Psychosomatik verstehen - das ICH entdecken

Die Psyche spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung des körpereigenen Abwehrsystems: immer mehr Krankheiten werden heute als 'psychosomatisch' und damit ggf. psychotherapeutisch relevant betrachtet.

LynnCard
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Beitrag Di., 12.05.2015, 21:38

Kimba&Blacky hat geschrieben:Ich finde es interessant, dass Du den Zusammenhang psychosomatische und somotaforme (Schmerz)-Störungen bzw. generell Schmerzstörungen und dissoziativen Störungen ansprichst.
Ich weiß von anderen, dass da Zusammenhänge bestehen, weil sozusagen über den Körper "dissoziiert" wird, wobei somatoforme Schmerzen eben dann doch noch eine eigene "Gattung" Schmerz darstellen, die dann doch eher chronisch vorherrschen, womit ich persönlich mehr vertraut bin als jetzt speziell mit dissoziierten Zuständen. Da bin ich überfragt. Aber irgendwo gibt es immer einen gemeinsamen Nenner, wenn man nur genug lange zurückgeht, wo Gefühl und Ratio eigene Wege gehen und die Persönlichkeit in einen "Zwiespalt" gerät.

Ich finde es auch faszinierend, wie dissoziierende Patienten teilweise ihre Schmerzbeschreibungen schon fast prismatisch und farbig auffächern können, da lerne ich gern dazu, aber ich muss sagen, bei mir läuft das eher stumpf und diffus ab und nicht so metaphorisch bedeutsam hinweisend, dass ich es entschlüsseln könnte wie symbolische Träume. Aber vielleicht kommt das noch, wär wünschenswert. Deshalb beschäftige ich mich ja damit, weil ich es auflösen will, so wie es andere schafften, wie ich las (z. B. durch die Aufarbeitung des Traumas und der zugeschütteten Gefühlswelt), aber ich sehe das jetzt weniger für einen bestimmten Moment, sondern eher als allgemeine Entwicklung, wo der Schmerz sich nicht mehr so überdeutlich zeigt, sondern dauerhaft nachlässt.
LG Lynn

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Bumpam
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Beitrag Di., 12.05.2015, 22:21

SoundOfSilence hat geschrieben: Mir ging es jetzt eher darum, dass auch die Wahrnehmung des (psychosomatischen) Schmerzes manchmal so schwierig (weil teilweise dissoziiert?) ist, und dass das wiederum mein Gefühl für mich weiter verschlechtert... Mh, versteht jemand, was ich sagen will?
Ich finde irgendwie, dass einerseits Schmerz ja etwas ist, das einen zunächst einmal "aufweckt", er zwingt mich, mich wahrzunehmen im Hier und Jetzt (mit meinen Schmerzen) - und andererseits verschwindet er dann manchmal in einem Nebel, anstatt meine Wahrnehmung zu fokussieren, anstatt dass ich mich als ein Person erlebe, erleben ich mich dann als eine Person mit und eine Person ohne Schmerzen, weiß nicht, wer ich jetzt eigentlich bin, leide unter dieser Aufspaltung (oder darunter, dass es nicht komplett abgespalten ist?) und leide auch darunter wieder nicht. Denn vielleicht ist es ja besser, zwei Personen zu sein, als eine Person mit Schmerz... Die Wirklichkeit um mich herum verliert ihre starren Grenzen, denn wenn ich 2 bin, dann ist auch die Welt nicht nur eine.
Aber ich WEIß ja, dass ich nur eine bin, und es auch nur eine Welt gibt - ich funktioniere auch dann, wenn ich anders empfinde, weil ich weiß, wie es wirklich ist. Nicht die Welt ist das Problem, meine Empfindung ist es.
Hi!
Ich hoffe es ist ok wenn ich mich hier wieder einklinke - also, ja, ich glaube ich verstehe schon was Du sagen willst - oder vielleicht meine ich eh was anderes - ich würde es so beschreiben, dass wenn ich beginne den Schmerz bewusst wahrzunehmen, ich ihn dann als Reaktion gleich mal abspalte; das kann ich ja so gut, hab ich ja eine Leben lang geübt, geht ganz automatisch und ist vor allem SEHR praktisch, es "tut dann gleich weniger weh" oder so ähnlich.
Und ich für mich habe einen langen Kampf um das Ausmaß der Aufspaltung meiner Persönlichkeit geführt. Als ich es einfach nicht mehr konnte, als mir die Psychiaterin die DIS Diagnose ohne zögern varpasste (in der Annahme ich hätte sie schon längst), und ich mir endgültig eingestanden habe, dass es halt in meinem Erleben anders ist als bei anderen (was nichts daran ändert, dass mein Erwachsener Anteil sehr genau weiß, dass ich eine Person bin), war es dann auch erleichternd. Und ich zumindest kann dadurch besser und nicht schlechter daran arbeiten, die dissoziativen Barrieren abzubauen. Also was ich mit dem langen Sermon ausdrücken will: In meiner (rein persönlichen) Erfahrung war das mit dem stärker Geteilt Empfinden bisher nützlich um besser zusammenzuwachsen. Hatte das jetzt irgendwas Nützliches für Dich? Bin mir grad ziemlich unsicher....
Liebe Grüße, Bumpam

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SoundOfSilence
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Beitrag Di., 12.05.2015, 22:30

Mmmh, für mich liegt das alles irgendwie auf einer Linie. Psychosomatik ist ein Gebiet der Medizin, dass sich mit psychisch bedingten, somatisch ausgedrückten Leiden (und auch mit psychischen Folgen somatischer Leiden) beschäftigt, da ist die Somatisierungsstörung (=Überbegriff für somatoforme Störungen und Konversionsstörungen) sozusagen DER Prototyp in meinen Augen. Ich denke, eine psychische Belastung (allgemein) kann krank machen, also z.B. Allergien auslösen, Bluthochdruck machen etc., oder eine solche Belastung drückt sich "nur" im Körper aus, etwa wenn der Mann, der sich nicht entscheiden kann ob er den Job bei seiner Mutter in Hamburg oder bei seiner Frau in Berlin annehmen soll plötzlich gelähmt ist - und nirgendwo mehr hingehen kann (klassische Konversionsstörung) oder wenn organisch unbegründete Schmerzen/Symptome, z.B. Durchfälle (Somatisierungsstörung = somatoforme vegetative Störung) auftreten. Also in dem Sinne keine organische Krankheit vorliegt (wie etwa Bluthochdruck). Wer jetzt was entwickelt, ob die Krankheit ganz symbolisch zu verstehen ist wie bei der Konversionsstörung, oder die Zusammenhänge undeutlicher sind, ob es eine (womöglich ernste) Erkrankung mit Organschäden ist/wird, oder "nur" eine Funktionsstörung bleibt - das kommt vermutlich auch sehr auf die genetische Disposition an.
Was bei der Somatisierungsstörung passiert, hat aber für mich auf jeden Fall auch etwas mit einer dissoziativen Störung zu tun. Ein Beispiel: Ein erwachsener Mann steht im Supermarkt in der Schlange an der Kasse und bekommt plötzlich Durchfall. Oder: Ein erwachsener Mann steht im Supermarkt, die Menschen kommen ihm zu nahe, er wird getriggert und bekommt Angst (oder: ein Anteil in ihm bekommt Angst), er verdrängt die Angst (und den Anteil), die Angst macht Durchfall... In diesem Fall dissoziiert der Mann das Gefühl "Angst" und übrig bleibt nur der unerklärliche Durchfall - der Mann bekommt keinen Zusammenhang zu seiner Angst, denn er FÜHLT ja gar keine Angst. Oder: Der Mann im Supermarkt verdrängt die Angst, drei Tage später sieht er die Milch, die er eingekauft hat, er wird getriggert, bekommt Angst, verdrängt die Angst, er bekommt Durchfall... Dann hätte der Mann noch "gründlicher" Dissoziiert... Deswegen erlebe ich, dass es hilft, wenn man den richtigen Zusammenhang findet (was ja bei so einer Milchtüten-Nummer schon schwierig ist)
Aber: auch das Symptom kann man mehr oder weniger dissoziiert erleben - so erkläre ich mir jedenfalls solche total schrägen Empfindungen, wenn ich zwar um Symptome weiß, sie aber nicht als zu meiner Person gehörend wahrnehme... Und ich finde, da wird's dann eben richtig kompliziert. Aber vielleicht ist es eigentlich ganz einfach so, dass in solchen Momenten entweder ohnehin schon ein relativ dissoziierter Zustand eingetreten war, oder es ist tatsächlich die Situation des Schmerzes/Symptoms selber, die in diesem Moment so überwältigend war, dass ich es "wegmachen" musste...
Mein persönliches Empfinden reicht jedenfalls von "relativer Selbstwirksamkeit", wenn ich weiß, dass ICH es bin und ICH es überwinden kann über "ausgeliefert sein", wenn ich eben keinen Zusammenhang mehrbekomme und die Symptome mich überfallen, ohne dass ich es wenigstens halbwegs kontrollieren kann bis zu "fremdgesteuert", wenn ich mir sozusagen selber beim somatisieren zuschaue und gar nicht recht etwas dazu empfinden kann - und mir letzlich dennoch meinen Rhythmus diktieren lassen muss... Dann, wenn ICH denke "DAS KANNST DU DOCH NICHT SEIN"...
Witzig übrigens: Erst als ich weniger Somatisierungsstörungen, also Symptome, hatte, erkannte ich, wie häufig ich psychische Symptome wie Derealisationen/Depersonalisationen, Zeitverlust etc. also dissoziative Symptome habe... Daran muss ich immer denken, wenn ich mich selber ermahne "hinzuschauen" anstatt das Symptom zu ignorieren...

Liebe Grüße,
Silence
Hello darkness, my old friend...

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SoundOfSilence
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Beitrag Di., 12.05.2015, 22:34

Hallo liebe Bumpam,

das hilft mir sehr - und es macht mir ein wenig Angst
Hello darkness, my old friend...

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LynnCard
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Beitrag Di., 12.05.2015, 22:54

SoundOfSilence hat geschrieben:Deinen Setzt mit dem "Ziel zu Laufen, dass den Schmerz überdeckt" hab ich jetzt zig mal gelesen, ich höre da einen positiven Ton bei dir raus (ist das so gemeint??)
Liebe SoundOfSilence

Ich erlebte das mit dem Laufen schon ähnlich, auch dass der Schmerz verschwindet, aber ich muss sagen, dass bei mir der Schmerz überhaupt kein Indikator ist, sich zu schonen, ganz im Gegenteil tut mir aeorobe Bewegung gut (auch wenn es anfangs schmerzt und viel Überwindung kosten kann) und trainiert den Schmerz auf Dauer eher weg, wenn ich mich funktional nicht zu sehr belaste (übertreiben ist nie gut, das ist auch rational beurteilbar, spätestens aber durch spätere Belastungsschmerzen einschätzbar für das nächste Mal, doch gilt das für jeden, würde ich sagen, man lernt immer dazu). Mein Schmerz weist ja nicht auf ein körperliches Problem hin, sondern auf einen psychosomatischen Hintergrund, wie Du es ja auch eindrücklich erklärt hast, was viele Patienten mit somatoformen Schmerzen oftmals nicht akzeptieren wollen und ewig nach einem körperlichen Auslöser suchen und vom Regen in die Traufe geraten.
SoundOfSilence hat geschrieben:Aber häufig verschwinden meine Symptome, wenn ich den Grundkonflikt erkenne (und verändere)
Ja, den psychosomatischen Schmerz bewusst positiv beeinflussen zu können durch Bearbeitung des (vermuteten) Problems oder Konflikts dahinter, gelingt mir manchmal auch.
SoundOfSilence hat geschrieben:Nur: ich kenne eben auch die andere Seite der Medaille, wenn man Symptome so lange ignoriert oder betäubt (mit Arbeit, mit Medis etc), bis ein Zustand so schlimm ist, das nix mehr geht...
Auch das kenne ich, aber ich ignoriere das jetzt nicht so bewusst, es ist eher ein blinder Fleck in meiner Wahrnehmung, wo ich einfach die Botschaft der Symptome nicht verstehen kann, denn es gibt auch sabotierende psychosomatische Symptome, z. B. eine psychosomatische Müdigkeit, wenn man sich unbewusst entziehen will etc. Das psychosomatische Symptom kann auch einen Krankheitsgewinn suchen. Natürlich weist es gleichzeitig darauf hin, dass da eine Schwäche vorliegt, nur kann diese eben auch darin bestehen, sich einer Situation nicht stellen zu wollen oder zu können, obwohl es vielleicht sinnvoll wäre. Selbstsabotage.
SoundOfSilence hat geschrieben:Und dann gibt es, glaube ich, ein weiteres Phänomen, nämlich den dissoziierten Schmerz (als körperl. Symptom). Ich kenne das von mir, dass ich manchmal so daran verzweifel dass mein Körper "wieder rumspinnt", dass ich gleichzeitig aus mir selber heraustrete.
Eine solche Trennung vom Schmerzzustand ist ja an und für sich natürlich und z. B. auch Folge eines eintretenden Schocks. Ich würde das nicht nur negativ sehen, aber natürlich kann es auch einfach eine Flucht aus der Schmerzsituation sein, eine Abspaltung des Gefühls, vielleicht noch durch ein Trauma entsprechend als Muster vorgegeben. In der Achtsamkeit lässt sich eine Balance finden zwischen Schmerzgefühl und Ratio. Es braucht eben auch viel Akzeptanz, was aber nicht immer so leicht ist. Ich persönlich fühle mich manchmal auch etwas "verschaukelt" durch meine psychosomatischen Schmerzen. Klar wollen sie mir etwas aufzeigen, aber sie sind auch Ausdruck des Entzugs. Deshalb ist es sicher hilfreich, am Symptom "warum will ich mich in deser Situation entziehen?" zu arbeiten. Oder: Was blockiert mich jetzt gefühlsmäßig, sodass ich den Schmerz als einzige maladaptive Lösung finde?
SoundOfSilence hat geschrieben:Die denken, wenn man einer 18-jährigen mit dauernden Durchfall, die kaum noch zur Schule geht sagt, dass sie KEINEN Krebs hat, dann ist sie so erleichtert, dass sie darüber ihre Symptome und auch ihre (berechtigte) Zukunftsangst vergisst... Nur, die einschränkenden Symptome, die bleiben halt leider...
Ich bin zwar tatsächlich erleichtert, nicht wirklich ernsthaft krank zu sein und Krebs zu haben, aber stimmt: Diese "blöden" Schmerzen gehen dadurch nicht weg!
SoundOfSilence hat geschrieben:Also, um das vielleicht doch versöhnlich abzurunden: ich finde der Umgang mit Schmerz und Symptom ist bei jeder Erkrankung wichtig und mit entscheidend (DAS trifft für mich die somato-psychische Komponente), egal ob der Rückemschmerz psychisch bedingt ist oder ein Tumor auf den Spinalnerv drückt. Aber gerade bei psychosomatischen Erkrankungen, also psychisch bedingter Somatisieren, denke ich, dass es eher darum geht, ganz genau hinzufühlen und nicht darum, sich abzulenken.
Ja, das sehe ich auch so, aber ich bin im Gegensatz zu Dir einfach nicht so gut darin, meine Schmerzen derart eindeutig zuordnen und auflösen zu können. Genau das möchte ich aber lernen! Deshalb schreib ich in diesem Thread und beschäftige mich intensiv mit dem Thema und auch mit meinen Gefühlen bzw. ich versuche es! Danke für Deine wertvollen Anregungen!
LG Lynn


LynnCard
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Beitrag Di., 12.05.2015, 23:21

SoundOfSilence hat geschrieben:Was bei der Somatisierungsstörung passiert, hat aber für mich auf jeden Fall auch etwas mit einer dissoziativen Störung zu tun. Ein Beispiel: Ein erwachsener Mann steht im Supermarkt in der Schlange an der Kasse und bekommt plötzlich Durchfall. Oder: Ein erwachsener Mann steht im Supermarkt, die Menschen kommen ihm zu nahe, er wird getriggert und bekommt Angst (oder: ein Anteil in ihm bekommt Angst), er verdrängt die Angst (und den Anteil), die Angst macht Durchfall... In diesem Fall dissoziiert der Mann das Gefühl "Angst" und übrig bleibt nur der unerklärliche Durchfall - der Mann bekommt keinen Zusammenhang zu seiner Angst, denn er FÜHLT ja gar keine Angst. Oder: Der Mann im Supermarkt verdrängt die Angst, drei Tage später sieht er die Milch, die er eingekauft hat, er wird getriggert, bekommt Angst, verdrängt die Angst, er bekommt Durchfall... Dann hätte der Mann noch "gründlicher" Dissoziiert... Deswegen erlebe ich, dass es hilft, wenn man den richtigen Zusammenhang findet (was ja bei so einer Milchtüten-Nummer schon schwierig ist)
Jeder Mensch ist ein psychosomatisches Wesen. Es gehört zur Grundausstattung des Menschen, psychosomatisch zu reagieren, nämlich mit Psyche und Körper in ihrer Wechselwirkung. Jedes Kind tut es. Ich glaube nicht, dass es dazu jetzt eine dissoziative Störung als Diagnose braucht. Das lässt sich vielfach auch natürlich erklären und bei allen Menschen und sogar Tieren beobachten. Da hätte ich jetzt wieder sehr interessante Beispiele aus der Ameisenwelt. Nach Deiner Definition wären auch sie dissoziativ. Ich denke, es macht schon Sinn, wenn die Fachwelt unterscheidet zwischen einer dissoziativen Störung und einer somatoformen Störung. Also so abgetrennt, wie Du das erlebst mit dem Lachen, während der andere Teil mit Schmerz sozusagen neben Dir steht, empfinde ich es nicht. Da fühle ich mich schon einheitlicher als Mensch, auch wenn bei mir natürlich auch etwas "abgespalten" wird, aber nicht gleich so deutlich. Vielleicht kann ich das deshalb bei mir nicht so klar auseinanderhalten, weil das einfach mehr beisammen ist.
LG Lynn

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SoundOfSilence
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 06:23

Liebe Lynn,
ich würde unterscheiden zwischen normalem Somatisieren (also rot werden bei Scham etc) und einer SomatisierungsSTÖRUNG (also rot werden ohne Grund) bzw auch zwischen normaler Dissoziation (Kinder vergessen im Spiel die Zeit etc) und einer solchen STÖRUNG (also ohne angemessenen Anlass). Also ja, es gibt auch nicht-pathologische Psychosomatik, aber wenn die Zusammenhänge abhanden kommen, wenn es sich verselbstständigt, meinst Du nicht, dass das dann immer auch (also Somatisierungsstörungen, nicht unbedingt psychosomatische Krankheiten mit Organschäden) mehr oder weniger stark mit dissoziieren einhergeht?

Wie ist das bei Ameisen? Was psychosomatik-en die?
Hello darkness, my old friend...


LynnCard
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 08:38

Liebe SoundOfSilence,

die Fachwelt unterscheidet zwischen Somatisierungssymptomen in Folge einer dissoziativen Störung und Somatisierungssymptomen aufgrund von somatoformen Schmerzstörungen, die eine eigene Diagnose darstellen, wo eben der Schmerzkörper nicht derart stark abgespalten erlebt wird. Es gibt nur einen einzigen Schmerzkörper bei jemandem, der lediglich an einer somatoformen Schmerzstörung leidet. Er sitzt sozusagen im Gefängnis seines Schmerzkörpers und kommt da nicht so einfach raus, kann sich eben nur zeitweise ablenken oder versuchen, den Schmerz irgendwie vorübergehend zu sublimieren, was aber nicht so leicht ist. Deshalb sind viele chronisch krank und vielfach nicht mehr arbeitsfähig, weil es eben kein Entrinnen in eine andere Identität gibt, auch nicht in einen schmerzlosen Körper. Die Betroffenen würden niemals sagen, dass sie die Schmerzen dissoziativ ausschalten können und dies das eigentliche Problem sei (ganz im Gegenteil würde dieser Gedanke eher als Lösung erscheinen vom Gefühl her), weil sie eben nicht so leicht dissoziieren können wie jemand mit dissoziativer Störung, sondern nur im durchschnittlichen Bereich des "normalen Dissoziierens".

Du wirfst da zwei eigenständige, voneinander deutlich unterscheidbare Diagnosen zusammen, was nicht den fachlichen Kriterien entspricht, wo ich mich persönlich als nur somatoform Betroffene überhaupt nicht wiedererkenne, gerade auch aufgrund Deiner Beschreibungen, wie Du den Schmerzkörper getrennt erlebst und dabei lachen kannst. Das wäre mir nie möglich. Und ich hab mich nun wirklich auch schon häufig mit Leuten ausgetauscht, die eine somatoforme Schmerzstörung wie ich haben, sie erleben das so wie ich und leiden "in ihrem Schmerzkörper" und nicht außerhalb davon, also ganz ohne derart spezielle Dissoziationen, wie Du sie beschreibst anhand Deiner damit verknüpften dissoziativen Störung.

Dass es auch so getrennt ablaufen kann, höre ich das erste Mal von Dir und bumpam und ihr beide sprecht von einer dissoziativen Störung als erhaltene Diagnose. Man kann den Unterschied auch deutlich daran sehen, dass ihr beide euch nicht ganz so gut von mir verstanden gefühlt habt im Laufe des Austauschs hier, eben wegen dieser Abspaltung, die ich nun mal nicht so empfinde und nicht auf diese Weise getrennt vom Ich erlebe, schon gar nicht als "das eigentliche Problem", wie Du und bumpam das immer wieder betont habt. Deshalb kann ich in dem Punkt jetzt einfach nicht mitziehen, obwohl es sonst sicher viele gemeinsame Ansatzpunkte gibt und ich den Beschreibungen von Patienten mit dissoziativen Störungen immer sehr viel abgewinnen kann, eben weil ich das nicht so fragmentiert und facettenreich und damit überhaupt wahrnehmbar erlebe.

Eine dissoziative Störung mit Somatisierungssymptomen ist weitaus komplexer und vor allem aufgesplitterter, weil die Schmerzanteile ein eigenständiges Dasein entwickeln in einer dissoziativen Identitätsstörung, während bei der simplen somatoformen Schmerzstörung die Identität als Ganzes erhalten bleibt. Ein somatoform Betroffener erlebt die Trennung auf rein somatoformer Ebene, d. h. er erlebt den Schmerzkörper als zu sich gehörig und kann sich eben NICHT ausreichend distanzieren von seinem Schmerzkörper.

Meine Ameisen haben ganz gewöhnliche Alltagsdissoziationen, z. B. sind sie immer total "weggetreten", wenn sie vor Lebendfutter "erschrecken".
LG Lynn

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SoundOfSilence
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 10:40

Hey Mädels,
Schaut so aus als hätten wir jetzt alle mal einen wunden Punkt erwischt
Also, ich hab ungeschickt ausgedrückt was ich meine: natürlich gibt's Unterschiede zwischen Somatisierungsstörung und somatoformer Schmerzstörung, aber (jedenfalls in D) gehören sie in EINE diagnostische Kategorie, jedenfalls derzeit.
Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass ich bei Beidem eine dissoziative Komponente sehe, insofern als dass das Symptom bzw der Schmerz von der psychischen Ursache, von der Gefühlswelt abgeschnitten ist. Wie weit das Dissoziieren geht, ob also "nur " das Symptom als solches nicht im Zusammenhang erkannt wird, oder ob gleich das Symptom auch wieder weggemacht wird, das ist natürlich ein riesiger Unterschied. Und ja, spätestens dann kommt wohl eine dissoziative Störung als eigene Diagnose dazu
Ich danke dir, Lynn, dafür, dass Du mir mal den positiven Nutzen vorführst, und sicher gäbe es etliche Patienten, die gerne ihrem Schmerz durch diss. entfliehen würden... Ich komme mir dabei immer so irre vor, und es steht dem gesunden im Weg, aber wenn ich es bedenke hat es mir in zig schwierigen Situationen geholfen, mein Leben überhaupt noch zu meistern...
Und ich erkenne auch, dass die Erfahrung zu machen so dermaßen neben sich zu stehen es vermutlich auch einfacher macht, sich für die Zusammenhänge zwischen psychischem Zustand und Symptom zu öffnen, also die "kleine" Dissoziation aufzudröseln, weil eben das Erleben auch in anderen Bereichen so facettenreich ist... Versteht ihr, was ich meine?
Übrigens: es gelingt mir längst nicht immer, diese Klippe zu überbrücken und den richtigen Zusammenhang zu finden...
Eine DIS hab ich übrigens nicht (jedenfalls stand da nix von im Arztbrief), und auch das ist ja eine bestimmte Form (sozusagen das Ende der Fahnenstange) der dissoziativen Störungen (nicht jeder mit unkontrollierten pathologischen Dissoziationen hat eine Identitätsstörung, oder?)
Aber so sehr in Begriffe wollte ich mich nicht verennen... Passiert mir aber oft
Ich finde eigentlich viel spannender, was Du angeschnitten hattest mit dem "Krankheitsgewinn"...
Aber vorher: ich ziehe jetzt mal ausdrücklich den Hit vor deinem Durchhaltevermögen, dein Leben trotz und MIT Schmerz zu meistern OHNE zu dissoziieren oder gleich auf andere Identitäten zurück greifen zu können!
Liebe Grüße,
S
Hello darkness, my old friend...


LynnCard
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 11:05

Ja, ich finde unsere Gespräche auch sehr anregend und hilfreich, hab mich gerade kurz umgeschaut, ob ich dazu etwas finde in der Schnelle (müsste eigentlich arbeiten), aber ich bin eben auch neugierig auf die Zusammenhänge, vor allem wenn es mir Schmerzerleichterung bringen könnte. Bei der Uni Saarland fand ich über die Suchmaschine eine Datei, wo das jemand studentenmäßig nebeneinanderstellte und gerade durch die stichwortartigen Vereinfachungen manche Aspekte transparent macht trotz der Unterschiede, wodurch der jeweilige rote Faden gut erkennbar wird, und zwar HIER.
LG Lynn


LynnCard
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 13:10

SoundOfSilence hat geschrieben:Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass ich bei Beidem eine dissoziative Komponente sehe, insofern als dass das Symptom bzw der Schmerz von der psychischen Ursache, von der Gefühlswelt abgeschnitten ist.
Ja, für diese Komponente interessiere ich mich auch, das wäre der gemeinsame Nenner und die dahinterliegende instinktive Angst, welche diese "kleine Dissoziation" selbsthypnotisch auslöst wie bei einer gejagten Antilope, die gerade von einem Raubtier in die Enge getrieben oder sogar schon gepackt wird und verständlicherweise diese Leidsituation dissoziierend verlassen will, wobei sich eine breite Angstsymptomatik als Angstprogramm manifestiert, wie ich sie übrigens auch bei meinen Ameisen und ebenso bei meinen Kater sehr ähnlich beobachten kann. Der Krankheitsgewinn besteht darin, sich der beängstigenden Situation (getriggert aufgrund eines grundlegenden beängstigenden Traumas) auf die eine oder andere Weise zu entziehen, dies instinkthaft und unbewusst, wobei sich die Strategien sehr unterscheiden können (von rationalen Kontrollstrukturen bis impulsiven Kampfhaltungen, von dissoziativer Flucht und Schmerzabspaltung bis zum gefühlsblinden Aushalten und stellvertretenden Schmerzkonflikt als Ventil der Angst).
LG Lynn

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SoundOfSilence
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 15:31

Ja, der Linken ist total interessant, bin aber noch nicht ganz durch. Doofe Arbeit, lenkt nur ab
Wie siehst Du das für dich mit primären und sekundären Krankheitsgewinn denn konkret? Magst du mal Beispiele erzählen? Das beschäftigt mich sehr... Aber erstmal lese ich zu ende...
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LynnCard
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 15:58

SoundOfSilence hat geschrieben:Wie siehst Du das für dich mit primären und sekundären Krankheitsgewinn denn konkret? Magst du mal Beispiele erzählen? Das beschäftigt mich sehr...
Bei mir wurde es von ärztlicher Seite als primärer Krankheitsgewinn bezeichnet, weil ich überlastet bin und mich psychosozial überfordert fühle, dann noch zusätzlich durch den Drang und eigenen Druck, alles trotzdem perfekt machen zu wollen und zu müssen, für alle stark zu sein und diese Erwartungen nicht zu enttäuschen.

Der sekundäre Krankheitsgewinn lohnt sich für mich nicht, denn mein Umfeld nimmt nicht mehr Rücksicht auf mich, da muss ich einfach funktionieren, jeder hat sein eigenes Kreuz zu tragen. Wir helfen einander, so gut wie es geht. Außerdem habe ich ein sehr großes Bedürfnis, eigenständig und von niemandem abhängig zu sein. Ich hasse jede Art von Bemutterung mir gegenüber.

Aus dem dritten Krankheitsgewinn, nämlich die Rolle einer später regelmäßig betreuenden Großmutter einzunehmen, hab ich unmissverständlich abgelehnt. Das ist mir zu viel, bei aller Liebe, das mache ich nicht bzw. kann ich nicht. Man könnte es so sehen, dass die Schmerzkrankheit entstand, damit mein Umfeld mich nicht permanent überlastet, sondern mich wenigstens etwas schont. Das hat mir vielleicht eine schwerwiegende Krankheit erspart durch die Dauerbelastungen. Wer weiß. Irgendwo muss meine Psyche ja Gründe haben für diesen maladaptiven Weg, abgesehen von meinem unverarbeiteten Kindheitstrauma, das mir diese maskierte Angst einimpfte.
LG Lynn

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Bumpam
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 20:35

Liebe Lynn,
ich hoffe es ist ok wenn ich hier auf Deine Antwort an Silence auch antworte. Vielen Dank für die pointierte Beschreibung des Unterschiedes
LynnCard hat geschrieben: Es gibt nur einen einzigen Schmerzkörper bei jemandem, der lediglich an einer somatoformen Schmerzstörung leidet. Er sitzt sozusagen im Gefängnis seines Schmerzkörpers und kommt da nicht so einfach raus, kann sich eben nur zeitweise ablenken oder versuchen, den Schmerz irgendwie vorübergehend zu sublimieren, was aber nicht so leicht ist. Deshalb sind viele chronisch krank und vielfach nicht mehr arbeitsfähig, weil es eben kein Entrinnen in eine andere Identität gibt, auch nicht in einen schmerzlosen Körper.
- ich komme mir, offen gestanden, gerade reichlich dämlich vor, weil ich diesen eigentlich sehr simplen Unterschied nie so sehen konnte (oder wollte?) - ich war immer schon irritiert, und konnte nie festmachen, woran es liegt, wenn ich Menschen von ihrer Somatisierungsstörung erzählen hörte.
Ja, das ist es wohl - dieses dauerhaft "Gefangensein", das ich schon so oft beschrieben bekommen habe - und das ich nie WIRKLICH nachvollziehen konnte. Und es muss sehr quälend sein wenn es so ist. Wenn es dann beginnt das Leben zu bestimmen. Und nie weggeht. Komische Vorstellung, ich leide seit ich denken kann am umgekehrten Problem - das alles immer wieder einfach weg sein kann.
Liebe Grüße, Bumpam

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Bumpam
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Beitrag Mi., 13.05.2015, 20:49

Liebe Silence,
wünsche einen guten Abend! Mir geht grad so viel im Kopf herum, aber wollte ein paar Antworten da lassen, finde die Diskussion immer noch so interessant...
SoundOfSilence hat geschrieben:
Schaut so aus als hätten wir jetzt alle mal einen wunden Punkt erwischt
Ja, und ab dann wird das Gespräch dann spannend, oder?
SoundOfSilence hat geschrieben:
Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass ich bei Beidem eine dissoziative Komponente sehe, insofern als dass das Symptom bzw der Schmerz von der psychischen Ursache, von der Gefühlswelt abgeschnitten ist.
Hhmm, ja, das würde ich auch so als vereinenden Aspekt sehen, aber ich GLAUBE jetzt mal, die Schmerzen bei der Somatisierungsstörung entstehen tendenziell mehr aus dem hier und jetzt (deswegen ja dann auch immer die Frage nach dem Krankheitsgewinn zB), und die psychosomatischen Symptome die ich zumindest im Wesentlichen kenne, haben viel mehr mit meiner Vergangenheit zu tun, sind manchmal sogar ganz direkt Körpererinnerungen (die finde ich nebenbei bemerkt sehr grauslich).
SoundOfSilence hat geschrieben:
(nicht jeder mit unkontrollierten pathologischen Dissoziationen hat eine Identitätsstörung, oder?)
Nein, gottseidank nicht. Das Spektrum ist ziemlich weit. Magst Du genauer ausführen, was Du mit "unkontrolliert" meinst?

Alles Liebe, Bumpam

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