so schwer. Menschen tun so häufig Dinge, die sie unterlassen sollten. Nicht mal absichtlich, sondern weil sie in einer bestimmten Situation nicht anders können.

"Jetzt müssen wir was tun, sonst werd ich müde" ist schon irgendwie krass. Ich muss heute noch daran denken - und mein "Erlebnis" war nun wirklich nicht mal ansatzweise schlimm; dennoch beschäftigt es mich noch 20 Jahre später... -, wie mal ein Dozent, als ich in seine Sprechstunde kam, als erstes sagte: "Ich brauche jetzt einen Kaffee, sonst schlafe ich ein". Ich antwortete: "...ist ja auch nett" und nahm sogar das persönlich. Er bot mir dann auch einen an, und es war nicht schlimm, aber ich weiß noch, wie ich das auf mich bezog.

Worum es mir nur geht, ist, das so ein bisschen losgelöst zu betrachten von Alltagsbeziehungen und von so verabsolutierten Regelungen, bei deren strenger Befolgung womöglich andere Dinge auf der Strecke bleiben.

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stern
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 18:50

leberblümchen hat geschrieben:stern, ich tu mich mit diesem "er hat nicht einzunicken" so schwer. Menschen tun so häufig Dinge, die sie unterlassen sollten. Nicht mal absichtlich, sondern weil sie in einer bestimmten Situation nicht anders können.
Sicherlich. Trotzdem finde ich es hilfreich, wenn man sich zumindest bewusst ist, dass etwas nicht so sein sollte. Dann kann man immer noch abwägen, ob man situativ Verständnis aufbringt oder ob man z.B. darum bittet, zukünftig etwas besser darauf zu achten oder ob man Irritation/Kränkung anspricht (sofern vorliegend). Was Professionalität angeht, kann ich derzeit auch nicht viel Abweichungen davon zulassen.

Ich finde die Aussage irgendwie untherapeutisch. Denn welche Schlüsse soll denn der Patient daraus ziehen? So bleibt ja völlig unklar, ob ein Bezug zum Patienten besteht oder nicht. Denn eben: Vielleicht braucht er nur einen Kaffee, weil er gestern noch einen Film angesehen hat. Oder meint er damit eher, der Patient spricht heute nur Belanglosigkeiten an? Da das unklar bleibt, hilft dann wohl nur, wenn man nachfragt, wie das gemeint ist.

Und was habe ich als Patient von einer Aussage wie:
Aber ihm würde das bei mir nie passieren
Tja, jetzt ist es passiert... und nun? Weiß nicht, wie es dir geht, aber TIEFENpsychologisches entdecke ich in beiden Aussagen nicht wirklich, sondern eher eine flapsigen Umgang... und es ist eine TFP. Und ja, ich bin da bei Klingelbeutel: Wenn er findet, der Patient kommt nicht auf den Punkt, so kann man das direkt ansprechen.

Wenn ein Therapeut beeinträchtigt war wegen äußerer Umstände, so wurde das bisher ein paar wenige mal am Sitzungsbeginn angesprochen. Müdigkeit war auch mal dabei, es war selten der Fall, aber i.d.R. waren das dann schon Punkte von Tragweite, die allerdings nicht unbedingt konkret benannt wurden. Natürlich habe ich das verstanden, aber für mich als Patient war die Stunde gelaufen i.d.S., dass ich nichts von Tragweite angesprechen konnte. Wenn das selten der Fall ist und gravierende Dinge vorgefallen sind, so gilt (bei mir) das mit der Kirche im Dorf. Häuft sich das, so wäre Verlegung vielleicht eher im Sinne des Patienten.
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leberblümchen
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 19:01

Aber ihm würde das bei mir nie passieren
Stimmt, das finde ich eigentlich z.B. noch viel schlimmer als das Schlafen selbst.
Da hätte ich gar nicht anders reagieren können, als zu fragen: "Und warum nicht?"

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Wandelröschen
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Beitrag Sa., 18.07.2015, 23:55

leberblümchen hat geschrieben:Nur halt "Andere Berufsgruppen dürfen ja auch nicht" und "Wie respektlos" sind halt Denkweisen, die hier nicht greifen.
Oh doch, sie greifen auch in der Berufsgruppe der Psychotherapeuten, denn die sind nu mal keine Götter, die über alles stehen. Sie verdienen definitiv mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt, ihr Geld. Wenn sie es aus ideellen Gründen und auch noch ehrenamtlich, also für umme tun würden, dann könnte man es ihnen nachsehen. Sie sind Dienstleister, auch wenn du dieses in deinem Posting in Gänsefüßchen schreibst, also wohl nicht so siehst, genau wie Ärzte auch – und haben keinen Extrastatus, der idealisiert werden muss.
leberblümchen hat geschrieben: Würde der Therapeut Langeweile erstens spüren, zweitens zulassen und drittens nicht sofort verstehen, wäre das - wie man hier sieht - ein Tabubruch.
Ne, wieso denn ein Tabubruch? Er muss es ansprechen.
leberblümchen hat geschrieben: Helfen tut, wenn beide verstehen, wie der Patient Beziehungen gestaltet. Vor dem Verstehen - das ist bei Psychologen nicht anders als bei Fleischfachverkäufern - kommt erst mal das Wahrnehmen.
Ja, da hast du recht, da kommt das Wahrnehmen. Bloß: wie kann ein Thera etwas wahrnehmen, wenn er pennt???? Damit stiehlt er sich aus der Beziehung!
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

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mondlicht
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Beitrag So., 19.07.2015, 00:52

Wandelröschen hat geschrieben: Bloß: wie kann ein Thera etwas wahrnehmen, wenn er pennt???? Damit stiehlt er sich aus der Beziehung!
Genau so sehe ich das auch. Ich war mir dem Problem einer einnickenden Therapeutin länger beschäftigt. Ich habe es auch angesprochen, sie führte es mal auf die Heizungsluft, ein anderes mal aber auch auf die Interaktion mit meinen Erzählungen zurück. Sie vertiefte diesen letztgenannten Aspekt allerdings nicht. Und ich auch nicht, weil die Situation für mich sehr beschämend war.

Für mich ist es völlig nachgeordnet, ob die Ursachen des Einschlafens Langeweile oder Gegenübertragung oder andere Faktoren sind. Tatsache ist: schon bevor die Augen zugefallen sind, geht die Aufmerksamkeit weg. Und in dieser Zeit rede ich ins Nichts. Diese Minuten sind verloren und außerdem zerstören oder irritieren sie die Stunde und vielleicht auch ein wenig therapeutischer Beziehung. Das ist nicht zu rechtfertigen und hat auch nichts mit unkonventionellem therapeutischen Handeln zu tun. Wenn ich beim Dolmetschen einschlafe, wird man mich so schnell nicht wieder beauftragen. In einer Therapiesitzung dagegen schlägt die Klientin sich mit der Frage herum, warum sie so langweilig ist. Sie wird, wenn eine Beziehung gewachsen ist, auch nicht so schnell den Dienstleister wechseln. Während einer Sitzung einfach einzuschlafen ist für mich auch Ausnutzen der eigenen Macht. So wie Dozenten an der Uni das ja auch gerne mal machen, nur werden sie für ihre Sprechstunden nicht so gut bezahlt.


pandas
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Beitrag So., 19.07.2015, 01:07

Es fragt sich, warum ein Psychotherapeut, der sich in der HO zu den Hochqualifizierten zählt, es nicht VOR dem Wegdöseln wahrnehmen können sollte, wenn die Erzählung o.ä. der Patientin nicht farbig o.ä. gestaltet ist wie bspw. eine monotone Stimmlage. Mitunter würde es die Patientin da sicherlich mehr unterstützen, wenn dies gleich vom Therapeuten angesprochen wird und gemeinsam geschaut wird, wie sich das ändern könnte.

Aber zu behaupten, Patienten müssten gar nichts in der therapiestunde tun, damit sie die Aufmerksamkeit des Therapeuten bekommen, entpuppt sich nunmal dann als Lüge, wenn der Therapeut eine Legitimation des Wegdöseln darin sehen würde, dass er in der Gegenübertragung von der Patientin gelangweilt o.ä. ist oder weil er das Thema nicht mag o.ä.

Irgendwie wäre das wie ein Zahnarzt, der einem in den Mund schaut, und dann sagt: nee, mache ich nichts, ist mir zu ekelig.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard


leberblümchen
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Beitrag So., 19.07.2015, 04:31

Tatsache ist: schon bevor die Augen zugefallen sind, geht die Aufmerksamkeit weg. Und in dieser Zeit rede ich ins Nichts. Diese Minuten sind verloren
Ich fürchte, es ist eine Illusion, anzunehmen, du würdest niemals ins Nichts reden - auch wenn diese Vorstellung beängstigend sein kann. Du kannst ja nicht wissen, was im Therapeuten vorgeht, auch nicht, wenn er wach ist. Und diese Phantasie, ihn jede Sekunde zur Verfügung zu haben, quasi an dich gebunden zu haben, hat was mit Überwachung zu tun. Es gibt Patienten, die liegen und die gar nicht sehen, ob der Therapeut schläft, gerade wenn dieser viel schweigt. Du kannst nicht in den Anderen hineinsehen und ihn "zwingen", in jeder Minute aufmerksam zu sein. Die Frage ist, ob die Minuten, in denen er nicht aufmkersam ist, tatsächlich verloren sind - oder anders gesagt: ob es wirklich darum geht, qunatitativ Worte auszutauschen, damit nichts verlorengeht.

Falls es nicht verstanden wurde, gerne noch mal: Es geht nicht darum, das Schlafen "nachzusehen", sondern darum, es zunächst mal so anzunehmen, als etwas, was geschehen ist, und dann damit umzugehen. Mit diesem "das darf aber nicht sein" vertut man diese Chance. Aus Angst, nehme ich an.

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stern
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Beitrag So., 19.07.2015, 07:16

pandas hat geschrieben:Es fragt sich, warum ein Psychotherapeut, der sich in der HO zu den Hochqualifizierten zählt, es nicht VOR dem Wegdöseln wahrnehmen können sollte, wenn die Erzählung o.ä. der Patientin nicht farbig o.ä. gestaltet ist wie bspw. eine monotone Stimmlage. Mitunter würde es die Patientin da sicherlich mehr unterstützen, wenn dies gleich vom Therapeuten angesprochen wird und gemeinsam geschaut wird, wie sich das ändern könnte.
Da käme ich mir als Patient vor wie in einer Feedbackrunde eines Rhetorikkurses Und ich halte solche Rückmeldungen auch nicht für üblich und angebracht. Ich empfände es sogar als untherapeutisch.

Eine derartige Rückmeldung ist doppelt fragwürdig, da sie dem Patienten auch signalisiert: Ich muss meine Stimmlage am besten ändern, dass der werte Herr Therapeut nicht einpennt. Ergo: Es liegt (auch) an meinen Schilderung. Dabei ist es alles andere als zwangsläufig, dass Monotonie Wegnicken zur Folge hat. Und Und wenn man dann bemüht ist, seine Erzählungen zu Erlebnisberichten aufzupimpen, so kann viel Authentizität verloren gehen.

Das ist eher eine Information für den Thera, dass ein Patient vielleicht ziemlich depressiv sein könnte oder was weiß ich. Als Hypothese, die dann evtl. in folgenden Gesprächen festigt werden kann oder auch nicht. Oder wenn ein Patient aufgebracht, zieht der Therapeut z.B. in Erwägung, dass den Patienten etwas nahegeht. Und dann könnte er z.B. die Frage in den Raum stellen: Es scheint ihnen ziemlich nahezugehen, wenn ihre Mutter (...)? Aber NICHT: Ihre Erzählungen sind aufgebracht geschildert. Jetzt schauen wir mal, wie sich das ändern könnte. Denn sonst bringt mich das auch auf (Gegenübertragung=eigene Gefühle des Thera). Ich hoffe, der Unterschied wird klar. Es wäre vielmehr untherapeutisch, wenn der Therapeut dauernd seine eigenen Gefühle (ich nenne das gerne auch Gegenübertragung) einbringt und dem Patienten ein Feedback zu seinen Schilderungen verpasst. Der nächste blinzelt vielleicht mit den Augen. So registriert der Therapeut vielleicht Nervosität, die der Patient vielleicht verspürt (Hypothese). Aber in den allermeisten Fällen wird das aktiv nicht angesprochen, dass man blinzelte.
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leberblümchen
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Beitrag So., 19.07.2015, 07:49

Wegen der Monotonie: Ich habe und hatte auch schon immer eine monotone Stimme. Das wurde mir auch schon oft zum Verhängnis: In der Grundschulzeit hat eine Lehrerin mich nachgeäfft; im Studium bin ich nur deswegen mal durch eine Sprachprüfung gefallen, weil die Intonation halt wichtig war. Wie so viele Menschen auch, hasse ich meine Stimme. (Seltsamerweise war das im Italienisch-Studium nie ein Problem, und ich frage mich, ob meine Stimme sich verändert hat oder ob die Italiener toleranter sind, aber das ist OT).

Ich hab mich also für meine Stimme geschämt und dachte, es müsse zwangsläufig so sein, dass man mich deshalb langweilig findet. Vielleicht hab ich auch deshalb andere rhetorische "Tricks" auf Lager, um die Monotonie zu kompensieren (auch das ist OT...). Was ich eigentlich nur sagen wollte: Die Vorstellung, dass die Therapeuten mir signalisieren würden: "Also, Ihre Stimme ist wirklich einschläfernd", wäre wohl das Schlimmste, was mir in einer Therapie passieren könnte. Ich hatte allerdings auch nie das Gefühl, dass das so ist, wobei es tatsächlich sein kann, dass die Stimme sich in dem Maße verändert, in dem der Patient Zugang zu seinen eigenen Gefühlen hat. Das letzte Mal, dass mich jemand auf meine wenig dramatische Stimme ansprach, war vor 1,5 Jahren, immerhin...

Und ich glaube auch nicht, dass es unbedingt die geringe Modulation ist, die das Zuhören erschwert, sondern eher die Frage, ob das Gegenüber sich voll auf den Sprechenden einstellen kann - und der Sprechende sich auf den Zuhörer. Wenn ich z.B. vor einer Gruppe rede, ist es mir nahezu unmöglich, einen Kontakt herzustellen, in einem Dialog hingegen schon. Obwohl die Stimme selbst immer dieselbe ist und auch mein Niedergedrücktsein immer dasselbe ist. Es muss, so nehme ich an, daher etwas Anderes zwischen den Gesprächspartnern geben, was die Fähigkeit des Zuhörens beeinflusst.

Lebhafte Stimmen können ja z.B. als sehr anstrengend empfunden werden, obwohl sie "offiziell" unterhaltsam sind. Ich nehme an, dass das daran liegt, dass der Sprechende sich nicht auf den Zuhörenden einstellt, sondern mehr auf sich und seine Selbstdarstellung konzentriert ist - was wiederum in Gruppen von Vorteil sein kann.

In nuce: Die Frage, welche Parameter das Zuhören beeinflussen - jenseits von der eigenen Erschöpfung oder von den rhetorischen Fähigkeiten des Sprechenden und so fort -, finde ich sehr interessant und vermutlich bisher wenig beachtet. Vielleicht einfach, weil es nicht greifbar ist und sich auf die nicht sicht- und vielleicht auch nicht kommunizierbare Atmosphäre zwischen beiden bezieht.

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Möbius
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Beitrag So., 19.07.2015, 08:30

So ein Einschlafen von Berufsträgern in Situationen, die für die jeweilige Kundschaft hochdramatisch empfunden werden, allerhöchste Aufmerksamkeit der Berufsträger erwartet wird, kommen auch anderweitig vor. In der Justiz gibt es zB die Einrichtung des "Beischläfers".

Ein Kollegialgericht - in Deutschland: Landgericht, Verwaltungsgericht usw. - ist normalerweise mit einer "Kammer" aus 3 Berufsrichtern besetzt. Der Vorsitzende kennt die Akten flüchtig, weil es seine Aufgabe ist, die "mündliche Verhandlung" zu leiten, der eine Beisitzer ist der "Berichterstatter" kennt die Akten genau, weil er nach der internen Geschäftsverteilung (das ist aus verfassungsrechtlichen Gründen genauestens geregelt) die zu treffende Entscheidung abzufassen hat, und greift auch öfters in die Verhandlung ein, und der zweite Beisitzer kennt die Akten garnicht, interessiert sich nicht die Bohne für den Fall, der gerade verhandelt wird, und schläft deswegen mitunter auch mal ein. Deswegen nennt man ihn "den Beischläfer". Das Gesetz schreibt vor, daß Kollegialgerichte von drei Berufsrichtern besetzt sein müssen, also muß ein dritter Richter her, und hat nichts zu tun. Natürlich ist er in der geheimen Beratung stimmberechtig, aber daß er von diesem Recht Gebrauch macht, ist höchst selten. Er hat genug Arbeit mit den Fällen, in denen er selbst der Berichterstatter ist. Dieser "Beischlaf" wird in aller Regel heimlich vollzogen: kein richtiges Schlafen mit geschlossenen Augen, sondern meist eher ein Dösen mit stierigem Blick. Manchmal arbeitet er auch ungeniert an Akten eigener Fälle. Schläft er wirklich deutlich sichtbar ein, dann ist das ein Grund für einen Befangenheitsantrag, und deswegen bemüht man sich, das zu vermeiden. Aber die Aufmerksamkeit des "Beischläfers", sein Interesse für das, was für die "Parteien" eines Zivilprozesses, den Angeklagten eines Strafverfahrens existenziell sein kann - ist gleich Null. So oder so.

Näheres bei: Herbert Rosendorfer: "Ballmanns Leiden oder: Lehrbuch für Konkursrecht" - eine exzellente Justizsatire.

Diese Erwartungshaltung "gleichschwebender Aufmerksamkeit" (Freud) solcher Berufsträger gegenüber ihrer Klientel ist zwar verständlich, aber leider völlig unrealistisch, ich kann es nur wiederholen.

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viciente
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Beitrag So., 19.07.2015, 08:57

.. meinst du ernsthaft, man könne diese von dir hier beschriebene aufstellung samt der einbeziehung einer überflüssigen, zusätzlichen und völlig unbeteiligten person mit einem therapeutischen einzelgespräch vergleichen? da hab ich grosse zweifel, lebt doch der (nicht notwendiger weise "gleichschwebende") austausch zwischen zwei personen davon, dass beide auch aufmerksam "da" sind; ist das nicht gegeben, existiert der austausch überhaupt nicht mehr; mit der wand reden kann man auch alleine.

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