Miss_Understood hat geschrieben:Da stimme ich sehr zu. Hinzu kommen ja dann auch noch teils gegensätzliche psychologisch-gesellschaftliche Bedürfnisse ("Sich zeigen", "Jeder darf für 5 min 'berühmt' sein) und Ansprüche ("Du hast viele Freunde zu haben (sonst bist du nix wert)" "Ich schliesse von dem wie ich dich auf fb wahrnehme, wer du bist (oder zumindest: ich WILL das/erwarte das)" usw.) die damit kollidieren.
Genau. "Sei beliebt!" (für Frauen vielleicht etwas mehr in die Richtung gefärbt: "sei umschwärmt, sei beneidet", weswegen für Frauen die Likes von Freundinnen auf die Fotos vielleicht noch wichtiger sein könnten als die Freundeszahl; für Männer eher ein bißchen mehr mit der Betonung auf: "sei statusbewusst!"). Und: "Sei neugierig (aber lass Dich dabei nicht erwischen)". Auch all diese Dinge haben ihre
völlig berechtigte evolutionäre Wurzel.
Wahrscheinlich ist der Grundsatz "Sei neugierig!" der bedeutendste für die
stickiness von fb. An der Stelle kippt es auch am ehesten in den Suchtcharakter. Da nicht gemeldet wird, auf wessen Profilen man war, fällt sozusagen der im
Real-Life ausbalancierende Faktor des
Stolzes weg, dass man bei der Neugier nicht erwischt werden will. Auf den Punkt gebracht: Facebook funktioniert nur, gerade
weil im sozialen Nahbereich niemand vom jeweils anderen sieht, wie viel er wirklich auf Facebook herumschnüffelt.
Vor dem Hintergrund ist natürlich das, woran FB gerade experimentiert, dass man es bei den Gruppen doch sehen kann, höchst prekär. Leute könnten FB viel seltener aufrufen, sobald sie befürchten müssen, dass andere sehen, wie häufig sie dort wirklich sind, und sie damit in eine "Get-a-life"-Rechtfertigungs-Falle geraten.
Und die dadurch erforderlichen neuen 'Regeln', dass insbesondere durchs befrienden - oft sonst in Grauschattierungen verlaufende Prozesse des Kontakthabens systembedingt in digitale Nullen und Einsen gepresst werden müssen. Und man sich sehr genau Gedanken machen muss, was zeige ichjemandem, was nicht. Was unbestreitbar auch Vorteile haben kann, sich darüber klar werden zu 'müssen' - WIE stehe ich zu diesem Menschen? Aber - das prozesshafte, der Tanz umeinander - der ja häufig zu Anfang einer wie auch imemr gearteten Beziehung stattfindet kann man in Kontakt ODER Kein Kontakt nicht abbilden. So behilft man sich mit Listen, muss überlegen. Auch wenn das manchmal irritierend oder schmerzlich sein kann, erlebe ich es schon auch als ein Tool, welches dann letzten Endes Klarheit schaffen kann. Für einen jeweiligen Moment betrachtet.
OK, Du hast Dich auf die Diskussion mit dem Seminaristen eingelassen, nun musst Du es ertragen!
Also, ich glaube nicht, dass es im psychologischen Sinne wirklich eine binäre Entscheidung ist, also ein
double bind in dem Sinne, dass Du Dich wirklich
pro oder contra einer Person entscheidest. Ich glaube, ein wirkliches Statement beinhaltet
nur die
negative Entscheidung. D. h. wenn Du eine Freundschaftsanfrage ablehnst oder jemand entfreundest.
Dagegen ist die Annahme einer Freundschaftsanfrage, gerade weil das auf fb so wenig bedeutet, sozusagen ein Null-Statment, dass über Deine Beziehung zu dem Menschen letztlich nichts aussagt. Die Entscheidung verlagert sich dann eher auf den Punkt, inwieweit ich jemand an meinem "Informations-flow" teilhaben lasse. Interessant wird es dann, wenn ich mich aus sozialen Rücksichten nicht traue, den anderen auf eine komplette Ausschluss-Liste zu setzen, weil ich denke, der merkt das.
Man muss dann beginnen, in den Kategorien von "Alibi-Postings" zu denken (so wie glaube ich luciabava es oben vorgeschlagen hat). D. h. ab und zu etwas belangloses für alle posten, damit die Ausgeschlossenen sich nicht ausgeschlossen fühlen; also zu überlegen: "Wie kann ich denjenigen, gegenüber denen ich mich eigentlich nicht selbst darstellen will, genau dies durch eine Selbstdarstellung verbergen?". Also alles andere als banal.
(Generell gebe ich Dir natürlich recht, dass sich das Komplex-prozesshafte an menschlichen Beziehungen online nicht darstellen lässt, ich glaube sogar, dass das sozusagen am Ende gefühlt die kollektive Erkenntnis der Menschheit aus dem "sozialen Experiment" Facebook sein könnte.)