Keine Diagnostik / Behandlung trotz Betreuung

Hier haben Sie die Möglichkeit, anderen Ihre Erfahrungen zur Verfügung zu stellen - oder sie nach deren Erfahrungen im Kontext von klinischer Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie zu fragen.
Benutzeravatar

münchnerkindl
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 9792

Beitrag Di., 20.03.2012, 08:43

Lilly111 hat geschrieben:Eine Zwangsbehandlung lehnt die Betreuerin nach wie vor sehr rigeros ab. 'Wie ich mir das vorstellen würde?!?!? Sollen die Schwestern meine Freundin jedesmal am Bett festschnallen?' Als ich mit Ja geantwortet habe, fiel ihr der Hörer aus der Hand. Gespräch beendet.

Hm, ist es in so einem Fall nicht so daß das ein Gericht auf Basis psychiatrischer Gutachten entscheiden sollte? Ich denke bei derartig weitreichenden Dingen ist nicht das mehr im reinen Ermessensspielraum des Betreuers.

Ich würde glatt mal zum zuständigen Gericht gehen und mich dort beim Rechtspfleger erkundigen ob das so korrekt läuft oder ob man eine quasi "Willkürentscheidung" des Betreuers auch anfechten kann. Evtl gibt es hier ja sogar ein staatsanwaltliches Interesse da ja möglicherweise die Gesundheit eines nicht zurechnungsfähigen Menschen (falls psychiatrische Gutachten dies so sehen) in Gefahr ist.


Weil wäre die Person zB schizophren und hätte einen Verfolgungswahn, dann wäre ziemlich klar daß hier auch gegen den Willen des Patienten behandelt werden kann. Jede banale Psychiatrie darf das täglich dutzendfach. Und hier ist es in jedem Fall aussschliesslich das Gericht aufgrund ärztlicher Gutachten das eintscheidet daß das passieren darf oder nicht.

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Di., 20.03.2012, 10:43

Hallo münchnerkindl,

Danke für deinen Beitrag !
Meine Gedanken gehen in eine ähnliche Richtung. Also Einholung eines psychiatrischen Gutachtens. Das allerdings auch erstmal jemand in Auftrag geben muss. Wer könnte das sein? Vermutlich die Betreuerin, die aber offenbar keinen Grund dafür sieht.
Hm, ist es in so einem Fall nicht so daß das ein Gericht auf Basis psychiatrischer Gutachten entscheiden sollte? Ich denke bei derartig weitreichenden Dingen ist nicht das mehr im reinen Ermessensspielraum des Betreuers.
Jein? Ich weiß es nicht, müki. Die Betreuerin sagt ähnliches, veranlasst aber weder eine Medikamentengabe, noch gibt sie ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag, noch stellt sie bei Gericht einen Antrag auf Zwangsbehandlung. Der würde ihrer Meinung nach, wie hier schon geschrieben, ohnehin abgelehnt werden, weil keine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Solange meine Freundin nicht versucht sich mit der Kuchengabel die Pulsadern aufzuschneiden, passiert? Nichts. Sorry für den Sarkasmus.

Ich habe hier durch den Thread (und der Beschäftigung mit dem Thema) gelernt, dass - vereinfacht gesagt - die Betreuerin Heilbehandlungen anordnen darf (und muss?), wenn es um Medikamente und nichtinvasive Diagnostik geht. Für alles darüber hinaus bedarf es einer gerichtlichen Anordnung.

Der Gang zum Gericht ist inzwischen wohl unausweichlich. Allerdings gehen meine Überlegungen eher in Richtung Betreuerwechsel, zur Not auch im Eilverfahren. Darüber habe ich mit der Betreuerin schon gesprochen - sie lehnt einen Wechsel natürlich ab. Aber ihr Wille allein ist nicht entscheidend. Über einen eventuellen Wechsel würde das Gericht nach Aktenlage entscheiden (und bei der Gelegenheit natürlich auch ihre bisherige Arbeit prüfen).
Weil wäre die Person zB schizophren und hätte einen Verfolgungswahn, dann wäre ziemlich klar daß hier auch gegen den Willen des Patienten behandelt werden kann. Jede banale Psychiatrie darf das täglich dutzendfach.
Ja. Aber da geht der Irrsinn weiter. Es gab vor dem Schlaganfall eine psychiatrische Behandlung. Die hat man mit dem Schlaganfall ausgesetzt bzw. ganz eingestellt. Mit der Begründung, dass das Gehirn ohnehin komplett durcheinander geschüttelt wurde und man nun erstmal sehen müsse, wie sich das alles entwickelt. Es gibt Fälle, in denen die Störung durch einen Schlaganfall, nicht geheilt, aber praktisch nicht mehr in Erscheinung tritt. Oder so ähnlich. Kann es jetzt nur mit meinen Worten ausdrücken.
Vor ca. vier Wochen war meine Freundin ja bereits für einige Tage in der Psychiatrie (weil das normale Krankenhaus hilflos und überfordert war). Die Ärzte dort haben sie für einwilligungsfähig gehalten und damit nahmen die Dinge weiter ihren Lauf. Vllt. hätte es den epileptischen Anfall nicht gegeben, wenn sie ihre Medikamente genommen hätte. Sogar ziemlich wahrscheinlich. Die Ärzte bringen den Anfall mit der Blasenentzündung in Zusammenhang. War mir völlig neu und unverständlich, aber so war die Aussage.

Ein anderer Punkt ist ihr Lebenswille. Man zweifelt daran. Wäre sie tatsächlich suizidal, wäre das wieder ein Argument gegen eine Zwangsbehandlung. Richtig? Aber auch das sollte bitte ein Psychiater feststellen. Mutmaßungen allein sind mir zu wenig. Sicher ist sie apathisch. Wer wäre das angesichts dieser Lebensumstände nicht? Das ließe sich aber möglicherweise gut medikamentös behandeln. Wenn sie denn welche nehmen würde.

Der Rechtspfleger.... , ja, ich glaube der ist eine gute Idee.
Möglicherweise kann auch das Gericht das Gutachten anordnen?

Heute Nachmittag kann ich mit einem Arzt sprechen.

Lilly
... as stubborn as a mule.

Benutzeravatar

münchnerkindl
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 9792

Beitrag Di., 20.03.2012, 10:50

Lilly111 hat geschrieben: Das allerdings auch erstmal jemand in Auftrag geben muss. Wer könnte das sein? Vermutlich die Betreuerin, die aber offenbar keinen Grund dafür sieht.
Ich glaube das kann wenn öffentliches Interesse besteht (also wenn vermutet wird daß hier Schaden für eine Person entstehen kann) jeder Bürger machen.

Wie gesagt, das Sozialgericht wäre hier ein Ansprechpartner. Ebenfalls kannst du dich an dein lokales Gesundheitsamt wenden mit dem Verdacht daß hier ein Betreuer unverantwortlich arbeitet..

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Di., 20.03.2012, 21:57

Ich habe eine Verbündete.

Die zuständige Neurologin hat der Betreuerin Feuer unter ihren Allerwertesten gemacht. Mit dem Ergebnis, dass diese "den Fall" nun dem Richter vorträgt und der entscheidet wie weiter zu verfahren ist. Ein psychiatrisches Gutachten ist auch im Gespräch, aber noch nicht amtlich.

Und die zweite, naja, gute? Nachricht ist, dass meine Freundin zumindest den Saft gegen die epileptischen Anfälle nimmt. Der scheint zu schmecken. Manchmal nimmt sie auch Tabletten. Allerdings nur, wenn sie die richtige Farbe haben.
Soll ich lachen oder weinen?
Immerhin nimmt sie etwas. Besser als nichts.
Aber die Auswahlkriterien lassen, einmal mehr, darauf schließen, dass es sicherlich keine bis in letzter Konsequenz durchdachte Entscheidung ist.

Heute freue ich mich einfach mal über die kleinen Fortschritte.

Lilly
... as stubborn as a mule.

Werbung

Benutzeravatar

münchnerkindl
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 9792

Beitrag Di., 20.03.2012, 22:09

Lilly111 hat geschrieben: Und die zweite, naja, gute? Nachricht ist, dass meine Freundin zumindest den Saft gegen die epileptischen Anfälle nimmt. Der scheint zu schmecken. Manchmal nimmt sie auch Tabletten. Allerdings nur, wenn sie die richtige Farbe haben.
Soll ich lachen oder weinen?
Eher lachen. Sowas dürfte einem Gutachter vorgetragen wohl eindeutig ihre mangelnden Zurechnungsfähigkeit bezeugen. Ist ja wie bei einem sechsjährigen Kind.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Fr., 06.04.2012, 18:53

Bild

"Mein Kind, mein Kind, mein Kind ist tot."
Begleitet von einem herzzerreißendem Weinen.
Das Leben ist grausam.

Ich möchte euch bitten hier nicht zu schreiben. Danke.

Lilly

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Fr., 06.04.2012, 22:18

... re=related

Eddie Cochran
Sie mochte seine Musik.
Er ist auch zu früh gestorben. Wenn auch unter anderen Umständen.
Die Umstände...., ja, sie werden untersucht. Weil es so verdammt schnell ging.
Am Dienstag gibt's das Obduktionsergebnis. Bis dahin schießen die Spekulationen ins Kraut und sie liegt im Kühlraum.

Hätte es wieder ein 'Nein' gegeben bei dem Vorschlag eines von Cochran's Lieder auf ihrer Beerdigung zu spielen? Oder hätte sie vor sich hin gelächelt? So wie sie es die letzten Tage öfter getan hat? Auffallend gut drauf war sie, wir haben uns gefreut, Hoffnung geschöpft. Und es war doch nur das oft beschriebene "letzte Aufblühen".

Vor ein paar Tagen war sie shoppen. Shoppen!!! Sie!! Frische Luft?? Ja. In Begleitung, natürlich. Irgendwer hatte ihr vom Supermarkt fast vor der Haustür erzählt. Der entwickelte über die Zeit wohl eine unüberwindbare Anziehungskraft. Oder die Leckereien, die es da zu kaufen gibt. Umwege auf dem Hin- und Rückweg wurden wohlwollend in Kauf genommen. Ein Anfang? Vom Ende, ja.

Es ist die falsche Reihenfolge, wenn Mütter ihre Kinder verlieren. Egal in welchem Alter. Es bleibt falsch. Ich war froh, dass ich Mama halbwegs über den Winter gekriegt hatte. In der Hoffnung, dass mir nun der Frühling, das Aufblühen der Natur, zu Hilfe kommen würde. War wohl nichts. 'Warum konnte ich nicht vorher sterben?' Muss ich jetzt Rasierklingen und Fön einsammeln gehen? Ich hoffe nicht. Nein. Ich denke bis zur Beerdigung bin ich auf der sicheren Seite (gibt es sowas?) und bis dahin "muss" das Lebenslichtlein wieder, vielleicht nur auf kleiner Flamme, aber hoffentlich beständig brennen.

Der erste Morgen danach ist der schlimmste. Man wacht nichts ahnend auf und schlagartig dringt ins Bewußtsein, dass die Welt heute eine andere ist, als sie es noch gestern war. Ärmer. Kälter.

Sie war meine Schwester.

Lilly
... as stubborn as a mule.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Sa., 07.04.2012, 22:34

Es ist der falsche Film. Oder das falsche Kino. Oder die falschen Darsteller.
Nein, es ist nicht witzig. Ich kann nur gerade nicht anders.

Ich habe Angst. Eine völlig irrationale Angst, sowas von irrational.

Nicht um Mama. Wir haben uns heute ein gegenseitiges Versprechen gegeben. Auf uns aufzupassen, jeder auf sich selbst, weil der andere ihn braucht. Ich hoffe, es trägt. Für mich selbst habe ich keine Zweifel, so grundsätzlich jedenfalls nicht. Umgekehrt muss ich jetzt einfach Vertrauen haben. Was bleibt mir weiter übrig.

Die Obduktion fängt an mich zu stören, gelinde ausgedrückt. Warum eigentlich? Es ist nicht die Vorstellung was da mit ihr passiert. Das ist gruselig, aber nicht angstbesetzt. Es ist doch völlig irre vor dem Ergebnis Angst zu haben! Es war ein zweiter Schlaganfall, was denn sonst? Nur gibt es offenbar Zweifel. Oder hat man ein rein medizinisches Interesse an diesem "Fall"? Weil man vor Monaten, beim ersten, auch keine Ursache hat finden können? Keine verstopften Gefäße, noch nicht mal enge Stellen, selbst die Blutuntersuchung in einem Speziallabor hat nichts ergeben. Jetzt guckt man sich das halt von innen an. In hauchdünnen Scheiben unter dem Mikroskop.
Alles Quatsch. So läuft das nicht. Die Kripo ordnet die Obduktion an, nicht irgendein neugieriger Arzt.
Genau daher rührt die Angst. Um sicher sein zu können, dass es ein natürlicher Tod war, muss man Fremdeinwirkung und Suizid ausschließen. Soweit rational und logisch. Es ist eine Formsache, mehr nicht. Weil es so schnell ging. Ja. Und ich habe zu viel Phantasie. Punkt. Ende mit dem Thema. Vorläufig zumindest.

"Und in den tiefsten, innersten Gedanken...." frei nach Rilke
... und das ist gut so. Manchmal ist es tatsächlich besser. Ganz ohne Wehmut oder Traurigkeit.

Lilly
... as stubborn as a mule.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Mo., 09.04.2012, 20:48

Es gibt "Dinge", von denen erholt man sich nicht wieder.
Diese Erkenntnis ist gewiß nicht neu. Nur heute spüre ich sie wieder.
Unmittelbar nach SchockNr.1 kündigte sich SchockNr.2 an, latent, bis er heute zur Gewißheit wurde. Und wie reagiere ich? Wie eine angeschossene Bache. (man möge mir meine "Jagdmetapher" verzeihen) Wenn ich bis ins Mark verletzt bin, kommt mir das Maß für meine Reaktionen abhanden. Sauer reagieren, wenn es berechtigt ist (und es war berechtitgt!, mehr als das), ist das Eine. Das Andere ist, im eigenen Schmerz einen anderen Menschen absichtlich zu verletzen.

Liebe Widow, immer wenn du in deinem Faden über deine Toxizität schreibst, denke ich 'ja, kann ich verstehen'. Zwar halte ich mich nicht direkt für toxisch, aber in meinem Leben passieren immer wieder Katastrophen, mal kleinere, mal etwas größere, vorsichtig formuliert. Wenn ich sage, dass ich "Katastrophen-Lilly" bin, glaubt mir das niemand. Solange nicht, bis er selbst mit drinsteckt. Jeder, der mir dann in so einer Lebensphase nahesteht, bekommt natürlich "seinen" Teil der Katastrophe mit ab, ob er nun will oder nicht. Das kann anstrengend sein. Vielleicht auch manchmal zu anstrengend. Kann ich das wirklich einem anderen Menschen verübeln? Eigentlich nicht. Habe ich heute aber. Mit dem eigenen Schmerz als Rechtfertigung vor mir selbst.

Gibt es noch irgendetwas, das nicht gerade im Begriff ist den Bach runterzugehen? Mir fällt nichts ein.

Morgen schneidet man sie auf. "Sie", ich kann es nicht anders schreiben, es wäre zu nah. Ich kann es auch nicht aussprechen. Eigentlich könnte/sollte ich eine Freundin anrufen. Ihr davon erzählen. Aber es geht nicht. Ich müsste es aussprechen. So direkt am Telefon, mit Worten. Meiner Mutter habe ich es mehr angedeutet, als tatsächlich gesagt, sie verstand auch ohne Worte, durch meine Tränen, mein Verhalten, das in den Arm nehmen und ganz doll festhalten. Auch aus Angst sie könnte mir zusammenklappen. Aber sie war tapfer.

Wenn ich religiös wäre, würde ich heute Abend eine Kerze anzünden und dafür beten, dass man morgen zu der Erkenntnis 'natürlicher Tod infolge Schlaganfall' kommt. Sonst nichts. Mehr will und kann ich morgen nicht hören. Aber nach mir geht's nicht.

Wer mag, kann hier wieder schreiben. Sorry für's temporäre "Aussperren", die Gründe dafür habe ich in einem anderen Thread schon erklärt.


Lilly
... as stubborn as a mule.


Widow
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2240

Beitrag Mo., 09.04.2012, 21:18

Liebe Lilly,

andernorts schrieb ich Dir, dass es nun kein Wort gibt, von andern für Dich, zu Dir, über das, was jetzt ist in Dir.
Daran halte ich mich. Auch hier, wohin Du die Menschen wieder eingeladen hast.

Zu drei Aussagen von Dir aber habe ich Worte, und die möchte ich Dir mitteilen, zwischen uns teilen.
Lilly111 hat geschrieben:Es gibt "Dinge", von denen erholt man sich nicht wieder.
Ja.
Lilly111 hat geschrieben: Diese Erkenntnis ist gewiß nicht neu. Nur heute spüre ich sie wieder.
Und nochmals ja, zu beiden Sätzen. Und ergänzend: Irgendwann hört das Spüren nicht mehr auf.
Lilly111 hat geschrieben: Jeder, der mir dann in so einer Lebensphase nahesteht, bekommt natürlich "seinen" Teil der Katastrophe mit ab, ob er nun will oder nicht. Das kann anstrengend sein. Vielleicht auch manchmal zu anstrengend. Kann ich das wirklich einem anderen Menschen verübeln? Eigentlich nicht. Habe ich heute aber. Mit dem eigenen Schmerz als Rechtfertigung vor mir selbst.
Und ein weiteres Ja. Zu anstrengend - und das dann auch noch mit so "schwacher" offizieller Rechtfertigung, denn all das muss man doch in angemessenen Bahnen "wuppen" können (so lautete doch noch vor kurzem so ein Modewort) - nicht sich die Haare ausreißen, das Essen verweigern, den Körper in Sack und Asche hüllen, die Kommunikation einstellen bis auf ein Wimmern, igitt nein, wo kämen wir denn da hin?! So fragen die, die nicht wissen, was sie fragen. Und einen Teil dieser Denke haben auch wir internalisiert. Drum funktionieren wir ja auch noch weitestgehend - ist das nicht schön?!
Liebe Lilly, wähle alle Metaphern, die Dir angemessen scheinen, sie um Deinen Schmerz zu wickeln, ihn darin einzuhüllen und wenigstens so, verhüllt, in die Welt zu flüstern. (Ich lese Dich.)

Und nun etwas, das für Dich derzeit vielleicht das Wichtigste unter all meinen unwichtigen Worten sein könnte:
Lilly111 hat geschrieben:
Morgen schneidet man sie auf. "Sie", ich kann es nicht anders schreiben, es wäre zu nah. Ich kann es auch nicht aussprechen. Eigentlich könnte/sollte ich eine Freundin anrufen. Ihr davon erzählen. Aber es geht nicht. Ich müsste es aussprechen. So direkt am Telefon, mit Worten.
[...]
Wenn ich religiös wäre, würde ich heute Abend eine Kerze anzünden und dafür beten, dass man morgen zu der Erkenntnis 'natürlicher Tod infolge Schlaganfall' kommt. Sonst nichts. Mehr will und kann ich morgen nicht hören.
Damals wollte ich ihn zunächst auch aufschneiden lassen, auf dass man klärt, ob der Krebs oder diese Ärztin mit ihrem unkontrollierten Morphintropf ihn nun umgebracht hat - bzw. durch letztere er sich selbst (wenn er am Morphin gestorben ist, dann war es letztlich ein Suizid, aber das führt hier zu weit). Ich hatte das schon mit seinem Bruder geklärt (der Chirurg ist und genau das auch wissen wollte, und der eine eingeschränkte Obduktion hätte vermitteln können). - Ich musste das binnen dreier Tage entscheiden. Ich habe mich dagegen entschieden, weil 1. seine katholischen Eltern mir in den Arm gefallen waren, 2. ich eine völlig irrationale Beklemmung verspürte bei dem Gedanken, dass er nun noch einmal, zum 6. Mal binnen eines guten Jahres, vollständig den Bauch aufgeschnitten bekommen würde, und 3. ich dachte, dass jedes Ergebnis neue Schuld gebracht hätte (seinem Bruder oder mir oder uns beiden).
Lilly, ich bereue es nun, nach 73 Wochen und 3 Tagen immer noch, zutiefst, dass ich diese Obduktion damals nicht habe machen lassen. Der Zweifel, all die bis zu meinem Tod nun offen bleibenden Fragen über seinen Tod und so viel diffuse Schuld (und wenn sie diffus ist, ist sie viel verätzender, als wenn sie konkret ist) - das hätte vermieden werden können.
Was immer morgen heraus kommen wird, und wie sehr auch immer es Dich morgen vielleicht niederknüppelt - irgendwann wirst Du sehr froh sein, es zu wissen!

Eine stille Umarmung durch die Ferne,
Widow

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Mo., 09.04.2012, 22:46

Liebe Widow,

mir fehlen wohl gerade die passenden Worte, aber ich denke, du weißt auch so, wie gut es mir tut so verstanden zu werden. Danke dir. Auch dafür, dass du es mit deinen Worten geschafft hast, mich ein wenig mit mir selbst zu versöhnen. Stichwort "wuppen". Ich werde mich morgen erhobenen Hauptes entschuldigen, das darf sein, da ich tatsächlich eine Grenze überschritten habe, kurz die Gründe erklären, obwohl sie auf der Hand liegen, und dann mag passieren was will. Wenn es Verständnis gibt, ist es schön, wenn nicht, kann ich es auch nicht ändern.
Widow hat geschrieben:Damals wollte ich ihn zunächst auch aufschneiden lassen, auf dass man klärt, ob der Krebs oder diese Ärztin mit ihrem unkontrollierten Morphintropf ihn nun umgebracht hat - bzw. durch letztere er sich selbst (wenn er am Morphin gestorben ist, dann war es letztlich ein Suizid, aber das führt hier zu weit).
Ich hing selbst schon an so einer Morphinpumpe. Umso sprachloser, fassungsloser bin ich, wo du die Umstände genauer erklärst. Ich mag jetzt gar nicht meine Gedanken dazu schreiben, aus Angst dich zu verletzen und die Finger in nicht verheilte Wunden zu legen. Widow, wenn du mir "grünes Licht" gibst, schreibe ich noch was dazu, sonst nicht.
Widow hat geschrieben:Lilly, ich bereue es nun, nach 73 Wochen und 3 Tagen immer noch, zutiefst, dass ich diese Obduktion damals nicht habe machen lassen. Der Zweifel, all die bis zu meinem Tod nun offen bleibenden Fragen über seinen Tod und so viel diffuse Schuld (und wenn sie diffus ist, ist sie viel verätzender, als wenn sie konkret ist) - das hätte vermieden werden können.
Ja Widow. Ich verstehe beides. Dass du es nicht machen lassen hast. Und dass du es jetzt bitter bereust, jeden einzelnen Tag.
Bei "uns" ist es nicht ganz freiwillig. Ein (vielleicht auch nur übereifriger) Arzt hat die Kripo eingeschaltet. Ohne dem wäre von uns wohl niemand auf die Idee gekommen, dass es kein Schlaganfall gewesen könnte. Ich muss mir hier und heute alle diesbezüglichen, weiterführenden Gedanken verbieten.
Widow hat geschrieben:Was immer morgen heraus kommen wird, und wie sehr auch immer es Dich morgen vielleicht niederknüppelt - irgendwann wirst Du sehr froh sein, es zu wissen!
Mit ein bisschen "sacken lassen" stimme ich dir zu. Betonung liegt auf irgendwann. Weil, wenn morgen entweder Fremdverschulden oder Suizid auf diesem Papier steht, dann werde ich erstmal alles andere als froh sein. Ganz im Gegenteil. Dann sind da, wie du auch schreibst, ganz konkrete Schuldgefühle. Die in letzter Konsequenz besser sind als diffuse, das stimmt. Aber erstmal würde es ganz verdammt weh tun.

Ich glaube ich brauche heute eine Schlaftablette. @Liebe Mods: EINE, keine 150. Bild

Lilly
... as stubborn as a mule.


Widow
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2240

Beitrag Mo., 09.04.2012, 23:17

Bevor Du, liebe Lilly, einschlummerst (und: gönn Dir das Pillchen!), vielleicht nur noch dies für jetzt (wenn Du nicht schon verdient schlummerst): Ich denk morgen, nachher an Dich. Ab und an, immer mal wieder. Lass Dich lesen ...

Widow

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Mo., 09.04.2012, 23:22

Danke. Ich habe dich auch gerade gelesen, in deinem Faden. Deine April-Betrachtungen....
Der Tag morgen ist, absichtlich, mit Aktivitäten verplant. Wegen dem nicht-denken-wollen.
Ich schreibe hier wieder, versprochen, egal wie die Nachrichtenlage ist. Vielleicht gibt's ja auch Entwarnung. Ich will versuchen heute mit sowas wie Optimismus einzuschlafen. Und morgen aufzuwachen. Die Angst hat mich wieder früh genug.

Lilly
... as stubborn as a mule.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Di., 10.04.2012, 21:24

Es gab keine Obduktion. Wird es auch nicht mehr geben. Die Staatsanwaltschaft hat die Freigabe erteilt. Man ist sich nach Rücksprache mit dem Hausarzt und Befragung der hinzugezogenen Beamten einig, dass es keine Indizien für Fremdverschulden gibt. Suizid ist uninteressant. Also gibt es einen Totenschein mit "ungeklärte Todesursache". Das bleibt auch so, wenn ich die Kripo heute richtig verstanden habe.
Man könnte privat eine Obduktion veranlassen. (@Widow, ich habe an dich gedacht, kannst du dir denken) Die Mehrheit der Familie ist dagegen.

Mir fehlen heute die Worte.
Ich weigere mich derzeit diesen Irrsinn zu verstehen.
Schon nächste Woche ist die Beisetzung.

Entweder dreht sich die Welt zu schnell, oder ich bin zu langsam.

Lilly
... as stubborn as a mule.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Lilly111
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 46
Beiträge: 938

Beitrag Di., 10.04.2012, 23:04

Ja.
Mich hat gerade jemand in meinem Vorhaben bestätigt, morgen mit dem Hausarzt zu sprechen. Er meinte, ich würde das brauchen, um irgendwann abschließen zu können. Da ist was dran. Im Moment hämmert nur dieses "ungeklärte Todesursache" - und allen, außer mir, scheint es egal zu sein. Ich bin ungerecht, ich weiß. Egal vermutlich nicht, aber man müsste sie ja aufschneiden. Außerdem entstehen Kosten. Wo wir doch alle wissen, wie krank sie war. Natürlich.

Der zweite, sicher gut gemeinte, Ratschlag war, dem Arzt von meinen Zweifeln zu erzählen. Da habe ich nun wieder neue Zweifel. Es macht einen Unterschied, ob man einem unbeteiligten Dritten gewisse Zweifel andeutet, oder dem Arzt gegenüber, der nicht unbeteiligt ist, konkrete Zweifel ausspricht.

Das entscheide ich morgen.
Die letzte Entscheidung für heute ist: ab in die Federn. Nach dem Horrortag heute, das Beste was mir passieren kann.

Allen eine Gute Nacht.
Lilly
... as stubborn as a mule.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag